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Herder's concept of a national literature [...] serves as a differential category formulated in opposition to the concepts generated by universalistic rationalism and the Classicist aesthetics which is based on it, this being an aesthetics which is incapable of accommodating cultural difference. Thus Herder's concept is to be read – primarily as one looking for ways of conceiving cultural difference syncronically as well as diachronically.
Wo der Name Johann Gottfried Herders im philosophischen Diskurs des gerade vergangenen Jahrhunderts überhaupt eine Rolle spielt, da figuriert er zumeist in der Rolle des großen, wenngleich unsystematischen Anregers bedeutender Diskurse der modernen Philosophie: der Geschichts- und der Sprachphilosophie ebenso wie der Philosophischen Anthropologie. Als dem "Bahnbrecher des Historismus" (Friedrich Meinecke) scheint ihm der Zutritt zu einem anderen Diskurs indes prinzipiell verwehrt: zu jenem der Utopie. Sogar Ernst Bloch, der seinen eigenen Entwurf im Horizont einer Geschichte des utopischen Denkens entfaltet, behandelt ihn lediglich am Rande; immerhin wird die Ode "Genius der Zukunft" anzitiert. Einer der wichtigsten Beiträge der neueren Forschung, Ralf Simons herausragende Studie zum Gedächtnisbegriff Herders, weist diesem sogar die Position eines Posthistoristen zu. [...]
Ich will hier nun nicht in eine systematische Auseinandersetzung mit Simons verkürzender Argumentation eintreten; vielmehr soll mir diese erst jüngst geäußerte These zum Anlaß und Ausgangspunkt meines eigenen Versuches dienen, den Namen Herders in den Utopie-Diskurs einzuschreiben und aufzuzeigen, daß im Grunde sämtliche Bereiche seines Denkens, die Geschichts- und Sprachphilosophie wie auch die Studien zur Ästhetik und schließlich seine Tätigkeit als Anthologe, allesamt Aspekte eines prinzipiell zukunftsgerichteten Denkens darstellen. Das Motiv für diesen Versuch ist zunächst dasjenige, historische Gerechtigkeit zu üben; die Frage, ob und inwieweit Herders Denken heute Anknüpfungspunkte bietet, um über das Thema Utopie neu nachzudenken und dem allgemeinen Konjunkturverlust dieses Diskurses entgegenzutreten, muß leider unberührt bleiben, denn schon die Sichtung der utopischen Intention seines Denkens kann hier nur in einem ersten Aufriß geschehen.
Bis weit ins achtzehnte Jahrhundert hinein schöpft der Dichter seine Identität und Autorität aus einer Tradition, die im wesentlichen als diachrone "textual community" auftritt. Die Schrift ist das Medium, das die Kontinuität der Tradition sichert. [...] Wer außerhalb dieses Universums steht, wer zum Archiv der Schrift keinen Zugang hat, ist gedächtnislos, kann seine Individualität, kann seine Subjektivität nicht realisieren, ist allenfalls Objekt der Belehrung. Noch die aufklärerischen Konzepte der Volkserziehung – etwa bei Gottsched – speisen sich aus dieser Auffassung und beruhen auf dem Prinzip der In- bzw. Exklusion durch Teilhabe an der Schriftkultur.
Dies scheint sich (in Deutschland) seit den sechziger und siebziger Jahren des achtzehnten Jahrhunderts grundlegend zu andern. [...] Als Phönix aus der Asche des poeta doctus steigt nun aber nicht nur das Originalgenie empor; zum Genialitätsparadigma gehört als komplementärer Pol wesentlich die Orientierung auf eine Sphäre, die im Horizont des Gelehrsamkeitsparadigmas außerhalb des Blickfelds geblieben war: jene des aliteralen Volks und der mündlichen Überlieferung. Das Volk gilt nicht mehr nur als Objekt der Erziehung, der Dichter nicht mehr einfach als sein Erzieher. Das Volk wird im Gegenteil zum Ursprungsort der Dichtung und damit das Mündliche zum Ursprungsort des Schriftlichen erhoben. Die Schriftkultur legitimiert sich fortan gar durch Bezug auf ein ihr gegenüber grundsätzlich anders strukturiertes semiotisches System. Diese Komplementarität berührt aber die Frage nach der Autorschaft bereits am kulturgeschichtlichen Ursprungsort ihres emphatischen Begriffes essentiell. Wer ist der Autor – das literale Originalgenie oder das aliterale Volk?