TY - JOUR A1 - Haubl, Rolf A1 - Leuzinger-Bohleber, Marianne T1 - Hilfe für kleine Störenfriede: Frühprävention statt Psychopharmaka : vom kritischen Umgang mit der Diagnose "Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung" T2 - Forschung Frankfurt : Wissenschaftsmagazin der Goethe-Universität N2 - Über keine Diagnose ist in den vergangenen Jahren weltweit so viel, so heftig und so kontrovers diskutiert worden wie über die Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung (AD[H]S) – und das gleichermaßen in der fachlichen wie der allgemeinen Öffentlichkeit. Eine besondere Brisanz erhält diese Diskussion, weil nicht wenige der betroffenen (überwiegend) Jungen nicht nur durch eine ausgeprägte Konzentrationsschwäche und motorische Unruhe, sondern zudem durch ein starkes antisoziales Verhalten auffallen. Sie handeln derart aggressiv, dass sie sich kaum sozial integrieren lassen und somit die Bildungsangebote im Kindergarten und mehr noch in Schulen nicht für ihre Entwicklung nutzen können. AD[H]S greift unabhängig von der sozialen Herkunft um sich: Den einen verbaut es den sozialen Aufstieg, andere bedroht es mit sozialem Abstieg. Neben der Diagnose wird vor allem die Behandlung mit Psychopharmaka kontrovers diskutiert. Knapp die Hälfte der Kinder, bei denen AD[H]S diagnostiziert wurde, bekommt entsprechende Medikamente, am häufigsten Präparate mit dem Wirkstoff Methylphenidat (Ritalin, Medikinet, Concerta), die insbesondere zwischen neun und zwölf Jahren verabreicht werden. Insgesamt wird die Zahl der medikamentös behandelten Kinder weltweit auf über zehn Millionen geschätzt. Sowohl bei der Häufigkeit der Diagnose als auch der psychopharmakologischen Behandlung gibt es international große Unterschiede: Neben den USA wird in Ländern wie Kanada, Australien und Norwegen besonders schnell zu Medikamenten gegriffen. Während diese Psychopharmaka 1993 lediglich in 13 Ländern eingesetzt wurden, sind es inzwischen weit mehr als 50 Länder. Auch Deutschland holt auf; dem neuesten Bericht des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte sind enorme Steigerungsraten zu entnehmen: So hat der Verbrauch dieser Mittel zwischen 1993 und 2006 um 3591 Prozent, von 34 Kilogramm auf 1221 Kilogramm zugenommen! Gesundheitsexperten warnen vor einer Verordnung überhöhter Dosen und vor einer laxen Indikationsstellung. Vermutlich ist tatsächlich die Zahl der schweren AD[H]SFälle über die Jahre gleich geblieben, während die Zahl der diagnostizierten Kinder zugenommen hat, die vergleichsweise nur wenige und schwach ausgeprägte Symptome zeigen. Da es keine objektive Grenze zwischen »krank« und »gesund« gibt, weist jeder Diagnoseprozess eine Grauzone auf. Und da Methylphenidat auch das Leistungsvermögen von »gesunden« Kindern steigert, ist zu vermuten, dass die Präparate zur Verstärkung »normaler « Funktionen eingesetzt werden. ... KW - ADHS KW - Aufmerksamkeits-und-hyperaktivitätsstörung KW - Medikalisierung sozialer Probleme KW - Prävention KW - Kindergarten Y1 - 2007 UR - http://publikationen.ub.uni-frankfurt.de/frontdoor/index/index/docId/289 UR - https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:hebis:30-52583 SN - 0175-0992 VL - 25 IS - 3 SP - 52 EP - 55 PB - Univ. Frankfurt, Campusservice CY - Frankfurt, M. ER -