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Das Subjekt: ein Trauerfall?
(2003)
Die Kraft der Vernunft wird heute von verschiedenen Seiten in Zweifel gezogen. Doch eine in Anerkenntnis ihrer Grenzen redliche Vernunft gibt dem Menschen immer noch die geeignetsten Mittel zur Lösung praktischer Probleme an die Hand. Der Mensch hat in der Vernuinft einen ihm wesenseigenen Zugang zur Welt, und die Theorien, die das Subjekt aus der Rechnung herauskürzen, tragen dazu bei, die Bezugnahme auf das für die Bewältigung praktischer, technischer und theoretischier Problemlagen geeigneteste menschliche Mittel, die Vernunft, zu diskreditieren. ...
Auf dem Internationalen Kongress für Kunstgeschichte in Berlin 1992 stellte Rosalind Krauss eine neue Interpretation von Pollocks Drip Painting vor, die sich gegen "sublimatorische" Lesarten richtete. Pollock habe nicht bestimmte künstlerische Intentionen verfolgt. Es gebe keinerlei Evidenz dafür, dass er über Ideen verfugt habe, die ihm nicht von anderen eingegeben oder durch die Erwartungen und Normierungen der Rezipienten gesteuert seien. Solche herkömmlichen Verständnisweisen hielten an einem traditionellen Gestaltsehen, am Prinzip der Repräsentation fest. Erst die auf Pollock folgende Künstlergeneration habe den eigentlichen Stellenwert seiner drip paintings "through a far more violent and desublimatory grid" erkannt. Cy Twomblys 'Graffiti', Robert Morris' 'anti-form' und Andy Warhols 'Piss Painting' hätten die triviale, biologisch-naturgesetzliche Dimension von Pollocks Tropftechnik bewusst gemacht und auf die in ihr vorgenommene Entweihung der vertikal anthropomorphisierten Bildebene verwiesen. Die neue Horizontalität oder auch 'Niedrigkeit' des Bildes entlasse es aus den Intentionen seines Schöpfers, bestimme die Form zur Spur eines Unbeabsichtigten, Unbewussten. ...
Die Rechtsgeschichte ist kein Insichgeschäft, schon gar nicht, wenn sie sich einem so dauerhaften Thema wie der Privatautonomie und deren Grenzen zuwendet. Welches ist der rechte Umgang des Rechtshistorikers mit diesem Thema, welchen Gebrauch darf der Nichthistoriker von der Rechtsgeschichte machen, und was soll er von ihr lernen? Sibylle Hofers Untersuchungen betreffen beide Fragenkomplexe: Jedenfalls war es problematisch, so lautet ihre erste Botschaft, dass Franz Wieacker insbesondere in seinem berühmten Vortrag über "Das Sozialmodell der klassischen Privatrechtsgesetzgeber und die Entwicklung der modernen Gesellschaft" vom Dezember 1952 – und nach ihm so viele – dem Privatrechtsdenken des 19. Jahrhunderts ein privatrechtliches "Einheitsmodell mit unbeschränkter Freiheit als Grundsatz" unterstellte und diesem Modell Affinitäten zu einem liberalistischen, wenn nicht gar besitzindividualistischen Sozialmodell attestierte. Wenn man nun erfahren muss, dass in der Zivilrechtsliteratur jenes Jahrhunderts von "Privatautonomie" oder "Vertragsfreiheit" kaum die Rede war und auch nicht etwa von irgendwelchen Äquivalenten dieses Begriffspaars, dann muss dies Betroffenheiten bei all jenen auslösen, die sich vom 19. Jahrhundert wegen seiner angeblich liberalistischen Positionen absetzten, um mit Wieacker "eine materiale Ethik sozialer Verantwortung" zu suchen, oder nach alternativen Sozialmodellen Ausschau hielten, in denen die Vertragsfreiheit in sozialere, gerechtere Bahnen gelenkt werden sollte. ...
Wagners „Ring“ teilt mit dem „Nibelungenlied“ anscheinend eine nahezu unendliche Interpretierbarkeit. Durch seine brüchige literarische Gestalt ist das „Nibelungenlied“ für immer neue aktualisierende Sinngebungen offen, wie sich in seiner Funktionalisierung in unterschiedlichsten Zusammenhängen der kulturellen und politischen Geschichte zeigt. Wagners „Ring“ hingegen erreicht diese Offenheit bewußt durch sein kalkulierte mythische Uneindeutigkeit. Bei aller Verwurzelung im ‚Mythos des 19. Jahrhunderts’ sind doch dessen Vorgaben absichtlich nicht so stringent umgesetzt, daß nicht andere, immer neue Auslegungen möglich wären.
Der als Sprachkrise inszeniertea "mystische Weg", den Hofmannsthal rückblickend als Weg des Lord Chandos beschworen hat, bezeichnet weniger den "Anstand des Schweigens", als vielmehr eine literarisch äußerst produktive und semiotisch folgenreiche Poetologie des inneren Sehens, der endogenen Bilder des Bewußtseins.
Das Klangtal
(2003)
Die Worte Österreich, England, Europa, London, Wien habe ich das erste Mal im Jahr 1962 gehört, bei einem unserer Ausflüge zu den Hügeln draußen vor der Stadt und zu den Wäldern und Tieren. Ich hörte sie das erste Mal im Zusammenhang mit einem Brief, den die Mutter vorgelesen hat, laut gelesen hat, weil sie die Sprache in diesem Brief gerne hörte, laut, weil es ein englischer Brief war, der nicht auf Englisch geschrieben war, weil sie vielleicht dieses Aber-Englisch hören wollte, laut vielleicht, dass ich zuhören konnte. Es sei ein Brief, der von einem Kind namens Katharina erzählt und von einem Fisch. "Ich lese den englischen Brief vor", sagte die Mutter, dann las sie auf Deutsch. So hatte das Kind die Gewissheit, dass das Englische und Deutsche eins sind.
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Auf einem der Hügel auf dem Festland standen im Halbkreis Hütten, dort zogen englische Ferienfamilien ein, spielten Fußball und Tennis und Badminton, Leser saßen dazwischen und lasen The Times und The Daily Mirror und Kriminalromane und malaysischenglische Wörterbücher. "Achte einmal darauf, ich lese dir stückerlweise den Brief aus Österreich vor." Österreich? Österreich? "Ja, das ist ein Land, das weit weg in der Mitte von Europa liegt." Europa? Europa? "Ja, das ist eine Sammlung von Ländern, eine Art Asien wie hier, wo wir sind." Wer hat dir den Brief geschickt? "Den Brief hat mir niemand geschickt. Der Brief ist an Francis Bacon in England gerichtet worden, vor vielen hundert Jahren." Wer hat ihn geschrieben? "Das weiß ich nicht. Ein Mann namens Philipp Chandos, ich weiß nicht, wer der war. Ich weiß nur von einem anderen Chandos namens Grey, 5th Baron Chandos. ...