Policeystaat im Musterländle : [Rezension zu: André Holenstein, »Gute Policey« und lokale Gesellschaft im Staat des Ancien Régime. Das Fallbeispiel der Markgrafschaft Baden(-Durlach), (Frühneuzeitliche Forschungen, Bd. 9.1 u. 9.2), Epfendorf: bibliotheca academica 2003, 938 S., ISBN 3-928471-32-5]

  • Es gibt in der Wissenschaft viele Bücher, die dem Leser ein gerüttelt Maß Geduld abverlangen. Dazu gehört ohne Zweifel Holensteins Untersuchung über "Gute Policey". Aber man wird mit vielerlei Einsichten belohnt, wenn man sich auf dieses gut 850-seitige Totalbild ländlicher Verwaltungspraxis "vor Ort" einlässt. Dabei ist der Untersuchungsraum des Autors keineswegs weitläufig, denn die Markgrafschaft Baden machte ja nur einen Bruchteil des späteren Großherzogtums aus, und sie zerfiel zudem in einen katholischen (Baden-Baden) und einen protestantischen, von Karlsruhe aus regierten (BadenDurlach) Landesteil, von dem wiederum in erster Linie die im badischen "Oberland" gelegenen Gebietsteile behandelt werden. Sie zu orten, setzt schon recht solide Kenntnisse in badischer Heimatkunde voraus. In den heutigen Landkreisen Emmendingen und Lörrach stößt man auf jene überschaubaren territorialen Einheiten, die den Schauplatz der akribischen Detailuntersuchung Holensteins abgeben: die drei "oberen Herrschaften" Rötteln, Sausenberg und Badenweiler – ein Landstrich, für den sich bis heute die Bezeichnung "Markgräflerland" erhalten hat – und die Herrschaft Hachberg mit Gebietsflecken um Emmendingen und im Kaiserstuhl. In diesem kleinen Raum dreier territorialstaatlicher "Oberämter" gräbt Holenstein dann allerdings in einer Weise in die Tiefe, dass ein ungemein plastisches Bild der Interaktion zwischen normsetzender Instanz und Normadressaten entsteht – eine Interaktion, die der Autor als Grundbedingung der Implementierung von Policeynormen herausstellt. Sie findet statt innerhalb zweier Relationen: Zum einen zwischen den zentralen, die Policeygesetzgebung bestimmenden Instanzen in Karlsruhe – Markgraf und Geheimer Rat sowie die nachgeordneten Zentralbehörden, der Hofrat, die Rentkammer und der Kirchenrat – und den Oberamtleuten in Lörrach, Müllheim und Emmendingen als den staatlichen Repräsentanten vor Ort, denen es oblag, für die Verbreitung und Bekanntmachung der Policeynormen und deren Durchsetzung zu sorgen. Zum anderen zwischen den Oberamtleuten und ihren Stäben auf der einen und den Gemeinden auf der anderen Seite. Eine Schlüsselstellung kam dabei den "Ortsvorgesetzten" zu. Das waren in der Markgrafschaft die so genannten "Dorfvögte" und deren Stellvertreter, die "Stabhalter". Sie nahmen eine einflussreiche Doppelstellung ein, denn sie waren einerseits die lokalen Angelpunkte der staatlichen Implementationsbemühungen, andererseits Repräsentanten der Gemeinde, deren Interessen sie auch gegenüber der Territorialherrschaft wahrzunehmen hatten. Zweiter personeller Stützpunkt territorialstaatlicher Normdurchsetzung an der Basis waren die Pfarrer, die gleichfalls als staatliches Wahrnehmungs-, Aufsichts- und Kontrollorgan im Dorf fungierten.

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Metadaten
Author:Thomas Simon
URN:urn:nbn:de:hebis:30:3-527879
DOI:https://doi.org/10.12946/rg05/250-252
ISSN:2195-9617
ISSN:1619-4993
Parent Title (German):Rechtsgeschichte = Legal History
Publisher:Klostermann
Place of publication:Frankfurt, M.
Contributor(s):Marie Theres Fögen
Document Type:Review
Language:German
Year of Completion:2004
Year of first Publication:2004
Publishing Institution:Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg
Release Date:2020/01/20
Volume:5
Page Number:4
First Page:250
Last Page:252
Note:
Dieser Beitrag steht unter einer Creative Commons cc-by-nc-nd 3.0
HeBIS-PPN:458880663
Institutes:Rechtswissenschaft / Rechtswissenschaft
Dewey Decimal Classification:3 Sozialwissenschaften / 34 Recht / 340 Recht
Sammlungen:Universitätspublikationen
Licence (German):License LogoCreative Commons - Namensnennung-Nicht kommerziell-Keine Bearbeitung 3.0