Zunahme vektorassoziierter Infektionserkrankungen in Krisengebieten

Emergence of vector-borne diseases during war and conflict

  • Bereits in archaischer Zeit war der direkte Zusammenhang zwischen Kriegen und dem epidemischen Auftreten von Infektionserkrankungen bekannt und gefürchtet (SMALLMAN-RAYNOR & CLIFF, 2004). Mehr als 100.000 Todesfälle wurden während des Peloponnesischen Krieges 430-426 v.Chr. einer Infektionserkrankung zugeschrieben, bei der es sich höchstwahrscheinlich um das Läusefleckfieber handelte (RETIEF & CILLIERS, 1998). Bewaffnete Konflikte und Kriege führen früher wie heute zu Veränderungen der allgemeinen hygienischen, bevölkerungspolitischen und -dynamischen Situation, einhergehend mit Umwelt- und Verhaltensveränderungen, die erst die Grundlage für das Ausbrechen von Seuchen bieten. Insbesondere bedingt durch gastrointestinale, respiratorische und vektorenübertragene Infektionskrankheiten können die Mortalitätsraten vor allem bei Flüchtlingspopulationen bis um das 60-fache über dem Normalniveau liegen (TOOLE & WALDMANN, 1997). Vektorassoziierte Infektionserkrankungen (VI) wie Läusefleckfieber, Pest, Malaria, Schlafkrankheit und Viszerale Leishmaniose können, je nach Region und endemischem Vorkommen, einen beträchtlichen Anteil an dieser Mortalitätsrate haben und fokal zur Entvölkerung führen (FAULDE, 2001). Von 52 retrospektiv analysierten Kriegen im Zeitraum von ca. 480 v.Chr. bis 2002 wurden in 26 Fällen Leitausbrüche mit VIs festgestellt, davon in 11 Kriegen durch das Läusefleckfieber und in 10 Kriegen durch die Pest (RETIEF & CILLIERS, 1998). Aktuelle Untersuchungen weisen darauf hin, dass in Afrika bis zu einem Drittel der Todesfälle an Malaria bewaffneten Konflikten und Naturkatastrophen zugeschrieben werden kann (ANONYMUS, 2000a). VIs sind seit jeher von Kriegsparteien bewusst oder unbewusst verbreitet worden. Beschrieben wurde das Katapultieren von Pesttoten über die Stadtmauern von Kaffa durch die tartarischen Streitkräfte im Jahr 1346 (MICHELS, 2000) sowie die Initiierung der seit 1983 andauernden, verheerenden Kala Azar-Epidemien mit mehr als 100.000 Todesopfern im Südsudan durch infizierte Truppen aus Endemiegebieten an der sudanesisch-äthiopischen Grenze (NEOUIMINE, 1996). Makabre Bedeutung erlangten biowaffenfähige VIs und Zoonosen wie Anthrax, Pest, Tularämie und Q-Fieber in jüngster Vergangenheit vor allem dadurch, dass sie sich auch für bioterroristische Anschläge eignen können (MICHELS, 2000). Im militärischen Bereich ist die hohe Bedeutung von Infektionserkrankungen im Verlauf von Kriegen und Einsätzen bekannt und findet nach den Erfahrungen während des Zweiten Weltkrieges allgemein Berücksichtigung. Demnach waren im Jahr 1982 von den als militärisch relevant definierten 83 verschiedenen Infektionserkrankungen 53 (ca. 2/3 !) VIs bzw. Zoonosen (FAULDE, 1996). Gerade Auslandseinsätze erhöhen die Gefährdung für Soldaten trotz implementierter präventivmedizinischer Maßnahmen erheblich, an einer VI zu erkranken. Dementsprechend sind in vielen Streitkräften medizinische Entomologen beschäftigt, die primär für die wissenschaftliche Risikoevaluierungen vor Ort, einschließlich der Analyse des Transmissionsmodus sowie der Einleitung und gegebenenfalls auch Durchführung von Vektoren- und Nagetierbekämpfungsmaßnahmen zuständig sind (FAULDE et al., 1994). Erst die bitteren Erfahrungen der letzten Jahre haben bei vielen zivilen Hilfsorganisationen zu nachhaltigen Umdenkprozessen hinsichtlich der VIs geführt. Medizinisch entomologische Ausbildung des Fachpersonals, Risikobewertungen vor den Einsätzen, vektorepidemiologische Erkundung des Einsatzraumes, Vektorenüberwachung, -bekämpfung und -schutz sind insbesondere seit dem Oxfam-Kongress im Dezember 1995 als essentieller Bestandteil medizinischer Unterstützungsleistungen im Nachgang zum internationalen Hilfseinsatz für Ruanda 1994 anerkannt worden (THOMSON, 1995). Ziel der Arbeit ist daher, die ungebrochene Bedeutung der VIs für die betroffene Bevölkerung sowie für zivile Hilfsorganisationen und militärische Stabilisierungs- und Wiederaufbaukräfte an aktuellen Beispielen vorzustellen.
  • Throughout history, the deadly comrades of war and disease have accounted for a major proportion of human suffering and death. During conflict, human populations are often suddenly displaced, associated with crude mortality rates over 60-times higher than baseline rates. Promoting factors like mass movement of populations, overcrowding, no access to clean water, poor sanitation, lack of shelter, and poor nutritional status directly result in rapid increase of infectious diseases, especially measles, respiratory tract infections as well as diarrhoeal and vector-borne diseases. In 26 out of 52 retrospectively analysed wars from 480 B.C. to 2002 A.D., vector-borne diseases like plague, louse-borne typhus, malaria, yellow fever, relapsing fever, scrub typhus, and visceral leishmaniasis prevailed, or essentially contributed to, overall mortality. During the last decades, devastating war-related outbreaks of malaria, louse-borne typhus, trench fever, African sleeping sickness, visceral and cutaneous leishmaniasis and dengue fever have been reported. According to the humanitarian imperative to protect, or to re-establish, the health of the affected population, essential medical entomological expertise has been involved increasingly in complex emergencies in order to analyse transmission modes as well as the epidemiological impact. Adequate countermeasures, such as personal protection against arthropod vectors and vector control efforts have to be initiated and implemented subsequently, aiming at rapid and efficient interruption of transmission cycles. Recent experiences made during emergency situations reveal that more medical entomological expertise and involvement is necessary world-wide to successfully react on future disease threats.

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Metadaten
Author:Michael Faulde
URN:urn:nbn:de:hebis:30-1105260
ISSN:0344-9084
Parent Title (German):Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Allgemeine und Angewandte Entomologie
Publisher:Deutsche Gesellschaft für Allgemeine und Angewandte Entomologie
Place of publication:Gießen
Document Type:Article
Language:German
Date of Publication (online):2008/08/13
Year of first Publication:2006
Publishing Institution:Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg
Contributing Corporation:Laborgruppe Med. Zoologie des Zentralen Institutes des Sanitätsdienstes der Bundeswehr Koblenz
Release Date:2008/08/13
Tag:Flüchtlinge; Infektionskrankheiten; Krieg; Vektoren
arthropod-borne diseases; refugees; vectors; war
Volume:15
Page Number:9
First Page:327
Last Page:335
HeBIS-PPN:204265088
Dewey Decimal Classification:5 Naturwissenschaften und Mathematik / 57 Biowissenschaften; Biologie / 570 Biowissenschaften; Biologie
6 Technik, Medizin, angewandte Wissenschaften / 61 Medizin und Gesundheit / 610 Medizin und Gesundheit
Sammlungen:Sammlung Biologie / Sondersammelgebiets-Volltexte
Zeitschriften / Jahresberichte:Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Allgemeine und Angewandte Entomologie / Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Allgemeine und Angewandte Entomologie, Band 15 (2006)
:urn:nbn:de:hebis:30:3-300825
Licence (German):License LogoDeutsches Urheberrecht