Exkurs: Victoria als Künstlerin

"Ich habe eine Malerin zur Schwiegertochter, sie vergißt ganz, daß sie auch Pflichten hat."[129]
In der Zeit in England vor ihrer Hochzeit hatte Victoria täglich Kunstunterricht erhalten, der abrupt in Berlin abbrach und den sie anfänglich sehr vermißte.[130] Da sie jedoch in Berlin weiter als Malerin und Bildhauerin tätig sein wollte, suchte sie sich in der neuen Heimat Lehrer wie Carl Gottfried Pfannschmidt und den Maler William Callow. "[...] ein Atelier gehörte mit zu den ihr notwendigen Wohnräumen. So bildete sie ihr 'nicht geringes Talent' stetig fort, sich selbst und den Ihrigen zur Freude. [...]sie malte und modellierte die Kinder."[131]
Auch der gut mit der Kronprinzessin befreundete Anton von Werner bestätigte, daß sie sich "mit besonderem Eifer künstlerischen Studien hingegeben, und, soviel es ihre Zeit erlaubte, nach der Natur gezeichnet und gemalt [hat]."[132] Selbst während einer Ferienreise auf die Insel Föhr 1873 unterbrach sie den Unterricht nicht und kontaktierte den Maler Christian Karl Magnussen[133] Später vermittelten auch Heinrich von Angeli und Anton von Werner ihr im Malen weitere Kenntnisse.[134]
Im Grunde malte Victoria täglich all das, was ihr auf den vielen Reisen oder Ausflügen interessant erschien. So auch auf einer ihrer vielen Italienreisen 1875, wo sie in Venedig "studierte, zeichnete und unermüdlich malte, nach den Kunstwerken [...] oder der Natur [...] oft ganz allein und unerkannt. [...] Und höher noch als ihr technischen Können schätzte ich das künstlerische Verständnis und Empfinden der hohen Frau[...]".[135]
"Auch sonst pflegte Ihre Majestät gewöhnlich am Tage nach einem größeren Ausfluge oder einer kleineren Reise das Gesehene mitzutheilen und Schilderungen von künstlerischen Gegenständen und Einzelheiten dann durch eigenhändige Bleistiftskizzen zu erläutern."[136]
Malen war für sie also mehr als nur ein Zeitvertreib, es glich einer Passion. So ist es nicht verwunderlich, daß sie einmal verlauten ließ, "wenn sie nicht von Beruf Kronprinzessin sein müßte, so wäre sie Malerin."[137] Selbst die Berliner Akademie hat sie 1860 als Ehrenmitglied ernannt. Das Londoner Institut der Aquarellmaler folgte 1881 und ernannte sie ebenfalls zum Ehrenmitglied.[138]
Neben der Malerei widmete sie sich auch der Bildhauerei und ging bei dem Marmor- und Bronzebildhauer Albert Wolf in die Lehre. Ihr Faible machte sich auch in ihrer Kunstsammlung bemerkbar, in welche immer mehr Skulpturen Einlaß fanden.[139]
"Daß Dir das Modellieren Freude macht, wundert mich nicht. Es ist eine noch anziehendere Kunst als die Malerei, weil sich in ihr der Gedanke wirklich verkörpert; auch daß man es mit den drei Dimensionen zu tun hat statt mit der bloßen Fläche und durch Perspektive nicht zu betrügen braucht, gibt einen höheren Wert und Genuß. Da der Künstler Stoff und Gedanken ohne Vermittlung irgendeines andern Gliedes vereinigt, so würde die Schöpfung eine vollkommene sein, wenn auch die lebende Kraft dem Werke eingehaucht werden könnte [...] und ich erkläre mir vollkommen die Fabel vom Künstler, der die Götter anrief, sein Werk heruntersteigen zu lassen von der Plattform."[140]
Auffallend bei ihrem künstlerischen Schaffen ist, daß ihre Werke entweder dazu bestimmt waren, ihren Familienmitgliedern und Bekannten als Geschenk Freude zu bereiten, oder aber, wenn sie für die Öffentlichkeit bestimmt waren, wohltätigen Zwecken zu dienen. Dementsprechend war die Auflage beim Verkauf einer Papierarbeit, die sie im Alter von 15 Jahren anfertigte, daß der Erlös den Opfern des Krim-Krieges zu gute kommen solle. 1864 schließlich erstellte sie in Bleistift und Aquarell - ihren bevorzugten Techniken - vier Soldaten mit vier unterschiedlichen Waffengattungen zur Unterstützung der Witwen aus dem preußisch-dänischen Krieg.[141] Sechs Jahre später half sie den Opfern des französisch-preußischen Krieges durch eine Spendenaktion in London, indem sie den Verkaufspreis zweier Ölgemälde sowie eines Aquarells als erste in den Fond einbrachte. "Den Radjah von Kalupor schröpfte sie für diesen guten Zweck, in dem er eine von ihr bemalte Muschel durch Lotterie kaufen mußte."[142]
Auf diese Art und Weise gelang es Victoria mit der Hilfe ihrer Malerei, einerseits karitativ zu wirken, andererseits auch als Vorbild für die Frauen in der preußischen und später auch der Kronberger Gesellschaft zu dienen, welche den Beruf der Künstlerin ergreifen wollten und versuchten, sich vom Image des Dilettantismus zu lösen. Ihr Ansehen und ihre Tätigkeit als Malerin halfen den Frauen auf ihrem Weg, sich auf dem in Männerhand liegenden Kunstmarkt zu etablieren.[143]
Vielleicht basierte ihr Interesse darauf, daß sich Victoria mit den Malerinnen identifizierte. Sie erkannte deren Problem, sich in dieser Männerdomäne zu behaupten. Schließlich mußte auch Victoria sich in einer Gesellschaft, in der Frauen erst am Anfang ihres Kampfes um Gleichberechtigung standen, durchsetzen. Außerdem war sie selber ja leidenschaftliche Malerin und hätte vielleicht ihre Passion zum Beruf gemacht, wenn sie nicht preußische Kronprinzessin gewesen wäre. Diese Spekulationen nachzuprüfen, reichen die vorhandenen Quellen und Informationen für die vorliegende Arbeit nicht aus.
Tatsächlichen Einfluß auf das Berliner Kunstgeschehen - im besonderen auf die Museumslandschaft - konnte sie vor allem beim Ausbau der Berliner Nationalgalerie sowie der Gründung des Kunstgewerbemuseums leisten. Durch die Ernennung ihres Mannes Friedrich zum Protektor der Schönen Künste und der Königlichen Museen 1871 wurden diese Bemühungen zusätzlich erleichtert. Zum Zeitpunkt seiner Nominierung gehörten die Berliner Sammlungen, deren Ursprung Schenkungen der Herrscherfamilie waren, nur zur unteren Mittelklasse.
Mit dem Aufstieg Deutschlands zum Kaiserreich stiegen auch die Berliner Museen aufgrund des wirtschaftlichen Aufschwungs innerhalb weniger Jahre zu Weltrang auf, um den nun politischen Führungsanspruch auch gesellschaftlich zu demonstrieren. Dies ist vor allem den finanziellen Zuschüssen von staatlicher Seite sowie dem bürgerlichen - vor allem jüdischen - Mäzenatentum andererseits zu verdanken. Der Kronprinz Friedrich Wilhelm bemühte sich ebenfalls, daß private Mäzenatentum für die Museen zu stärken. Zusammen mit Victoria widmete er sich dem Aufbau der Museen mit den Mitteln, die ihnen zur Verfügung standen.

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