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Hans-Georg Soldat rezensiert die 2000 im Ullstein Verlag erschienene Erzählsammlung "Wir Brüder und Schwestern. Geschichten zur Einheit" von Freya Klier. Tatsächlich ist es vor allem die Vielgestaltigkeit, die an diesen Erzählungen Freya Kliers besticht, die Bandbreite ihrer Impressionen, die ihr neues Buch "Wir Brüder und Schwestern" zu einem Unikat in der deutschen literarischen Landschaft macht.
Hans-Georg Soldat rezensiert den 2001 bei Volk & Welt erschienen Roman "Kain und Abel in Afrika" von Hans Christoph Buch. Gespenstisch - wie sich das Ackervolk der Hutu gegen die Tutsi, die aristokratischen Hirten, erhob. Hans Christoph Buch hat die Völkermorde in Ruanda und Burundi, jedenfalls den zweiten Teil: die Rache der Tutsi an den Hutus miterlebt. Seine Schilderungen gehören mit zum Eindringlichsten, aber auch Bedrückensten, was darüber veröffentlicht wurde. In einem zweiten Erzählfaden schildert er die Entdeckungsreise des deutschen Arztes Richard Kandt, der sich 1898 aufmachte, die Quelle des Nils zu suchen. Ohne den Zeigefinger zu erheben, kann Buch so Entwicklungslinien aufdecken, Entsprechungen zwischen der feudalen Kultur der Einheimischen in Ruanda und der späteren deutschen Kolonialherrschaft aufzeigen, als deren Repräsentant Richard Kandt auftrat - aber auch die Brüche, die das fragile Gleichgewicht zwischen Tutsi und Hutu zerstörten.
Hans-Georg Soldat rezensiert den 2001 im Salzburger Jung und Jung Verlag erschienen Debütroman Sherko Fatahs: "Im Grenzland". Eine Grenze, die Familien trennt, abgesichert von Minenfeldern. Kindlich-sadistische Grenzbeamte, ein allgegenwärtiger Geheimdienst, Hunger nach den Reichtümern jenseits der Barriere. Doch es handelt sich hier nicht um die innerdeutsche Grenze zu Zeiten der Ost-West-Konfrontation, sondern die zeitgenössische Demarkationslinie zwischen dem Irak und der Türkei - hüben und drüben bewohnt von Kurden, denen der vorausgegangene Golfkrieg unverständlich geblieben ist, ein fernes und fremdes Ereignis, das jedoch auch ihr Leben beeinflusst und aus der gewohnten Bahn wirft.
Hans-Georg Soldat rezensiert die 2001 im Suhrkamp Verlag erschiene Textsammlung "Rückseiten der Herrlichkeit. Texte und Kontexte" von Kurt Drawert. In einer Collage von Gedankenfetzen, nachträglichen Überlegungen, Beobachtungen, Reminiszenzen und Spekulationen verdichtet sich tatsächlich der Eindruck, Zeuge eines unbeschreiblichen Geschehens zu sein. Eine Meisterleistung, die in der neueren deutschen Literatur ziemlich einsam dastehen dürfte.
Hans-Georg Soldat rezensiert den 2001 im Fischer Verlag erschienen Roman "Hauke Haiens Tod" von Andrea Paluch und Robert Habeck. Ihre todernst gemeinte Adaption des Stormschen "Schimmelreiters" mit dem Titel "Hauke Haiens Tod" ist modisch unterkühlt, hat als Vorbild bessere Tatort-Krimis und schert sich nicht um literarische Bedeutsamkeit.
Hans-Georg Soldat rezensiert für die Berliner Zeitung die 1996 im Fischer-Verlag erschiene Autobiographie "Vierzig Jahre. Ein Lebensbericht" von Günter de Bruyn. Tatsächlich ist dieser zweite Band seiner Autobiographie viel stärker als der erste ein offener Selbstverständigungsversuch de Bruyns. Der Autor bemüht sich, zum einen, seine Integration in der Gesellschaft der DDR zu verstehen, mehr noch allerdings, zum anderen, seine Stellung innerhalb des Staates DDR zu begreifen. Während er mit ersterem nur bedingt Schwierigkeiten hat, schlägt er sich mit dem zweiten Punkt weidlich herum - wobei allerdings nicht ganz klar wird, ob er zwischen diesen beiden Aspekten selbst genau trennt. Nur mittelbar wird die Unterscheidung deutlich: An seiner liebevollen Beschreibung der Menschen in seinem Umkreis und an der eher harschen Beurteilung parteipolitisch-staatlicher Willkür, die sich naturgemäß bei ihm zuallererst an der Kulturpolitik der Hager, Höpcke oder Kant festmacht.
Hans-Georg Soldat rezensiert für NDR 3 / Radio 3 den 2002 im Suhrkamp Verlag erschienen Lyrikband "Frühjahrskollektion" von Kurt Drawert. Kurt Drawerts Sprache ist karg, überlegt, seine Bilder gleichsam effizient in einem durchaus aktuellen Sinn. "Frühjahrskollektion" heißt der schmale Band von Kurt Drawert, der sich natürlich nicht darin erschöpft, die allgemeine Eile zu beklagen, obwohl die "Zeit" in vielen Gedichten eine Rolle spielt.
Hans-Georg Soldat rezensiert für NDR 3 / Radio 3 den 2002 bei Kiepenheuer & Witsch erschienen und von Katja Lange-Müller herausgegebenen Sammelband deutsprachiger Erzählungen: "Vom Fisch bespuckt. Neue Erzählungen von 37 deutschsprachigen Autorinnen und Autoren". Fast allen 37 meist noch jüngeren Autorinnen und Autoren dieses Bandes kann man literarische Kunstfertigkeit attestieren, die Fähigkeit, Sätze in nicht nur lesbare, sondern auch fesselnde Form zu bringen. Manches wirkt so makellos, dass man den Gedanken an Kunstgewerbe nicht mehr loswird, an jene marmorne Glätte, die keinen Raum mehr für die Fantasie des Lesers lässt. Noch wirkt manches eher gesucht, erkennbar ist das Bemühen, auf einen Plot zuzuschreiben - doch das alles ist eine Frage der Lebens-Erfahrung. Dafür findet man hier vielfach eine ursprüngliche, fast naive Frische, jenen deutlichen Spaß an Literatur, der einen mitreißt.
Hans-Georg Soldat rezensiert für NDR 3 / Radio 3 die im Jahr 2001 im Aufbau Taschenbuchverlag Berlin erschiene Aufsatzsammlung feuilletonistischer Arbeit "Ich bin ein Narr und weiß es" von Rolf Schneider. "Liebesaffären deutscher Literaten" ist der Untertitel des schmalen Bandes, hervorgegangen aus einer Serie für eine Berliner Tageszeitung - wobei der Begriff "Literaten" sehr weit gefasst wird. Zwanzig Geschichten um Liebe, erotische Verirrung, Abhängigkeit und oft schmerzhafte Trennung, einige etwas bekannter, manche ziemlich unbekannt, viele jedoch auch nur vergessen, weil die zugehörigen Schriftsteller bzw. Schriftstellerinnen nicht mehr präsent sind. Zur Berechtigung seines Feuilletons meint Rolf Schneider, sie seien "mehr als bloß eine Sammlung biographischer Pikanterien. Sie sind ein Stück Kultur- und Sittengeschichte." Was ebenso wahr wie banal ist, weil es auf jedes Schicksal zutrifft.
Hans-Georg Soldat rezensiert für NDR 3 / Radio 3 die 1999 im Suhrkamp Verlag erschiene tagebuchartige Essaysammlung "Das erste Jahr. Berliner Aufzeichnungen" von Durs Grünbein. Wieder erweist sich, welch Ausnahme-Autor der jetzt 38 jährige Durs Grünbein ist. Nicht nur, dass die Tagebuchaufzeichnungen in den Ablauf und die Vorgeschichte der deutschen Wiedervereinigung, ihre psychologischen Hemmnisse und spezifischen mentalen Schwierigkeiten, sie haben weit aus mehr zu bieten - literarische Miniaturen, Ausflüge in die Welt der Wissenschaft, Anekdoten aus dem Alltag. Nebenbei vermitteln sie sogar eine Ahnung von dem Werdegang dieses verschlossenen, ernsten Dichters.