Soziologie und Anti-Soziologie um 1900 : Wilhelm Dilthey, Georg Simmel und Max Weber

  • Die Geschichte der akademischen Etablierung der Soziologie ist durch eine Reihe von Versuchen geprägt, den innerhalb dieser Disziplin immer wieder vertretenen Anspruch auf eine umfassende Erkenntnis der geschichtlichsozialen Welt grundsätzlich in Frage zu stellen. Zwar liegen diesen verschiedenen Ansätzen zu einer Kritik der Soziologie recht unterschiedliche Motive zugrunde, sodaß hier von vorschnellen Verallgemeinerungen eher abzuraten ist. Gleichwohl fällt auf, daß im Rahmen dieser Kritik die Absage an eine wie auch immer geartete soziologische Gesellschaftstheorie gewissermaßen als Konstante ständig wiederkehrt. Hierbei ist weniger entscheidend, ob diese Kritik von Vertretern dieser Disziplin selbst oder aber von außenstehenden Beobachtern geäußert wird. Entscheidend ist vielmehr die Frage, ob mit dieser Kritik eine grundsätzliche Infragestellung der modernen Soziologie als selbständige Einzelwissenschaft verbunden ist oder aber ob damit der Versuch gemacht wird, gegenüber einer sich als Geschichts- und Sozialphilosophie verstehenden Soziologie eine grundsätzlich andere Spielart von Soziologie zu begründen und zur Geltung zu bringen. In dieser Hinsicht kommt dem von Georg Simmel und Max Weber unternommenen Versuch, die moderne Soziologie in Abgrenzung von den Sozial- und Gesellschaftslehren des 19. Jahrhunderts als akademische Disziplin völlig neu zu begründen, eine besondere Bedeutung zu. Denn Simmel und Weber sind nicht nur die beiden soziologischen Klassiker, mit deren Namen sich die Möglichkeit einer von gesellschaftstheoretischen Ambitionen völlig freien Variante der soziologischen Forschung und Lehre verbindet. Sie sind darüber hinaus auch die ersten Soziologen, die den Versuch unternommen haben, die Konsequenzen aus Wilhelm Diltheys vernichtender Kritik an der soziologischen Tradition des 19. Jahrhunderts zu ziehen, ohne dabei den Anspruch auf Begründung der Soziologie als eigenständige akademische Disziplin aufzugeben, wie dies noch in Diltheys Theorie der Geisteswissenschaften der Fall gewesen ist. Indem im folgenden Simmels und Webers Verständnis von Soziologie in den Kontext von Diltheys Kritik an der englischen und französischen Soziologie des 19. Jahrhunderts gestellt wird, soll deshalb deutlich gemacht werden, in welchem Sinn die von Simmel und Weber begründete Richtung der modernen Soziologie zugleich eine spezifische Form von "Anti-Soziologie" darstellt. Denn nur so kann verstanden werden, warum dem Werk von Simmel und Weber auch heute noch eine herausragende Bedeutung für eine Kritik der gesellschaftstheoretischen Ansätze innerhalb der zeitgenössischen Soziologie zukommt.

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Metadaten
Author:Klaus LichtblauGND
URN:urn:nbn:de:hebis:30-39312
Editor:Peter-Ulrich Merz-Benz, Gerhard Wagner
Document Type:Report
Language:German
Date of Publication (online):2007/03/30
Year of first Publication:2001
Publishing Institution:Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg
Release Date:2007/03/30
Note:
auch in: Peter-Ulrich Merz-Benz / Gerhard Wagner (Hrsg.), Soziologie und Anti-Soziologie. Ein Diskurs und seine Rekonstruktion. Konstanz: Universitätsverlag Konstanz ; 2001, S. 17-35.
Source:In: Peter-Ulrich Merz-Benz / Gerhard Wagner (Hrsg.), Soziologie und Anti-Soziologie. Ein Diskurs und seine Rekonstruktion. Konstanz: Universitätsverlag Konstanz 2001, S. 17-35.
HeBIS-PPN:186970722
Institutes:Gesellschaftswissenschaften / Gesellschaftswissenschaften
Dewey Decimal Classification:3 Sozialwissenschaften / 30 Sozialwissenschaften, Soziologie / 300 Sozialwissenschaften
Licence (German):License LogoDeutsches Urheberrecht