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Ergebnisse aus einer zehnjährigen Langzeitstudie zur Populationsdynamik
der Zippammer Emberiza cia L. in einem
steilen, terrassenförmig angelegten Weinberghabitat am Oberen
Mittelrhein (Schuphan 1972) wurden verglichen mit
Ergebnissen von achtjährigen Untersuchungen in steilen
Fichten-Kahlschlag-Habitaten am Ostabfall des Pfälzerwaldes
(Groh 1988), sowie mit Ergebnissen von siebenjährigen Untersuchungen
in einem steilen natürlichen Felssteppen-Habitat
an der Rhone des Wallis in der Schweiz (Keusch 1991). Das
Ziel ist, Habitatunterschiede herauszustellen und habitatabhängige
Einflüsse auf die populationsdynamischen Parameter
zwischen diesen geographisch getrennten Populationen zu
erfassen, um die Erkenntnisse für differenzierte Zippammer
Managementpläne nutzbar zu machen.
Am Rhein trugen 618 überwiegend farbig beringte Zippammern
zu den Ergebnissen bei, im Pfälzerwald 157 und an
der Rhone 993 markierte Zippammern. Die großen Unterschiede
im Habitat (steile Weinbergterrassen, steile Fichtenkahlschläge,
steile Felsensteppe) spiegelten sich wider in der Größe der
Reviere. Diese waren am Rhein und im Pfälzerwald, topographisch
bedingt, in ihren Grenzen relativ fest vorgegeben, im
Wallis weit flexibler. Die Größenunterschiede waren im Fall des
Pfälzerwaldes durch die Ausmaße der Kahlschläge
vorgegeben
und im Fall der sich verändernden Walliser Reviere offensichtlich
durch anfängliche Nahrungslimitierung bedingt. Die kleineren
Reviere am Rhein waren Ausdruck eines optimalen
Nahrungsangebots und bedingten dadurch eine größere Populationsdichte.
Insbesondere die Daten zur Altersstruktur der
Populationen ergaben bedeutende Unterschiede zwischen
Rhein und Wallis, für den Pfälzerwald lagen keine Daten vor.
Von den M am Mittelrhein kehrten im nächsten Jahr 69 % (W
49 %) und im darauf folgenden Jahr noch 42 % (W 23 %) der
ursprünglich vorhandenen Revierinhaber (100 %) zurück. Im
Wallis lagen die Rückkehrquoten bei 39 % für die M (W 27 %)
und im nächst folgenden Jahr für die M bei 16,7 %. Aus der
demographischen Verteilung ergab sich über zehn Jahre am
Rhein ein mittleres Alter für die M von 2,6 Jahren (n = 103) und
für die W von 2,0 Jahren (n = 101). Im Wallis wurde während
drei aufeinander folgenden Brutperioden das Durchschnittsalter
für die Zippammer M im ersten Jahr mit 1,3 Jahre (n = 16)
und in beiden darauffolgenden jeweils mit 1,7 Jahre (n = 9 bzw.
n = 13) bestimmt. Am Oberen Mittelrhein verblieb ca. ein Drittel
der Brutvögel im milden Kernhabitat selbst. Das Pfälzerwald
Brutgebiet wurde vollständig geräumt. Im Wallis verließen die
Brutvögel ebenfalls die Brutreviere. Fünf Zippammer-Fernwiederfunde
vom Rhein (Herbst-Winter) wiesen alle in Richtung
SW, Leitlinien könnten das Nahe- und Moseltal sein. Der entfernteste
Fund (1020 km) lag bei Biarritz (West-Frankreich).
Überwinterer sowie Zugvögel hatten also keine mit den Alpen
vergleichbaren Schneeverhältnisse (Futtermangel) zu überwinden.
Trotz dieser Unterschiede realisierten beide Populationen
Stabilität, aber auf verschiedenen Niveaus. Das Erlöschen der
Population im Pfälzerwald nach 1990 stand in offensichtlichem
Zusammenhang mit dem Verlust der Kahlschläge (Aufforstung).
Diese früheren sowie neue eigene Daten von 2007-2010
zeigen, dass montan adaptierte Zippammer-Populationen im
Wallis, im Schwarzwald, in den Vogesen und im Pfälzerwald
nicht die nahe gelegenen Weinbau geprägte Steillagen besiedeln,
wie diese im Elsass oder an der Weinstrasse gegeben sind. Auf
diese unterschiedliche Bevorzugung von Habitatstrukturen
muss geachtet werden, wenn eine gezielte Förderung der Zippammern
in Managementplänen erfolgen soll.
Die Zippammer kommt in Mitteleuropa an ihrer nördlichsten
Verbreitungsgrenze in den klimatisch günstigen Gegenden
des Mittelrheins mit seinen Nebenflüssen und des Mains
vor. Diese sind gekennzeichnet durch felsige, nach S ausgerichtete
sonnenscheinreiche Gebiete und Terrassenweinbau
wie an Ahr, Mosel, Mittelrhein, Nahe und Main gegeben.
Dagegen ist die Art im Südschwarzwald und den Vogesen
überwiegend in Höhen von über 1.000 m, in der Schweiz
sogar über 2.300 m, verbreitet. Das dortige Habitat ist ebenfalls
von steiler, felsiger Struktur oder befindet sich auf
Kahlschlägen oder Windbruchflächen. Nach der Revierbesetzung
im März-April ist es dort häufig bis in den Juni hinein
kalt, stürmisch, wolkenverhangen und nass bis über die
erste Brutperiode hinaus. Die südliche Exposition und spezielle
Beschaffenheit aller Reviere, auch in großen Höhen,
kann in Zusammenhang gebracht werden mit der bevorzugten
Insektenentwicklung auf solchen Hängen, zum einen der
Lepidopteren-Larven für die Aufzucht der ersten Zippammer-
Brut und dann folgend der Heuschrecken als Nahrungsgrundlage
für die Aufzucht der zweiten Brut. Am klimatisch
günstigen Südschwarzwald-Hangfuß, wie auch am klimatisch
bevorzugten Hangfuß der Vogesen, den Weinbau-
Terrassen des Elsass, kommt die Zippammer nicht vor.
Aufgrund der zeitweisen Besiedlung von Fichtenkahlschlägen
am Ostabfall des Pfälzerwaldes und nicht der Weinberg-
Terrassen des klimatisch günstigen Hangfußes des Pfälzerwaldes
(Pfälzer Weinstrasse) wird geschlossen, dass die
Besiedlung des Pfälzerwaldes von dem gebirgsadaptierten
Zippammervorkommen der südlich gelegenen Vogesen
erfolgte (Entfernung 150 km) und nicht von dem wärmeadaptierten
nördlich liegenden mittelrheinischen Zippammervorkommen.
Es wird die Hypothese aufgestellt, dass die
nördlichen weinbergadaptierten Vorkommen zusammen
und die südlich gelegenen gebirgeadaptierten Vorkommen
der Zippammer je eine genetisch getrennte Metapopulation
bilden könnten und ihr unterschiedliches Verhalten nicht
nur ihre phänotypische Plastizität widerspiegelt.