Psychoethische Aspekte von Genanalysen bei Typ-1-Diabetes

  • Einleitung: Seit der Entschlüsselung des menschlichen Genoms ist die Bedeutung genetischer Forschung im Bereich der Prävention und Therapie chronischer Erkrankungen, zum Beispiel des Typ-1-Diabetes, stark gestiegen. Großangelegte multizentrische Forschungsarbeiten wie die Projekte des International Type 1 Diabetes Genetics Consortium (T1DGC) arbeiten an der Aufdeckung noch unbekannter genetischer Prädispositionen zur Entwicklung eines Typ-1-Diabetes und benötigen dafür die Hilfe von Multiplex-Familien. Die Rekrutierung dieser Familien ist schwierig, da in nur 15% der Familien mit Typ-1-Diabetes mehrere Familienangehörige betroffen sind. Um die Motivation zur Studienteilnahme eines solch kleinen Kollektivs besser zu verstehen, wurde die Einstellung zu genetischer Forschung aus Teilnehmersicht untersucht. Hintergrund sind hier die bei vielen Forschern vorhandenen ethischen Bedenken hinsichtlich der psychischen Belastung bei genetischen Untersuchungen für die Teilnehmer. So besteht ein – bisher kaum untersuchter - allgemeiner Konsens, dass die Konsequenzen von Genanalysen für die Betroffenen nicht einzuschätzen sind. Somit stehen die Forscher vor dem Dilemma, welches in der Notwendigkeit, Genanalysen durchzuführen, und in der Furcht vor einer zu hohen psychischen Belastung der teilnehmenden Personen besteht. Dies hat derzeit zur Folge, dass den Teilnehmern die Ergebnismitteilung in der Regel verwehrt wird. Ergebnisse: Von 180 angeschriebenen füllten 140 Teilnehmer des T1DGC-Projektes einen Fragebogen hinsichtlich ihrer Meinung zu genetischer Forschung und ethischen Fragestellungen anonym aus: 88,6% der Teilnehmer äußerten, dass sie generell genetische Forschung als sehr wichtig ansehen. Es gaben 60% der Befragten an, dass sie nicht genügend Informationen über das Projekt erhalten hatten. 95% der Teilnehmer wünschten ein vollständiges Verständnis der wichtigsten Studiendetails. Als bevorzugte Informationswege gaben die Teilnehmer schriftliche Informationen per Post oder durch eine Internet-Website an. 83,2% der Befragten möchten über das Vorliegen einer erblichen Hochrisiko-Konstellation für das Auftreten von Komplikationen informiert werden. Im Falle des Nachweises eines Hochrisikogens für Typ-1-Diabetes möchten 87,6% darüber aufgeklärt werden. 96,4% der Teilnehmer sind generell an einer Ergebnismitteilung interessiert. Es zeigten sich keine signifikanten Unterschiede im Antwortverhalten in Abhängigkeit von Betroffenenstatus, Alter, Geschlecht, Staatsangehörigkeit, Familienstand sowie Schul- bzw. Berufsabschluss. Schlussfolgerung: Für die Teilnehmer genetischer Studien zum Thema Typ-1-Diabetes ist der Wunsch nach ausführlicher, individuell angepasster Information grundlegend. Es muss festgestellt werden, dass die Teilnehmer am International Type 1 Diabetes Genetics Consortium (T1DGC) sich gut betreut, doch letztlich nicht ausreichend informiert gefühlt haben. Daraus lässt sich ableiten, dass neben dem individuellen Beratungsgespräch auch schriftliche Informationen mit klar konzipierter Wissensaufbereitung in Form von Websites, Broschüren und Rundbriefen (in elektronischer und/oder gedruckter Form) empfehlenswert sind. Ein wichtiges Ergebnis ist ferner, dass die Befragten die Sorge vieler Wissenschaftler und Ärzte nicht teilen, die Mitteilung eines erhöhten Erkrankungs- bzw. Komplikationsrisikos für einen Typ-1-Diabetes würde als zusätzliche Belastung empfunden werden. Im speziellen Fall der Multiplexfamilien bestanden allerdings bereits Erfahrungen mit der untersuchten Erkrankung des Typ-1-Diabetes. Eine Mitteilung, ob nun negativ oder positiv, wird im Vergleich zum Wissen um das Risiko keineswegs als psychische Bürde, sondern vielmehr als Chance zur Einflussnahme wahrgenommen. Es muss allerdings festgehalten werden, dass die Ergebnisse dieser Untersuchung sich mit dem Typ-1-Diabetes auf eine chronische, jedoch gut therapierbare und nicht generell lebenszeitverkürzende Erkrankung beziehen. Für die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf andere genetisch-bedingte Erkrankungen ist weitere Forschung notwendig. Der bisher bestehende Konsens, im Rahmen genetischer Studien keine Ergebnismitteilung bezüglich chronischer, unheilbarer Krankheiten durchzuführen, muss überdacht werden. Den Studienteilnehmern ist das Recht auf Selbstbestimmung ein grundlegender Wert. Diese Selbstbestimmung beinhaltet, dass das Pro und Contra einer Ergebnismitteilung selbst eingeschätzt werden kann. Möchte ein Studienteilnehmer das Ergebnis der Auswertung seiner biologischen Proben erhalten, sollte ihm dies nicht verwehrt werden.
  • Introduction: Since the human genome has been deciphered, genetic research in the preventive field and in the therapy of chronic diseases such as type 1 diabetes has become much more important. Large-scale, multicentric research, such as the projects of the International Type 1 Diabetes Genetics Consortium (T1DGC), is working to discover still unknown genetic predispositions for the development of type 1 diabetes, and for this purpose requires the help of multiplex families. It is difficult to recruit such families because in only 15% of families with type 1 diabetes are several members affected. To achieve a better understanding of the motivation for such small collectives to take part in studies, attitudes towards genetic research from the participants' perspective were investigated. The background was the ethical reservations many researchers have about the psychological stress genetic testing causes participants. There is general consensus – hitherto scarcely investigated – that the consequences of genetic analyses for those affected cannot be assessed. Researchers therefore face the dilemma of having to carry out genetic analyses despite fears of excessive psychological stress for those taking part. As a result, findings are currently not disclosed to participants. Results: Of the 180 participants of the T1DGC project approached, 140 completed an anonymous questionnaire on their views about genetic research and ethical issues. 88.6% stated that they generally considered genetic research to be very important. 60% of respondents stated that they had not received sufficient information about the project. 95% wanted a complete understanding of the most important details of the study. The preferred mode was written information by post or by internet website. 83.2% of respondents wanted to be informed about the existence of a hereditary high-risk constellation for the occurrence of complications, and 87.6% about evidence of a high-risk gene for type 1 diabetes. 96.4% of respondents were generally interested in receiving information on findings. There were no significant differences in response behaviour among participants in terms of affected status, age, gender, nationality, marital status, or school or vocational qualifications. Conclusion: Participants in genetic studies on type 1 diabetes have a fundamental wish for comprehensive, individually adapted information. It can be concluded that participants in the International Type 1 Diabetes Genetics Consortium (T1DGC) considered themselves well cared for but not sufficiently informed. This suggests that, in addition to individual consultation, it is advisable to provide written information in clearly clearly organised form on websites, in brochures, and in circulars (electronic and/or printed). Another important finding is that respondents do not share the concern of many scientists and physicians that informing them of an increased risk of contracting type 1 diabetes or of complications would cause additional stress. Multiplex families are a special case in that they have already had experience with type 1 diabetes, the disease under study. Compared with knowledge about the risk, information about negative or positive status is experienced not as a psychological burden but rather as an opportunity to influence the situation. It should, however, be noted that the results of this study on type 1 diabetes address a disease that is chronic but nonetheless amenable to therapy and which does not reduce life expectancy. Further research is required to ascertain whether the findings can be transferred to other genetically determined diseases. The prevailing consensus that findingson chronic, incurable diseases in genetic studies should not be disclosed needs to be rethought. Participants in such studies consider the right to self-determination to be fundamental. Self-determination involves the patient being able to judge the pros and cons of disclosing findings for themselves. If study participants wish to receive the results of the analysis of their biological samples, this should not be denied them.

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Metadaten
Author:Ulrike Löw
URN:urn:nbn:de:hebis:30-93751
Referee:Klaus BadenhoopORCiDGND
Document Type:Doctoral Thesis
Language:German
Date of Publication (online):2011/03/21
Year of first Publication:2010
Publishing Institution:Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg
Granting Institution:Johann Wolfgang Goethe-Universität
Date of final exam:2010/11/09
Release Date:2011/03/21
Note:
Diese Dissertation steht außerhalb der Universitätsbibliothek leider (aus urheberrechtlichen Gründen) nicht im Volltext zur Verfügung, die CD-ROM kann (auch über Fernleihe) bei der UB Frankfurt am Main ausgeliehen werden.
HeBIS-PPN:425152766
Institutes:Medizin / Medizin
Dewey Decimal Classification:6 Technik, Medizin, angewandte Wissenschaften / 61 Medizin und Gesundheit / 610 Medizin und Gesundheit
Sammlungen:Universitätspublikationen
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