Geltung : der Weg von der Gewohnheit zur Positivität des Rechts

  • Im Jahre 1721 setzt der preußische König Friedrich Wilhelm I. für das Herzogtum Preußen ein sogenanntes "Landrecht" in Kraft. Anders als der moderne Gesetzgeber begnügt sich der König dabei nicht mit der bloßen Publikation des Gesetzes, sondern er fügt dem Gesetzestext am Schluss ein ausdrückliches, an die Gerichte gewendetes Anwendungsgebot bei. Damit soll augenscheinlich eine bestimmte Argumentationslinie, mit der die Gerichte die Nichtanwendung des Gesetzes begründen könnten, von vornherein abgeschnitten werden: Der Einwand mangelnder Observanz, so heißt es in diesem Anwendungsgebot, sei kein Grund, das Landrecht nicht anzuwenden. Mangelnde Observanz entbinde die Richter keinesfalls von der Pflicht, das Landrecht ihrer Urteilstätigkeit zugrunde zu legen. Denn es sei gerade die Schuldigkeit der Richter, "unsere Gesetze zur Observanz zu bringen". Derartige Anwendungsgebote sind häufig anzutreffender Bestandteil vor allem der frühneuzeitlichen "Landrechte" und "Reformationen". In der Regel beinhalten sie ein in erster Linie an die Rechtsstäbe gerichtetes Gebot, das betreffende Landrecht "gleich nach beschehener Publication aller Orths ad observantiam" zu bringen – so die Formulierung etwa im Trierer Landrecht von 1668. Häufig ist dies dann verbunden mit dem Verbot, weiterhin neben oder gar an Stelle des neu ergangenen Landrechts das bislang gerichtsgebräuchliche Gewohnheitsrecht anzuwenden. In diesem Muster hält sich auch das eingangs zitierte Anwendungsgebot König Friedrich Wilhelms I., nur dass hier überdies ganz gezielt ein bestimmter Gegeneinwand von Seiten der Gerichte vorweggenommen wird: der Einwand nämlich, dass ein Gesetz – und sei es auch nach allen Regeln promulgiert und bekanntgemacht – so lange keine Wirksamkeit entfalten könne, als es nicht zur "Observanz" gelangt sei. In den reichskammergerichtlichen "Decisiones" Johann Meichsners etwa findet sich dieses Argument wie eine unbestrittene Selbstverständlichkeit vorgetragen: "Statutum enim, quod non est receptum in observantia, licet fuerit publicatum, nullas habet vires, ideo ligare non potest." ...
  • The transition to a written form of law, as also the mass reproduction and dissemination of statutory enactments, are decisive preconditions for the emergence of positive law. This process of "positivisation" is here understood as a process in the course of which the conception of law and the conditions for its acceptance change. Legal norms will increasingly be accepted as binding or "in force" because a formal enactment and the command of a legislator to obey the norm stand behind them. If throughout the entire early modern period legal theory saw in the actual usage of a norm the necessary precondition for its binding force, the gradual change to a positivistic understanding of law is first realised at the level of the law of evidence. Step by step the demands for proof of the validity of a legal norm are heightened in the legal cases, in which a party relies upon a printed or at least a recorded legal norm. In this way the form of the tradition of the legal norm takes on a new meaning: Legal norms which have a written tradition or are contained in an authorised collection of enactments have a higher chance of being accepted by the court.

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Metadaten
Author:Thomas Simon
URN:urn:nbn:de:hebis:30:3-527898
DOI:https://doi.org/10.12946/rg07/100-137
ISSN:2195-9617
ISSN:1619-4993
Parent Title (Multiple languages):Rechtsgeschichte = Legal History
Publisher:Klostermann
Place of publication:Frankfurt, M.
Contributor(s):Marie Theres Fögen
Document Type:Article
Language:German
Year of Completion:2005
Year of first Publication:2005
Publishing Institution:Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg
Release Date:2020/01/20
Volume:7
Page Number:40
First Page:100
Last Page:137
Note:
Dieser Beitrag steht unter einer Creative Commons cc-by-nc-nd 3.0
HeBIS-PPN:45933834X
Institutes:Rechtswissenschaft / Rechtswissenschaft
Dewey Decimal Classification:3 Sozialwissenschaften / 34 Recht / 340 Recht
Sammlungen:Universitätspublikationen
Licence (German):License LogoCreative Commons - Namensnennung-Nicht kommerziell-Keine Bearbeitung 3.0