Cryptochrom als potentielles Rezeptormolekül für die lichtabhängige Magnetkompassorientierung von Zugvögeln

Cryptochrome as a potential receptor molecule for light-dependent magnetic compass orientation in migratory birds

  • Das aktuell diskutierte Modell der lichtabhängigen Magnetrezeption bei Vögeln beschreibt, dass die Richtung des Erdmagnetfelds durch Radikalpaarprozesse in spezialisierten Photorezeptoren wahrgenommen wird. Dabei werden Cryptochrome, eine Klasse photoaktiver Flavoproteine, als potentielle Kandidaten für das Radikalpaarmodell und damit als mögliches Magnetrezeptormolekül diskutiert. Verhaltensbiologische Experimente mit Zugvögeln zeigen, dass der Magnetrezeptionsprozess offensichtlich stark lateralisiert im rechten Auge stattfindet und dass dieser Prozess Licht aus dem blau-grünen Teil des Spektrums benötigt. Cryptochrome absorbieren Licht in diesem Bereich und besitzen darüber hinaus biochemische Eigenschaften, die für die Funktion des Radikalpaarmodells entscheidend sind. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen habe ich untersucht, ob Cryptochrom (CRY) in der Retina des Rotkehlchens, Erithacus rubecula, einem nachtziehenden Singvogel, zu finden ist. Mit molekulargenetischen Methoden konnte ich erstmals drei individuell exprimierte Cryptochrome aus der Rotkehlchenretina isolieren: Erithacus (e)-CRY1a, -CRY1b und -CRY2. Während eCRY1a und eCRY2 fast vollständig homolog zu Cryptochrom 1 und 2 in der Retina des Haushuhns sind, besitzt eCRY1b eine noch unbeschriebene C-terminale Domäne, die auf neue Proteinbindungseigenschaften und Interaktionspartner hindeutet. Die Identifizierung eines Kernlokalisierungssignals bei eCRY2 weist auf dessen Lokalisierung im Zellkern hin und macht seine Funktion als sensorischer Lichtrezeptor eher unwahrscheinlich. Ein mit Hilfe der Aminosäurensequenz erstelltes Proteinmodell von eCRY1 zeigt, dass dieser Typus zwei Cofaktoren besitzt: das katalytische Chromophor Flavinadenindinukleotid (FAD) und das lichtsammelnde Pterin Methenyltetrahydrofolat (MTHF). eCRY1a und eCRY1b sind Spleißprodukte des gleichen Gens; ihre C-terminalen Domänen sind auf unterschiedlichen Exonen codiert. eCRY1a und eCRY1b besitzen beide keine Membranbindedomäne und liegen zytosolisch vor. Weil jedoch laut Radikalpaartheorie die magnetosensitiven Rezeptoren zumindest im Moment der Photonenabsorption in einer bestimmten Anordnung und Raumrichtung vorliegen müssen, benötigen beide eCRY1-Varianten daher mindestens einen sphärisch fixierten Interaktionspartner. In meiner Arbeit diskutiere ich Opsine als mögliche Partner, da diese in den Aussensegmenten der Photorezeptoren stark geordnet und in konstanter Raumrichtung vorliegen. Die Genexpression von eCRY1a und eCRY1b unterscheidet sich sowohl zwischen den Augen als auch zwischen den CRY-Varianten. Im Mittel waren die Expressionswerte von eCRY1a in der Rotkehlchenretina fünf- bis zehnmal höher als die von eCRY1b. In der Dämmerung und nachts ist eCRY1a im linken Auge signifikant höher exprimiert als im rechten Auge. Im Gegensatz dazu ist die Expression von eCRY1b in beiden Augen gleich, zeigt jedoch einen signifikanten Anstieg zu Beginn des Zuges in der Dämmerung. Durch die unterschiedlichen Expressionsraten von eCRY1a und eCRY1b verschiebt sich zum Zeitpunkt der Richtungsentscheidung des Vogels in der Dämmerung das Verhältnis zwischen den beiden Cryptochrom1-Varianten im rechten Auge zugunsten von eCRY1b. Die Ergebnisse meiner Expressionsstudie deuten darauf hin, dass die in Verhaltensversuchen nachgewiesene Lateralisation des Magnetkompass bereits auf Rezeptorebene in der Retina beginnen könnte. mRNA in situ- als auch immunohistochemische Untersuchungen dieser Arbeit zeigen, dass bei Zugvögeln sowohl die mRNA als auch die Proteine beider eCRY1-Typen in den Innensegmenten der retinalen Photorezeptoren lokalisiert sind. Die räumliche Nachbarschaft zu Opsinen unterstützt die Annahme einer möglichen Interaktion zwischen diesen und Cryptochrom. Darüber hinaus lässt dieser Befund Spekulationen zu, dass die neuronale Verarbeitung der aus den Photorezeptoren stammenden magnetischen Richtungsinformation analog zum bildverarbeitenden Sehen stattfinden könnte. Modelle für eine mögliche Verschaltung und Signalverarbeitung der Cryptochromsignale werden in dieser Arbeit diskutiert. Insgesamt unterstützen die Befunde meiner Arbeit die im Radikalpaarmodell diskutierte Annahme, dass Cryptochrome eine entscheidende Rolle bei der Perzeption von magnetischer Kompassinformation bei Zugvögeln spielen und möglicherweise als Magnetrezeptormoleküle fungieren. Darüber hinaus könnten die Ergebnisse einen wichtigen Beitrag zu einem besseren Verständnis des Gesamtprozesses der Magnetrezeption bei Tieren leisten, und zwar von der Rezeptorzelle bis zur Verhaltensantwort. Meine Ergebnisse tragen möglicherweise auch dazu bei, die bekannten neurowissenschaftlichen und funktionell morphologischen mit den entsprechenden ethologischen Ergebnissen zu verknüpfen. Ich würde es sehr begrüßen, wenn meine Arbeit zu weiterführender Forschung auf diesem spannenden Gebiet anregt und zu einem besseren Verständnis der noch unbekannten Aspekte der Magnetrezeption beitrüge.
  • One of the currently discussed models of the mechanism underlying light-dependent magnetoreception in migratory birds proposes that the direction of the magnetic field is perceived by ‘radical-pair’ processes in specialized photoreceptors, with cryptochromes suggested as potential candidate molecules mediating magnetic compass information. Behavioural studies have shown that avian magnetic compass orientation is lateralized in the right eye and requires light from the blue-green part of the spectrum. Cryptochromes, a class of photoactive flavoproteins are known to absorb in the same spectral range. Furthermore, they possess biochemical properties crucial for the ‘radical-pair’ model, including the ability to form radical pairs. In view of these considerations I searched for cryptochrome (CRY) in the retina of European robins, Erithacus rubecula, passerine birds that migrate at night. With molecular genetic methods I was able to isolate three individually expressed cryptochromes, Erithacus (e)-CRY1a, -CRY1b, and -CRY2. While eCRY1a and eCRY2 are homologous to cryptochrome 1 and 2 found in domestic chicken retina, eCRY1b owns a unique carboxy (C)-terminal, suggesting novel protein properties and interaction partners. eCRY2 was found to be located in the nucleus, therefore its involvement as a sensory light receptor in magnetoreception is less likely. A protein model of eCRY1 reveals the catalytic chromophor flavin adenine dinucleotide (FAD) and a light-harvesting pterin in the form of methenyltetrahydrofolate (MTHF) as cofactors. Both eCRY1-types are splice products of the same gene with their C-terminal domains encoded on different exons. Also, eCRY1a and eCRY1b are both cytosolic; according to the ‘radical-pair’ model they therefore need at least one spherically fixed interaction partner in order to act as magnetoreceptor molecule. Here, opsins are discussed as potential partners because they are arranged in high order and constant spatial direction in the outer segments of the retina’s photoreceptor cells. Expression levels of eCRY1a and eCRY1b differ between eyes as well as between CRY-types. In general, expression levels of eCRY1a in the Robin’s retina were about five to ten times higher than of eCRY1b. eCRY1a shows significant higher transcription levels in the left than in the right eye during dusk and at night. In contrast, the pattern of eCRY1b is similar in both retinae, with a significant peak at dusk. As a result, the ratio of the two eCRY1-transcripts is shifted in favour of eCRY1b in the right eye during the daily onset of migration at dusk. The results of my expression study suggest that the reported lateralization in the behavioural experiments might already start at the receptor level. mRNA in-situ and immunolocalisation experiments show that mRNA as well as the proteins of both eCRY1-types are located in the inner segments of the photoreceptor cells in the bird’s retina. The spatial vicinity further supports the assumption of opsin as interaction partner of eCRY1 in the process of magnetoreception. It also suggests that magnetic input originating in the photoreceptors of the bird’s retina possibly shares neuronal pathways with the visual system. Several models of how the cryptochrome signals could possibly be processed are discussed. In light of the 'radical-pair' model, the findings of my work support a potential role of cryptochromes as transducers for the perception of magnetic compass information in birds. Also, they might represent an important step to a more detailed understanding of the overall process from receptor cell to behaviour. My results contribute to connecting the known neurobiological and functional morphologic findings with respective ethological responses. Hopefully, this work encourages further research in this field in order to unravel the mystery of magnetoreception in animals.

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Metadaten
Author:Andrea Möller
URN:urn:nbn:de:hebis:30-45257
Referee:Wolfgang WiltschkoGND
Document Type:Doctoral Thesis
Language:German
Date of Publication (online):2007/06/13
Year of first Publication:2006
Publishing Institution:Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg
Granting Institution:Johann Wolfgang Goethe-Universität
Date of final exam:2006/12/01
Release Date:2007/06/13
Tag:Erdmagnetfeld; Erithacus rubecula; Magnetkompassorientierung; Magnetperzeption; Magnetrezeptormolekül; Radikalpaar-Prozess; Retina
European robin; cryptochrome; magnetic compass orientation; magnetoreception; migratory birds; radical-pair process; retina
GND Keyword:Cryptochrom; Rotkehlchen; Zugvögel; Netzhaut; Erdmagnetismus; Vogelzug; Radikalpaar
Source:Möller A., Sagasser S., Wiltschko W., Schierwater B. (2004): Retinal Cryptochrome in a migratory passerine bird : a possible transducer for the avian magnetic compass. - Naturwissenschaften 91, 585-588
HeBIS-PPN:187552207
Institutes:Biowissenschaften / Biowissenschaften
Dewey Decimal Classification:5 Naturwissenschaften und Mathematik / 57 Biowissenschaften; Biologie / 570 Biowissenschaften; Biologie
Sammlungen:Sammlung Biologie / Biologische Hochschulschriften (Goethe-Universität)
Licence (German):License LogoDeutsches Urheberrecht