Leibhafte Lebenskunst - Selbstkultivierung im Taijiquan

  • Die vorliegende Arbeit verfolgt das Ziel, zu einem vertieften und zusammenhängenden Verständnis von Taijiquan beizutragen, in der praktischen Rezeption in der westlichen Moderne. Ausgehend von der zunehmenden Popularität ostasiatischer Formen der Leibesübungen lässt sich die Frage formulieren, was allgemein von diesen Praktiken zu erwarten sein kann, welche Potentiale und Grenzen mit diesen verbunden sein können, für die individuelle Lebensführung, die soziale Praxis sowie spezifische Anwendungsfelder wie z.B. Schule, Sport oder Arbeit. Im Zentrum der Arbeit steht eine qualitative empirische Studie, für die folgende forschungsleitende Fragen formuliert wurden: 1. Effekte und Erfahrungen: Welche Wirkungen bzw. Effekte verbinden Langzeitpraktizierende mit Taijiquan auf Basis ihrer Erfahrungen? 2. Hermeneutik: Welche Bedeutung, welchen Sinn schreiben Langzeitpraktizierende im Taijiquan ihrer Taijiquan-Praxis zu? In zwei Erhebungsregionen wurden insgesamt 20 qualitative Interviews mit einer Dauer von je ca. 50 bis 100 Minuten geführt. Zentrales Rekrutierungskriterium war die individuelle Dauer der Taijiquan-Praxis (mindestens 3 Jahre). Das Datenmaterial wurde in einem dreistufigen Verfahren analysiert: 1. zusammenfassende strukturierende inhaltsanalytische Auswertung mit Kategorienbildung, 2. hermeneutisch orientierte Analyse auf Basis einer multi-disziplinären Heuristik aus anthropologisch-philosophischen Konzepten, Ansätzen der Selbstkultivierung / Lebenskunst, leibphänomenologischen und körpersoziologischen Konzepten sowie Positionen der Sport- / Bewegungspädagogik, 3. phänomenologisch orientierte Analyse spezifischer Erfahrungsbereiche. Die Befunde weisen darauf hin, dass Taijiquan vor allem in langjährigen Übungsbiographien (≥ 10 Jahre) als eine „leibhafte Lebenskunst“ verstanden werden kann: Die leiblich-transformatorischen Effekte und die Inkorporierung philosophischer Vorstellungen durchdringen Selbst und Lebenspraxis. Die Befragten erfahren in der Regel leibliche Zustandsveränderungen, die mit einem Wandel von Haltungs-, Wahrnehmungs- und Verhaltensmustern in Lebensvollzügen einhergehen. Aus der Perspektive der westlichen Moderne erscheinen vor allem die empirischen Hinweise auf die Ausbildung eines selbstbewahrenden bzw. selbstökologischen Verhaltens, einer leiblichen Intelligenz sowie veränderter sozialer Interaktionsweisen relevant, weil hierin Potentiale zu sehen sind, die Aufgabe des Leibseins in modernen Gesellschaften zu unterstützen. Gleichwohl bedürfen die Befunde einer vertieften kritischen Reflexion aus soziologischer, pädagogischer und ethischer Perspektive. Zudem besteht weiterer Forschungsbedarf, u.a. um (a) die Ergebnisse kurzfristiger bzw. weniger intensiver Praxen zu evaluieren, (b) weiterführende Vergleiche mit anderen Leibespraktiken sowie zum Sport bzw. westlich orientierten Bewegungskonzepten zu ermöglichen und (c) geeignete Programme zu identifizieren, die die Ausbildung von Selbstökologie und leiblicher Intelligenz in unterschiedlichen Handlungsfeldern unterstützen.
Metadaten
Author:Friederike Beier
URN:urn:nbn:de:hebis:30:3-532187
Place of publication:Frankfurt am Main
Referee:Robert GugutzerORCiDGND, Gudula Linck
Document Type:Doctoral Thesis
Language:German
Date of Publication (online):2020/03/06
Year of first Publication:2019
Publishing Institution:Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg
Granting Institution:Johann Wolfgang Goethe-Universität
Date of final exam:2020/02/12
Release Date:2020/03/06
Tag:Lebenskunst; Leib; Leibesübungen; Selbstkultivierung; Taijiquan
HeBIS-PPN:460815830
Institutes:Psychologie und Sportwissenschaften
Dewey Decimal Classification:1 Philosophie und Psychologie / 10 Philosophie / 100 Philosophie und Psychologie
6 Technik, Medizin, angewandte Wissenschaften / 61 Medizin und Gesundheit / 610 Medizin und Gesundheit
7 Künste und Unterhaltung / 79 Sport, Spiele, Unterhaltung / 790 Freizeitgestaltung, darstellende Künste, Sport
Sammlungen:Universitätspublikationen
Licence (German):License LogoDeutsches Urheberrecht