Gibt es einen epischen Modus? : Käte Hamburgers "Logik der Dichtung" evolutionspsychologisch gelesen

  • Es geht mir im Folgenden nicht um die konkreten Details von Hamburgers Theorie oder eine fachgeschichtliche Rekonstruktion der sich daran anschließenden Diskussionen, sondern um das Problem, das Hamburger gesehen hat und bei dem ich aus evolutionspsychologischer Perspektive noch einmal neu ansetzen möchte. Zu heuristischen Zwecken sei mir gestattet, Hamburgers Vorgehensweise vereinfachend in drei Aspekte aufzufächern: 1. Hamburger hat die regelmäßige Intuition, dass mit bestimmten unterschiedlichen Formen von Literatur auch kategorial unterschiedliche Vorstellungskomplexe verbunden sind. 2. Sie versucht diese unterschiedlichen Vorstellungskomplexe sprachtheoretisch zu modellieren, um sie systematisch voneinander unterscheiden zu können. 3. Sie sammelt objektivierbare "Symptome" dieser unterschiedlichen Vorstellungskomplexe auf der Ebene des sprachlichen Ausdrucks. Aspekt 1 bezeichnet Hamburgers eigentliche 'Entdeckung', an die ich im Folgenden anknüpfen möchte. Ihre theoretische Modellierung (Aspekt 2) ist prinzipiell gegen andere geeignete theoretische Modelle austauschbar, ich sehe dafür jedoch keine Notwendigkeit, denn Hamburgers sprachlogisch-phänomenologischer Ansatz leistet, was er ihrer Darstellungsabsicht nach leisten soll. Meine folgenden evolutionspsychologischen Überlegungen stellen in gewisser Hinsicht ebenfalls eine Form der theoretischen Modellierung dar, haben allerdings eher explanative als deskriptive Funktion und sind insofern ergänzend, nicht alternativ zu Hamburgers Modellierung gedacht. Aspekt 3, das heißt Hamburgers Versuch, ihre Theorie an der besonderen Faktur von literarischen Er-Erzählungen (vornehmlich des Realismus) nachzuweisen, ist derjenige Aspekt ihrer Theorie, der am meisten Kritik hervorgerufen hat. Eine besondere Rolle spielte darin immer wieder Hamburgers Annahme, dass das Präteritum in seiner 'epischen' Verwendung seine grammatische Funktion der Vergangenheitsanzeige verliere und die von dem "raunende[n] Beschwörer des Imperfekts" dargestellten Sachverhalte vielmehr zeitlos 'vergegenwärtigt' würden (und deshalb auch ebenso gut z.B. im 'historischen Präsens' dargestellt werden könnten). Dagegen wurde zu Recht festgehalten, dass innerhalb der imaginären Kommunikationssituation trotzdem eine gewisse Vorzeitigkeit ausgedrückt werde, das Präteritum seine grammatische Bedeutung also keineswegs völlig verliere.

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Metadaten
Author:Katja Mellmann
URN:urn:nbn:de:hebis:30:3-380278
URL:http://www.researchgate.net/publication/281905478
ISBN:978-3-86821-510-6
Parent Title (German):Universalien? : über die Natur der Literatur / Endre Hárs ... (Hg.)
Publisher:WVT, Wiss. Verl. Trier
Place of publication:Trier
Editor:Endre Hárs, Márta Horváth, Erzsébet Szabó
Document Type:Part of a Book
Language:German
Year of Completion:2014
Year of first Publication:2014
Publishing Institution:Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg
Release Date:2015/09/22
GND Keyword:Hamburger, Käte; Die Logik der Dichtung; Epik; Erzähltechnik; Evolutionspsychologie
Page Number:22
First Page:109
Last Page:130
HeBIS-PPN:387530452
Dewey Decimal Classification:8 Literatur / 80 Literatur, Rhetorik, Literaturwissenschaft / 800 Literatur und Rhetorik
Sammlungen:CompaRe | Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft
BDSL-Klassifikation:01.00.00 Allgemeine deutsche Sprach- und Literaturwissenschaft / BDSL-Klassifikation: 01.00.00 Allgemeine deutsche Sprach- und Literaturwissenschaft > 01.08.00 Zu einzelnen Germanisten, Literaturtheoretikern und Essayisten
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