5.1. Geschichte der Frauenbewegung

Die ersten konkreten Ansätze einer Frauenbewegung in Deutschland entstanden in den 1840er Jahren mit dem Aufkommen der industriellen Revolution, als sich das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben - auch der Frauen - veränderte. Im Vergleich zum europäischen Ausland fand die Bewußtseinswerdung der Frau erst verzögert statt. In Frankreich war die Französische Revolution Auslöser für den Protestzug der Frauen nach Versailles und der folgenden Organisation einer Frauenbewegung gewesen.[259] In England sorgte die industrielle Revolution für eine Bewußtseinsänderung der Frauen. Die dortige Entwicklung der Frauenbewegung ähnelte sehr stark der deutschen, geschah jedoch zeitversetzt. Mit beginnender Arbeiterbewegung und zunehmender Berufstätigkeit der Frauen konstituierten sich Vereinigungen zur Verteidigung der Rechte der Frauen. Ursache für den deutschen Verzug war wohl die erst später einsetzende industrielle Revolution und das Ausbleiben einer gesellschaftlichen Revolution, wie es in Frankreich geschehen war.
In den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts macht eine Frau besonders von sich reden, da sie sich erstmals öffentlich für die Rechte der Frau einsetzte. Es war Louise Otto-Peters (1819 - 1895), die als sogenannte Begründerin der Frauenbewegung Eingang in die Geschichtsbücher fand. Bereits 1843 rief die aufgrund ihrer politische Poesie als "Lerche des Völkerfrühlings" titulierte[260] aus, daß "die Teilnahme der Frauen an den Interessen des Staates [...] nicht ein Recht, sondern eine Pflicht [sei]."[261] 1849 gründete Louise Otto-Peters (1819 - 1895) in Deutschland die erste politische Frauen-Zeitung mit dem Motto: "Dem Reich der Freiheit werb' ich Bürgerinnen". Denn "die Geschichte aller Zeiten, und die heutige ganz besonders, lehrt, daß diejenigen auch vergessen werden, welche an sich selbst zu denken vergaßen! [...] Wohlauf denn, meine Schwestern, vereinigt Euch mit mir, damit wir nicht zurückbleiben, wo alles [...] vorwärts drängt und kämpft. [...] Wir wollen auch unser Teil fordern und verdienen an der großen Welt-Erlösung, welche der ganzen Menschheit, deren eine Hälfte wir sind, endlich werden muß."[262]
Louise Otto ging noch einen Schritt weiter und sah die Bildung nicht nur zum Zweck der wirtschaftlichen, sondern auch für persönliche, gesellschaftliche und die politische Selbständigkeit für die Frauen. Diese politisch orientierten Ziele waren zu Zeiten der Rechtlosigkeit der Frauen eine gewagte, aber auch zukunftsweisende Forderung.
Dieses erstmalige öffentliche Aufbegehren der Frauen und ihr Einsatz für eine bessere Bildung und mehr Rechte wurde mit dem Scheitern der Revolution von 1848 vorerst ad acta gelegt.[263] Die Bildungssituation der Frauen blieb bis in die 60er Jahre fast unverändert. Sie war vor allem darauf ausgerichtet, den Männern arbeitsame Hausfrauen und gute Mütter zu erziehen. Zwar war das Schulwesen, die Volksschulen für Jungen und Mädchen der nichtbürgerlichen Schichten ebenso wie das höhere Jungenschulwesen, in Deutschland, im Gegensatz zu England, bereits öffentlich geregelt, jedoch gab es keine weiterführenden Schulen für Mädchen.[264] Die höheren Mädchenschulen, die existierten, bildeten ihre Schülerinnen vor allem dahingehend aus, eine perfekte Hausfrau, Gattin und Mutter zu werden. Neben den üblichen Handarbeiten wie Nähen und Sticken wurden ihnen nur die notwendigsten Grundkenntnisse aus allen Bereichen gelehrt. Aber eine fundierte wissenschaftliche Ausbildung, die der der Männer gleichgekommen wäre, erhielten sie nicht.
Ihre Rettung sahen die Frauen in der Verbesserung der Bildung, die ihnen neben der Berufstätigkeit auch das eigenständige Denken erlauben würde. "Das Weib muß im Allgemeinen und für das Allgemeine sowie für die eigene Ausbildung mit derselben Freiheit wirken können wie der Mann."[265] Anfangs wurde die Ausbildung vor allem auf speziell feminine außerfamiliäre Aktivitäten wie karitative Tätigkeiten und Lehrberufe ausgerichtet.
1865 bemühte sich Louise Otto-Peters abermals, die Frauen zu organisieren und die Gesellschaft auf die Mißstände aufmerksam zu machen. Sie beraumte die erste 'Allgemeine Deutsche Frauenkonferenz' in Leipzig an, auf welcher "Arbeit zur Pflicht und Ehre des weiblichen Geschlechts" erklärt wurde.[266] Zusammen mit Auguste Schmidt, Helen Goldschmidt und Lina Morgenstern gründete sie dort den 'Allgemeinen Deutschen Frauenverein.'[267] Zielsetzung des Vereins war das Recht auf bezahlte Arbeit. Diese Forderung jedoch setzte eine entsprechende Ausbildung voraus, welche wiederum politischen Einfluß - ergo auch politische Rechte - als Folge mit sich brachte.[268]
Diese Forderungen der Frauenbewegung teilte auch die Kronprinzessin Victoria, die mit den bekanntesten bürgerlichen Frauen der Bewegung eng befreundet war.
"Der kleine Kreis von Frauen, den sie um sich versammelte - es gehörten ihm neben Henriette Schrader u.a. Hedwig Heyl, Anna von Helmholtz, A. von Cotta, Ulrike Henschke, Anna Schepeler-Lette, Luise Jessen an -, wußte die fast freundschaftliche Offenheit zu ehren, mit der sie sich in solchen Augenblicken gab."[269]
Sie redeten über die Möglichkeiten, die ihnen im Kampf um Gleichberechtigung offen standen. Die Verbesserung der Bildungssituation stand dabei im Mittelpunkt, welche bereits im Kindesalter beginnen sollte. Eine Institution, die sich dem verschrieben hatte, war das Pestalozzi-Fröbel-Haus, welches von Henriette Schrader-Breymann ins Leben gerufen worden war.

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