Patienten ohne Krankenversicherung. Gründe für das Entstehen von Nichtversicherung und Auswirkungen des Nichtversichertseins auf die medizinische Versorgung betroffener Patienten in Frankfurt am Main

  • Die aktuelle Gesetzeslage fordert mit der im Rahmen der Gesundheitsreform 2007 eingeführten Versicherungspflicht und dem 2013 in Kraft getretenen Gesetz zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung eine Vollversicherung aller in Deutschland lebenden Personen. Die Erfahrungen aus medizinischen Versorgungseinrichtungen zeigen, dass dieses Ziel nicht erreicht wurde. Nach wie vor wird eine bedeutende Anzahl von Patienten ohne Krankenversicherung in Krankenhäusern, Arztpraxen und medizinischen Hilfseinrichtungen versorgt. In der vorliegenden Studie wird in einer praxisnahen Herangehensweise am Beispiel der Stadt Frankfurt am Main untersucht, wo die Ursachen dafür zu finden sind, wenn die Einbindung in das Regelsystem der Krankenversicherung nicht gelingt und wie sich dies auf die medizinische Versorgung der Betroffenen auswirkt. Basierend auf einem qualitativen Studienkonzept wird das empirische Material mit Leitfadeninterviews erhoben und mit der qualitativen Inhaltsanalyse nach Gläser und Laudel ausgewertet. Die Auswahl der Interviewpartner erfolgt mittels Sampling über die Zusammenarbeit mit zwei medizinischen Hilfseinrichtungen als zentrale Kontakte im Forschungsfeld. Die 25 Patienteninterviews stellen eine exemplarische Auswahl an dort behandelten nichtversicherten Patienten dar. Die 21 Experteninterviews mit Gesprächspartnern aus den Arbeitsbereichen Hilfseinrichtungen, Krankenhäuser und Behörden bilden die unterschiedlichen Akteure und Sichtweisen im Handlungsfeld der Nichtversicherung ab. Mithilfe der qualitativen Inhaltsanalyse werden die erfassten Fälle rekonstruiert und auf ihre Kausalmechanismen hin analysiert. Als Ergebnis der Untersuchung werden 13 Grundsituationen typischer Fälle von Nichtversicherung dargestellt und mit den strukturellen Rahmenbedingungen in Zusammenhang gebracht. Daraus werden die Entstehungsmechanismen von Nichtversicherung ersichtlich. Diese zeigen, dass das Fehlen der Krankenversicherung das Resultat einer multifaktoriellen Entwicklung ist. So wirken sich einerseits die individuellen Verhaltensweisen der Betroffenen sowie ihre jeweiligen Lebensum-stände, wie die berufliche Situation, die Wohnsituation, Herkunft, Aufenthaltsstatus und die gesundheitliche Situation, auf die Versicherungssituation aus. Andererseits kommt strukturellen Hürden eine wesentliche Bedeutung bei der Entstehung von Nichtversicherung zu. So lässt die Gesetzgebung in der Versicherungspflicht, dem Sozialleistungsbezug und im Aufenthaltsrecht Lücken, die zwar nicht notgedrungen zum Verlust der Krankenversicherung führen, aber in Wechselwirkung mit bestimmten Lebensumständen und Verhaltensweisen der einzelnen Personen die Eingliederung in das reguläre Versicherungssystem verhindern oder erschweren. Im zweiten Teil der Studienergebnisse wird die Versorgungssituation für Patienten ohne Krankenversicherung beurteilt. Darin wird deutlich, dass Nichtversicherte im Vergleich zu regulär versicherten Personen schlechter medizinisch versorgt sind. Dies ist einem erschwerten Zugang zum Regelsystem der medizinischen Versorgung sowie den eingeschränkten Behandlungsmöglichkeiten im Hilfsnetz geschuldet. Trotz der gut ausgebauten Hilfestrukturen in Frankfurt am Main muss demnach die Versorgungs-situation für Nichtversicherte als unzureichend beurteilt werden. Neben den Patienten sind auch die anderen Akteure von den Folgen des Nichtversichertseins betroffen. Dabei zeigen sich zwei gegensätzliche Perspektiven auf das Problemfeld. Auf der einen Seite stehen die hilfeleistenden Einrichtungen, die den Patienten eine medizinische Versorgung zukommen lassen, auf der anderen Seite die Kostenträger, die als Institutionen des Regelsystems diese medizinische Behandlung finanzieren. Die versorgenden Einrichtungen geraten in einen Konflikt zwischen ihrem Behandlungsauftrag, der sich aus der gesetzlich verankerten Behandlungspflicht und der ethischen Verantwortung den Patienten gegenüber ergibt, und dem wirtschaftli-chen Druck, der die Behandlungsmöglichkeiten bei unzureichender Finanzierung begrenzt. Die Kostenträger können ihre Zuständigkeit als Leistungsträger im Einzelfall prüfen und diese gegebenenfalls ablehnen. Da Nichtversicherte als unattraktive Kunden gelten, geht die Ablehnung meist mit einer Kostenersparnis einher und bedeutet somit für die Kostenträger keinen Nachteil. Die daraus entstehenden Versorgungsvakanzen werden wiederum vom Hilfsnetz aufgefangen. Vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse muss das Auftreten von Nichtversicherung als Problem gesehen werden, aus dem Handlungsbedarf hervorgeht, auch wenn die Gruppe der Nichtversicherten insgesamt nur einen kleinen Anteil an der Gesamtbevölkerung ausmacht. Die Zielsetzung dieser Studie ist es, eine fundierte Grundlage zu geben, auf der Lösungsansätze für die beschriebenen Konflikte erarbeitet werden können.
  • The current legal situation demands full health insurance coverage for everyone living in Germany according to the general obligatory insurance which was introduced in the context of the health care reform in 2007 and the law for elimination of social excessive demand in case of debt of insurance fee (“Gesetz zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung”) which became operative in 2013. The experience in medical facilities shows that this objective has not been achieved. A considerable number of patients without health insurance continues to be treated in hospitals, doctors’ offices and auxiliary medical institutions. Using the city of Frankfurt am Main as example this survey explores in a practical approach the causes why integration to the regular system of health insurance does not work and how this affects the medical care of a person concerned. Based on a qualitative research concept the empiric data is collected via guided interviews and evaluated via qualitative content analysis according to Gläser and Laudel. The selection of interview partners is done by sampling through the cooperation with two auxiliary medical institutions as central contacts within the field of research. The 25 patient interviews show an exemplary selection of patients without health insurance. The 21 expert interviews with conversational partners from the working area of auxiliary institutions, hospitals and public authorities represent the different protagonists and perspectives within the field of action brought about by noninsurance. The recorded cases are reconstructed and analysed according to their causality mechanisms by means of qualitative content analysis. As an outcome of this study 13 fundamental circumstances of typical cases of noninsurance are described and brought into relation with the structural surrounding conditions. Through this the mechanisms of how noninsurance can emerge become evident. These show that a lack of insurance is the result of a multifactorial development. The state of insurance is influenced on the one hand by the individual behaviour pattern of the person affected and their particular environment such as the occupational situation, the housing situation, origin, residence permit status and health status. On the other hand structural barriers play a role in the appearance of noninsurance. It becomes apparent that legislation leaves loopholes in the statutory duty to insure, in the drawing of social benefits and in the right of residence; all of which do not inevitably induce the loss of insurance, but impede the integration into the regular system of health insurance when they interact with certain circumstances and behaviour patterns of individuals. The second part of the research results evaluates the medical care situation for patients without health insurance. Here it becomes apparent that uninsured patients receive worse medical care compared to regularly insured patients. This is due to a hindered access to the regular medical care system as well as the limited treatment options in the auxiliary system. Despite the well-developed infrastructure of auxiliaries in Frankfurt am Main, the medical care situation for uninsured patient has to be considered as insufficient. Apart from the patients, other protagonists are affected by the consequences of noninsurance also. At this point two opposed perspectives on the problem area appear. On the one hand you see the medical facilities who grant medical care to the patients, on the other hand you find the paying agencies as part of the regular system financing this medical care. The institutions providing medical aid get into a conflict between their assignment for medical treatment – stemming from the legal duty to provide medical care as well as the ethical responsibility over the patients – and the economic pressure that restricts the treatment options in case of deficient financing. The paying agencies can reassess and refuse their jurisdiction as funding agency in individual cases. As uninsured patients are considered unattractive clients, the rejection mostly involves cost savings and therefore does not represent a disadvantage for the paying agencies. In turn the vacancies in medical care arising from this are picked up by the auxiliaries. Against the background of these results the emergence of noninsurance has to be considered a problem which involves a need for action even though the group of uninsured people altogether forms only a small percentage of the total population. The purpose of this study is to provide a substantiated basis which serves to develop approaches to the described conflicts.
Metadaten
Author:Eva Maria Schweiger
URN:urn:nbn:de:hebis:30:3-475678
Place of publication:Frankfurt am Main
Referee:Thomas GerlingerGND, Jochen KaiserORCiDGND
Document Type:Doctoral Thesis
Language:German
Date of Publication (online):2018/09/24
Year of first Publication:2018
Publishing Institution:Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg
Granting Institution:Johann Wolfgang Goethe-Universität
Date of final exam:2018/08/28
Release Date:2018/10/18
Tag:Krankenversicherung; Nichtversicherung; Patienten; Versorgung
Page Number:530
HeBIS-PPN:43775538X
Institutes:Medizin
Dewey Decimal Classification:6 Technik, Medizin, angewandte Wissenschaften / 61 Medizin und Gesundheit / 610 Medizin und Gesundheit
Sammlungen:Universitätspublikationen
Licence (German):License LogoDeutsches Urheberrecht