BDSL-Klassifikation: 18.00.00 20. Jahrhundert (1945-1989) > 18.10.00 Bundesrepublik Deutschland bis 1990 > 18.10.08 Stoffe. Motive. Themen
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Daß die Gesellschaft der Bundesrepublik eine Angestelltengesellschaft und ihre Kultur auch eine Bürokultur ist, belegt noch Volker Reiches erst kürzlich eingesteller STRIZZ-Comic in der FAZ mit seiner Hauptfigur, einer Karikatur auf die topischen Manien und Hypertrophien des Büroalltags und seines Personals: "Bürokultur muss verteidigt werden! Gepflegter Leerlauf hat auch seinen stillen Glanz!" - so der Titelheld in der Episode vom 3. Mai 2007. Mit solchen Attributen der Bürokultur spielt der Comictext sowohl an auf Rilkes "Glanz aus Innen", der die Armut sei, wie auch auf Hesses Schmetterling, der dem lyrischen Ich als "stiller Glanz" vom Paradies bleibe. Und solche Poetisierung des Büroalltags entspricht dem Julian Schmidt entlehnten Postulat und Motto von Gustav Freytags 'Soll und Haben' (1855), daß "der Roman [...] das deutsche Volk dort suchen [soll], wo es in seiner Tüchtigkeit zu finden ist, nämlich bei seiner Arbeit"; im gleichen Atemzug aber widerspricht dies einer Festtäglichkeit der Poesie, wie sie etwa Theodor Storm im Gedicht Märchen beschworen hat: "Ein Sonntagskind ist immer der Poet".
Was in der Literatur des bürgerlichen Realismus unter der Opposition von Alltag/Werktag und Festtag erscheint, ist in der westdeutschen Literatur der späten 1950er bis 1990er Jahre etwas anderes: Büroalltag ist hier erstens Allegorie der bundesrepublikanischen, voraussetzungsreichen und unwahrscheinlichen Normalität. Zweitens wird die Büroliteratur der Bundesrepublik lesbar als Reflexion über Rolle und Funktion des Intellektuellen in der bundesrepublikanischen Kultur, die als konformistische und normalistische und transzendenzlose in Erscheinung tritt. Die literarischen Mitschriften der westdeutschen Bürokratie sind, so die These dieses Beitrags, in viel stärkerem Maße von der Beobachtung und Reflexion dieser Trends motiviert als von den Bemühungen, die 'Arbeitswelt' zu literarisieren.
Sprechen und Schweigen vor und nach der "Wende" : Analyse eines sprachbiografischen Interviews
(2010)
Am Anfang des Interviewprojekts stand ein noch relativ allgemeines Interesse an der Sprache und dem Sprechen in der DDR. Als Teil der Generation, die zwar noch in der DDR geboren wurde, sie aber kaum mehr bewusst erlebt hat, wollte ich von einem ehemaligen DDR-Bürger wissen, welche Erfahrungen er mit der Sprache und dem Sprechen vor 1989/90 gemacht hat. Ursprünglich zielte das Interview also nur auf eine Seite: den Sprachgebrauch und das Schweigen in der DDR. Unter welchen Bedingungen und mit welchen Folgen ist es möglich, in der DDR seine Meinung offen zu äußern? In welche Konflikte mit der Sprach- und Sprechregulierung in der DDR gerät einer, der sich selbst gar nicht als Staatsgegner, sondern als konstruktiver Kritiker und Verfechter dieser, wie er es im Interview nannte, "großartigen Idee" Sozialismus begreift? Wann wird geschwiegen und was bedeutet dieses Schweigen? Der Interviewte nahm jedoch im Verlauf der Gespräche immer wieder die Veränderungen in Sprech- und Schweigesituationen in den Blick, die er im Zuge des politischen Umbruchs 1989/1990 in seiner Sprachbiografie wahrnahm. So erschien eine Analyse mit einem verstärkten Fokus auf den Wandel des Sprachgebrauchs und der Bedeutungen des Schweigens vielversprechend.