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Diese Arbeit beschäftigt sich mit der theoriegeleiteten Entwicklung eines digitalen Werkzeugs namens MathCityMap (MCM) für das außerschulische Lehren und Lernen von Mathematik.
Den Ausgangspunkt des Projekts bilden die sogenannten Mathtrails. Dies sind Wanderpfade zum Entdecken mathematischer Sachverhalte an realen Objekten in der Umwelt. Eine didaktische, methodische sowie lernpsychologische Analyse konstatiert Mathtrails zahlreiche Potentiale für den Lernprozess wie beispielsweise die Möglichkeit, Primärerfahrungen zu sammeln, das Interesse am Fach Mathematik zu steigern sowie das Lernen aktiv und konstruktiv zu gestalten. Trotz der genannten Vorteile wird deutlich, dass die Vorbereitung und Umsetzung der mathematischen Wanderpfade mit einem immensen Aufwand verbunden sind. Eine weitere Herausforderung für Lernende liegt im offenen Charakter der Mathtrails, die in der Regel in autonomen Kleingruppen abgelaufen werden. Aus der Literatur ist bekannt, dass insbesondere für schwächere Lerner die Gefahr besteht, durch die Anforderungen einer selbstständigen Arbeitsweise überfordert zu werden.
Als Lösungsansatz für die zuvor genannten Probleme wird im Rahmen dieser Arbeit die Entwicklung eines digitalen Werkzeugs für Mathtrails erläutert. Die erste Forschungsfrage beschäftigt sich mit den theoretischen Anforderungen an solch ein Tool:
1. Welchen Anforderungen muss ein digitales Werkzeug genügen, um die Vorzüge der Mathtrails zu erhalten, deren Aufwand zu minimieren und die Gefahren zu kompensieren?
Unter Berücksichtigung der theoretischen Grundlagen digitaler Werkzeuge und des „Mobile Learnings“ werden zunächst Möglichkeiten identifiziert, den Vorbereitungsaufwand zu minimieren. Konkret erscheinen die automatische Datenverarbeitung, das digitale Zusammen-arbeiten sowie das Teilen und Wiederverwenden von digitalen Aufgaben und Trails als theoretisch zielführende Bestandteile von MCM. Weiterhin sollen zur Unterstützung der Lerner bei der eigenständigen Bearbeitung von Mathtrails didaktisch bewährte Konzepte – wie gestufte Hilfestellungen und Feedback – eingesetzt werden.
Vor dem Hintergrund der soeben formulierten Anforderungen bilden der Entwicklungsprozess sowie die Beschreibung des aktuellen Ist-Zustandes des MCM-Systems zentrale Bestand-teile dieser Arbeit. Das System setzt sich aus zwei Komponenten für jeweils unterschiedliche Zielgruppen zusammen: das MCM-Webportal zum Erstellen von Mathtrails und die MCM-App zum Ablaufen selbiger. Die Hauptziele von MCM können in der Minimierung des Vorbereitungsaufwands sowie der Kompensation einer Überforderungsgefahr gesehen werden.
In ersten Feldversuchen konnte MCM bereits in einem frühen Stadium erfolgreich mit Lernenden der Sekundarstufe I getestet werden. Gleichzeitig fiel jedoch auf, dass das implementierte Feedback-System Schwächen aufwies und von Lernenden zum systematischen Erraten von Lösungen genutzt werden konnte. In der Folge wurden Spielelemente (Gamification), denen nicht nur eine motivationssteigernde Wirkung nachgesagt wird, sondern auch das Potential das Verhalten zu beeinflussen, Bestandteil der MCM-App. Die zweite Forschungs-frage dieser Arbeit zielt auf die Auswirkungen der Gamification-Integration ab und lautet:
2. Welchen Einfluss haben Gamification-Elemente auf die Motivation sowie auf das Nutzungs-verhalten des digitalen Werkzeugs von Neuntklässlern bei der Bearbeitung eines Mathtrails?
Zur Beantwortung der zweiten Forschungsfrage wurde eine empirische Studie mit 16 Schulklassen (304 Schülerinnen und Schüler) der neunten Jahrgangsstufe im Sommer 2017 durch-geführt. Die Ergebnisse können wie folgt zusammengefasst werden: Die Implementierung einer Rangliste (Leaderboard) in die MCM-App führte zwar nicht zu einer höheren Motivation, jedoch spornte der Wettbewerb die Teilnehmer an, viele Aufgaben zu bearbeiten. Im Ver-gleich zu der Kontrollgruppe ohne Gamification-Elemente löste die Experimentalgruppe signifikant mehr Aufgaben, legte die doppelte Strecke zurück und nutzte das Feedbacks-System seltener aus, um Lösungen zu erraten. Die Studie konnte empirisch den gewünschten Einfluss von Spielelementen auf die Benutzung eines digitalen Werkzeugs für das außerschulische Lernen von Mathematik aufzeigen.
Die Evaluation der Ziele von MCM erfolgt indirekt über die Analyse der Verbreitung der Mathtrail-Idee ohne MCM und mit MCM. Die dritte Forschungsfrage lautet dementsprechend:
3. Welchen Beitrag hat das digitale Werkzeug zur Verbreitung der Mathtrail-Idee nach 4 Jahren Projektlaufzeit geleistet?
Zur Beantwortung der dritten Forschungsfrage werden wissenschaftliche Publikationen zu Mathtrails analysiert. Es wird insbesondere in Publikationen mit und ohne Stichwort „MathCityMap“ unterschieden, um eine Aussage über den Einfluss des MCM-Projekts auf den wissenschaftlichen Diskurs treffen zu können. Stand August 2020 enthält bereits jede dritte Mathtrail-Publikation einen Bezug zu MCM. Weiterhin wird ein Vergleich zu vorherigen, ähnlichen Bemühungen – gemeint sind Online-Mitmach-Projekte für Mathtrails – gezogen. So existierten im Zeitraum 2000 bis 2010 im anglo-amerikanischen Raum erste Webseiten für mathematische Wanderpfade. Diese boten zusammengenommen 131 Mathtrails an. Im Vergleich hierzu existieren bereits über 2.500 MCM-Mathtrails in 57 Ländern.
Sowohl die Publikationen als auch die Anzahl der erstellten Trails stellen erste Indizien dafür dar, dass mit MCM die Realisation eines theoretischen Konzepts für ein digitales Mathtrail-Werkzeug gelungen ist und die Idee der Mathtrails verbreitet werden konnte.
Aus Sicht der Pädagogischen Psychologie ist Lernen ein Prozess, bei dem es zu überdauernden Änderungen im Verhaltenspotenzial als Folge von Erfahrungen kommt. Aus konstruktivistischer Perspektive lässt sich Lernen am besten als eine individuelle Konstruktion von Wissen infolge des Entdeckens, Transformierens und Interpretierens komplexer Informationen durch den Lernenden selbst beschreiben. Erkennt der Lernende den Sinn und übernimmt, erweitert oder verändert ihn für sich selbst, so ist der Grundstein für nachhaltiges Lernen gelegt.
Lernen ist ein sehr individueller Prozess. Schule muss also individuelles Lernen auch im Klassenverband ermöglichen und der Lehrende muss zum Lerncoach werden, da sonst kein individuelles und eigenaktives Lernen möglich ist. Das Unterrichtskonzept des forschend-entdeckenden Lernens bietet genau diese Möglichkeit. Es erlaubt die Erfüllung der drei Grundbedürfnisse eines Menschen nach Kompetenz, Autonomie und sozialer Eingebundenheit und ermöglicht damit Motivation, Leistung und Wohlbefinden (Ryan & Deci, 2004).
Forschend-entdeckendes Lernen im Mathematikunterricht ist schrittweise geprägt von folgenden Merkmalen:
- eine problemorientierte Organisation
- selbstständiges, eigenaktives und eigenverantwortliches Lernen der Schülerinnen und Schüler
- individuelle Lernwege und Lernprozesse
- Entwicklung eigener Fragestellungen und Vorgehensweisen der Lernenden
- eigenes Aufstellen von Hypothesen und Vermutungen; Überprüfung der Vermutungen; Dokumentation, Interpretation und Präsentation der Ergebnisse
- eine fördernde Atmosphäre, in der die Lernenden nach und nach forschende Arbeitstechniken vermitteln bekommen
- kooperative Lernformen und damit Förderung von Team- und Kommunikationsfähigkeit
- Unterrichtsinhalte mit hohem Realitäts- und Sinnbezug, gesellschaftlicher Relevanz, Möglichkeiten der Interdisziplinarität
- Stetige Angebote der Unterstützung
Das entdeckende Lernen kann als Vorstufe des forschenden Lernens gesehen werden, da hier der wissenschaftliche Fokus noch nicht so stark ausgeprägt ist. Um alle Phasen auf dem Weg zu annähernd wissenschaftlichen forschenden Lernens anzusprechen, verwenden wir den Begriff des forschend-entdeckenden Lernens.
Voraussetzung ist, dass die Lehrkräfte das forschende Lernen als aktiven, produktiven und selbstbestimmten Lernprozess selbst zuvor erlebt haben müssen. Unter anderem können die Lehrkräfte Unterrichtsprozesse danach besser planen und währenddessen unterstützen, da sie selbst forschend-entdeckendem Lernen „ausgesetzt“ waren und vergleichbare Prozesse durchlebt haben.
Hiermit wird deutlich, dass forschendes Lernen nicht bedeuten kann, dass die Schülerinnen und Schüler auf sich gestellt sind. Die gezielte Unterstützung der Lernenden beim Entdecken und Forschen durch die Lehrkraft ist für einen ertragreichen Lernerfolg unverzichtbar und muss Teil der Vorbereitung und des Prozesses sein.
Internationale Studien zeigen, dass forschend-entdeckende Unterrichtsansätze (inquiry-based learning IBL) im Mathematikunterricht bei geeigneter Umsetzung Lernen verbessern, Lernerfolg und Lernleistung steigern und Freude gegenüber Mathematikunterricht erhöhen können. Die Implementierung dieses Unterrichtsansatzes ist trotz der positiven Ergebnisse nicht alltäglich.
Um neue Unterrichtskonzepte in den Schulalltag zu bringen beziehungsweise um bestehende Unterrichtskonzepte neu in den Schulalltag zu bringen bedarf es Fortbildungen zur Professionalisierung von Lehrerinnen und Lehrern.