"Cronberg, 11.12. Kaiserin Friedrich besuchte uns heute auf der Durchreise. Sie war wieder voller Pläne, die sie nach ihrer Rückkehr ausführen will. Ihr Sinn ist immer auf gemeinnützige Bestrebungen gerichtet. In ihrem hochherzigen Tätigkeitsdrang möchte sie allen Menschen materiell und intellektuell helfen."[363] |
Die Kaiserin interessierte sich fortan nicht nur für den Erhalt des historischen Kronbergs, wie der Burg und der Johanniskirche, sie vergaß auch nicht die Nöte der Bevölkerung und versuchte, diese zu lindern. Dazu zählten die Erbauung eines Krankenhauses, eines Armenhauses, der Victoriaschule und einer Volksbibliothek. |
6.2.1. Burg Kronberg |
"Ihre Majestät nehmen einen besonderen Anteil an der alten Burg zu Kronberg und wünschen, deren würdige Erhaltung und Ausschmückung auch wohl den Ausbau und die Wiederherstellung einzelner Teile des Innern, selbständig in die Hand zu nehmen."[364] |
Die Kronberger Burg vor dem Verfall zu retten, deren Ursprünge zurück ins 13. Jahrhundert reichen, war das Anliegen der Kaiserin bereits vor der Fertigstellung ihres neuen Schlosses. Die Burg wurde 18. Jahrhundert zerstört und seither nicht mehr in Stand gesetzt. 1889, als ihr Witwensitz noch nicht fertiggestellt war und sie in Homburg residierte, beklagte Victoria den ruinösen Zustand der Burg und erkundigte sich "durch ihren Schloßhauptmann Ludwig von Ompteda[365] bei der Königlichen Regierung in Wiesbaden nach einer Möglichkeit, die Burg für zwanzig bis dreißig Jahre in eigene Verfügung zu übernehmen".[366] |
Sie hegte den Wunsch, das heute zum Wahrzeichen der Stadt gewordene Gebäude zu erwerben und durch eigenständige Restaurierung vor dem Verfall zu retten. Jedoch gestaltete sich der Kauf als verwaltungstechnisch äußerst schwierig, so daß schließlich ihr Sohn in die langen Verhandlungen[367] eingriff, die Burg kaufte und sie seiner Mutter als Geschenk vermachte. |
"Den unerwarteten und nicht ganz verständlichen bureaukratischen Schwierigkeiten trat S.M. der Kaiser, dessen künstlerisches Auge diese Schönheiten sofort gewürdigt hatte, persönlich entgegen und - sie verschwanden wie Nebeldünste vor der Sonne. Der allerhöchste Herr erwarb die Burg käuflich vom Staate; dann legte Seine Majestät der hohen Frau Mutter den gewünschten Besitz auf den Weihnachtstisch des Jahres 1891."[368] |
In den Verhandlungen, die von Ompteda mit der Königlichen Regierung führte, ging es vor allem darum, die Regierung von der positiven Seite des Kaufs zu überzeugen, da diese sich finanziell nicht in der Lage sah, das Gebäude standesgemäß zu erhalten. Der Kaiserin Friedrich hingegen lag besonders "an der Sicherung des dauernden Fortbestandes der Burg, als einer wertvollen malerischen Zierde der Landschaft und eines ehrwürdigen Zeugen aus der Vergangenheit ihres Wohnsitzes."[369] Nach etlichen Verhandlungen sahen die Verantwortlichen ein, daß ein Verkauf für beide Seiten nur positive Auswirkungen haben würde. Ein Minister schrieb, |
"daß der Uebergang des Schlosses in den Besitz Ihrer Majestät der Kaiserin und Königin Friedrich, welche für dessen Erhaltung und Verschönerung zweifellos weit mehr tun wird, als staatlicherseits geschehen könnte, dem Schlosse selbst und der ganzen Gegend nur zum Vortheile gereichen könnte."[370] Staatlicherseits forderte man, daß Victoria und ihre Nachfolger die Bedingung akzeptieren sollten, "das Schloßgebäude in demjenigen baulichen Zustande, in welchem es sich zur Zeit der Übergabe befindet, dauernd zu erhalten, dem anständigen Publikum das Betreten des Schloßhofs zum Zweck des Besuchs des Aussichtsthurmes zu gestatten und das Verkaufsobjekt an eine andere Person, als an ein Mitglied der Königlichen Familie, nicht ohne Allerhöchste Genehmigung zu veräußern."[371] |
Diese Voraussetzung entsprachen durchaus den Restaurierungsabsichten der Kaiserinwitwe. Kaiser Wilhelm II. veranlaßte am 21. Dezember 1891, |
"daß das fiskalische Schloß zu Cronberg im Regierungsbezirk Wiesbaden nebst Zubehörungen unter den vorgeschlagenen Bedingungen, nemlich gegen Uebernahme aller fiskalischen Verpflichtungen, sowie der Unterhaltslast, im Uebringen aber ohne Zahlung eines baren Kaufpreises an die Krone eigenthümlich abgetreten werde."[372] |
Nun konnte Vicky sich endlich um den Erhalt der Burg kümmern, nachdem sie ihr von ihrem Sohn als Weihnachtsgeschenk überantwortet worden war. |
Sofort veranlaßte die Kaiserin die Restaurierung unter der Leitung von Louis Jacobi. Dieser schrieb 1894 ein Gutachten, wonach "es die Absicht Ihrer Majestät ist, daß der Burgbau möglichst genau in der alten Weise allmählich werde[...]".[373] |
Auch widmete sie sich selbst akribisch der Wiederherstellung und besprach sich sie diesbezüglich oftmals mit dem Maler Norbert Schrödl. "Cronberg, 20.7. Heute holte uns die Kaiserin zur alten Burg ab, um mit Norbert an Ort und Stelle einiges über die von ihr geplanten Wiederherstellungsarbeiten zu beraten."[374] Sie erstellte Skizzen, nach welchen die Handwerker ihre Arbeit verrichteten und achtete bei ihren Ausflügen stets auf alles, "was sich etwa irgend an alten baulichen Einzelheiten [für die Restaurierung] fand."[375] |
Sie studierte wissenschaftlich genau etliche Publikationen bezüglich der Burg als auch der Johanniskirche, die sie sich von ihrem Bibliothekar Leinhaas zur Verfügung stellen ließ. Dieser berichtete darüber: |
"Jede Einzelheit, wie z.B. Erker, Fenster, Thüren, Beschläge usw. wurde oft Monate lang immer von Neuem unter Herbeiziehung eines großen Materials an Buchwerken, Zeichnungen, Photographien studiert und festgestellt, bevor der Auftrag zur Ausführung gegeben wurde."[376] |
Außerdem fand sich die Kaiserin oft an der Baustelle ein, um die Ausgrabungen zu verfolgen, bei welchen ansehnliche Funde ans Tageslicht kamen, und um Anweisungen bezüglich der Instandsetzung zu erteilen. Die Kaiserin zeigte sich stets interessiert bei der späteren Restaurierung der alten Stadtkirche und dem Neubau des Krankenhauses. Immer wieder erschien er persönlich vor Ort, um das Fortschreiten zu überwachen.[377] |
Leider war es der Witwe nicht mehr möglich, die gesamte Wiederherstellung durchzuführen und mitzuerleben. Bis zu ihrem Tod 1901 war das Flügelstammhaus restauriert, das Kronenstammhaus zumindest in seiner Substanz gesichert. Bedauerlicherweise gingen bei den Arbeiten einige Ruinenstücke verloren, wobei jedoch ohne ihr Einschreiten von der Burg sicher nur eine dem Verfall überlassene Ruine geblieben wäre.[378] Den Großteil der Kosten hatte sie aus eigener Tasche bezahlt, allerdings war es ihr auch gelungen, andere private Geldgeber für die Burg zu begeistern. |
Neben ihrem Interesse für das historische Denkmal widmete sie sich mit ebenso großem Elan der Geschichte des Geschlechts derer von Cronberg, welche jahrhundertelang bis 1704 Besitzer und Bewohner der Burg waren und welche entfernt mit der Kaiserin verwandt waren. |
Sie veranlaßte Nachforschungen über das inzwischen verstorbene Geschlecht, mit einer anschließenden Publikation durch den Freiherrn von Ompteda. Einerseits um sich über die Verwandtschaftsverhältnisse zwischen ihr und den von Cronbergs zu informieren, andererseits um die Aufarbeitung der Kronberger Geschichte voranzutreiben.[379] |
"Vor etwa 4 Jahren gaben Euere Majestät mir die huldreiche Anregung und Ermächtigung: meine Musse zu einer Arbeit über das schon seit zwei Jahrhunderten erloschene reichsritterliche Geschlecht derer 'von Kronberg' zu verwerten, dessen Nachfolge auf seinem Stammsitze Euere Majestät um jene Zeit angetreten hatten. Der Anteil an dieser Vergangenheit war erweckt durch [...] das genealogische Band, das Euere Majestät selbst, als Glieder der erlauchten Häuser: England, Hannover und Sachsen-Coburg-Gotha, das ferner unser kaiserliches und königliches Haus, durch Braunschweig, Mecklenburg-Strelitz und Sachsen-Weimar, als weibliche Nachkommen mit den Kronbergen verknüpft."[380] |
Sie zeigte also nicht nur ein Interesse an dem Wiederaufbau, sondern hielt eine fundierte wissenschaftliche Aufarbeitung der Geschichte für notwendig, welche sie ebenfalls finanzierte. |
6.2.2. Johanniskirche |
"Und die letzte Arbeit ihrer kunstvollen Hand war ein großartiger Behang für den unteren Theil der Chornische, welchen sie gemeinsam mit den Prinzessinnen Töchtern und den Damen ihres Hofstaates in mühevollster Thätigkeit anfertigte."[381] |
Bei der Restaurierung der gotischen Stadtkirche von Kronberg engagierte sich die Kaiserin nicht nur in finanzieller Hinsicht, sondern stellte einen von ihr und anderen Damen handgefertigten Wandbehang zur Verfügung und stand außerdem mit Rat und Tat zur Seite. "[...] man könnte sagen, es sei kein einziger Nagel eingeschlagen worden, ohne ihre Anordnung."[382] Während der Restaurierungsarbeiten fand sich ein Fresko aus dem 15. Jahrhundert und in dem Tonnengewölbe eine Holzdecke, deren Bemalung erhalten geblieben war.[383] Alte, in der Kirche gefundene Kunstwerke konnten vor dem Verfall gerettet und aufgearbeitet werden. Den Chor befreite man von Ausschmückungen aus dem 18. Jahrhundert und von der Orgel, welche an der Triumphbogenwand aufgestellt worden war und nun ihre ursprüngliche Position an der Westseite erhielt.[384] 1897 kaufte Victoria der Kirchengemeinde eine moderne neue Orgel und ließ sie gegen die alte austauschen. |
Norbert Schrödl, der der Witwe oft bei den Restaurierungsarbeiten beratend zur Seite stand, stieß eines Tages auf eine mit Öl übermalte Holztafel, "die ihrer Form nach auf ein Altarbild mit Seitenflügeln schließen ließen."[385] Die Kaiserin sorgte für die Entfernung der Übermalung, wobei sich herausstellte, daß es von einem mittelrheinischem Künstler in den Jahren zwischen 1440-1450 gemalt worden war[386] und zu den wertvollsten Kunstwerken der Kirche gehörte. Des weiteren wurde ein Schatzkästchen Franks XII. und Katharinas von Isenburg in den ursprünglichen Zustand versetzt.[387] Die Erhaltung oder Wieder-herstellung von mittelalterlichen Kunstschätzen war typisch für das 19. Jahrhundert. Victorias Rettung der historischen Bauten und Kunstwerke ist demnach nicht außer-gewöhnlich, sondern charakteristisch für ihre Zeit. |
6.2.3. Kronberger Malerkolonie[388] |
"Zu Wohltätigkeitsveranstaltungen steuerte die Kaiserin gern eigene Bilder bei."[389] |
Als Victoria nach Kronberg zog, war der Maler Norbert Schrödl, Mitglied der Kronberger Malerkolonie,[390] einer ihrer engsten Freunde. Bereits in Berlin auf der 50. Herbstausstellung 1877 hatten die beiden sich kennengelernt und seither besuchte sie ihn regelmäßig in seinem Atelier. Schrödl hatte neben Berlin einem Atelier in Berlin auch eines im Städelschen Kunstinstitut in Frankfurt.[391] 1889 zog er für immer nach Kronberg. |
Als die Kaiserin 1894 Friedrichshof bezog und bei Schrödl Malunterricht nahm, zählte sie bereits zu den Malerinnen, welche eine gute Ausbildung genossen hatten und für die Malen nicht nur ein Zeitvertreib war. "Ihr Können ging weit über das Vermögen einer Hobbymalerin hinaus."[392] |
Neben ihrer Freundschaft zu Schrödl trat sie in Kontakt zu dem Spiritus Rector der Kronberger Malerkolonie: Anton Burger. Er war bekannt für seine Offenheit gegenüber Künstlerinnen.[393] Diese Haltung wirkte sich positiv auf die Atmosphäre in der Malerkolonie aus, die durchaus frauenfreundlich war,[394] als Victoria in Kronberg ankam, jedoch durch ihre Anwesenheit und ihr Können als Malerin weitere Anerkennung erfuhr. "Was man bei der Kaiserin bewunderte, konnte man bei Gleichstrebenden nicht tadeln!"[395] |
Sie trug daher nicht nur durch das Stiften ihrer Gemälde Wohltätigkeitsveranstaltungen zum Wohl der Bevölkerung bei, sondern ebenso durch ihre Mitgliedschaft in der Kolonie, welche das Ansehen der Künstlerinnen erhöhte und den Malerinnen den Weg zur gesellschaftlichen Anerkennung wenigstens ein wenig ebnete. |
6.2.4. Volksbibliothek |
"Ich könnte mir gut vorstellen, daß meine Urgroßmutter in dem ihr eigenen liberalen Geist der Volksbibliothek das Motto 'fiat lux' - Es werde Licht - mit auf den Weg gegeben hätte."[396] |
1896 wurde die erste Volksbibliothek in Kronberg-Schönberg durch die Initiative der Kaiserin gegründet. |
"Cronberg, 20.7. Sonntag beim Abendessen in Friedrichshof ventilierte die Kaiserin den Gedanken, eine Volksbibliothek in Cronberg zu gründen, und erörterte lebhaft das 'Für und Wider'. Sie knüpfte einige sozialpolitische Betrachtungen daran, die solch tiefes Eindringen in diese Fragen bekundeten, daß mancher Sozial-Politiker von ihr lernen könnte."[397] |
Volksbüchereien entstanden seit Mitte des 19. Jahrhunderts[398] neben den bereits existierenden gewerblichen Büchereien und den Wissenschaftsbibliotheken, um die Bildung der Bevölkerung zu verbessern. Zu lesen gab es nicht nur Belletristik, sondern auch wissenschaftlichen Werke zur beruflichen Weiterbildung.[399] |
Die Bildungssituation in Kronberg Ende des Jahrhunderts war im Verhältnis zum Kaiserreich gesehen sehr gut, so daß der Wunsch nach einer Bibliothek auf Begeisterung sowohl bei den Lehrern als auch bei der Bevölkerung stieß. In Zusammenarbeit mit dem Arzt Dr. Dettweiler, der seinen Lebensabend in Kronberg verbrachte, schuf Victoria die neue Bibliothek. Zu Anfang stiftete sie einige Werke ihrer eigenen umfangreichen Büchersammlung als Dauerleihgabe. Die Einwohner konnten sich fortan unentgeltlich Bücher ausleihen, was sie auch den Worten des Kämmeres zufolge schon bald nach der Eröffnung rege in Anspruch nahmen: "Ihre neu eingerichtete Bibliothek 'would not be used, but the people rushed for the books'"[400] |
6.2.5. Kaiserin-Friedrich-Haus |
Noch bevor die Kaiserin ihren Witwensitz in Kronberg erbaute, kam der Wunsch in der Stadt nach einem eigenen Krankenhaus auf. Dieses Projekt konnte jedoch aufgrund mangelnder Finanzen nicht realisiert werden. Erst durch ihre Anwesenheit und den folgenden Aufschwung der Stadt konnte vor allem durch ihre Förderung das Krankenhaus gebaut und 1899 eingeweiht werden. 1896 wurde unter dem Protektorat Victorias der Cronberger Krankenhaus-Verein gegründet, welcher durch Spenden die Finanzierung sichern konnte. |
Andere Aktivitäten zur Sicherung des Krankenhausgebäudes waren Wohltätigkeitsveranstaltungen, wie der Bazar in Frankfurt. Künstler aus Kronberg und Frankfurt stellten ihre Bilder zur Verfügung, deren Erlös zur Hälfte dem Krankenhaus zu gute kam.[401] |
Unter den von den Künstlern gestifteten Bildern waren auch "drei von der Kaiserin Friedrich, ein Motiv aus Cronberg und eine Landschaft aus der Gegend von Trient, die hohe Preise erzielten."[402] Darüber hinaus übernahm sie das Protektorat für einen von Kronberger Künstlern gestalteten Kalender, welcher sich hervorragend verkaufte.[403] |
Nachdem 1896 die Grundsteinlegung erfolgt worden war, konnte bereits 3 Jahre später das Krankenhaus unter der Schirmherrschaft der Kaiserin bezogen werden. Die aus dem Berliner Verein der Victoria-Schwestern stammenden Gemeindeschwestern, welche auf Initiative Victorias bereits Ende der 80er Jahre noch vor der Planung des Krankenhauses nach Kronberg gekommen war, übernahmen die Pflege der Patienten.[404] |