Arbeitspapier / Institut für Sprachwissenschaft, Universität Köln
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A.F. 11
In der Indogermanistik sehen wir einen Zweig der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft. Die histor.-vergl. Sprachwissenschaft geht davon aus, dass einander ähnliche Wörter in nicht voneinander abstammenden Sprachen, die gleiche oder vergleichbare Inhalte bezeichnen, nicht zufällig in diese verschiedenen Sprachen gelangt sein können. Solche Übereinstimmungen wären anders erklärbar, wenn die Natur des Bezeichneten die Lautfolgen jeder einzelnen Sprache in irgendeiner Weise bedingen. Wir nehmen aber an, dass es also kein Abbildungsverhältnis zwischen Inhalt und Ausdrucksform sprachlicher Zeichen gibt, dass ein sprachliches Zeichen seine willkürlich festgesetzte konventionelle Form behält. Dann muss man Ähnlichkeiten solcher Zeichen in nicht voneinander abstammenden Sprachen auf irgendwelche ursprünglichen Zusammenhänge der Konventionen zurückführen. Die Deutung solcher Zusammenhänge ist das Thema der histor.-vgl. Sprachwissenschaft. […] Die Indogermanistik ist eine von vielen histor.-vgl. Sprachwissenschaften, neben der Finno-Ugristik, der Semitistik usw. Dass die Indogermanistik sich eine gewisse Sonderstellung zuspricht, liegt an drei ganz zufälligen Gegebenheiten: erstens ist die Indogermanistik die älteste und am intensivsten betriebene Sektion der vergl. Snrachwissenschaft; sie hat bis jetzt das grösste Kapital an geleisteter Arbeit zu verwalten; zweitens sind unter den Gliedern, die wir als indogermanische Sprachen zu einer Familie zusammenfassen, besonders früh bezeugte, lang überlieferte und zu grosser Ausdrucksleistung gelangte Sprachen, und drittens gehört zu diesen Sprachen unsere eigene und alle die Sprachen, mit denen wir im europäischen Raum, in der Gestaltung der europäischen Geisteswelt, am meisten zu tun haben.
A.F. 9
Den Unterschied zwischen Satz- und Satzgliednegation (auch Wortverneinung genannt) kann man erst befriedigend erklären, wenn die Auswirkungen der Emphase berücksichtigt werden, die sowohl in positiven als auch in negativen Sätzen zum Vorschein kommen. Ich werde die se Annahme mit Beispielsätzen zu illustrieren und zu rechtfertigen versuchen, ohne eine Formalisierung anzustreben.
A.F. 16
Problemstellung: Die Junggrammatiker rekonstruierten die Paradigmen der idg. Verbalflexion nach dem Muster des formenreichen Altindischen und Altgriechischen; ihr Verfahren wird von weiten Kreisen noch heute befolgt. Seit dem Bekanntwerden des Hethitischen haben einzelne Forscher den umgekehrten Weg eingeschlagen und ein formenarmes System als Ausgangspunkt der Entwicklung erklärt.
A.F. 17
Eines der Hauptmerkmale, welches das Ionisch-Attische von den übrigen altgriechischen Dialekten unterscheidet, ist die Vertretung des idg. * ā durch ē. Idg. *ā kommt in den übrigen Dialekten als ā vor. So entspricht zum Beispiel dem idg. *māter (lat. māter, ai. mātā) äol.-dor. mā́tēr, aber mḗtēr im ion.-att. […] Selbstverständlich ist die Zurückführung auf idg. Formen mit ā ein Ergebnis, zu dem man erst durch die Rekonstruktionsmethoden der Vergleichenden Sprachwissenschaft kommt. In dem Bereich des ion.-att. Dialekts wird jedoch weiter unterschieden, da bei bestimmten lautlichen Umgebungen (nach den Lauten i, e und r) im Att. – wie auch im Äol., Dor. – ā und kein ē vorkommt, wie man erwarten würde und wie es wirklich der Fall im Ion. ist. […]
1.2. Wegen dieser unterschiedlichen phonologischen Situation, die man im Att. […] findet, stellen sich in Bezug auf das phonologische System des Altgriechischen (des ion.-att. Dialekts) die folgenden wesentlichen Fragen: (A) Wie soll man im Att. die Anwesenheit von ā statt des erwarteten ē erklären? (B) (I) Wurde das urgr. ā direkt zu ē (ē̡) im Ion.-att. oder hat es eine Zwischenstufe gegeben in dem Sinne, daß es zunächst zu ǟ (vorderer, palataler Laut) wurde und später zu ē̡, obwohl es in der Schrift immer durch H (MHTEP) im Att. repräsentiert wurde?
(II) Wenn es wirklich eine Zwischenstufe mit ǟ gegeben hat, hat sie so lange gedauert, daß ǟ als ein selbständiges Phonem des phonologischen Systems der langen Vokale des Ion.-att. und besonders des Att. betrachtet werden kann?
Der zweite Teil der Frage (B) wird direkt mit dem Problem der Chronologie der Verschmelzung ("merger") von ǟ und ā̡ verknüpft. (Da die Gründe, die für den phonematischen Wert des ǟ sprechen, stark genug sind, wie durch die folgende Analyse gezeigt werden wird, wird ǟ hier im voraus als Phonem betrachtet, und das soll hier auch als Arbeitshypothese dienen.)
A.F. 18
I. Zum Problem der Possessivität im Cahuilla (Uto-Aztekisch, Süd-Kalifornien) -
Von "possessiv", ''Possessivität'' wird in den Grammatiken verschiedener Sprachen in mindestens zwei verschiedenen Zusammenhängen gesprochen: 1.) Im Zusammenhang mit den "Possessivpronomina" und mit "Genitiv", z. B. dt. 'Karls Vater', 'sein Tod', 'seine Verurteilung', 2.) Im Zusammenhang mit 'haben', 'gehören', 'besitzen'. Daß die beiden Zusammenhänge nicht koextensiv sind, zeigt sich etwa bei 'sein Tod', wo neben es kein *'er hat einen Tod' gibt. Ebenso ist neben 'Karls Vater' ein Satz wie *'Karl gehört der (oder: ein) Vater' abweichend, zumindest wenn es sich um den leiblichen Vater Karls handeln soll. Das zeigt sich auch, daß die von der TG lange geübte Praxis, die Genitiv-Syntagmen auf 'haben'-Syntagmen zurückzuführen, nicht den Tatsachen entspricht. In anderen indogermanischen Sprachen finden wir ähnliches wie im Deutschen. Wir wissen zwar, was "Possessivpronomina" qua morphologische Klasse sind; aber syntaktisch und erst recht semantisch ist das Phänomen ''Possessiv'' weitgehend ungeklärt.
[...]
Ich glaube nun in einer Sprache den Bereich der Probleme einigermaßen zu überschauen, die man traditionellerweise und ohne recht zu wissen wie, mit dem Terminus "possessiv" in Verbindung bringt. Die Sprache heißt CAHUILLA, wird im südlichen Kalifornien von wenigen Sprechern noch gesprochen und gehört zur Uto-Aztekischen Sprachfamilie.
II. Possessivität und Universalien -
In meinem ersten Vortrag bin ich davon ausgegangen, daß für eine gegebene Sprache bei guter Kenntnis derselben eine zunächst intuitive Erfassung eines Bereichs der Grammatik möglich ist, den man sodann durch eine Theorie und nachprüfbare Methoden schrittweise auf die Ebene des wissenschaftlichen Bewusstseins zu heben versucht. Es handelt sich um jenen Bereich, dessen Grundprinzipien semantischer Natur sind, an dem aber auch die Syntax einen wesentlichen Anteil hat. Wie man den Bereich nachher nennt, ist weniger wichtig; ich sehe kein Hindernis, den traditionellen Terminus "possessiv", "Possessivität" dafür zu verwenden. Auch heute, in dem zweiten Vortrag, in dem es zunächst vor allem ums Deutsche, dann aber um die Frage nach den sogenannten Universalien geht, will ich wieder davon ausgehen, daß es möglich ist, einen semanto-syntaktischen Bereich "Possessivität" intuitiv abzustecken. Ich will dafür zunächst einen prominenten Zeugen aufrufen, der das fürs Griechische getan hat: Aristoteles.
A.F. 19
Semantik für Sprechakte
(1972)
Semantik wird herkömmlicherweise als die Interpretation von Zeichenketten verstanden, die die Syntax liefert. Damit gibt sie aber ein dubioses Programm für die Beschäftigung mit natürlichen Sprachen ab. Ausgangspunkt für diese muß die Feststellung sein, daß Sprechen ein Handeln ist und kein Produzieren von Zeichenketten (außer vielleicht zu Demonstrationszwecken). Sprechhandlungen sind z. B.: jmd. Widersprechen, jmd. beschuldigen, sich ausreden bzw. entschuldigen usw. Über die Sprechhandlungen selbst werde ich im folgenden nichts weiter sagen; ich werde vielmehr ein Verfasser und Leser gemeinsames Verständnis, begründet in einer gemeinsamen Erfahrung, voraussetzen. In dem so angedeuteten Rahmen soll es die Aufgabe der Semantik sein, die Bedingungen für Sprechhandlungen zu explizieren: Welche Bedingungen muß z. B. eine Sprechhandlung erfüllen, um eine Beschuldigung zu sein (als Beschuldigung zu gelten, als solche akzeptiert zu werden o. ä.)? Dieses Programm möchte ich im folgenden exemplarisch entwickeln.
A.F. 21
A.F. 20
Die Termini Possessivität und Possession, die wir synonym für einander verwenden wollen, sind vorwissenschaftlich. Ihr Inhalt hat in keinem der Modelle der synchronen Sprachbeschreibung eine befriedigende Präzisierung erfahren. Die Auffassungen darüber, was man in gewissen Sprachen als possessiv anzusehen hat, schwanken. Man hat sich, mit Recht, gefragt, ob man einem entsprechenden Begriff überhaupt einen Platz in der Beschreibung von Sprachen – und damit in der Grammatik – einräumen solle. […] So erwägenswert manches an dieser Einschätzung auch ist, so finde ich es anderseits doch bemerkenswert, daß sich die verschiedensten Linguisten bei der Beschreibung der verschiedensten Sprachen doch immer wieder veranlaßt sehen, solche Termini – und Begriffe – wie "possessiv", "Possession" einzuführen. […] Intuitiv denkt man bei dem Terminus "Possession", "possessiv" in Sprachen wie dem Deutschen an die Konstruktionen mit Genitiv oder Possessivpronomen einerseits 'Karls/sein Haus') und an Konstruktionen mit 'haben', 'gehören', 'besitzen' anderseits ('Karl hat ein Haus'). Es hat nicht an Versuchen gefehlt, das eine auf das andere zu reduzieren. Die orthodoxe TG hat lange genug behauptet, 'Karls Haus' liege ein 'Karl hat ein Haus' zugrunde. Daß sich das nicht verallgemeinern läßt, sieht man etwa an 'Karls Tod', wozu es kein *'Karl hat einen Tod' gibt. Die Hypothese, die ich hier vorlegen und begründen möchte besteht darin, daß beide Ausdrucksweisen, also Genitiv, Possessivpronomen einerseits und 'haben' etc. anderseits einander komplementieren und erst zusammen den Phänomenbereich der Possessivität konstruieren. Eine große Rolle spielt dabei der Unterschied zwischen sogenannten relationalen und nicht-relationalen Nomina. Solche schwierigen Fragen untersucht man einerseits am besten an seiner eigenen Muttersprache. Anderseits aber hoffe ich das hier Gefundene durch die Konfrontation mit den Verhältnissen in einer davon weit abliegenden Sprache, einer Indianersprache Süd-Kaliforniens, Cahuilla, noch plastischer hervortreten zu lassen. Das hier angewendete Beschreibungsmodell ist gemischt. Die zugrundeliegenden Strukturen sind so weit wie möglich als syntaktische dargestellt. Doch konnte ich nicht umhin, in solchen syntaktischen Strukturen gewisse semantische Entitäten unterzubringen. Das gilt insbesondere für die abstrakten oder "höheren" Verben APPLIES und EXIST. Sie haben einen direkten semantischen Wert.
A.F. 22
Eine allgeneine und theoretische Antwort auf die Frage, ob der Begriff "Possesivität" zur grammatischen Beschreibung einer natürlichen Sprache gehören solle oder nicht, wird je nach Standpunkt verschieden ausfallen. Man kann auch anders vorgehen, indem man in einem vortheoretischen Verständnis einen Begriff "Possesssivität" zunächst annimmt und zusieht, wie die Repräsentationen eines solchen Begriffs in je einer einzelnen Sprache sich gestalten. Die Möglichkeit, dass sich daraus, fast von alleine, eine Bestätigung und Präzisierung für diesen Begriff, ja sogar der eine oder andere Anhaltspunkt für dessen Universalität ergibt, dürfte man nicht ausschliessen. Der .Aufsatz von Hansjakob Seiler scheint schon in Zusammenhangmit diesem Problem nicht nur das Wesentlichste klargemacht zu haben; er stellt auch die Frage nach einem gemeinsamen Prinzip, dem die einzelnen Sprachen gehorchen, wenn sie die Possessivitätsrelation ausdrücken.
Dieser Beitrag ist ein Vorschlag, auf der grammatisch-semantischen Ebene dieses Prinzip in einer konktreten Sprache, dem Polnischen, aufgrund der die Possessivität ausdrückenden Mittel und ihrer Bereiche zu illustrieren. Daher wird hier semantisch davon ausgegangen, dass die Possessivität eine Relation ausdrückt, die den Verhältnis des Teils zum Ganzen entspricht. Ob man nun diese Relation als direkte Zugehörigkeit zur Menge oder als eine Art indirekter Zugehörigkeit, nämlich zum Besitzer der Menge auffasst, wäre eine Frage über die aufgrund der Struktur der betreffenden Sprache entschieden werden sollte, – vorausgesetzt immer, dass die Possessivität ein sprachlich ausgeprägtes und sprachwissenschaftlich beschreibbares Phänomen ist.