"[...] sie suchte den ganzen Stand der Krankenpflege durch Vorbildung und wissenschaftlichen Ausbildung zu heben."[307] |
Der Schwerpunkt der Frauenbewegung lag in den Anfangsjahren auf der Verbesserung der Bildungs- und Erwerbsmöglichkeiten unter anderem auch im Bereich der Krankenpflege. Victoria setzte sich während ihrer Zeit als Kronprinzessin nicht nur für eine fundierte Ausbildung von Krankenschwestern ein, sondern plädierte auch für eine Reform des gesamten Gesundheitswesens. Ausschlaggebend für dieses Engagement mag neben dem Engagement ihres Vaters auch die Begegnung mit Florence Nightingale gewesen sein. Sie hatte die weibliche Krankenpflege neu organisiert und dadurch zum einen den Notstand in der sozialen Fürsorge behoben, zum anderen eröffnete sie den Frauen eine weitere Möglichkeit, einen Beruf zu ergreifen und finanziell unabhängig zu werden. Königin Victoria berichtet von dem Treffen mit Florence Nightingale: |
"Ich habe Dir [Königin Augusta von Preußen] nie gesagt, daß wir in den letzten 14 Tagen die Bekanntschaft der berühmten Miss Florence Nightingale gemacht haben, [...]die uns außerordentlich gefällt. Sie ist eine seltene Erscheinung, sehr einfach, sehr sanft, sehr ladylike und aufs äußerste bescheiden; dabei besitzt sie einen männlichen Verstand und die größte Ruhe."[308] |
1884 übernahm die Kronprinzessin die Schirmherrschaft über den Verein 'Victoriahaus für Krankenpflege'. Diese Organisation war, wie ihre Vorläuferorganisation, der "Verein für die häusliche Gesundheitspflege", von der Kronprinzessin gegründet worden. Er war dem Krankenhaus im Friedrichshain angeschlossen und aus dem 1876 gegründeten Pflegerinnenhaus entstanden. Der mit Victoria eng in Kontakt stehende Prof. Virchow hatte bereits 1869 in einer Rede vor dem Berliner Frauenverein verlangt, "jedes größere Krankenhaus müsse zu einer Ausbildungsstätte für weltliche Krankenpflegerinnen werden".[309] Minna Cauer, ebenfalls eine engagierte Kämpferin für die Rechte der Frauen und zum näheren Freundeskreis Victorias gehörig, faßte die Absichten der Kronprinzessin bei der Gründung dieser Organisation folgendermaßen zusammen: |
"Sie wollte die Krankenpflege als Beruf für die Frauen. Sie sprach es unumwunden in den Sitzungen aus, welche sie in musterhafter Weise leitete, daß das Diakonissentum nicht für jedermann sei, daß aber, um eine weltliche Krankenpflege zu schaffen, nur die beste und gediegenste Ausbildung ein Äquivalent für das fest organisierte und von außen her so geschützte Diakonissentum bieten könne. Erweiterung der Berufstätigkeit der Frau, Teilnahme an gemeinnütziger Arbeit, die beste und gediegenste Ausbildung, alles das wurde von der Kaiserin immer und immer als Mittel zur Hebung des Frauengeschlechts betont.[310] |
Bis zur selbständigen Ausbildung in Berlin übernahm das Krankenhaus Friedrichshain Schwestern aus London. Der Neubau dieses Krankenhauses[311], welches lange Zeit als Vorbild für weitere Bauten stand, war von dem Pathologen und Anthropologen Professor Rudolf Virchow (1821 - 1902) 1868 begründet worden und 1874 bezugsfähig. Virchow war Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses und eng mit dem Kronprinzenpaar befreundet. Rege unterstützte er sie bei ihren Bemühungen für die Ausbildung der Krankenschwestern und der Reform des Gesundheitswesens. Jedoch standen die fürstlichen Frauen und auch die Politiker diesem Engagement ablehnend gegenüber. |
"Wer das eigene Haus zu besorgen und zu verantworten hat, der darf sich nicht der Ansteckung und dem Degout aussetzen, ja, was noch mehr ist, ich halte den Besuch der Lazarette für die Kronprinzessin nicht einmal für richtig."[312] Unterstützung erhoffte sie sich in ihrem liberalen Freundeskreis, zu welchem auch aktive Politiker wie Georg von Bunsen zählten. |
"Die Kronprinzessin [...] hoffe, daß ich [Georg von Bunsen] und andere Reichstagsmitglieder eine Petition, welche demnächst dort vorgebracht werden würde, unterstützen möchten. Die Petition beantrage die Gründung eines Gesundheitsamtes, das [...] sanitäre Reformen durchsetzen könne."[313] |
Grundlagen der Reform sollte eine Verbesserung der hygienischen Bedingungen sein, wozu neben Sauberkeit und frischer Luft auch der Ausbau des Abwassersystem zählten. |
Trotz der Zurückweisungen, die ihr Reformwillen anfangs auslöste, gelang ihr dennoch deren Durchsetzung.[314] Sogar ihr Sohn Wilhelm II. wußte dieses Engagement positiv zu beurteilen: |
"Bahnbrechend hat sie damals in Verfolgung ihrer karitativen Bestrebungen besonders auf hygienischem Gebiete gewirkt. Was sie für die Verbreitung heute uns selbstverständlich erscheinender Einrichtungen, wie z.B. Badeeinrichtungen, getan hat, ist gar nicht abzuschätzen. Die Krankenpflege betrachtete sie als ihr ureigenstes Feld, sie rief hier u.a. die Vereinigung der Victoriaschwestern ins Leben, richtete auch in den Kriegsjahren in ihrem Berliner Palais [...] Lazarette ein und gab Anregungen, denen das Reichsgesundheitsamt seine Entstehung verdankt."[315] |