Lokale Partner der Entwicklungszusammenarbeit – Westafrikanische Jugendvereine im Spannungsfeld multipler Interessen

  • Trotz ihrer hohen Zahl besetzen Jugendliche in westafrikanischen Staaten gesellschaftlich marginalisierte Positionen. Die Gründe für die Organisation der ländlichen Jugend in Jugendvereinen ergeben sich somit aus ihrer Lebenssituation. Formen sozialer Solidarität zur Verbesserung der Lebensmöglichkeiten wie die Aktivitäten der Jugendvereine stellen eine rationale Folge ihrer ökonomisch schlechten Situation dar (WEICKER 1992:550). Die im frankophonen Westafrika weit verbreiteten Jugendvereine, die im weiteren Verlauf auch als associations des jeunes bezeichnet werden, dienen Jugendlichen als Instrumente zur Gestaltung ihrer Lebenswelt. Als gemeinsames Betätigungsfeld bieten diese Vereine Einblicke in den Alltag der Jugendlichen (jeunes) (vgl. JENSEN 1996:61). Hier werden ihre Beziehungen untereinander sowie zu ihrer Umwelt erkennbar. Die Vereine sind Spiegel ihrer Interessen und Bedürfnisse. In diesem Kontext sind Jugendvereine als Instrumente zur Verfolgung ihrer spezifischen Interessen zu verstehen. Eine Betrachtung der Vereine macht deutlich, mit welchen unterschiedlichen Strategien die jeunes diese Interessen verfolgen. Über die Vereine engagieren sich die Mitglieder im Kollektiv für gemeinnützige Ziele, sie verstehen es aber auch, über ihre Mitgliedschaft individuelle Lebenskonzepte durchzusetzen. Dabei sind die jeunes keineswegs die einzigen Akteure, die über die Vereine ihre Umwelt zu gestalten versuchen. Die associations des jeunes stehen in einem besonderen Spannungsfeld. Sie stellen eine „Linse“ dar, welche die verschiedenen Interessen der Mitglieder bündelt. Die Vereine stellen nicht nur für die Jugend wichtige soziale Sprachorgane dar, sondern dienen auch der Artikulation allgemeiner gesellschaftlicher Bedürfnisse. Vereinsmässige Organisationsformen der Jugend (jeunesse) haben in dieser Funktion im frankophonen Westafrika vor und nach der völkerrechtlichen Unabhängigkeit von der französischen Kolonialmacht immer eine gesellschaftlich wichtige Rolle gespielt. So ist die Relevanz der jugendlichen Klientel der Partei RDA (Rassemblement Démocratique Africain) in ihrem Kampf um die völkerrechtliche Unabhängigkeit der französischen Kolonien Westafrikas im historischen Kontext ausschlaggebend für die heutige Verwendung des Begriffs jeunesse als übergreifende Bezeichnung für organisierte Jugendbewegungen (d’ALMEIDA-TOPOR 1992:16). Nach der Demokratisierung westafrikanischer Staaten ermöglichten jedoch Parteien der Bevölkerung die politische Beteiligung an gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen. Gewerkschaften und Vereine verloren als Mittel zur Artikulation und Verfolgung gesellschaftlicher Bedürfnisse an Bedeutung. Im aktuellen Diskurs der Entwicklungszusammenarbeit und der staatlichen Entwicklungsagenda bieten sich den (ländlichen) Vereinen jedoch neue Möglichkeiten, auf die sozioökonomische Entwicklung ihrer Umwelt – und damit der Lebenswelt der Jugendlichen – Einfluss zu nehmen. Durch ihre Funktion als Selbsthilfegruppen dienen die Vereine als Transmissionsinstrumente für die Vorhaben lokal agierender NGOs (Non-Governmental Organisations) und erlangen dadurch für die lokale Bevölkerung sozioökonomische Relevanz. Aus diesem Grund stellen sie auch ein Zugriffsinstrument für politische Eliten dar, die sich die Reputation der Vereine nutzbar machen wollen, um über sie ihren Einfluss in der Bevölkerung zu vergrößern. So verstehen es vor allem die Vertreter der städtischen modernen Elite, die Vereine auch zur Verfolgung ihrer individuellen Ziele zu nutzen. Zurückgekehrte Migranten, aber auch durch Schulbildung qualifizierte, vor Ort lebende jeunes sind als potenzielle Initiatoren der Vereine zu sehen. Sie besitzen organisatorische Fähigkeiten, die sie zu Gründung, Leitung oder aktiven Mitgliedschaft in einer Vereinigung befähigen, die der Entwicklungszusammenarbeit dienen können. Die Zusammenarbeit der Vereine mit (staatlichen und nichtstaatlichen) Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit eröffnet ihnen den Zugang zu ökonomischem und sozialem Kapital, das auch zur Verbesserung der eigenen Lebenssituation genutzt werden kann. Da sich die Berufs- und Studienabschlüsse der besser ausgebildeten jeunes nicht mehr zwangsläufig positiv auf ihre Lebenssituation auswirken, dienen ihnen die Vereine somit als ideales Instrument, entsprechende Ressourcen zu erschließen. Auf diese Weise hoffen die jeunes auch, sich zunehmend aus Abhängigkeiten befreien und ihren sozialen Status als Jugendliche hinter sich lassen zu können.

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Metadaten
Author:Tony Arefin
URN:urn:nbn:de:hebis:30-17742
Document Type:Report
Language:German
Date of Publication (online):2005/10/06
Year of first Publication:2005
Publishing Institution:Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg
Release Date:2005/10/06
GND Keyword:Burkina Faso; Entwicklungshilfe; Jugendverband
HeBIS-PPN:197301975
Institutes:Philosophie und Geschichtswissenschaften / Geschichtswissenschaften
Dewey Decimal Classification:1 Philosophie und Psychologie / 10 Philosophie / 100 Philosophie und Psychologie
Licence (German):License LogoDeutsches Urheberrecht