Repräsentation akustischer Abweichungen durch Neurone und lokale Feldpotenziale im auditorischen Kortex der wachen Ratte

Representation of acoustic deviations by neurons and local fieldpotentials in the auditory cortex of the awake rat

  • Veränderungen in der akustischen Umwelt sind häufig mit Ereignissen verbunden. Diese wiederum können für ein Tier eine besondere Verhaltensrelevanz haben, im Gegensatz zu einem gleichbleibenden akustischen Hintergrund, der mit keinem positiven oder negativen Ereignis verbunden ist. Es ist also naheliegend zu spekulieren, dass Veränderungen oder neue akustische Reize im zentralen Nervensystem anders repräsentiert werden als der kontinuierliche Hintergrund und dass diese Repräsentation sowohl von der Häufigkeit der Stimuli als auch vom Unterschied zum akustischen Hintergrund abhängt. In Elektroenzaphalografie-Messungen (EEG) am Menschen wurde eine besondere Aktivitätsänderung bei auditorischen Abweichungen erstmals 1978 nachgewiesen. Dabei wurde ein akustischer Reiz über einen längeren Zeitraum regelmäßig wiederholt (Standard) und in einigen, seltenen Fällen durch einen anderen Reiz (Deviant) ersetzt. Dieser Deviant löste eine zusätzliche negative Komponente im EEG aus (Mismatch negativity), die bei den Standard-Stimuli nicht vorhanden war. Eine Voraussetzung, um MMN auszulösen, ist die Präsentation von einigen Standard-Stimuli, sodass eine neuronale Repräsentation des Stimulus aufgebaut werden kann, gegen die jeder weitere Reiz abgeglichen wird. Die zelluläre Basis von MMN und des zugrunde liegenden Mechanismus zur Detektion von auditorischen Veränderungen ist nur wenig erforscht. Als möglicher zellulärer Detektionsmechanismus akustischer Veränderungen wurde die Stimulus-spezifische Adaptation (SSA) vorgeschlagen, die zugleich der Ursprung von MMN im primären auditorischen Kortex sein könnte. SSA beschreibt die Eigenschaft von Neuronen der Hörbahn, auf die Wiederholung von identischen Reizen mit abnehmender Aktivität zu antworten und zugleich die Fähigkeit beizubehalten, andere Stimuli weiterhin mit hoher Aktivität zu repräsentieren. Die veränderte neuronale Repräsentation von Tönen mit niedriger Auftrittswahrscheinlichkeit, im Vergleich zu Tönen mit hoher Auftrittswahrscheinlichkeit, wurde bereits sehr eindrücklich im auditorischen Kortex der anästhesierten Katzen demonstriert. Die vorliegende Arbeit hat es sich zum Ziel gesetzt, bei der Repräsentation von auditorischen Abweichungen die Lücke zwischen der Ebene aufsummierter Potenziale (EEG beim Menschen) und der Ebene einzelner kortikaler Neurone zu schließen. Gleichzeitig sollte dabei erstmalig SSA im auditorischen Kortex des wachen Tieres nachgewiesen und so eine pharmakologische Interaktion der normalerweise eingesetzten Anästhetika mit SSA ausgeschlossen werden. Der experimentelle Ansatz basierte auf elektrophysiologischen Messungen mit chronisch implantierten Mikroelektroden im wachen Tier. Die Elektroden waren im auditorischen Kortex positioniert und ermöglichten eine gleichzeitige Messung der lokalen aufsummierten Potenziale (lokale Feldpotenziale, LFP) und der Aktionspotenziale einzelner Neurone als extrazelluläre Potenzialveränderungen. Das Stimulationsparadigma bestand aus Folgen zweier Reintöne, die mit unterschiedlicher Auftrittwahrscheinlichkeit präsentiert wurden. Der Ton mit hoher Auftrittwahrscheinlichkeit bildete den akustischen Hintergrund, der Ton mit niedriger Auftrittswahrscheinlichkeit (Deviant) die akustische Abweichung. In dieser Arbeit konnte erstmalig nachgewiesen werden, dass Neurone im auditorischen Kortex der wachen Ratte akustische Abweichungen mit einer höheren Aktivität repräsentieren als den auditorischen Hintergrund (bis zu 19,5% Aktivitätsunterschied). Stimulusspezifische Adaptation ist somit auch im wachen Tier Teil der neuronalen Codierung der akustischen Umwelt. Mithilfe der Signalentdeckungstheorie konnte des Weiteren gezeigt werden, dass die unterschiedliche neuronale Repräsentation von häufigen und seltenen Stimuli auch zu einer erhöhten neuronalen Unterscheidbarkeit zwischen beiden Stimuli führte. Auf der Ebene der ereigniskorrelierten LFPs konnte SSA in zwei Komponenten nachgewiesen werden: der ersten, negativen Auslenkung und der folgenden, positiven Auslenkung. Besonders in der ersten, negativen Komponente war SSA systematisch nachzuweisen und sie war zusätzlich starkmit der Aktivität der einzelnen Neuronen korreliert, während die positive Komponente der LFPs keine Korrelation mit den Messungen der einzelnen Nervenzellen zeigte. Der Grad der SSA hing von der Auftrittwahrscheinlichkeit und dem Frequenzabstand der beiden Töne ab. Keine der Messungen hatte die besondere Charakteristik von MMN. Zusammenfassend lässt sich die Aussage treffen, dass SSA auch im wachen Tier nachgewiesen wurde, sowohl auf der Ebene einzelner Neurone als auch in der aufsummierten Aktivität, wenn auch in einer schwächeren Ausprägung als in den bisher veröffentlichten Ergebnissen in anästhesierten Tieren. Ein direkter Beitrag der kortikalen Neurone zu MMN konnte nicht gezeigt werden, es gab aber einen starken Zusammenhang zwischen den einzelnen Neuronen und den LFPs.
  • The representation of behaviorally relevant stimuli in a noisy and complex environment that consists of multiple signals from different sources is one of the major challenges for the auditory system. The statistics of stimuli provide critical cues for structuring such an environment for optimizing the neuronal coding of it and for selecting vital information from it. In this respect, infrequent deviations in a repetitive auditory background are often events of behavioral importance. Such rarely occurring events are represented in the nervous system by a preattentive and automatic auditory process, which is only partially under attentional control. A correlate in human electroencephalographic recordings for neuronal mechanisms of change detection is the so-called mismatch negativity (MMN) that may serve as a trigger for reallocating attention toward the deviants. Its characteristic feature is a negative wave occurring 200 milliseconds after stimulus onset in response to an infrequent deviant stimulus, which is embedded in a sequence of repetitive standard tones. To evoke MMN, the deviant and standard stimuli can be selected from a variety of stimuli (i.e., pure tones, vowels) and differ in various aspects such as frequency, duration, and level or even being omitted. Although there is a large data basis on MMN available, only few publications approach its cellular basis in terms of cortical neuronal response properties. Recently, stimulus-specific adaptation has been proposed as a candidate neuronal mechanism underlying the generation of MMN. In experiments on anesthetized animals, stimulus-specific adaptation was identified at different stages of the auditory pathway, namely cat auditory cortex, mouse auditory thalamus, and rat inferior colliculus. In addition, there were attempts to demonstrate MMN with means of event-related potentials in rodents, but the resulting patterns are weak or ambiguous. To address the neuronal basis of MMN, the present study focuses on the awake rat primary auditory cortex. Neurons and evoked local field potentials were recorded in parallel and could provide a bridge between cellular properties and electroencephalographic recordings. The following questions are addressed. Whether and how is SSA present in neurons of the primary auditory cortex in the awake rat? Do the evoked local field potentials adapt in a similar manner as neurons and do they exhibit an MMN-like pattern? Finally, can we establish a contribution of single neuron adaptation to adaptation of evoked local field potentials? A total of 76 single units and small multiunit clusters were recorded (n = 27 and n = 49, respectively) from primary auditory cortex of the awake rat. For a subset of units, evoked local field potentials were recorded in parallel to the extracellular spike recordings from the same electrode. The frequency response area was characterized for each unit, and, depending on its characteristic frequency, two frequencies, symmetrically centered around the characteristic frequency, were chosen for the two tones in the adaptation paradigm. The two pure tones were presented in an oddball sequence of 800 tones, with one tone being the highly probable standard and the other one the rarely occurring deviant. In a second consecutive sequence, the frequencies of standard and deviant were swapped. To identify different factors controlling stimulus-specific adaptation, deviant probability and frequency separation were varied systematically, giving rise to four different stimulus conditions and one control condition. The main findings were as follows. (1) Isolated units in primary auditory cortex of the awake rat showed stimulus-specific adaptation primarily during the onset response but could not be observed during later inhibition or rebound of activity. Stimulus-specific adaptation of isolated units depended on at least two factors: frequency separation between standard tone and deviant and the deviant probability. However, stimulus-specific adaptation was independent of the specific frequency, indicating that stimulus-specific adaptation might be a more general property of cortical neurons. (2) Certain components of evoked local field potentials adapted in a stimulus-specific manner (i.e., the fast negative deflection and partially the slower positive deflection). There was, however, no MMN response present. (3) Spike adaptation correlated well with the adaptation of the negative deflection but not the positive deflection. Adaptation of the negative deflection resembled spike adaptation with respect to magnitude and dependency on frequency separation and deviant probability. (4) Stimulus specific adaptation improves on the level of single neurons the discriminability of deviant stimuli from the acoustic background. This was shown by a detailed analysis of neuronal responses with means of signal detection theory.

Download full text files

Export metadata

Additional Services

Share in Twitter Search Google Scholar
Metadaten
Author:Wolfger von der Behrens
URN:urn:nbn:de:hebis:30-82923
Referee:Bernhard GaeseORCiDGND, Manfred KösslORCiD
Advisor:Bernhard Gaese
Document Type:Doctoral Thesis
Language:German
Date of Publication (online):2010/11/12
Year of first Publication:2009
Publishing Institution:Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg
Granting Institution:Johann Wolfgang Goethe-Universität
Date of final exam:2010/05/31
Release Date:2010/11/12
Tag:Stimulus-spezifische Adaptation; Wachableitung; extrazelluläre Messung
Awake recording; extracellular recording; mismatch negativity; stimulus-specific adaptation
GND Keyword:Ratte; Hörrinde; Aufmerksamkeit; Nervenzelle; Elektroencephalogramm; Akustik
HeBIS-PPN:228712963
Institutes:Biowissenschaften / Biowissenschaften
Dewey Decimal Classification:5 Naturwissenschaften und Mathematik / 57 Biowissenschaften; Biologie / 570 Biowissenschaften; Biologie
Sammlungen:Universitätspublikationen
Licence (German):License LogoDeutsches Urheberrecht