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Die deutsche Literatur boomt wie lange nicht mehr. Das belegen nicht nur Zahlen wie die Menge verkaufter Bücher oder die Anzahl der Zuhörer bei einer Lesung von Stuckrad-Barre, sondern auch das vielerorts geäußerte Gefühl, daß es nun doch weitergehe, daß man die Nachkriegsliteratur einschließlich G. Grass und P. Handke, M. Walser und C. Wolf hinter sich gelassen habe. Es gibt also irgendwann seit 1989 eine deutsche Popliteratur oder auch, bescheidener, "Literaturpop" (Stuckrad- Barre), an deutsche, aber vor allem an amerikanische Traditionen anschließend und von relativ hoher Medienwirksamkeit. Allein die Vielfalt der Diskussionen über eine gewisse Sorte von Texten, die - vage genug und keineswegs unumstritten - unter dem Begriff 'Pop' verhandelt werden, indiziert einen Innovationsschub, den man nicht zu hastig als schamlose Anbiederung der Literatur bei der allgegenwärtigen Kulturindustrie verteufeln sollte. Damit ist nicht gesagt, daß diese Literatur gut oder wichtig sei, bloß weil sie (vielleicht) neu ist, wohl aber, daß die Kritik nicht unter das Niveau der Texte zurückfallen sollte; neu heißt ja noch nicht 'weiter'; das Neue ist zunächst einmal das Andere: "A cat is not a deficient dog." Man darf erwarten, daß der neuen Popliteratur vor allem dort (wissenschaftlich) angemessen begegnet wird, wo man jenseits des Fortschrittsparadigmas operiert und Pop weder als Ausverkauf denunziert noch als jüngste Avantgarde feiert. Noch vor allen Versuchen ihrer formalen oder inhaltlichen Bestimmung bezeugt sich diese Literatur als neu durch den Generationswechsel, den die fraglichen Autoren selbstbewußt und aufrührerisch vollziehen und kommentieren.
Am "Funktionsübergang von Dichtung und Publizistik", so Wolfgang Preisendanz, bilde sich bei Heine eine Kunstprosa aus, die Einspruch gegen Hegel erhebt und das Fortleben nicht mehr schöner Kunst in Gestalt moderner oder realistischer Kunst verbürgt. Ob Heine seiner Hegel-Bewunderung zum Trotz als Kronzeuge neuer, moderner Kunst gelten darf, sei dahingestellt. Eine Entscheidung darüber hinge nicht zuletzt von dem an ihn angelegten Modernebegriff ab. Der geläufige - mit Heine als Übergang - zeugt jedenfalls 'contre coeur' vom Rechtfertigungszwang, den Hegels Diktum zumindest auf Literarhistoriker immer noch ausübt. Doch nur bedingt kann Heine ihren Absichten dienlich sein. Dass er selbst, trotz gelegentlich ausgedrückter Hoffnungen, denen zufolge "die neue Zeit […] auch eine neue Kunst gebären […], sogar eine neue Technik" hervorbringen würde, doch eher pessimistisch in die Zukunft des "greisen Europa" sah und die Frage zu bejahen geneigt war, die er am Ende des Berichts über die Gemäldeausstellung von sich wies: "Oder hat es überhaupt mit der Kunst und mit der Welt selbst ein trübseliges Ende?", soll im Folgenden als ein Aspekt seiner Formel vom Ende der Kunstperiode erhellt werden.
In einer wissenspolitischen Reflexion auf die Bedingungen der Möglichkeit gegenwärtiger Realismuskonjunkturen entfaltet Eva Geulen in ihrem exemplarisch kritischen Beitrag hermeneutische "Schwierigkeiten mit Raabes 'Frau Salome'". Um den Text mit seiner Abundanz willkürlicher Allusionen und Wissensreferenzen nicht einfach historistisch aufzulösen, hebt Eva Geulen das auf Goethe rekurrierende Motiv der Haut in seiner doppelten Determinierung durch Natur und Kultur heraus und analysiert es im Hinblick auf seine Konsequenzen innerhalb des literarischen Textes. Dort führt es zu einer Egalisierung der im Text versammelten Exzentriker, ein Befund, der, so die Bilanz der poetologischen Ökonomie Raabes durch Eva Geulen, in keinem vernünftigen Verhältnis zum literarischen Ergebnis steht.
Before turning to the essay on the experiment from 1793, which is unavoidable when discussing series, but does not exhaust the varied functions of seriality in Goethe’s morphology, a few words about the purpose of reconstructing Goethe’s practice of seriality are necessary. I want to argue that Goethe’s morphology is the site of a massive transformation of the notion of form, the scope and implications of which resurface after long latency at the beginning of the 20th century, for example, with Georg Simmel’s sociological notion of form-processes and the related idea of "reciprocity" ('Wechselwirkung') (cf. 265). My interest lies in interpreting what looks like a theory of organisms and nature as a more general theory of formation and transformation.
Pseudomorphose
(2013)
Der Sprachgebrauch verleitet dazu, Pseudomorphosen als bloß täuschenden Anschein jenes Gestaltwandels zu verstehen, der sich in (echten) Metamorphosen vollzieht. Dort tut sich tatsächlich etwas, aber die Pseudomorphose tut nur so, als ob. Allerdings zeigt schon die echte Metamorphose, der das Christentum nach Blumenberg den Garaus macht, auch beim alten Heiden Goethe noch oder schon pseudomorphotische Züge. Wenn alles Blatt ist, darf man legitimerweise fragen, ob da überhaupt etwas metamorphorisiert. Als Metapher geht die Pseudomorphose auf Oswald Spengler zurück, der sie der für historische Sedimentierungs- und Verwerfungsprozesse seit dem 19. Jahrhundert so ertragreichen Mineralogie entlehnt hat.
Abseits : Nachwort
(2014)
In der Einleitung wurde bereits dargelegt, dass und warum es nicht einfach ist, philosophischer und anderer Kehrseiten so habhaft zu werden, dass sie Kehrseiten bleiben. Wendet man sich einer Kehrseite zu, erscheint das vormals Abgekehrte zugewandt. Aus der verdeckten Kehrseite ist eine Ansichtsseite geworden, die ihrerseits eine neue, abgewandte Kehrseite haben wird und haben muss. Was Luhmanns Systemtheorie 'Zwei-Seiten-Form' nennt, bei der sich jede Unterscheidung aus einer markierten Innen- und einer nicht markierten Außenseite zusammensetzt, wird für den, der sich für Kehrseiten interessiert, schnell zum Dilemma
Gibt es das Motiv von Bild-Erscheinung und Bild-Schwund eigentlich auch in der jüngeren Literatur? Und wie gestaltet sich dieser Topos im Medium eines Textes: variierend, ergänzend, konkurrierend? Eva Geulen hat drei Texte ausgesucht, in denen je anders eine überraschende Beobachtung zu Buche schlägt. Während einem nämlich zunächst reihenweise Möglichkeiten des Verschwindens von Bildern in der Literatur einfallen, zeigt sich auf den zweiten Blick, dass es gar nicht so einfach für Bilder ist, in Geschichten (auch: aus der Geschichte) zu verschwinden. Es bleibt oft noch etwas übrig, wenn nicht das Bild, dann die Geschichte seines Verschwindens. Für die Textauswahl war dieses Ineinander von verschwindenden und doch bleibenden, bleibenden und doch verschwindenden Bilder ausschlaggebend. Interessant wird das Verhältnis vor allem unter der Doppelbedingung wachsender Musealisierung einerseits und künstlerischen Verfahren der Moderne andererseits. Während seit dem 19. Jahrhundert immer mehr gesammelt und aufbewahrt wird, beschäftigen sich Kunstwerke spätestens seit Anfang des 20. Jahrhunderts zunehmend mit ihrem eigenen Verschwinden. Fast könnte man meinen, das Glück moderner Kunst sei das Auflösen, Zersetzen, Entstellen und Verschwinden. Die geläufigen Interpretationsmodelle dieses Phänomens erschöpfen sich freilich in der Negation: Das Kunstwerk sage sich von seinen Mythen los, dem Schöpfermythos, dem Meisterwerkmythos, dem Ewigkeitsmythos usw. Das wird spätestens dann fragwürdig, wenn es auf grund technischer Möglichkeiten in der digitalen Welt faktisch immer schwieriger für alles und alle wird, überhaupt zu verschwinden. In dieser doppelten Perspektive erweisen sich die drei Texte von Johann Wolfgang Goethe, Adalbert Stifter und Michel Houellebecq als besonders ergiebig.
Realismus revisited
(2016)
Während sich unsere Wirklichkeit medial, technologisch und politisch rasant wandelt, macht Realismus wieder von sich reden. In der Philosophie liest man vom spekulativen oder neuen Realismus, Politiker werben um mehr Realismus, in den Sozialwissenschaften beginnt man am Primat des Konstruktivismus zu zweifeln, und auch in der Literatur hat Realismus Konjunktur. Das Semesterthema des ZfL widmet sich der Rückkehr des Realismus und seinen unterschiedlichen Manifestationen. Dabei geht es uns nicht nur um Sichtung und Analyse der aktuellen Realismus-Diskurse, sondern auch um ihre mehr oder weniger latenten Vorgeschichten. In ihnen spielt der künstlerische Realismus seit langem eine besondere Rolle.
Editorial
(2016)
Mit der Goethe-Rezeption Max Kommerells beschäftigt sich der Beitrag von Eva Geulen. Ausgehend von Walter Benjamins bekannter Kritik an "Der Dichter als Führer in der deutschen Klassik" (1928) fragt sie nach einem "Doppelzug des Theorie- und Gegenwartsverzichts" von Kommerells literaturwissenschaftlicher Arbeit, wie er sich in herausragender Weise in seiner lebenslangen Auseinandersetzung mit Goethe kondensiert. Dabei rückt Geulen weniger den zentralen Stellenwert Goethes im Führer-Buch oder die bis heute viel zitierten Studien über Goethes Lyrik, Faust II oder Wilhelm Meisters Lehrjahre in den Blick, sondern widmet sich stattdessen zwei Reden Kommerells, die die Bedeutung Goethes für die Jugend seiner Zeit eruieren: "Jugend ohne Goethe" (1931) und "Goethe und die europäische Jugend" (1943). Zwar zeichneten sich diese Arbeiten durch für Kommerell eigentlich untypische zeitkritische Bezüge aus. So rechne die erste Rede mit Jugendbewegung und Präfaschismus ab; und so lese sich die zweite streckenweise bereits wie ein Vorschlag zur 'Völkerverständigung' der unmittelbaren Nachkriegszeit. Die besondere Pointe von Kommerells Goethe-Aneignung erblickt Geulen allerdings darin, dass die Reden das Motiv des einsamen Goethe mobilisieren und dass sie eine "absolute Aktualität und Gegenwärtigkeit" Goethes "mit seiner absoluten Entrückung im Knotenpunkt der Einsamkeit" verschränken. Aktuell und gegenwärtig sei Goethe für Kommerell just aus dem Grund, dass er sich bereits von seiner eigenen Gegenwart nicht habe vereinnahmen lassen. Dieses "Widerspiel von Entrückung und Vergegenwärtigung" lasse Goethes Aktualität mit seiner Unzeitgemäßheit durchgängig koinzidieren. Und nicht zuletzt dies bewahre sowohl Kommerell als auch Goethe vor dem Altmodisch-Werden: "Kann er nicht gegenwärtig sein, so wird er auch nie vergangen sein." Im Hinblick auf Kommerells "beharrliche Entrückungsstrategie" Goethes wirft Geulen auch die Frage nach Chancen und Grenzen des gegenwärtigen Interesses an Kommerell auf.