Die gleichen Gesichtspunkte führten zur Gründung des Lette-Vereins, welcher jedoch keine emanzipatorischen, im weiteren Sinne politischen Absichten verfolgte, sondern sich lediglich für die Berufstätigkeit der Frau einsetzte. Dieser wurde im Gegensatz zum Allgemeinen Deutschen Frauenverein von Männern organisiert, welche dem liberalen Bildungsbürgertum angehörten und den Londoner Verein zur Förderung der Frauenarbeit als Vorbild hatten. Wilhelm Adolf Lette gründete ihn 1866, und noch heute existiert er in Berlin. Lette war seit 1848 Abgeordneter im Frankfurter Paulskirchenparlament und gehörte liberaldemokratischen Kreisen an.[298] |
Der Allgemeine Deutsche Frauenverein war ein autonomes, von Frauen selbst gegründetes Modell zur Organisation von Frauen. Hier konstituierte sich die Frauenbewegung. Durch die 1850 erlassenen Vereinsgesetze war es Frauen und Minderjährigen verboten, Mitglied in einem politischen Verein zu werden, geschweige denn an politischen Versammlungen teilzunehmen, so daß die offiziellen Ziele des Vereins nicht politisch orientiert waren. Diese Gesetze, die den Frauen sämtliche politische Rechte verwehrten, waren in Preußen bis 1908 gültig und Mitursache für die Verspätung der organisierten Frauenbewegung in Deutschland. Dieser Umstand konnte die Frauenbewegung nicht entmutigen und von ihrem eigentlichen Ziel - dem Streben nach der Gleichberechtigung der Frau auch im politischen Bereich - abbringen. Natürlich war eine fundierte Bildung der erste Schritt in diese Richtung. |
Der Lette-Verein war davon überzeugt, daß "die Erwerbstätigkeit der Frauen wirksam und nachhaltig nur gefördert werden könne, indem man ihnen Gelegenheit zu einer gründlichen wissenschaftlichen und technischen Ausbildung gibt."[299] Jedoch war dieses Ziel einzig auf den Beruf der Frau ausgerichtet; Der Lette-Verein sah im Gegensatz zum Allgemeinen Deutschen Frauenverein auch in Zukunft die Bestimmung der Frau in der Rolle der Ehefrau und Mutter. Dies schloß jedoch die von der Frauenbewegung ebenfalls geforderten politischen Rechte von vornherein aus. |
"Was wir nicht wollen und niemals, auch nicht in noch so fernen Jahrhunderten wünschen und bezwecken, ist die politische Emancipation und Gleichberechtigung der Frauen. [...] Der alte Satz der christlichen Kirche 'mulier taceat in ecclesia' gilt für alle Zeit nicht bloss für die kirchliche, sondern auch für die politische Gemeinde."[300] |
Das Protektorat des Vereins übernahm dennoch die Kronprinzessin Victoria, obschon ihr diese Ziele bekannt waren und ihre Ansicht sich nicht mit ihnen deckte. |
"Ihre Königliche Hoheit die Frau Kronprinzessin wenden den Bestrebungen, welche der in der Bildung begriffene Verein zur Beförderung der Erwerbsfähigkeit des weiblichen Geschlechts zum Ausdruck bringt und demnächst zu verfolgen gedenkt, ein lebhaftes Interesse und eine rege Theilnahme zu und geben Höchst Sich gern der Hoffnung hin, daß der Verein diejenige allseitige Anerkennung und Unterstützung finden möge, auf welche seine schönen und wohlthätigen Zwecke einen so gerechten Anspruch haben."[301] |
Vielleicht kann ihre Förderung auch dahingegen verstanden werden, daß die ersten Forderungen der Frauenbewegung nach Verbesserung der Bildung deckungsgleich mit jenen des Lette-Vereins waren. Diese Annahme wird von der Äußerung einer der führenden Frauen der deutschen Frauenbewegung, Helene Lange, unterstützt: |
"Mir bleibt der Versuch, zu zeigen, [...]wie es tatsächlich um ihre innere Stellung zur Frauenbewegung stand, über die so manche Tageszeitungen, die eine Beschäftigung mit der Frauenfrage schon an sich für ein leichtes Brandmal halten, so viel Unverstandenes und Mißverständliches beibringen. Die Vorbedingungen dazu zu schaffen, das schien ihr die nächste Aufgabe der Frauenbewegung; an diesem Punkte würde sie selbst eingesetzt haben, wenn Kaiser Friedrich, der hier ganz eines Sinnes mit ihr war, eine längere Herrschaft beschieden gewesen wäre."[302] |
Obwohl sowohl der Lette-Verein als auch der Allgemeine Deutsche Frauenverein eine Verbesserung der Bildungssituation für Frauen im Sinn hatte, war ihre Ausrichtung von Anfang an verschieden. Der Allgemeine Deutsche Frauenverein war von Frauen für Frauen ins Leben gerufen worden, zum einen mit der Absicht, die Erwerbsmöglichkeiten zu verbessern, zum anderen um sich allmählich für mehr Rechte für die Frauen einzusetzen. Zwar wurden nicht von Beginn an politische Rechte demonstrativ gefordert, gleichwohl war die Bewegung darauf ausgerichtet. Der Lette-Verein hingegen war von Männern für Frauen gegründet worden, derweil eine Gleichberechtigung oder aber auch eine Verbesserung der Rechtslage der Frau nicht angestrebt wurde. |
Bei allen Aktivitäten des Lette-Vereins[303] fiel stets der Name der Kronprinzessin Victoria von Preußen ins Auge. Sie war die Protektorin des Vereins; dies war nicht nur eine geistige Ägide, sondern verbunden damit war auch ein erheblicher finanzieller Zuschuß, der neben anderen dem Verein gerade in seiner Gründungszeit das Überleben sicherten. |
"Präsident Lette durfte die Versammlung[304] mit der freudigen Mitteilung eröffnen, daß Ihre Königliche Hoheit die Frau Kronprinzessin durch ein Schreiben ihres Kabinettssekretärs, [...] ihre huldvolle Teilnahme an den Bestrebungen des Vereins habe aussprechen lassen, welche auch noch durch ein Geschenk von 500 Thalern bestätigt worden sei. Zum ersten Male war in Verbindung mit dem Verein [...] der Name der hohen Frau genannt worden, welcher fortan auf das innigste mit seiner Geschichte verwebt bleiben sollte, dem wir auf jedem Blatte derselben zu begegnen haben werden, nicht nur als Protektorin, die sie auf Bitte des neugewählten Vorstandes ward, sondern auch als kluge, weitblickende Beraterin, als tätige Helferin, als Gönnerin und Freundin, welche im höchsten Erdglück wie im herbsten, tiefsten Leid nie die Arbeitsstätten des Vereins aus den Augen verlor, allezeit die schützende Hand darüber hielt."[305] |
Auch 1872 bei der Planung und dem Bau eines Vereinshauses unterstützte sie tatkräftig die Spendenaufrufe.[306] Daneben stiftete sie in den darauffolgenden Jahren mehrere Freistellen, steuerte den Verkaufsausstellungen selbst hergestellte Werke bei und war bei den Abschlußprüfungen der Unterrichtsveranstaltungen, die der Verein später durchführte, anwesend. |