TY - CHAP A1 - Roure, Pascale T1 - Auf der harten Schulbank der Sprache : Leo Spitzers Bemerkungen über das Erlernen des Türkischen T2 - Selbstübersetzung als Wissenstransfer / Stefan Willer, Andreas Keller (Hg.) ; LiteraturForschung ; Bd. 39 N2 - Im Folgenden werde ich mich mit einem Aufsatz von Leo Spitzer befassen, der als sonderbarer Fall von Selbstübersetzung rezipiert wurde. Dieser Text, in dem er seine persönlichen Erfahrungen mit dem Erwerb des Türkischen reflektiert und anschließend aus semantisch vergleichender Perspektive die türkische Syntax untersucht, wurde beinahe zeitgleich in einer französischen und einer türkischen Fassung veröffentlicht. Im Jahre 1935 erschien die französische Fassung des Aufsatzes über das Türkischlernen im Bulletin de la Société de linguistique de Paris: "En apprenant le turc. (Considérations psychologiques sur cette langue)" (wörtlich: "Türkisch lernend. Psychologische Betrachtungen über diese Sprache"). Im gleichen Zeitraum, sogar etwas früher, erschien auch eine türkische Fassung des Beitrags unter dem Titel "Türkçeyi Öğrenirken" ("Türkisch lernend") - ohne Untertitel -, die in drei Teilen in der literarischen Zeitschrift Varlık (Das Sein) zwischen April 1934 und Januar 1935 veröffentlicht wurde. Interessanterweise scheint Spitzer den ersten Teil der türkischen Version selbst übersetzt oder direkt auf Türkisch verfasst zu haben. Die Übersetzung der beiden weiteren Teile wurde hingegen von seinem damaligen Assistenten Sabahattin Eyüboğlu (1908−1973) vorgenommen, der an der Übersetzungspolitik der Türkei in den dreißiger Jahren aktiv mitwirkte. Mit diesem Aufsatz bekommt die Frage nach sprach- bzw. wissenschaftspolitischem Wissenstransfer in Istanbul einen sonderbaren, ja karnevalistischen Gehalt: Ein Professor, der beauftragt wurde, die abendländische Philologie und Wissenskultur in die moderne Türkei einzuführen, zeigt sich selbst in der Haltung des Lernenden, der ein sprachwissenschaftliches Selbstexperiment wagt. Dadurch wird die Wahl der Sprache als Werkzeug der Wissensvermittlung infrage gestellt: Französisch und Türkisch, beides erlernte und dadurch vergleichbare Sprachen, die in diesem Aufsatz zugleich Gegenstand und Mittel der Stilforschung sind. Meine Überlegungen zu diesem Thema gliedern sich in drei aufeinander aufbauende Teile. Nach einer knappen Hinführung zu Leo Spitzers Sprachauffassung und seinem Verständnis von Sprachwissenschaft als Stilforschung werde ich die historische Situation seines Aufenthalts in Istanbul in den Jahren von 1933 bis 1936 umreißen. In einem zweiten Schritt werde ich den besagten Aufsatz genauer in Hinblick auf Fragen der Selbstübersetzung untersuchen und fragen, was Leo Spitzer motiviert hat, diese angebliche Selbstübersetzung vorzunehmen. Weder war er Turkologe noch hat er seine romanistischen Arbeiten selbst ins Türkische übersetzt: Die philologischen Forschungen, die er während des Exils in Istanbul unternommen hat, sind entweder auf Französisch oder auf Deutsch erschienen. Die Bedeutung der Entscheidung, speziell diesen Aufsatz über die türkische Sprache selbst zu 'übersetzen', möchte ich zuletzt angesichts der wissenschaftspolitischen Rivalität von Sprachen - in diesem Fall zwischen dem Französischen und dem Türkischen - beleuchten. KW - Spitzer, Leo KW - Eigenübersetzung KW - Türkisch KW - Französisch KW - Sprachpolitik Y1 - 2020 UR - http://publikationen.ub.uni-frankfurt.de/frontdoor/index/index/docId/85820 UR - https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:hebis:30:3-858202 SN - 978-3-86599-467-7 N1 - Funding: BMBF ; 01UG1412 SP - 171 EP - 190 PB - Kulturverlag Kadmos CY - Berlin ER -