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Jon Elster hat sich in der rational choice-Theorie durch Studien zu Selbstbindungstechniken als Absicherung gegen Irrationalitäten im Entscheidungsprozess einen Namen gemacht. Passend zu diesem Theoriehintergrund untersucht Elster in seinem Buch "Die Akten schließen" Entscheidungsmöglichkeiten nationaler Gesellschaften, mit dem Irrationalen umzugehen und gesellschaftliche Umbrüche zu bearbeiten. Elster geht es darum zu zeigen, dass die Art und Weise, wie Gesellschaften ihre offenen Rechnungen nach Regimewechseln begleichen, höchst unterschiedlich ist. Darum trägt er unterschiedliche Formen der "Vergangenheitsbewältigung" zusammen und setzt sie miteinander in Bezug. ...
Im ersten Teil (Die Strafverfolgung von NSVerbrechen in der SBZ/DDR 1945–1966) gibt Christian Dirks auf der Grundlage der neuesten Forschungen (z. B. von K.W. Fricke, A. Weinke, H.Wentker, F. Werkentin u. a.) einen zusammenfassenden Überblick über die sowjetischen Militärtribunale, deren flächendeckende Urteils- und Strafpraxis vor allem ab 1947 NS-Verbrecher in gleicher Weise wie Gegner und Oppositionelle des Regimes in der SBZ/DDR erfasste. Mit dem Befehl Nr. 201 der sowjetischen Militäradministration (August 1947) gingen die meisten Strafverfahren dann an ostdeutsche Gerichte über. Diese Verfahren widersprachen in der Regel eklatant rechtsstaatlichen Grundsätzen, zumal da nun die vielfach absolut grundlose Unterstellung "NS- und Kriegsverbrecher" mit der Enteignung von Oppositionellen oder auch, wie gerade an einem Fallbeispiel gezeigt wurde, von einem bereits in der Nazizeit "arisierten" deutsch-jüdischen Industriellen amalgamiert wurde. ...
Was kann einem die Sicherheit verschaffen, vom Besonderen und nicht vom Sonderlichen auf das Allgemeine zu schließen? Da tat sich nach 1990 ein Aktenfund im Holzkeller eines vormaligen DDR-Gerichts auf; aber kann man mit Verfahrensakten eines Kreisgerichts (KG) eine Justizgeschichte für das ganze Land schreiben? Es blieb allerdings nicht bei den Verfahrensakten und auch Generalakten des KG "Lüritz". ...
Thomas Horstmann und Heike Litzinger haben ein bemerkenswertes Buch mit dem – zunächst irritierend – weit gefassten Titel "An den Grenzen des Rechts" herausgegeben. Erst der Untertitel "Gespräche mit Juristen über die Verfolgung von NS-Verbrechen" konkretisiert das Thema. Es geht um die Frage der strafrechtlichen Behandlung von Systemunrecht: ob und inwieweit NS-Verbrechen mit rechtsstaatlichen Instrumentarien abgeurteilt werden können. ...
Der Titel der von Wolfgang Form und Theo Schiller herausgegebenen zwei Bände "Politische NS-Justiz in Hessen" scheint auf eine Darstellung des justiziellen Systems im nationalsozialistischen Staat im formellen und materiellen Sinn zu verweisen. In einem totalitären Staat kann jedem Sachgebiet politischer Charakter zukommen; politisch ist – wie Ernst Fraenkel formuliert –, "was die politischen Instanzen für politisch erklären". Aufschluss über den Inhalt beider Bände gibt der Untertitel "Die Verfahren des Volksgerichtshofs, der politischen Senate der Oberlandesgerichte Darmstadt und Kassel 1933–1945 sowie der Sondergerichtsprozesse in Darmstadt und Frankfurt/M. (1933/34)". Deutlich wird, dass Thema der außerordentlich umfangreichen Studie von 1230 Seiten die strafverfahrensrechtliche Organisation in Hessen während des Nationalsozialismus ist...
Wer kennt es nicht, das gute alte Vexierbild? Das Auge erlebt einen Spagat zwischen zwei Darstellungen im selben Bild, von denen, je nach Betrachtungsweise, mal die eine, mal die andere im Vordergrund steht. Ein ähnliches Gefühl stellt sich ein, wenn man den Titel des vorliegenden Sammelbandes betrachtet, der 15 Blicke deutscher und französischer Historiker, Soziologen, Kulturwissenschaftler und Juristen bietet – auf den eigenen Staat, den des Nachbarn oder beide gleichzeitig. Der deutsche Titel kündet von den "Figurationen des Staates in Deutschland und Frankreich", Bezugszeitraum 1870 bis 1945. So weit, so gut. Der französische, nur eine Zeile weiter unten, spricht hingegen von "Les figures de l’État en Allemagne et en France". Ein Übersetzungsfehler? Mitnichten. Ein Programm. So wie sich die Beiträge des Bandes in der Sprachkombination aus Deutsch und Französisch erschließen, erschließt sich sein Titel aus der Zusammenschau: Figuren und Figurationen. ...
Der Kreis des Wissens kann schon lange nicht mehr geschlossen werden. Zur Zeit der Aufklärung und im wissenschaftsverrückten 19. Jahrhundert schien das noch möglich zu sein, jedenfalls glaubte man fest daran, und die Enzyklopädien und Dictionnaires encyclopédiques kamen massenhaft von der Druckerpresse auf die Welt. Im 20. Jahrhundert ging die diktionnarische Produktion zwar unvermindert weiter, doch war das Ganze der Welt, auch partikularer Welten, unfassbar geworden. Die vielen Weltteile zersetzten die Einheit des Wissens. Das Alphabet der Enzyklopädie, die Fragmente der Information, die Teilchen des Ganzen, zerstörten den Kreis des Wissens, also die Möglichkeit der Enzyklopädie. ...
Was hält die Gesellschaft zusammen? Wie schafft man es, dass sich die Menschen nicht gegenseitig massakrieren? Wo ist der Frieden? Alte Fragen, fürwahr. Die Antworten liegen seit jeher geborgen irgendwo zwischen Selbstorganisation und Fremdorganisation, zwischen Selbstherrschaft und Fremdherrschaft, zwischen Selbstreferenz und Fremdreferenz. Konkret: Brauchen die Menschen, um friedlich miteinander auszukommen, eine Instanz, die ihnen zeigt, wo es lang geht? Oder finden und haben die Menschen einen Grund in sich selbst, um nicht zu Mördern zu werden?
Der französische Arbeitsrechtler Alain Supiot hat nun eine Antwort auf diese Fragen gegeben, eine Antwort in einer Zeit, in der – trotz George W. Bush, Interventionsvölkerrecht und europäischem Direktivenwahn – die Teile über das Ganze, das Periphere über das Zentrale, das Internet über das Diktaphon zu triumphieren scheinen. ...
Raymond Queneau, nach wie vor allseits bekannt durch Zazie dans le métro, legte vor 46 Jahren ein schmales zehnseitiges Werk vor. Bis heute hat kein Mensch auf der Welt es ganz lesen können. Selbst bei unablässiger Lektüre bei ganz durchschnittlicher Lesegeschwindigkeit brauchte ein Einzelner weitere hundertneunzigmillionenzweihundertachtundfünfzigtausendsiebenhundertfünf Jahre dazu. Das Werkchen heißt Cent mille milliards de poèmes. Es handelt sich um zehn Sonette, deren je 14 Zeilen längs in Streifen geschnitten sind, so dass sie einzeln durchgeblättert werden können, womit der Leser 10 hoch 14 Sonette aufschlagen und kombinieren kann. Am Anfang steht der König: Le roi de la pampa retourne sa chemise. ...