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Sommer 1789: Frankreich revoltiert, Preußen evaluiert. Staatsminister Johann Christoph von Wöllner, Chef des geistlichen Departements, entsendet einen bewährten Berliner Schulmann ins deutsche Reich, mit dem Auftrag, die außerpreußischen Lehranstalten zu begutachten, "teils überhaupt die Verfassung der fremden Universitäten kennen zu lernen, teils von dem Vortrag solcher Professoren, auf die einmal bei irgend einer preußischen Universität reflektiert werden könnte, zuverlässig Nachricht und Kenntnis einzuziehen". Es ist Friedrich Gedike, der durch ministeriale Order zum Headhunter für das Königreich ernannt wird. Seine Beobachtungen legt er in einem Bericht an den König nieder, der, 1905 ediert, 61 Blätter umfasst. ...
Eine in Verfassungslehre und Europarechtswissenschaft weit verbreitete Annahme lautet: "Europa muss, um eine Zukunft haben zu können, sich zu einer Geschichtsgemeinschaft entwickeln." Was man dabei übersieht: So wenig sich nationale Geschichtsgemeinschaften identifizieren lassen, so wenig wird sich eine europäische Geschichtsgemeinschaft konstituieren.
"Ein jegliches hat seine Zeit und alles Vornehmen unter dem Himmel hat seine Stunde". Wir wissen das. Wir wussten es vermutlich schon lange bevor der "Prediger" Salomo (3.1), der ein Philosoph war, uns vor nunmehr gut 2200 Jahren darüber belehrte. Aber wir handeln nur selten nach unseren Einsichten. Trennungen fallen schwer und Gewohnheiten verkleiden sich bereitwillig als Notwendigkeit. Verschwendung ist den Reichen keine Kategorie, und wer vom Verschwender lebt, erhebt keine Vorwürfe. Schließlich das Wichtigste: Wer außer Gott hat Kraft und Befugnis "Zeit" und "Stunde" zu bestimmen? ...
Nach Hause…
(2004)
Read only memory. Eine CD ROM ist ein Festwertspeicher. Die Daten kann man lesen, aber nicht verändern, ergänzen oder löschen. Man kann die Scheibe zertrümmern oder die Platte zerstören, aber die Daten manipulieren kann man nicht. Eine CD ROM schützt sich selbst vor Variation. Die Erfindung dieser Technik hat eine neue, kleine Gewissheit in der chronisch unsicheren Welt geschaffen. Was auf der CD ROM steht, steht fest. Und da viel auf ihr stehen kann – ganze Bibliotheken der Vergangenheit –, steht viel fest. Das macht Historiker glücklich. Drohen ihnen schon die Fakten abhanden zu kommen, verfügen sie immerhin noch über Festwerte, die aus einer zuverlässigen "Quelle" (Oexle, S. 165) fließen. ...
Im Niemandsland
(2004)
Dass die Regierungen westlicher Staaten eine offene oder verdeckte Tendenz haben, die ihnen in einem langen historischen Prozess auferlegten rechtsstaatlichen Bindungen aus politischen Gründen wenn nicht abzustreifen, so doch zu lockern, ist ein Thema, das Juristen, Ökonomen, Politologen und Soziologen gleichermaßen beschäftigt. Giorgio Agamben, italienischer Philosoph und Ästhetiker, spitzt die Thematik mit der These zu, die "Normalität" staatlichen Lebens existiere nicht mehr, es sei das "Niemandsland" des Ausnahmezustandes, "in dem wir leben" ("lo stato di eccezione 'in cui viviamo'"). Er sei die "fundamentale politische Struktur" unserer Zeit; er habe inzwischen die "größte planetarische Entfaltung" erreicht, die Menschen auf die "nuda vita", das nackte Leben, reduziert, das dem Kalkül der Macht unterworfen sei und in eine "beispiellose biopolitische Katastrophe" auszuarten drohe. Seine "Materialisierung" hat der Ausnahmezustand in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern wie in allen Lagern gefunden, in denen Menschen von der "normalen Ordnung" ausgeschlossen werden; Guantánamo ist für Agamben ein aktuelles Beispiel. Die "Lager" in allen ihren Erscheinungsformen sind die "verborgene Matrix der Politik". Der Ausnahmezustand ist ein arcanum imperii, dessen "Demaskierung" die einzige Möglichkeit ist, den durch ihn bewirkten "Bann" zu brechen. ...
Letzte Fragen
(2004)
Eine Debatte anzuzetteln ist immer ein Risiko. Wer von den – sorgsam, wenn auch letztlich arbiträr ausgewählten – Angeschriebenen und Angesprochenen wird auf die freundliche Einladung einen freundlichen Absagebrief schreiben oder gar nichts schreiben oder nur telephonieren? Wer aus der weiten Welt der Rechtsgeschichte-Leser wird sich beteiligen, ohne ermuntert worden zu sein? Wer wird sich auf die Sache, und das heißt hier die Frage, einlassen? Und wie? Wird es eine spannende Debatte werden oder eine langweilige Bestandsaufnahme? Phantasie oder Inventur? Fußnoten oder Thesen? ...
Vom Kerbholz zur Konzernbilanz? : Wege und Holzwege zu einem autonomen Recht der global economy
(2004)
Die lex mercatoria, die sich abzeichnende transnationale Rechtsordnung der Weltmärkte, ist in aller Munde. Abgesehen von der vagen Idee eines eigenständigen privaten Rechts der internationalen Handels- und Wirtschaftsbeziehungen, das sich jenseits von nationalem Recht und Völkerrecht entwickeln soll, sind indes selbst die Grundfragen der mercatoristischen Doktrin im Streit: So fechten internationale Wirtschaftsjuristen "einen dreißigjährigen Krieg um die Frage der Unabhängigkeit der lex mercatoria aus, ohne daß Münster und Osnabrück in Sicht wären". Auch die Rechtsgeschichte wurde von den streitenden Parteien in diesen Glaubenskrieg verwickelt, geht die neue lex mercatoria angeblich doch zurück auf "das mittelalterliche universale Kaufmannsgewohnheitsrecht des interregionalen und internationalen Handels- und Wirtschaftsverkehrs, das sich außerhalb des römischen Rechts autonom und in eigenständigen handels- und gesellschaftsrechtlichen Formen entwickelt hatte". Strittig ist, ob die neue lex mercatoria ihren Namen zu Recht trägt oder nur dessen historische Dignität ausbeutet und dadurch eine ihr nicht zukommende Universalität und Autonomie suggeriert; kaum hinterfragt wurde dagegen, ob das immer wieder bemühte historische Vorbild auch tatsächlich die ihm zugeschriebenen Eigenschaften aufweist. ...
Vor gut 150 Jahren erschien 1852 der erste Band eines ebenso anspruchsvollen wie bis heute respektierten Buches unter dem Titel "Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung". Geschrieben hatte dieses Buch Rudolf Jhering, damals Professor des römischen Rechts in Gießen. Es sollte sein Lebenswerk bleiben – bis hinein in die große Fortsetzung zum "Zweck des Rechts". Das Buch hat Geschichte gemacht, denn der Autor suchte nicht Geschichten, sondern die Geschichte des Rechts überhaupt. Das Bleibende, die "letzten Gründe" trieben ihn um, so wie seinen Altergenossen Karl Marx, der lebenslang nach der "letzten Instanz" in aller Geschichte suchte. Beide waren fest überzeugt, dieses "Letzte" wissenschaftlich ermitteln zu können. Rechtsgeschichte betrieb Jhering daher zugleich als Universalgeschichte, allgemeine Rechtslehre und Rechtsphilosophie. Was das bedeuten kann und was davon bleibt, geht uns nach wie vor unmittelbar an. Auch wir hängen an den Marionettenfäden historischer und philosophischer Grundhaltungen und Grundbegriffe. Auch wir kommen ohne sie nicht aus. Wissenschaft kann und soll das bewusst machen. Die Unschuld der Naivität ist ihr nicht erlaubt. Dazu muss man zeigen, was dieser Jhering bedeutete, wer er war, welches Problem er mit seinem Hauptwerk aufnahm, und welche Lösungen er dafür anbot. ...
"Solidarität" ist ein Wieselwort von gallertartiger Konsistenz. Es ist allgegenwärtig, gibt sich bedeutungsschwer und meist auch etwas vorwurfsvoll. Sein Kontext ist durchweg normativ. Es taucht dort auf, wo es um den Appell an Personen auf der gleichen Ebene geht. Typischerweise rufen Gruppen nach "Solidarität", deren innere Bindungen bröckeln oder die sich in Gefahrenlagen zusammenscharen. Als es noch Standesgenossen gab, erinnerten sie gerne an die Solidarität, wenn es darum ging, den Zusammenhalt derselben Schicht zu wahren. Die alten Zünfte, Gilden, Gaffeln, Einungen und Genossenschaften waren Solidaritätsverbände. Die Arbeiterbewegung übernahm hiervon nicht nur das Wort "Genossen", sondern auch den Appell an die Klassensolidarität. Und selbst wer heutzutage einen Krieg führen will, erinnert an alte Dankesschulden und appelliert an die Solidarität der Bundesgenossen. ...
Die weltweite Vernetzung von Märkten, Kapital und Produktion lässt Entwicklungs- und Schwellenländer der Versuchung des »social dumping« erliegen: Das ohnehin niedrige arbeitsrechtliche Niveau senken sie noch weiter ab, um im globalen Wettbewerb mithalten zu können. Davon betroffen sind Länder in Afrika, Asien und Lateinamerika ebenso wie in Mittel- und Osteuropa. Doch bedroht sind auch die sozialen Errungenschaften in fortgeschrittenen Industrieländern, da die Produktion immer häufiger in Länder mit geringeren Arbeitskosten verlagert wird. Eine Abwärtsspirale ist in Gang gesetzt, der viel beschworene »race to the bottom« erscheint unaufhaltsam. Deshalb soll hier der Frage nachgegangen werden, welche Konzepte der Gegensteuerung sich auf globaler Ebene ausmachen lassen, wie deren Effektivität einzuschätzen ist und welche Zukunftsperspektiven sich aus den bisherigen Erfahrungen gewinnen lassen.