BDSL-Klassifikation: 13.00.00 Goethezeit > 13.14.00 Zu einzelnen Autoren
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Diderots "Le neveu de Rameau" gilt heute als einer der explosivsten Texte des 18. Jahrhunderts. Mitten im Spätabsolutismus und mitten im Herz der Aufklärung war ein Text in Manier des radikalen Zynismus eines Diogenes entstanden. Der zynische Protest hatte sich einst in der griechischen Antike gegen die Polis, eine substantialistische Philosophie und den universalistischen Anspruch eines Staates gerichtet. Nun, inmitten der modernen Widrigkeiten und Widerstände der großen Stadt Paris und ihren kulturellen "Verkehrsformen", kämpft Rameaus Neffe als "bedürftiger Mensch" um soziale Anerkennung. Es ist eine zynisch-animalische Selbstbehauptung nach der Art des Diogenes mit allen Schrecken und aller Willkür von Selbst- und Gesellschaftsentblößungen.
Eine lettische Sage, Die Rose von Turaida, erzählt von dem Mädchen Maija, das sich einem Gärtner versprochen hat und tapfer allen anderen Werbern widersteht. Als sie aber, von einem zudringlichen Ritter mit Hinterlist in eine Waldgrotte gelockt, diesem wehrlos ausgesetzt ist, wahrt sie ihre Integrität durch eine heroische Opferbereitschaft: Im Moment der Überwältigung gibt sie ein rotes Tuch, das sie um den Hals trägt, als Zaubermittel aus, das die Fähigkeit habe, unverwundbar zu machen, und sie fordert den Ritter auf, sich davon zu überzeugen, indem er nur einmal versuchen solle, ihr den Kopf abzuschlagen. Von seiner Machtlüsternheit verführt, tut der Ritter, wie ihm geheißen – und erhält eine traurige Lektion über die Macht der Treue. ...
Renaissance
(1998)
Zu Lebzeiten Goethes [G.] existierte noch kein Epochenkonzept, wohl aber ein disparates, andelbares Renaissance-Bild in Philosophie, Historiographie und Literatur. Das im Laufe des 18. Jhs. aufkommende historische Denken entwickelte zunächst, bei Bayle und Voltaire, das aufklärerische Konzept der « renaissance des lettres et des arts ». Die neue Kultur der italienischen Renaissance wurde entweder mit der Exilierung Gelehrter beim Fall Konstantinopels 1435 (Katastrophentheorie) oder mit dem Import neuen Wissens durch die Kreuzzüge (Kreuzzugstheorie) erklärt und auf unterschiedliche Art mit der deutschen Reformation in Verbindung gebracht. Vorherrschend war im 18. Jh. ein unreflektiertes Gefühl der Verbundenheit mit der neuzeitlich- fortschrittlichen Kultur der Renaissance. Eine dem Epochenbegriff von Jules Michelet und Jacob Burckhardt (1855/1860) entsprechende, klare Grenzziehung zwischen Spätmittelalter und Renaissance ist noch nicht zu erwarten. „Epoche“ bedeutete zunächst Einschnitt oder Schwelle, noch keine Entität im Sinne des späten Historismus.
Verzeitlichung, das Leitmotiv dieses Buches, ist ein Schlüsselbegriff für das Verständnis unserer kulturhistorischen Situation. Ohne die Ablösung der Zeit vom Raum, ohne die Emanzipation temporaler Prozesse von topischen Bindungen wäre die Fortschrittsdynamik der Moderne nicht durchsetzbar gewesen. Deren Errungenschaften, das Aufbrechen starrer Ordnungsstrukturen, wie auch ihre Kehrseite, das Herausfallen aus lebensweltlichen Orientierungsrahmen, sind Resultate desselben Vorgangs. ...
In der Schrift Der Verfasser teilt die Geschichte seiner botanischen Studien mit (1817) erinnert Goethe, wie er 1786 in Padua angesichts einer Fächerpalme die Idee zur "Metamorphose der Pflanze" faßte. Er ließ deswegen einen Gärtner die "Stufenfolge dieser Veränderungen" abschneiden und führte diese botanischen Dokumente zwischen großen Pappen mit sich. 1817 weiß er, wie dieses Verhalten zu bezeichnen ist: "Sie liegen wie ich sie damals mitgenommen, noch wohlbehalten vor mir und ich verehre sie als Fetische, die meine Aufmerksamkeit zu erregen und zu fesseln völlig geeignet, mir eine gedeihliche Folge meiner Bemühungen zuzusagen scheinen." (WA II, 6, 119-121) ...