Letalitätsanalyse pädiatrischer Schädel-Hirnverletzungen

  • Fragestellung Der Schutz der Kinder ist eine der wichtigsten Aufgaben der erwachsenen Bevölkerung. Besonders die Vermeidung und eine effiziente Therapie von schweren Schädel-Hirn-Traumen kann die Todesrate bei Kindern und Jugendlichen stark reduzieren. Ein besonderes Augenmerk ist dabei auf Verkehrsunfälle zu richten. Diese Unfälle sind für Kinder nach dem ersten Lebensjahr die weltweit häufigste Ursache für Tod oder ein neurologisches Defizit. Ziel dieser Studie ist das Aufzeigen von möglichen Risikofaktoren während des Behandlungsverlaufs, einer gesicherten Prognosestellung durch geeignete Befunde und einer Letalitätsanalyse bei Kindern und Jugendlichen mit einem schweren Schädel-Hirn-Trauma kombiniert mit einem letalen Ausgang. Hierbei sollen die Befunde der Patienten unabhängig von den Ergebnissen der Erwachsenen beleuchtet werden, um so den kindlichen Organismus genauer zu analysieren. Besonders wichtig in dieser Studie sind Prozesse und auslösende Faktoren, die das Versterben der Patienten beeinflussen. Eine besondere Bedeutung kommt der Korrelation von klinischen Befunden und einer Prognose der Letalitätswahrscheinlichkeit in dieser Studie zu. Methodik Im Rahmen dieser retrospektiven Studie wurden Patienten des Zentrums für Kinderheilkunde der Universität Frankfurt am Main mit Schädel-Hirn-Traumen und daraus folgendem Tod aus den Jahren 1979 bis 2002 untersucht. Insgesamt wurden 30 Kinder erfasst, 18 männliche und 12 weibliche, zwischen drei Monaten und 18 Jahren (Mittelwert 6,978 Jahre). Die Patienteninformationen wurden aus abteilungsinternen Aufzeichnungen, Berichten von anderen Krankenhäusern, Arztberichten, EEG-, AEP-, CT-Befunden sowie stationären und ambulanten Krankenblättern bezogen. Die Patientendaten wurden während des Behandlungsverlaufs zum besseren Überblick in drei Ergebnisgruppen eingeteilt und ausgewertet. Zum einen in die Ergebnisse am Unfallort, bei der Aufnahme im Krankenhaus und während des Krankenhausaufenthaltes. Ergebnisse Der relative Anteil der Patienten unter drei Jahren war erhöht. Je älter die Patienten waren, desto mehr männliche Patienten gab es. 70 Prozent der Kinder in dieser Studie verstarben innerhalb der ersten Woche. Die Zeitspanne vom Unfall bis zum Tod der Patienten betrug im Median vier Tage. Die durchschnittliche Latenzzeit bis zum Tod wurde im Durchschnitt mit 11,4 Tagen ermittelt. In den Unfallkategorien war die Kategorie „High Velocity Accident“ mit 76,76 Prozent die dominierende Unfallart. Zusätzlich zeigten die Patienten in dieser Kategorie die geringste Überlebensdauer bis zum Tod, besonders diejenigen, die aktiv am Straßenverkehr teilnahmen. 27 Patienten wurden am Unfallort anhand der Glasgow-Coma-Scale in die Gruppe der schweren Schädel-Hirn-Traumen eingeteilt (davon 19 Patienten mit nur drei Punkten), drei Kinder in die Gruppe der leichten. Bei der Aufnahmeuntersuchung befanden sich dann alle Patienten in der Gruppe der schweren Schädel-Hirn-Traumen. Zwölf Patienten mit einer zerebralen Hypoxie (zehn davon wurden reanimiert) wiesen eine stark verkürzte Latenzzeit gegenüber Patienten ohne Hypoxie bis zum Tod auf. Bei der Pupillenuntersuchung am Unfallort hatten fast alle Patienten erweiterte und lichtstarre Pupillen, nur drei Patienten zeigten einen physiologischen Pupillenbefund. Bis zur Aufnahmemuntersuchung verbesserte sich der Befund lediglich bei zwei Patienten, ausgelöst durch eine erfolgreiche Reanimation. Bei 19 Patienten wurde im Verlauf eine hypotherme Körpertemperatur gemessen, bei acht Kindern eine Körpertemperatur im normalen Bereich, zwei waren hypertherm. 13 Kinder zeigten bei der Aufnahmeuntersuchung im Krankenhaus einen ihrem Alter entsprechenden physiologischen Blutdruckwert, bei zwei Patienten wurde ein erhöhter Wert festgestellt. 15 Kinder wiesen einen systolischen Blutdruck unter 90 mmHg und somit eine Hypotonie auf. Die Latenzzeit bis zum Tod betrug 21,92 Tage bei einem physiologischen Blutdruck gegenüber 3,4 Tagen bei einer Hypotonie. Bei 18 Kindern wurde mindestens eine Schädelfraktur festgestellt. Die Schädelfrakturen verkürzten die Latenzzeit der Kinder nicht. Sieben Patienten hatten ein offenes Schädel-Hirn-Trauma, 23 ein geschlossenes. Alle Patienten wiesen negative Veränderungen im EEG auf. Sechs von 23 Patienten zeigten erhaltene AEPs, 14 Patienten den Ausfall der Welle III und/oder der Welle V und drei Patienten eine verzögerte Latenz der Welle III und/oder der Welle V mit tendenzieller Verschlechterung. Die niedrigsten Latenzzeiten besaßen die Patienten mit dem Ausfall der Welle III und/oder der Welle V. 28 Kinder erhielten eine Computertomografie (CT). Hier zeigte sich bei 26 Patienten in der ersten Untersuchung ein intrakranielles Hämatom, davon bei 21ein intrazerebrales Hämatom. Bei sechs Patienten wurde eine Mittelinienverschiebung beobachtet, bei 15 Patienten komprimierte und/oder nicht darstellbare basale Zisternen. Meist wurden mehrere Veränderungen kombiniert vorgefunden. Bei 20 Patienten wurden Hindruckwerte ermittelt, vier Patienten blieben innerhalb der ersten 48 Stunden nach dem Unfall unter 20 mmHg, dagegen 16 Kinder über 20 mmHg. Je höher in den ersten 48 Stunden der Hirndruck war, desto kürzer wurde die Latenzzeit bis zum Tod. Bei 22 Patienten wurde ein Hirnödem beobachtet, bei 18 Kindern schon zwei Stunden nach dem Unfall. Diskussion und Schlussfolgerung Es gibt ein Vielzahl von klinischen Untersuchungen und Befunden. In dieser Studie haben sich einige herauskristallisiert, die für eine sichere Prognosestellung wichtig sind. Ein besonders kritischer Zeitraum ist die erste Woche nach dem Unfall. Der „High Velocity Accident“ ist das Unfallmuster mit der geringsten Latenzzeit bis zum Tod der Patienten und mit einer hohen Sterblichkeit verbunden. Die Glasgow-Coma-Scale hat 24 Stunden nach dem Trauma einen höheren Aussagewert als initial. Bleibt der Wert in diesem Zeitraum unter fünf Punkten, ist mit einer sehr schlechten Prognose zu rechnen. Der Pupillenbefund gibt besonders bei einem niedrigen Glasgow-Coma-Scale-Wert für die Prognose des letalen Ausgangs eine zusätzliche Absicherung. Das EEG ist hingegen wenig aussagekräftig. Arterielle Hypotonie und Hypoxie sind Hauptursachen des sekundären Hirnschadens nach einem Schädel-Hirn-Trauma. Eine Vermeidung einer Hypotonie und der Hypoxie würde die Letalitätswahrscheinlichkeit senken. Das Vorhandensein einer Schädelfraktur zeigte keinen Einfluss auf die Prognose. Die AEP sind wegen der geringen Beeinflussung durch Medikamente für eine Verlaufprognose gut geeignet. Dabei spielt der Ausfall der Welle III und/oder der Welle V für einen schlechten Ausgang eine wichtige Rolle. Die Computertomografie zeigt sehr gut pathologische Veränderungen der Gehirnstrukturen und ist sowohl für die Einschätzung der primären, als auch sekundären Schäden geeignet. Auffallend in dieser Studie war die hohe Anzahl von Patienten mit intrakraniellen Hämatomen. Das Vorhandensein einer komprimierten und/oder nicht darstellbaren basalen Zisterne verschlechterte die Prognose wesentlich und verkürzte die Dauer bis zum Tod. Hirndruckwerte ab 20 mmHg innerhalb der ersten 48 Stunden erhöhen die Prognose für einen schlechten Ausgang, ab 60 mm Hg steigt die Letalitätswahrscheinlichkeit stark. Die Vermeidung eines Hirnödems könnte hohe Hirndruckwerte vermeiden. Die Prognose hängt somit nicht nur von der Primärschädigung des Gehirns ab, sondern auch von den sekundären Schädigungen und deren Komplikationen. Wegen der komplexen Strukturen des jungen menschlichen Körpers und vor allem des Gehirns ist auch heutzutage noch keine absolut sichere Prognosestellung möglich. Die Ergebnisse in dieser Studie können nur Anhaltspunkte für eine Prognose geben. Je mehr der beschriebenen pathologischen Befunde bei einem Patienten festgestellt werden, desto wahrscheinlicher ist ein letaler Ausgang.
  • Problem Protecting children is one of the most important responsibilities of the adult population. In particular, avoiding severe craniocerebral traumas and providing adequate therapies for them can greatly reduce the death rate of children and young people. Special attention should be paid to traffic accidents. All over the world, these accidents represent the most frequent cause of death or of neurological deficiency in children after the first year of life. The purpose of the present study is to show potential risk factors during the course of treatment, a safe prognosis using appropriate findings and an analysis of lethality among children and young people with severe craniocerebral traumas combined with a lethal result. For this purpose the findings of the patients are to be examined without reference to the results among adults, so that the child organism can be more precisely analysed. Of special importance in this study are processes and triggering factors that influence the death of the patients. This study focuses especially on the correlation between clinical findings and a prognosis of lethality probabilities. Methodology In this retrospective study patients from the Centre for Paediatrics at the University of Frankfurt am Main with severe craniocerebral traumas and subsequent death have been studied for the period 1979 to 2002. Altogether 30 children were included, 18 male and 12 female, aged between three months and eighteen years (median age 6.978 years). The information on patients was drawn from internal department records, reports from other hospitals, doctors’ reports, EEG AEP and CT findings and medical report cards from wards and outpatient services. For organisational purposes the patient data were divided and evaluated in three groups of results during the course of treatment: results at the site of the accident, on admission to hospital and during the stay in the hospital. Results The relative proportion of patients under three years was high. The older the patients, the more male patients there were. 70 per cent of the children in this study died during the first week. The median time from the accident to the patient’s death was four days. The average latency period until death was found to be 11.4 days. Of the accident categories, the “high velocity accident” was the main type of accident at 76.76 per cent. Furthermore patients in this category showed the shortest survival time until death, especially those who had taken an active part in street traffic. 27 patients were assessed at the accident site as suffering from severe craniocerebral traumas according to the Glasgow Coma Scale (of whom 19 patients had only 3 points) and three children in the light category. When examined on admission all children were found to be in the group of severe craniocerebral traumas. Twelve patients with cerebral hypoxia (ten of whom were reanimated) had a much shorter latency period to death than patients without hypoxia. When the pupils were examined at the accident site almost all patients had expanded and fixed pupils, and only three patients had a physiological pupillary findings. By the time of admission the findings had improved only in two patients, as a result of successful reanimation. In 19 patients a hypothermic body temperature was measured at some stage, in eight children body temperature was in the normal range, and two were hyperthermic. On admission to hospital, 13 children were found to have blood pressure appropriate to their ages and in two children blood pressure was found to be high. 15 children showed systolic blood pressure of less than 90 mmHg, and consequently hypotonia. The latency period to death was 21.92 when the blood pressure was physiological as compared with 3.4 days for hypotonia. In 18 cases the children were found to have at least one skull fracture. The skull fractures did not shorten the latency periods. Seven children had open head injuries, 23 closed. All patients showed negative changes in the EEG. Six of 23 patients had maintained AEPs, 14 patients an absence of Wave III and/or Wave V and three patients had a delayed latency time for Wave III and/or Wave V with a downward tendency. The lowest latency periods were those of the patients with an absence of Wave III and/or Wave V. 28 children were examined with computer tomography (CT). 26 of these patients had an intracranial haematoma at the first examination, and of these 21 had an intracerebral haematoma. Six patients were found to have a midline shift and 15 had compressed and/or unrepresentable basal cisterns. In most cases several changes were found in combinations. The intracranial pressure of 20 patients was measured. Four remained below 20 mmHg 48 hours after the accident, the other 16 were above 20 mmHg. The higher the intracranial pressure during the first 48 hours, the lower the latency period to death. 22 patients were found to have cerebral oedemas, 18 of them already two hours after the accident. Discussion and conclusions There is a large number of clinical examinations and findings. In this study some have crystallised out that are important for a safe prognosis. A particularly critical period is the first week after the accident. The high velocity accident is the type with the lowest latency period up to the death of the patient and is associated with high mortality. The Glasgow Coma Scale has a higher information level 24 hours after the trauma than at first. If the value is lower than five points after this length of time, the prognosis must be very poor. An additional assurance for the prognosis of a lethal outcome is the finding from the pupillary examination, especially in combination with a low value on the Glasgow Coma Scale. The EEG, on the other hand, is not a strong instrument for the purpose. Arterial hypotonia and hypoxia are the main reasons for secondary brain damage after a craniocerebral trauma. Avoidance of hypotonia and hypoxia would lower the probability of lethality. The presence of a skull fracture had no influence on the prognosis. Because they are little affected by drugs, AEP are well suited for prognosis of the course of the condition. The absence of Wave III and/or Wave V plays an important role for a bad outcome. Computer tomography shows pathological changes to the brain structure very well and is suitable for assessing both the primary and the secondary damage. Notable in this study was the large number of patients with intracranial haematomas. The presence of a compressed and/or non-representable basal cistern worsened the prognosis considerably and lessened the time to death. Intracranial pressure measurements from 20 mmHg within the first 48 hours increase the prognosis for a bad outcome, and from 60 mmHg the probability of lethality is much higher. Avoiding a brain oedema could prevent high intracranial pressure values. Consequently, the prognosis does not depend only on primary damage to the brain but also on secondary damage and complications. Due to the complex structures of a young human body and especially of the brain, even today no absolutely safe prognosis is possible. The results of the present study can only provide points of orientation for a prognosis. The more pathological findings described here are found in a patient the more likely is a lethal outcome.

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Metadaten
Author:Dieter Deußen
URN:urn:nbn:de:hebis:30-40855
Place of publication:Frankfurt am Main
Referee:Matthias Kieslich, Ingo MarziORCiDGND
Advisor:Matthias Kieslich
Document Type:Doctoral Thesis
Language:German
Date of Publication (online):2010/01/28
Year of first Publication:2005
Publishing Institution:Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg
Granting Institution:Johann Wolfgang Goethe-Universität
Date of final exam:2006/11/06
Release Date:2010/01/28
Page Number:126
First Page:1
Last Page:125
HeBIS-PPN:222487771
Institutes:Medizin / Medizin
Dewey Decimal Classification:6 Technik, Medizin, angewandte Wissenschaften / 61 Medizin und Gesundheit / 610 Medizin und Gesundheit
Licence (German):License LogoDeutsches Urheberrecht