CompaRe | Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft
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(2002)
Sinnlicher Schein versus allegorischer Lärm. Die Perle als Blickfang in den Bildern Vermeers ruft die lange und vielfältige Kultur- und Bedeutungsgeschichte der Perle auf. Gleichzeitig verbreitet sie den von ihr aufgefangenen Lichtschein über das Bild als Bild, indem sie Korrespondenz- und Spiegeleffekte setzt, die den Blick von einem Bildelement auf das andere weiter verweisen. So wiederholt sich in dem Bild "Mädchen mit dem Perlenohrring" aus dem Mauritshuis das Weiß des Perlenglanzes am Ohr der Abgebildeten im Kragenabschluss des Gewandes, der den Hals des Mädchens umschließt, ebenso wie im Weiß ihrer auf den Betrachter gerichteten Augen und - als schwacher Reflex - auf den halbgeöffneten Lippen. Bildwirkung versus Bedeutungswirkung?
Deutschland 1932: die Erfahrungen des Amerikanismus und des Fordismus waren gerade verarbeitet; man hatte die neuen Geschwindigkeiten und die Vermassung der Millionenstädte ebenso studiert wie das Industrieproletariat und die frischen Angestelltenschichten; der Funktionalismus hatte in allen Bereichen der Moderne, auch im Design und in der Architektur, seinen Siegesszug angetreten; man hatte an der Metropole Berlin erstmals auch die Wahrnehmungs-Modalitäten von Big Cities ästhetisch durchbuchstabiert; man hatte indes auch mit dem schwarzen Freitag die Konsequenzen globalisierter Wirtschafts- und Börsenverflechtungen erlitten – in diesem Jahr 1932 also bildet der österreichische Schriftsteller und Naturwissenschaftler Robert Musil in seinem "Mann ohne Eigenschaften" die "soziale Zwangsvorstellung" einer "überamerikanischen Stadt", "wo alles mit der Stopuhr in der Hand eilt oder stillsteht. Luft und Erde bilden einen Ameisenbau, von den Stockwerken der Verkehrsstraßen durchzogen. Luftzüge, Erdzüge, Untererdzüge, Rohrpostmenschensendungen, Kraftwerkketten rasen horizontal, Schnellaufzüge pumpen vertikal Menschenmassen von einer Verkehrsebene in die andre; man springt an den Knotenpunkten von einem Bewegungsapparat in den andern, wird von deren Rhythmus, der zwischen zwei losdonnernden Geschwindigkeiten eine Synkope, eine Pause, eine kleine Kluft von zwanzig Sekunden macht, ohne Überlegung angesaugt und hineingerissen, spricht hastig in den Intervallen dieses allegemeinen Rhythmus mit einander ein paar Worte. ...
Im Jahr 1837 schreibt Gustave Flaubert – er ist sechzehn Jahre alt – die Erzählung Quidquid volueris, eine nahezu perfekte Schauergeschichte im Stil der gothic novel, ein goyaesker Alp "schlafloser Nächte", worin der Erzähler eingangs die Teufel seiner Einbildungskraft, die "Kinder meines Hirns" anruft wie Musen der Inspiration. Virtuos setzt der adoleszente Autor alle Stilmittel des langsam sich aufbauenden Grauens ein, das sich am Ende in einer entsetzlichen Tat entlädt. ...
Hegel hat endlos vielen Interpretationen von Tragödien, und so auch solchen der "Antigone" das Schema vorgegeben, wenn er den tragischen Konflikt als die Kollision zweier sittlicher Ansprüche bezeichnete, die beide in sich selbst gerechtfertigt sind. Für die "Antigone" hieß dies, daß die Sittlichkeit der Familie, durch Antigone repräsentiert wie erlitten, auf die Sittlichkeit des Staates stoße, die in Kreon resümiert ist. Und da beide Sittlichkeiten in sich notwendig seien, müsse die Kollision einen tragischen Terminus finden. Dies umso mehr, als zur tragischen Kollision gehöre, daß beide Positionen jeweils Momente der Gegenposition enthielten, die aber jeweils implizit und unausgedrückt blieben, so daß weder Antigone noch Kreon die Berechtigung der jeweils anderen Auffassung auch nur ansatzweise teilen könne. Unversöhnlich prallen beide Positionen aufeinander, weil die Protagonisten innere Ambivalenzen nicht zuließen. ...
Spartacus mußte, als bis dahin teuerste Filmproduktion überhaupt, ein kommerzieller Erfolg werden – was auch gelang. Den weiteren historischen Rahmen des Films bildet das gereizte antikommunistische Klima, das die Vereinigten Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg beherrschte und in dem man sehr schnell auch gegen Künstler mißtrauisch geworden war. Dalton Trumbo, einer der gefragtesten Drehbuchautoren seiner Zeit, gehörte zu den „Hollywood Ten“, die 1947 vor dem House Un-American Activities Committee die geforderten Denunziationen vermeintlicher Kommunisten verweigert hatten. Folge für sie waren Gefängnisstrafen und Beschäftigungsverbote: die schwarzen Listen. Diese waren 1958, bei Beginn der Arbeiten zu Spartacus, nach wie vor intakt. Viele Drehbuchautoren arbeiteten aber doch für die Produktionsfirmen: unter falschem Namen und größter Geheimhaltung – so auch Trumbo für Spartacus. Während der Dreharbeiten erschien Douglas irgendwann das Risiko tragbar, Trumbo nach 1947 zum ersten Mal namentlichen screen credit zu geben: eines der Ereignisse, die zur Auflösung der blacklist führten. Daß Spartacus offen mit Trumbo und auch Howard Fast, dem kommunistischen Autor der Vorlage, firmieren konnte, ist zunächst erstaunlich. Gibt es doch kaum ein antikes Thema, das kommunismusaffiner erschiene als der Aufstand der Sklaven gegen ihre römischen Unterdrücker, kaum einen Helden, der subversiver zur Identifikation mit dem gefürchteten politischen Gespenst verführen könnte. Zwei Aspekte sollen die folgenden Ausführungen beleuchten: Wie sieht der Held aus, der den Amerikanern seinen Aufstand vorführen darf? Und: Wohin zielt diese Rebellion, die von vornherein auch im Kassenhäuschen der Kinos Epoche machen wollte?
Ein Film von Claude Simon? Im Gegensatz zu Alain Robbe-Grillet und Marguerite Duras kennt man Simon nicht als Filmregisseur. Seine Vorliebe scheint im Bereich der technischen Bildmedien eher der Photographie zu gelten als dem Film: Simon veröffentlichte zwei Bände mit eigenen Photographien (Album d’un amateur von 1988 und Photographies von 1992) und auch seine Romane machen insgesamt weniger den Film zum Thema als die Photographie: Nicht nur enthalten Simons Romane immer wieder lange Beschreibungen fiktiver (oder realer) Photographien und Postkarten (in L’Herbe, Histoire, La Bataille de Pharsale, L‘Acacia), auch modelliert er Bewußtsein und Gedächtnis seiner Protagonisten häufig als ein photographisches. Erinnerungen – das läßt sich vor allem an Le Vent (1957) zeigen – können jederzeit die Qualitäten einer photographischen Aufnahme annehmen, werden charakterisiert und beschrieben, als wären es sich nicht mentale Bilder, sondern tatsächliche Photographien. Die Mediatisierung der visuellen Wahrnehmung stellt für Simon dabei keine Entfremdung von einer nicht-medial unterstützten Wahrnehmung dar; vielmehr erlaubt sie es allererst, die subjektive und körperliche Gebundenheit einer je partikularen Perspektive zu denken.
Die poetische Evokation von Strömen und Flüssen, die als Verkehrswege verschiedene Länder und Sprachgemeinschaften untereinander verbinden, erinnert an die poetische Utopie grenzüberschreitend-universaler Kommunikation. Dem Bildfeld um Wasserläufe und Wasserwege affin ist das Bild der Quelle, die zudem für Ursprünglichkeit, Lebendigkeit, Erneuerung steht. Insofern enthält bereits der Titel des (im folgenden vorzustellenden) poetischen Projekts, mit dem Schuldt und Robert Kelly an Hölderlin anknüpfen, in nuce ein poetisch-utopisches Programm. Zudem fällt der Name eines Flusses, der einem Vielvölkerstaat seinen Namen gab: "Am Quell der Donau / Unquell the dawn now" […]. Mit dem zweiten Teil des Titels, der sich als klang-analoge, wenngleich semantisch inäquivalente Übersetzung des ersten versteht ("Unquell the dawn now"), kommt zugleich die nicht minder symbolträchtige Übergangszeit der Dämmerung ins Spiel – einer von vielen merkwürdigen sprachklanglich bedingten Zufällen, deren Erkundung sich dieses Projekt verschreibt. Schon der bilinguale Titel vollzieht eine Grenzüberschreitung – nicht nur zwischen der deutschen und der englischen Sprache, sondern auch zwischen 'Eigenem' und 'Fremdem'. Denn der erste (deutsche) Teil ist Zitat. Friedrich Hölderlin, der in seinem lyrischen Werk die Ströme Europas besungen und dabei eine komplexe symbolische Topographie entfaltet hat […], liefert die "Quelle", von der aus der bilinguale Sprach-Fluß seinen Ausgang nimmt.