Morphologische Differenzierung der Orchis Mascula in Abhängigkeit von der Variabilität standörtlicher Gegebenheiten

  • Orchideen sind mit ihrem Alter von 15 Millionen Jahren bekanntlich eine der jüngsten Pflanzenfamilien, was im Gegensatz zu anderen Pflanzenfamilien, die bereits auf 100 Millionen Jahre Geschichte zurückblicken können, zu einer wenig differenzierten Abgrenzung von nahverwandten Arten führt. Aufgrund dieser Tatsache gibt es eine Fülle von Artengruppen innerhalb der Orchidales, die oftmals durch fließende Übergänge eine phylogenetische Unterscheidung äußerst schwierig gestalten lassen. Ein hervorragendes Beispiel für die überaus hohe Variabilität stellt Orchis mascula dar, die auf einer rund 2 ha großen Fläche im südöstlichen Weserbergland in einer bemerkenswert großen Population vorkommt. Ziel der Untersuchung ist es, die enorme Formenvielfalt bei Orchis mascula, da sie in den gängigen Exkursionsfloren nirgendwo erwähnt wird, zu erfassen und darzustellen. Man hat das Untersuchungsgebiet in drei Zonen geteilt, die durch ihre Vegetation innerhalb jeder Zone bestimmte abiotische Faktoren aufweisen. Orchis mascula zeigt auf der Untersuchungsfläche von rund zwei Hektar eine enorme Variabilität in der Gestaltung des Cormus. Die Merkmalsdifferenzierung reicht von kurzsprossigen zu langsprossigen Exemplaren. Dabei treten Unterschiede von 43 cm auf. Vor allem die Unterschiede in der Farbintensität der Einzelblüten ist hierbei auffällig. Das Farbenspektrum reicht von blassviolett, in Einzelfällen von weißlichen Blüten, über violette Formen zu tiefvioletten dunklen Varianten. Betrachtet man den Gesamthabitus der einzelnen Orchis mascula-Formen, so lassen sich immer wieder in Erscheinung tretende Merkmalspaarungen oder Kombinationen spezifisch morphologischer Strukturen nachvollziehen. Die Merkmalsdifferenzierung erfolgt kontinuierlich. Durch die abiotischen Faktoren findet eine Anpassung der Orchis mascula statt, was z. B. die Intensität des Lichtes belegt: Es tritt die charakteristische Erscheinung der Vergeilung auf. Auch wenn bei den Monokotyledonen wie bei Orchis mascula weniger die Länge der Sprossachse als vielmehr die Länge der Blätter verändert wird, so weist das Längenwachstum der Orchis mascula deutlich auf einen Lichtmangel hin. Es findet also durch die Veränderung der abiotischen Faktoren, bezogen auf den Standort der Orchideen, eine Metamorphose von Blättern und Spross statt. Selbst unter der Berücksichtigung, dass genetische Untersuchungen nicht angestellt wurden und das Untersuchungsgebiet als kleinräumig anzusehen ist, kann man insgesamt dennoch von einer ökologischen Differenzierung des Artbereichs durch eine Öko-Cline-Bildung sprechen. Da davon auszugehen ist, dass die Familie der Orchidaceen – evolutiv gesehen – sehr jung ist und eine typische schrittweise Merkmalsverschiebung schneller zur Wirkung kommt, herrscht im Fall des Untersuchungsgebietes eine dynamische Selektion vor, die nur dann in eine stabilisierende übergehen kann, wenn die drei unterschiedlichen ökologischen Nischen über einen langen Zeitraum erhalten werden. Die Orchis mascula-Population zeigt auf engstem Raum innerhalb des Untersuchungsgebietes eine Formenvielfalt, die zunächst auf eine Aufspaltung des Genpools schließen lässt. Doch die stufenweise Merkmalsdifferenzierung in Form einer Cline-Ausbildung belegt eindeutig, dass der Genfluss zwischen den einzelnen Teilpopulationen aufrechterhalten bleibt. Um jedoch endgültigen Aufschluss über die taxonomische Gliederung der formenreichen Art befriedigend lösen zu können, bedarf es daher verschiedener genetischer Untersuchungen, die im Rahmen dieser Untersuchung nicht zu leisten waren. Es handelt sich aber aller Wahrscheinlichkeit nach bei den untersuchten De-men von Orchis mascula um Standortmodifikationen. Da verschiedene Formen von Orchis mascula in einzelnen Herden gemeinsam auftreten, befindet sich die Orchis mascula-Population in der Aufspaltung unter dem Niveau der Lokalrassen.

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Metadaten
Author:Christian Evertz, Lars Meckelnburg
URN:urn:nbn:de:hebis:30:3-296219
Parent Title (German):Egge - Weser : vereinsinterne Veröffentlichungen des Naturkundlichen Vereins Egge - Weser, Sitz Brakel
Publisher:Naturkundlicher Verein Egge - Weser
Place of publication:Höxter
Document Type:Article
Language:German
Date of Publication (online):2013/03/28
Year of first Publication:1995
Publishing Institution:Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg
Release Date:2013/03/28
Volume:7
Page Number:20
First Page:39
Last Page:56
Note:
Das Layout der elektronischen Fassung dieses Beitrages weicht vom Layout der ursprünglich gedruckt erschienenen Fassung ab. Die Angaben zur Paginierung beziehen sich auf die ursprünglich gedruckt erschienene Fassung.
HeBIS-PPN:336107803
Dewey Decimal Classification:5 Naturwissenschaften und Mathematik / 58 Pflanzen (Botanik) / 580 Pflanzen (Botanik)
Sammlungen:Sammlung Biologie / Sondersammelgebiets-Volltexte
Zeitschriften / Jahresberichte:Beiträge zur Naturkunde zwischen Egge und Weser / Egge - Weser : vereinsinterne Veröffentlichungen des Naturkundlichen Vereins Egge - Weser, Band 7 (1995)
:urn:nbn:de:hebis:30:3-296201
Licence (German):License LogoDeutsches Urheberrecht