4.2. Stand des Berliner Mäzenatentums im 19. Jahrhundert

Berlin, Preußens Hauptstadt, befand sich zum Zeitpunkt, als Victoria dort eintraf, im Wandel. Das aufstrebende Bürgertum mit seinen Fabrikanten und Bankiers war im Begriff, in das zuvor von Adel und Kulturbeamtentum geführte Kunstgeschehen einzugreifen. Der 1871 errungene Sieg über Frankreich hatte einen bis dahin unbekannten Reichtum unter Industriellen und Unternehmern zur Folge, so daß sie nun in der Lage waren, private Kunstsammlungen aufzubauen, durch welche sie ihre Machtansprüche gegenüber den Fürsten demonstrieren konnten. Die so entstehenden wertvollen Privatsammlungen konnten jedoch zu Beginn noch nicht dem internationalen Vergleich mit London und Paris standhalten.
So kennzeichnete die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts für Berlin einen nicht nur politischen und wirtschaftlichen, sondern auch kulturpolitischen Wandel. Museen wurden als staatliche Institutionen begriffen, die jedermann zugänglich waren und einen bildungspolitischen Anspruch hatten. Ihnen wurde eine neue kulturpolitische Bedeutung beigemessen, sie wurden vergrößert und erhalten wie z.B. in Berlin das Neue Museum oder die National Galerie.[92] Vor allem seit der Ernennung Friedrichs zum Protektor der Königlichen Museen 1871 erhielten die Museen einen enormen finanziellen Schub.
Zum Zeitpunkt von Victorias Umzug nach Berlin gehörten die dort ansässigen Museen eher zur gehobenen Mittelklasse Deutschlands, bereits gegen Ende des Jahrhunderts jedoch zählten sie zur europäischen Spitze. "Dieser erstaunliche Aufstieg kennt in seiner Kürze und seiner durchschlagenden Kraft wenig Vergleichbares in der Museumsgeschichte."[93]
Durch die Herstellung der Zolleinheit und später durch die politische Einigung und den Aufstieg zur Hauptstadt des Kaiserreiches 1871 konnte das Berliner Bürgertum vom wirtschaftlichen Aufschwung Deutschlands profitieren und trug dazu bei, Berlin auf das Niveau der europäischen Metropolen zu heben. Während der folgenden Gründerzeit entstanden große private Vermögen, welche den Aufbau eines Stifterwesens ermöglichten, denn das[94] Kunstsammeln wurde als Möglichkeit erkannt, seinen Reichtum adäquat zu präsentieren, der Bevölkerung den Zugang zu den Sammlungen zu ermöglichen und in dieser Weise an Prestige zu gewinnen. In der Zeit des Deutschen Kaiserreichs war das Sammeln von Kunst vergangener Epochen auch der Ausdruck einer Generation, "die sich nicht nur durch wirtschaftlichen Erfolg und Reichtum auszeichnete, sondern für die auch charakteristisch war, daß sie sich in den kulturellen Leistungen der eigenen Zeit nicht aufgehoben fühlte."[95]
Außerdem galten die prosperierenden Kunst- und Wissenschaftsmuseen als nationale Instrumente zur Volksbildung, denn eine Grundtendenz des Jahrhunderts war der pädagogische Enthusiasmus, Museen hatten einen Volksbildungsauftrag zu erfüllen.[96]
Basis des Berliner Mäzenatentums der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren kritische, kompetente und sehr gebildete Bürger, welche aus unterschiedlicher Motivation heraus Kunst und Wissenschaft förderten. Nicht immer stand die Steigerung des persönlichen Ansehens im Mittelpunkt, auch Passion für die Künste gehörte dazu; ferner nicht zu vergessen die Ambition, Preußens wirtschaftliche und kulturelle Autorität zu sichern.
In diese Zeit, als die deutschen Natur- und Geisteswissenschaften ihre größte Förderung durch Mäzene erfuhren, fiel auch die Neugestaltung der Berliner Museumslandschaft. Da sich die Direktoren der Museen nicht auf finanzielle Mittel seitens des Staates verlassen konnten, "um die preußischen Museen dem Niveau der bedeutenderen Herrschersammlungen in Wien, Paris, Madrid oder München anzugleichen",[97] versuchten sie diese durch privates Mäzenatentum zu ersetzen.
Da Sammeln sich in der liberal eingestellten bürgerlichen Wirtschafts- und Wissenschaftselite schnell verbreitete, konnten die Museen mit vermehrter Unterstützung - sei es durch Gelder oder Schenkungen von Sammlungen - rechnen.[98] Durch diese Privatinitiativen gelang es den Berliner Museen, über den größten Erwerbungsetat in Europa zu verfügen.
Zu verdanken ist dies vor allem den herausragenden Leistungen Wilhelm von Bodes - "Spiritus rector der Königlichen Museen"[99] - "der die Betreuung der Sammler und ihre allmähliche Hinführung zur Unterstützung der Museen zu einer hohen Kunst entwickelte."[100] Dies geschah natürlich auch vor dem Hintergrund, neue Mäzene für das Museum zu gewinnen.[101] Als Gegenleistung erhielten die Sammler seine Beratung in Kunstfragen. Auf diese Weise entwickelten sich die Freundeskreise der Museen als deren Förderer.[102] Bode beklagt hingegen,
"daß die Geschenke doch nur Gegenleistungen waren für Gefälligkeiten und den Nutzen, den ich den Schenkern dadurch, daß ich für sie sammelte, einbrachte. Haben sie doch Hunderttausende und selbst Millionen an ihren Sammlungen gewonnen, wogegen ihre Gaben an Museen nur einen kleinen Prozentsatz betrugen, wenn sie sich überhaupt zum Schenken bewegen ließen."[103]
Von altruistischem Mäzenatentum kann in diesem Fall nicht gesprochen werden, denn durch Bodes Hilfe gelang es einigen Sammlern, ausgewählte Kunstwerke zu erstehen, deren Wert im Laufe der Zeit auf dem Kunstmarkt stieg. Kunst wurde folglich zur Geldanlage. Für den um Autonomie kämpfenden bildenden Künstler bedeutete das Aufkommen des freien Marktes auch ein erhöhtes Risiko, denn das Schrumpfen der Aufträge führte zwar einerseits zu künstlerischer Unabhängigkeit also Selbständigkeit seitens des Künstlers, barg auf seiner Schattenseite jedoch auch eine soziale Unsicherheit.[104] Die Ansprüche wandelten sich und zogen auch eine Veränderung im Mäzenatentum mit sich. Der Mäzen war nun nicht mehr gleichbedeutend mit dem Auftraggeber, sondern unterstützte den Künstler auch finanziell, ohne als Gegenleistung ein Werk zu verlangen.
Wilhelm von Bodes Interesse lag vor allem auf dem Gebiet der Alten Kunst und demzufolge auch die seiner Mäzene. Das Sammeln zeitgenössischer Kunst, welches erst im letzten Drittel des Jahrhunderts Verbreitung fand, verlangte zwar, wie jenes Alter Kunst, finanzielles Engagement und Begeisterungsfähigkeit, barg jedoch auch ein größeres Risiko und setzte mehr Courage und Entscheidungsfreude voraus.[105] Allerdings lenkte eben diese Kühnheit auch das Augenmerk der Gesellschaft auf sich. Diese Sammler zeitgenössischer, noch nicht etablierter Kunst wurden durch den Kauf autonomer Kunst zu Mäzenen, denn sie sicherten dadurch die Existenz des Künstlers. Die Autonomie des Künstlers war jedoch dadurch gefährdet, wenn sie versuchte, den Gesetzen des Kunstmarktes zu gehorchen, um finanziell abgesichert zu sein. Eben hier konnte der Mäzen wirken und die Eigenständigkeit des Künstlers und der Kunst gewährleisten.
Auf welche Art und Weise griffen nun Victoria und Friedrich in Berlin einerseits in das Kunstgeschehen und andererseits in die Bereich der Frauenbildung ein und inwiefern agierten sie dadurch als Mäzene?

Zurück Vorwärts