Linguistik
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Die deutschen Präteritoprasentia sind, indem alte Perfektformen das heutige Präsens stellen, aus mehreren Griinden als hochgradig irregular zu betrachten; hinzu kommt ein bisher nicht geklärter Umlaut bei vier (von heute sieben) dieser Verben: müssen, dürfen, können und mögen. Bisherige Erklärungsversuche werden diesem Problem nicht gerecht: Zwar versuchen sie durchaus, den Umlaut im Präsens zu motivieren, doch vermögen sie es nicht, sein ausschließliches Vorkommen im Plural des Präsens zu erklären. Hier wird für die These argumentiert, dass es sich um einen (verbalen) Pluralumlaut handelt, der insbesondere auch im Nominalbereich gang und gäbe ist und dort zur gleichen Zeit einen massiven Ausbau (Morphologisierung) erfährt. Damit handelt es sich um einen sog. transkategorialen Marker.
Die Idee, das Isländische - eine archaische, am Nordwestrand des germanischen Sprachgebiets gelegene skandinavische Inselsprache - auf die Möglichkeiten des Sexusausdrucks hin zu untersuchen, entstand imZusammenhang einer kontrastiven Arbeit zum Sexusausdruck im Deutschen und Schwedischen (siehe Nübling 2000). Das Schwedische verfügt nur noch über zwei Genera, das sog. Utrum (das aus dem Zusammenfall von Femininum und Maskulinum hervorgeht) und das Neutrum.
Der Präteritumschwund dürfte eine der markantesten morphologischen Entwicklungen des Alemannischen (bzw. Oberdeutschen) bilden. Sein Verlauf in schweizerdeutschen Dialekten ist mit der Arbeit von JÖRG (1976) dokumentiert und ungefiibr ins 16. Jahrhundert zu datieren. Konsequenz der Aufgabe dieses synthetischen Verfahrens war die Verlegung der Vergangenheitskategorie in die Syntax. Dies hat zu einer starken typologischen Drift des Alemannischen in Richtung eines analytischen und zusätzlich klammernden Sprachtyps geführt: Das Perfekt ist zweigliedrig (finites Auxiliar + infinites Vollverb), das Plusquamperfekt sogar dreigliedrig (sogenanntes doppeltes Perfekt). Finites und infinites Verb können durch ganze Satzglieder, Adverbien etc. voneinander getrennt sein, sind also unter Umständen weit voneinander entfernt, was das Ausdrucksverfahren nicht gerade vereinfacht. Der Präteritumschwuud kontrastiert in eigentümlicher Weise mit dem Erhalt, ja sogar dem sekundären Ausbau synthetischer Konjunktivformen (sowohl Konjunktiv I als auch II), die weiteres morphologisches Charakteristikum des Alemannischen sind, doch nicht Thema dieses Beitrags (hierzu s. NÜBLING 1997).
Eigennamen stehen in einem vielfältigen Spannungsverhältnis zu Appellativen: Auf der einen Seite entwickeln sie sich fast immer aus - meist konkreten - Gattungsbezeichnungen (Eichstätt, Lindenstraße, Schneider), auf der anderen Seite besteht ihre Hauptfunktion - ganz im Gegensatz zu den Appellativen - in ihrer Monoreferentialität, d.h. in einem 1: 1- Bezug zu nur einem einzigen außersprachlichen Objekt (meist Örtlichkeiten im weitesten Sinn und Personen).
Wenn man eine Schweizer Bäckerei besucht, erwirbt man nicht nur Spezialitäten kulinarischer, sondern auch sprachlicher Art. Auf der Papiertüte, die man dort bekommt, befindet sich eine Aufforderung, die zwei typisch schweizerdeutsche Erscheinungen enthält: "Chum doch cho schnuppere!" steht auf der Verpackung unten rechts. Wörtlich übersetzt: "Komm doch kommen schnuppern!". Zum einen taucht hier das Verb choo ,kommen' doppelt auf, einmal im Imperativ (chum) und einmal in einem kurzen Infinitiv (cho) vor dem Vollverb schnuppere. Zum anderen gehört choo einer besonderen Verbgruppe an, den sog. Kurzverben. Diese Kurzverben kennt das Nhd. nicht (mehr), wohl aber die geographisch und sprachlich entfernteren nordgermanischen Sprachen. In der folgenden Liste der Kurzverben werden zum Vergleich die entsprechenden schwedischen Kurzverben danebengesetzt, ohne daß hier ausführlicher auf sie eingegangen werden kann.
Mit der Möglichkeit, anhand digitaler Telefonanschlüsse Familiennamen nach Bestand, Trägerzahl und räumlicher Verbreitung mit großer Genauigkeit zu erfassen, hat eine neue Epoche der Anthroponomastik begonnen. Der Schatz von 850661 verschiedenen Familiennamen, die im Jahre 2005 in 28205713 privaten Festnetzanschlüssen registriert waren, ist immens, und die Fragestellungen zu seiner Erforschung sind in ihrer Ausrichtung und in ihrer Anzahl unerschöpflich. In dieser Situation ergaben sich vordringlich zwei Aufgaben: Erstens musste angesichts der von Jahr zu Jahr wachsenden Bevölkerungsmobilität, angesichts der Auswirkung neuerer Namengesetzgebung und angesichts der schnell zunehmenden Ablösung lokalisierter Festnetzanschlüsse durch Mobiltelefone der Namenbestand spätestens jetzt aufgrund der zuverlässigsten Quelle und in legitim nutzbarer Weise gesichert und archiviert werden. Die geschichtlich gewachsenen Namenlandschaften sind gerade noch, und zwar in erstaunlicher Stabilität, erhalten. Die Daten wurden nach Klärung der Datenschutzfragen von der Deutschen Telekom auf Stand Juni 2005 dem Deutschen Familiennamenatlas zur Verfügung gestellt und ihre Nutzung zur namenkundlichen Forschung mit Vertrag vom 28.06.2005 geregelt.
Die synchrone wie diachrone Untersuchung von vier Passivauxiliaren in der deutschen Standardsprache und in deutschen Dialekten, im Schwedischen und im Luxemburgischen liefert deutliche Evidenz dafür, dass Vollverben nicht direkt zu Passivauxiliaren grammatikalisieren, sondern dass dieser Pfad über die Inchoativkopula verläuft. Inchoativkopulas sind soweit grammatikalisiert (und damit reduziert), dass sie über den Weg einer Reanalyse zu Vorgangspassivauxiliaren mutieren können: Erst verbinden sie sich mit (prädikativen) Substantiven, dann mit Adjektiven und schließlich partizipialen Verben. Bereits im Kopulastadium haben sie sich (sofern vorhanden gewesen) ihres Dativ- und Akkusativobjekts entledigt (Intransitivierung). Das Subjekt ist nach seiner Entkoppelung mit dem Agens eine neue Koppelung mit dem Patiens eingegangen. Damit hat die einstige Handlungsperspektive eine Umkehr zur Geschehensperspektive erfahren. Diese Schritte dokumentiert die folgende Figur: .... Als weniger problematisch hat sich, bedingt durch die Ausgangssemantik, der Grammatikalisierungspfad bei nhd. werden, bair.lalem. kommen und schwed. bli erwiesen im Gegensatz zu lux. ginn 'geben', das in jeder Hinsicht die stärksten Reduktionen erfahren hat und einen besonders langen, verschlungenen und "steinigen" Weg absolviert hat. Mit Sicherheit kann geben nicht als Idealkandidat für Passivgrarnmatikalisierungen gelten. Nur so lässt sich erklären, weshalb diese Grarnmatikalisierung in anderen Sprachen der Welt bisher nicht beobachtet wurde.
Zur Entstehung und Struktur ungebändigter Allomorphie : Pluralbildungsverfahren im Luxemburgischen
(2006)
Aus gesamtgermanistischer Perspektive verfügt das Luxemburgische über ein außergewöhnliches Maß an Pluralallomorphie bzw., nach H. GIRNTH (2000), an Heterograffimie. Oberstes Prinzip dabei scheint die deutliche Markierung der Kategorie 'Plural' direkt ani bzw. im Substantiv zu sein. Die morphologische Komplexität betrifft mehrere Dimensionen: Zum einen ist es die Vielzahl an Pluralisierungsprinzipien, die von additiven über modulatorische und Nullprozesse bis hin zu subtraktiven Techniken reichen, zum zweiten die Vielzahl an konkret sich manifestierender Allomorphie. Schließlich ist der maximale . Ausbau des reinen Umlauttyps auch bei Einsilblern hervorzuheben. Selbst Fremdwörter können noch heute ihren Plural mit reinem Vokalwechsel bilden, und dies auch auf nebenbetonten Silben. Aus diachroner Perspektive bildet. der reine Vokalwechsel einen wichtigen Endpunkt einer sich seit Jahrhunderten in diese Richtung vollziehenden Entwicklung. Aus synchroner Perspektive ist es mittlerweile verfehlt, noch - wie etwa beim deutschen Pluralsystem - von Umlaut zu sprechen, da längst eine Arbitrarisierung .des Vokalwechsels stattgefunden hat, die fast ablautähnliche Züge erreicht hat. Zusammenfassend gelangt man zu dem Eindruck, dass sich das Luxemburgische - etwa im Hinblick auf die subtraktive Pluralbildung - fast jedweden phonologischen Wandel zu Nutze macht bzw. - im Hinblick auf den Umlaut über die Morphologisierung sogar produktiv werden lässt. Aus der vorliegenden Untersuchung ergeben sich mehrere Fragestellungen, die Gegenstand weiterer Untersuchungen sein sollten. Zuerst wären genaue quantitative Erhebungen vorzunehmen, um die Nutzung und Verteilung der einzelnen Verfahren zu ermitteln. Auch die Produktivität der Regeln müsste untersucht werden. Des Weiteren ist noch ungeklärt, welche Regeln es genau sind, die die Distribution der Allomorphe steuern. Nimmt man z.B. das Englische mit seinen drei Pluralallomorphen [IZ], [z] und [s], so ist deren Verteilung rein phonologisch - nach dem Auslaut des Substantivs - gesteuert: Endet es auf einen Sibilanten, folgt silbisches [IZ] (horse-s ['horsIz]), endet es auf einen stimmhaften Laut, folgt stimmhaftes [z] (dog-s), und auf einen stimmlosen folgt stimmloses [s] (cat-s). Das Deutsche, das insgesamt neun konkrete Pluralallomorphe "besitzt, erlaubt auf grund der Singularform kaum Erschließbarkeit des Plurals, wie die folgenden drei einsilbigen Reimwörter gleichen Genus demonstrieren: der Hund - die Hunde, der Grund - die Gründe, der Mund - die Münder. Prosodische Kriterien wie die AkzentsteIle, syllabische (Silbenzahl), phonologische (Auslaut) und morphologische Kriterien " einschließlich der Genuszugehörigkeit fuhren nicht immer zum Ziel: Bei vielen Substantiven muss der Plural - siehe oben - mitgelernt werden, d.h. er ist Bestandteil des Lexikons. Was das Luxemburgische betrifft, so scheint das Steuerungsinstrumentarium komplexer zu sein, doch ist dies nur eine durch Stichproben gewonnene Vermutung, die zu fundieren wäre.
Wiederholt ist auf das onomastische Dokumentations- und Forschungspotential digital gespeicherter Telefonanschlüsse hingewiesen worden. Auch sind auf dieser Basis bereits Untersuchungen zum Inventar und zur Verbreitung deutscher Familiennamen entstanden. Durch neue Software zur Auswertung digitaler Telefonanschlüsse ergeben sich inzwischen fast unbegrenzte Möglichkeiten, das Familiennamensystem Deutschlands erstmals überhaupt zuverlässig zu erfassen, zu dokumentieren und auf bestimmte Phänomene hin zu befragen. In Minutenschnelle ist es nun beispielsweise möglich, alle Komposita auf -müller in Listen zusammenzustellen und in Karten deutschlandweit in ihrer Verbreitung sichtbar zu machen.
Die deutsche Präposition-Artikel-Enklise bietet wie kaum eine andere Grammatikalisierung Einblicke in den Mikrobereich von Grammatikalisierungsprozessen: Klare, "zielorientierte" Verhältnisse sind hier nicht zu beschreiben, was der Grund für ihre bisher so geringe Beachtung durch die Grammatikalisierungsforschung sein dürfte. Es wurde deutlich, dass bezüglich der hier als zentral bewerteten Morphologisierung des Artikels das gesamte Spektrum von Nichtverschmelzbarkeit bis hin zu (kurz vor Flexiven stehenden) obligatorisch verschmelzenden speziellen Klitika abgedeckt ist. Diachron hat sich zwar insgesamt eine deutliche Rechtsdrift auf der Grammatikalisierungsskala vollzogen; bezüglich des Genitivartikels hat jedoch eine Degrammatikalisierung in Form von sog. retraction (gemäß Hapelmath 2004) stattgefunden, die hier in einer Demorphologisierung (Resyntaktisierung) eines Klitikons besteht. Dabei findet keine "Relexikalisierung" im Sinne einer lexikalischen Anreicherung eines bereits grammatikalisierten Elements statt (siehe hierzu Haspelmath 1999). Mittel- und frühneuhochdeutsche Verschriftungen deuten auf reichere Inventare an Verschmelzungs formen hin, doch sind hierzu diachrone Untersuchungen erforderlich. Ebenso ist der Übergangsbereich zwIschen einfachen und speziellen Klitika in sich abgestuft und weitaus komplexer gestaltet als hier dargestellt. Auch dazu besteht Bedarf an Detailanalysen unter der Fragestellung, welche der unter Abschnitt 2.2 aufgeführten Artikelfunkttonen am ehesten eine Präposition-Artikel-Verschmelzung erfordern. Einiges deutet auf den am stärksten desemantisierten (expletiven) Artikel z.B. vor Eigennamen hin. Um den Einfluss von Schriftlichkeit und Standardisierung auf Grammatikalisierungsprozesse ermitteln zu können, wurden zwei Dialekte in den Blick genommen: das Ruhrdeutsche, das die Erwartung nach deutlich fortgeschritteneren Verhältnissen erfüllt, und das Alemannische, das andere Phänomene ausgebildet hat wie etwa die Proklise des Artikels an das Substantiv, die Nullrealisierung klitischer Artikelformen und den kategorialen Umbau der vier Nominalkategorien am Artikel. Die Einbeziehung weiterer Dialekte und vor allem auch der gesprochenen "Umgangssprache" könnte weiteren Aufschluss über die Ratio dieser Grammatikalisierung liefern. Sollten flektierende Präpositionen Ziel dieses Wandels sein, so hätte dies tiefgreifende Konsequenzen für die Grammatikschreibung.