„zeitzeichen“,
Heft Juli 2001, S. 22-23
Grad-Wanderungen
im Treibhaus
Für eine
Versachlichung der Klimadebatte
Christian-Dietrich Schönwiese
Die Zunahme der Konzentration von CO2 und anderen
„Treibhausgasen“ in der Atmosphäre ist unzweifelhaft, und ebenso unzweifelhaft
reagiert das Klima darauf. Christian-Dietrich Schönwiese, Professor für
Meteorologische Umweltforschung und Klimatologie an der Universität Frankfurt
am Main, sieht dringenden politischen Handlungsbedarf und plädiert gleichzeitig
dafür, die Debatte rund um den Klimaschutz zu versachlichen.
Wer weiß, möglicherweise hätte
sich niemand außerhalb der Wissenschaft für die Klimadebatte interessiert, wären da nicht zwei brisante,
miteinander gekoppelte Fakten: Die Menschheit ist hochgradig von der Gunst des
Klimas abhängig. Und: Die Menschheit
ist mehr und mehr dazu übergegangen, das Klima selbst zu beeinflussen. Das zweite Faktum, die
anthropogene Klimabeeinflussung, wird in der Wissenschaft seit mindestens einem
Jahrhundert intensiv untersucht und es gibt mittlerweile ungezählte
Fachpublikationen dazu. Doch erst in
den Achtzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts ist die Klimadebatte
öffentlich geworden, ein Gegenstand zunehmend kontroverser
Auseinandersetzungen, Stoff für Schlagzeilen der unterschiedlichsten Art: 1986
titelte Der Spiegel (11.08.1986)
"Die Klimakatastrophe - ... Pol-Schmelze, Treibhaus-Effekt: Forscher
warnen", und dies vor der eindrucksvollen, aber völlig verfehlten
Bild-Kollage des im Ozean versinkenden Kölner Doms. Gut zehn Jahre später wusste die Die Zeit (25.07.1997) "Der Treibhauseffekt ist ein
Märchen" und "Den Meteorologen ist die Katastrophe abhanden
gekommen". Und im vergangenen
Winter warnte wiederum der Stern
(16.11.2000) im Umfeld der scheiternden sechsten Vertragsstaatenkonferenz zur
UN-Klimaschutzkonvention in Den Haag unter der Überschrift "Mit Volldampf
in die Katastrophe" vor der endgültigen Zerstörung der Natur.
Diese Art der Berichterstattung
stellt nicht selten wissenschaftliche Grundtatsachen laienhaft auf den
Kopf und erweist damit der
Öffentlichkeit einen Bärendienst. Denn obwohl es an kompetenten
populärwissenschaftlichen Darstellungen zum Klimaproblem nicht mangelt, sind
Laien schlicht überfordert, wenn sie aus dem Zusammenhang gerissene Einzelaussagen
richtig interpretieren und einordnen beziehungsweise Irrtümer erkennen sollen.
Einige klimatologische
Grundtatsachen sollen daher im folgenden dazu beitragen, die in den nächsten Wochen erneut zu
erwartende Debatte um die Bonner Klimakonferenz, bei der die
Vertragstaatenkonferenz von Den Haag fortgesetzt wird, besser beurteilen zu können.
Jeder Eingriff der Menschheit in
die Stoff- und Energieflüsse unserer Erde führt unweigerlich zu
Klimaänderungen. Und die Menschheit
greift ein. Autofahrend und heizend, über die Landwirtschaft und die
Industrie sorgt sie für den zusätzlichen Ausstoß von Treibhausgasen wie
Kohlendioxid, Methan und vielen anderen. Der Mensch steht also in Konkurrenz zu
natürlichen Klimaveränderungen. Diese Problematik lässt sich nur dann seriös
beurteilen, wenn man versucht diese Konkurrenz zu begreifen.
Wie schwierig das ist, lässt sich
schon anhand des sogenannten Treibhauseffektes verdeutlichen. Auch der hat
sowohl eine natürliche als auch eine anthropogene, menschengemachte,
Komponente. Während der natürliche Treibhauseffekt hauptsächlich auf die
Wirkung von Wasserdampf zurückzuführen ist, und wir ihm verdanken, dass die
Erde kein Eiskeller ist - er hebt die globale Mitteltemperatur von minus
achtzehn auf plus fünfzehn Grad - , spielt bei der von Menschen verursachten
Störung, dem zusätzlichen anthropogenen Treibhauseffekt, das Kohlendioxid mit
einem Anteil von etwa sechzig Prozent die Hauptrolle. Allerdings sind die
klimarelevanten Prozesse viel komplexer als dass man sich vorstellen könnte,
allein die Zufuhr von Kohlendioxid sei Schuld an der Veränderung des Klimas;
denn jede klimarelevante Veränderung der Atmosphärenzusammensetzung, sei sie
nun anthropogen oder beispielsweise vulkanisch verursacht, verändert auch die
Strahlungsflüsse, die Temperatur und in Folge alle anderen Klimaelemente. Die
Situation wird dadurch noch verkompliziert, dass dieses veränderte Klima
wiederum auf die Zusammensetzung der Atmosphäre Einfluss nimmt. Somit spielt
das atmosphärische Kohlendioxid – je nach Perspektive - seine Rolle sowohl als
Ursache als auch als Effekt einer Klimaveränderung.
Trotzdem ist unzweifelhaft, dass
der Mensch seit Beginn des Industriezeitalters die Zusammensetzung der
Atmosphäre erheblich geändert hat. Derzeit bringt er allein durch die Nutzung
der fossilen Energie (Kohle, Erdöl, Erdgas), einschließlich Verkehr, sowie
durch Waldrodungen pro Jahr fast dreißig Milliarden Tonnen zusätzliches Kohlendioxid in die Atmosphäre.
Der dadurch bewirkte atmosphärische
Kohlendioxid-Konzentrationsanstieg ist durch eine Vielzahl von Messungen
von der Arktis bis zum Südpol sowie durch unterschiedliche
Rekonstruktionsmethoden bestätigt, die sich
- im Rahmen der Messgenauigkeit – gegenseitig Recht geben.
Zur Abschätzung der Klimareaktion
auf diese veränderte Zusammensetzung gibt es mittlerweile eine große Palette
von einfachen bis hochkomplizierten Klimamodellen. Auch hier besteht eine gewisse Einigkeit darin, dass der Mensch
im Industriezeitalter, das heißt seit etwa 1800, die global gemittelte
bodennahe Lufttemperatur bereits um etwa ein Grad erhöht hat. Selbst wenn man
den ebenfalls anthropogenen, aber kühlenden Effekt durch Sulfatpartikel, die
aus der Schwefeldioxidemission stammen, abzieht, bleibt immer noch eine
Temperaturerhöhung um etwa 0,6 Grad. Bei Trendfortschreibung im Rahmen derzeit
diskutierter Zukunftsszenarien menschlicher Aktivitäten könnte diese Temperatur in den kommenden
einhundert Jahren um weitere 1,4 bis 5,8 Grad ansteigen. Wenn man
berücksichtigt, dass die entsprechenden natürlichen Klimaschwankungen, in den
vergangenen zehntausend Jahren, diesen
Temperaturwert nie um mehr als 1 bis 1, 5 Grad überschritten haben, ist das
sehr viel - trotz der großen Unsicherheiten der Klimamodellprojektionen. Hinzu
kommen viele Fakten, die sich aus der Analyse der Klimabeobachtungen und
Rekonstruktionen ergeben: Im Rahmen der weltweiten - allerdings regional und
jahreszeitlich sehr unterschiedlichen - Erwärmung ist das Jahr 1998 das bisher
wärmste der letzten tausend Jahre gewesen (in Deutschland war das Jahr 2000 das wärmste seit 1761), haben
die außerpolaren Gletscher überwiegend mit starkem Rückschmelzen reagiert, sind
Niederschlags-umverteilungen aufgetreten, die beispielsweise unsere Winter
niederschlagsreicher, das Mittelmeergebiet aber trockener werden lassen, und
vieles mehr.
Was die Arbeit der Klimatologen
erschwert, ist der Sachverhalt, dass es nicht nur Langzeittrends gibt, sondern
auch vielfältig überlagerte Fluktuationen und Kurzfristanomalien, die alle ihre
eigenen, und zwar natürlichen Ursachen haben. Dazu gehören beispielsweise neben
dem Vulkanismus auch die Sonnenaktivität oder ozeanisch-atmosphärische
Wechselwirkungen wie das El-Niño-Phänomen. Auch wenn die Ursache-Wirkung-
Mechanismen dieser Naturphänomene relativ gut verstanden sind, gibt es doch
große Fragezeichen bei den mit ihnen verknüpften Rückkopplungen, beispielsweise
durch die Reaktion der Bewölkung. Es ist derzeit jedenfalls unmöglich, diese
Vorgänge in ihrem zeitlich-räumlichen Variations-verhalten zuverlässig zu
prognostizieren.
Welche Schlüsse sind nun aus
diesen und den vielen hier erwähnten sowie nicht nicht erwähnten Erkenntnissen
der Klimaforschung zu ziehen? Es gibt unzweifelhaft einen Anstieg der
Konzentration von CO2 und anderen „Treibhaus-gasen“ in der Atmosphäre und
unzweifelhaft reagiert das Klima darauf. Trotz erheblicher Unsicherheiten,
insbesondere was die Klimazukunft betrifft, besteht angesichts des
Risikoausmaßes dringender politischer Handlungsbedarf. Denn die Klimaänderungen
haben vielfältige ökologische und sozioökonomische Auswirkungen. Als Beispiele
seien nur genannt: Schrumpfende Gletscher, das Auftauen von Permafrostböden
sowie der Meeresspiegelanstieg oder das Vordringen von Pflanzenschädlingen und
Krankheitserregern (zum Beispiel Malaria). Dazu kommen eine Zunahme von
Überschwemmungen auf der einen und Dürren auf der anderen Seite, sowie
möglicherweise Stürme und andere Extremereignisse.
Ob jedoch, um den Stern (16.3.2000) noch einmal zu
zitieren, die Natur durchdreht, ob die globale Erwärmung und die damit
verbundenen Änderungen weiterer Klimaelemente
und ihre Auswirkungen als
Katastrophe aufzufassen sind, mag jeder für sich entscheiden. Angesichts der
großen Unsicherheiten taucht ein solcher Begriff in der wissenschaftlichen
Nomenklatur jedenfalls nicht auf, auch wenn er den Klimatologen gelegentlich
untergeschoben wird; ähnliches gilt für die das Schlagwort
"Killergase" oder den Unsinn der "Poleisschmelze".
Auf der anderen Seite darf man
sich angesichts der quantitativen Unschärfen nicht in Sicherheit wiegen:
Solange wir es nicht besser wissen, sind große Änderungen genauso
wahrscheinlich wie kleinere. Eine
Verharmlosung des Weltklimarisikos ist genauso wenig angebracht wie
Katastrophenmentalität, ja, beides ist letztlich verantwortungslos. Die
Einleitung definitiver weltweiter Klimaschutzmaßnahmen, ohne dabei in Panik zu
verfallen, ist das Gebot der Stunde.