Beobachtung des Wiederansiedlungsprojektes der Europäischen Sumpfschildkröte Emys orbicularis (Linnaeus 1758) in Hessen

  • Im Zuge des hessischen Wiederansiedlungsprojektes für die Europäische Sumpfschildkröte (Emys orbicularis) konnten in den Jahren 2002-2007 insgesamt 79 juvenile Sumpfschildkröten an vier Standorten (NSG „Hölle von Rockenberg“, NSG „Reinheimer Teich“, NSG „Nachtweid von Dauernheim“ und NSG „Nidderauen von Stockheim“) in Hessen ausgewildert werden. Ziel der vorliegenden Untersuchung war es, hinreichende Kenntnisse zur Biologie, Physiologie und Ökologie der ausgesetzten Jungtiere zu erhalten. Die generellen Erfolgsaussichten eines solchen Langzeitprojektes, das Verhalten der ausgesetzten Jungtiere und deren Gesundheitszustand standen hierbei im Vordergrund der Arbeit. Anhand verschiedener Methoden (direkte Beobachtung, Radiotelemetrie, Fang-Wiederfang) wurde die Ansiedlung über einen Zeitraum von fünf Jahren überwacht. Radiotelemetrische Studien sowie eine direkte Beobachtung erbrachten hierbei Informationen zur Raum- und Habitatnutzung der Jungtiere und den daraus resultierenden Lebensraumansprüchen. Durch dieses Wissen konnten weitere, sowie bereits bestehende, Wiederansiedlungsgebiete in dieser Region durch individuelle Maßnahmen optimiert werden. Des Weiteren konnte mit temperatursensitiven Messmethoden ein Überblick über das tägliche und saisonale Körpertemperaturspektrum der Art in Hessen ermittelt werden. Vor der Wiederansiedlung sowie im weiteren Verlauf der Untersuchung wurden in den jeweiligen Gebieten diverse Biotopsmaßnahmen durchgeführt. So z.B. das Ausbringen von zusätzlichen Sonnenmöglichkeiten in Form von Stämmen, das Anlegen von permanenten und temporären Flachwasserteichen, verschiedenste Biotopspflegemaßnahmen (Entschlammen, Entbuschen) und die Offenhaltung potentieller Eiablageplätze. Diese Maßnahmen zeigten im Laufe der Untersuchung nicht nur einen positiven Effekt für die Zielart Emys orbicularis, sondern auch für weitere, bestandsbedrohte Begleitarten (z.B. die Wechselkröte Bufo viridis). Die ausgesetzten Jungtiere hatten ein mittleres Alter von 3,44 ± 1,29 Jahren (2-6 Jahre) bei einer mittlere Masse von 197,1 ± 110,2 g (66-619 g) und einer mittleren Carapaxlänge von 9,91 ± 1,77 cm (6,71-14,87 cm). Alle Tiere wurden vor dem Aussetzen durch einen Mikrotransponder und eine individuelle Farbmarkierung auf dem Panzer gekennzeichnet. Mit Hilfe der Radiotelemetrie wurden die Aufenthaltsbereiche sowie das Wanderverhalten der Sumpfschildkröten in den Gebieten NSG „Hölle von Rockenberg“, NSG „Reinheimer Teich“ und NSG „Nachtweid von Dauernheim“ dokumentiert. Zusätzlich zu den herkömmlichen Radiotelemetriesendern konnten temperatursensitive Radiotelemetriesender verwendet werden, die sowohl über den Standort des Tieres als auch seine momentane Körpertemperatur Auskunft gaben. Es wurden hierbei insgesamt 34 Telemetriesender (9 ohne, 25 mit Temperaturfunktion) für eine Besenderung von 27 Individuen verwendet. Das entspricht einer Besenderungsquote von 42,3 %. Die durchschnittliche Masse der Sumpfschildkröten bei der Erstbesenderung betrug 238,6 ± 68,2 g bei einer Carapaxlänge von 10,80 ± 1,07 cm. Um einen Überblick über das Körpertemperaturspektrum der Art in Hessen zu erhalten, wurden temperatursensitive Radiotelemetriesender und ergänzend Temperaturdatenlogger (iButtons®) verwendet. Es zeigten sich sowohl individuelle als auch stark saisonal geprägte Temperaturmuster. Erwartungsgemäß konnten die höchsten Körpertemperaturen im Sommer (bis zu 44 °C) und die niedrigsten im Winter (bis zu -0,8 °C) dokumentiert werden. Der bevorzugte Temperaturbereich von Emys orbicularis wird aufgrund der vorliegenden Daten bei 25-32 °C vermutet. Die Aktivitätsperiode von Emys orbicularis in Hessen lässt sich von Mitte/Ende März bis Mitte Oktober, mit einem Aktivitätsmaximum in den Monaten Mai und Juni, angeben. Eine Erhöhung bzw. Erniedrigung der Körpertemperatur wurde durch Verhaltensweisen, wie Sonnenbaden oder das Aufsuchen von Wasser, erreicht. Sonnenbadende Sumpfschildkröten konnten in der Zeit von 07:15 bis 19:45 Uhr direkt beobachtet werden, die Hauptsonnenaktivität lag zwischen 09:00-15:00 Uhr. Hierbei konnte eine Tagesrhythmik des Sonnenbadens dokumentiert werden, die im Normalfall einen einphasigen Verlauf hatte. Die Schildkröten erschienen im Laufe des Vormittags auf dem Sonnenplatz und verblieben dort, unterbrochen von kurzzeitigem Aufsuchen des Wassers, bis in den Nachmittag hinein. Die bevorzugten Aufenthaltsbereiche und Strukturen unterlagen sowohl saisonalen als auch individuellen Präferenzen. Die Tiere nutzten zu 69,9 % Baumstämme als Sonnenplatz. Es wurden sowohl größere als auch kleinere Gewässer als Aufenthaltsbereich genutzt. Charakteristisch waren hier vor allem ausgedehnte Unterwasser- und Schwimmblatt-Gesellschaften in den Randbereichen, wie z.B. die „Untergetauchte Laichkrautgesellschaft“. Die Störanfälligkeit der beobachteten Sumpfschildkröten war sehr stark individuell ausgeprägt. Es konnte aber auch beobachtet werden, dass Tiere, die gerade das Wasser verließen, und noch nicht getrocknet waren, schneller auf eine Störung reagierten, als Tiere, die schon vollständig getrocknet waren. Es ist anzunehmen, dass dieses Verhalten mit der Thermoregulation der Tiere in Zusammenhang steht. Die besenderten Tiere verblieben in den Aussetzgebieten und es konnten nur geringe Wanderbewegungen (bis max. 250 m) notiert werden. Der hierbei ermittelte Aktionsraum („home range“) variierte sowohl individuell als auch in den einzelnen Gebieten. So konnte in dem kleineren Gebiet „Hölle von Rockenberg“ (13 ha) eine zehnmal geringere Aktionsraumgröße notiert werden als in dem weitaus größeren Gebiet „Reinheimer Teich“ (75 ha). Sie betrug in Rockenberg 0,21 ± 0,03 ha (0,19 bis 0,32 ha) und in Reinheim 2,00 ± 1,58 ha (0,24 ha bis 4,71 ha). In der Phase der Überwinterung konnte keinerlei Mortalität dokumentiert werden. Als Überwinterungsplatz nutzten die Tiere in der Regel schilfbewachsene Uferbereiche mit einer Wassertiefe von 50 cm. Im Gebiet „Hölle von Rockenberg“ konnten einige Tiere mehrmalig in der Überwinterung beobachtet werden und es zeigten sich hierbei individuelle Standortpräferenzen. Die Überwinterungsplätze wurden zu 50 % wiederholt aufgesucht. In den Wintermonaten Dezember-Februar betrug die mittlere Körpertemperatur 3,09 ± 1,59 °C. Die verwendeten Fangmethoden (Sonnenfalle, Reusenfalle, Handfang) konnten nur im Gebiet „Hölle von Rockenberg“ erfolgreich eingesetzt werden. Im Gebiet „Reinheimer Teich“ konnte nur einmalig eine Schildkröte wiedergefangen werden. Die wiederangesiedelten Tiere nahmen sowohl an Masse als auch an Größe zu. Die durchschnittliche Massenzunahme betrug im Gebiet „Hölle von Rockenberg“ 40,33 ± 7,20 g (29,38-48,40 g) bei einem Wachstum des Carapax von 0,61 ± 0,08 cm (0,52-0,75 cm). Es konnten keinerlei Krankheiten oder Verhaltensauffälligkeiten dokumentiert werden. Im gesamten Untersuchungszeitraum wurde nur einmalig der Verlust eines Tieres detektiert. Diese Massen- und Größenzunahmen sowie die Überlebensrate sprechen für die verwendeten Aufzuchtsmethoden und die ausgewählten Wiederansiedlungsgebiete. Es zeigt, dass sich die Methode des „headstarting“ bei Emys orbicularis sehr gut eignet und kann somit für solche Wiederansiedlungsprojekte durchaus empfohlen werden. Eine Stützung der Bestände durch das Auswildern „headstarted“ Emys orbicularis (aufgezogenen unter den hier vorgestellten Bedingungen) wird daher für weitere Projekte empfohlen Basierend auf den Ergebnissen der vorliegenden Arbeit lassen sich die Lebensraumansprüche der Art in Hessen benennen. Ausgehend von diesen speziellen Ansprüchen lässt sich ein optimales Emys orbicularis Habitat (für nördliche Vertreter der Art) definieren. Zusammenfassende Grundlagen eines idealen Emys orbicularis Habitats: - begleitendes (natürliches) Fließgewässer - ausreichend Kleingewässer, auch als Trittsteine zum Fließgewässer - mind. ein großes Hauptgewässer (mind. 2000 m2) mit einer Tiefe von mind. 1,50 m - flach abfallendes Gewässerprofil mit sich schnell erwärmenden Flachwasserzonen - ausreichend Wasser-/Unterwasservegetation - ausreichend, ganztägig besonnte Sonnenplätze in Form von ins Wasser ragenden Stämmen und Ästen - breiter, südexponierter Schilfgürtel zur Überwinterung - geringer Fischbesatz zur Sicherung der Nahrungsgrundlage (Konkurrenz) - möglichst keine fremdländischen Schildkröten (Konkurrenz) - südexponierte, xerotherme offene Hanglage mit Magerrasencharakter zur Eiablage (im Bedarfsfall sichergestellt durch Beweidung und/oder Mahd) - keinerlei oder nur eingeschränkte freizeitliche Nutzung in Randbereichen - keine Zerschneidung der Gewässer und Wanderwege durch Straßen. Die vorliegende Arbeit bestätigt den bisher getätigten Bemühungen zum Schutz der Europäischen Sumpfschildkröte gute Erfolgsaussichten für eine weitere Etablierung der Art in Hessen. Da die untersuchten Tiere noch nicht geschlechtsreif waren und somit noch keine Reproduktion im Freiland dokumentiert werden konnte, lässt sich der langfristige Erfolg noch nicht abschließend beurteilen. Aufgrund der bisher getätigten Untersuchungen lässt sich ein Reproduktionserfolg aber in den nächsten Jahren vermuten. Ein wichtiger Schritt zum Schutz der Europäischen Sumpfschildkröte in Hessen ist mit dem hier vorgestellten Projekt und den verwendeten Aufzuchts- und Wiederansiedlungsmethoden getan.

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Metadaten
Author:Silke Schweitzer
URN:urn:nbn:de:hebis:30:3-246683
Publisher:Univ.-Bibliothek
Place of publication:Frankfurt am Main
Referee:Roland PrinzingerGND, Wolfgang WiltschkoGND
Document Type:Doctoral Thesis
Language:German
Date of Publication (online):2012/06/22
Year of first Publication:2011
Publishing Institution:Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg
Granting Institution:Johann Wolfgang Goethe-Universität
Date of final exam:2011/07/12
Release Date:2012/06/22
Page Number:209
Last Page:193
Note:
Diese Dissertation steht außerhalb der Universitätsbibliothek leider (aus urheberrechtlichen Gründen) nicht im Volltext zur Verfügung, die CD-ROM kann (auch über Fernleihe) bei der UB Frankfurt am Main ausgeliehen werden.
HeBIS-PPN:348030177
Institutes:Biowissenschaften / Biowissenschaften
Dewey Decimal Classification:5 Naturwissenschaften und Mathematik / 59 Tiere (Zoologie) / 590 Tiere (Zoologie)
Sammlungen:Universitätspublikationen
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