Autorität der Schrift : Das "Memoriale" von Angela von Foligno
- In der Redeordnung des Memoriale stehen sich göttliches Wort, eigene und fremde Rede, Medium und Schreiber, Mund und Schrift, Körper und Passionen gegenüber. Unerhörter Anlass für die Abfassung dieses Memoriale ist die conversio der Angela, in der sie sich von ihrem irdischen Leben als Ehefrau und Mutter ab- und der Liebe in Gott zuwendet. Dabei ist das Memoriale, das diese Umkehr zur Darstellung bringt, nicht aus der Aktualität einer drängenden Situation geschrieben und dokumentiert deshalb keine autobiographische Unmittelbarkeit. Wie bei Augustinus ist das Schema der conversio das der Nachträglichkeit: Erst aus dieser Perspektive kann das Ganze überhaupt zur Darstellung gebracht werden. Im Unterschied zur sorgfältig narrativ ausgefeilten, autobiographische Züge tragenden Bekehrung von Augustinus ist das dabei Besondere dieser conversio, dass sie nicht von eigener Hand verfasst ist: Angela diktiert ihre Bekehrung ihrem Beichtvater, woraufhin dieser mit der Niederschrift zugleich das Gehörte ins Lateinische übersetzt. Wenn der Beichtvater das Bekenntnis direkt von ihrem Mund abschreibt, fallen Beichte und Bekenntnis zusammen, damit aber nicht das Subjekt der Rede und der Verfasser. Die von Angela leidenschaftlich erfahrene Liebe zu Gott steht im Zeichen der Autorität nicht nur der Kirche und der Patristik, sondern auch der Schrift. Angelas Rede ist die der Anderen. Das Memoriale wird im Nachzeichnen ihrer conversio aber nicht zum einfachen Ausdruck laienhafter volkssprachlicher Sakralität, sondern ist diskursive Strategie und performative Ökonomie der Sakralisierung. Die Übertragung des Gottesbegehrens Angelas in die Schrift erweist sich als Kontrafaktur und Transformation der Bibel. So sehr diese Konstellation von beichtender Konvertitin und schreibendem Beichtbruder in den historischen Moment der Entdeckung einer weiblichen spirituellen Empfänglichkeit im 13. Jahrhundert passt, so sehr findet sich hierin die Moderne wieder: mit Clemens von Brentano oder Urs von Balthasar, die von den weiblichen Lippen die göttlichen Offenbarungen ablauschen, die ihnen selbst nicht zuteil werden.
Author: | Cornelia Wild |
---|---|
URN: | urn:nbn:de:hebis:30:3-384548 |
ISBN: | 978-3-7705-5243-6 |
Parent Title (German): | Das Buch in den Büchern : Wechselwirkungen von Bibel und Literatur / Andrea Polaschegg ; Daniel Weidner (Hrsg.), Trajekte |
Publisher: | Wilhelm Fink |
Place of publication: | Paderborn |
Editor: | Andrea Polaschegg, Daniel Weidner |
Document Type: | Part of a Book |
Language: | German |
Year of Completion: | 2012 |
Year of first Publication: | 2012 |
Publishing Institution: | Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg |
Release Date: | 2015/12/01 |
GND Keyword: | Memoriale; Angela <de Fulginio> |
Page Number: | 15 |
First Page: | 151 |
Last Page: | 165 |
HeBIS-PPN: | 381283054 |
Dewey Decimal Classification: | 8 Literatur / 80 Literatur, Rhetorik, Literaturwissenschaft / 800 Literatur und Rhetorik |
Sammlungen: | CompaRe | Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft |
CompaRe | Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft / Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung, Berlin | |
BDSL-Klassifikation: | 04.00.00 Allgemeine Literaturgeschichte / BDSL-Klassifikation: 04.00.00 Allgemeine Literaturgeschichte > 04.05.00 Antike und abendländische Literatur |
Licence (German): | Deutsches Urheberrecht |