CompaRe | Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft
Refine
Year of publication
- 2011 (238) (remove)
Document Type
- Part of a Book (103)
- Article (79)
- Review (19)
- Conference Proceeding (15)
- Report (8)
- Book (7)
- Part of Periodical (3)
- Working Paper (3)
- Periodical (1)
Language
- German (191)
- English (37)
- Portuguese (9)
- Spanish (1)
Keywords
- Literatur (31)
- Rezeption (27)
- Benjamin, Walter (23)
- Dante Alighieri (20)
- Productive reception (18)
- Psychoanalyse (18)
- Freud, Sigmund (17)
- Rezension (17)
- Das Unheimliche (16)
- Überleben (15)
Institute
- Extern (10)
- Neuere Philologien (1)
Schiller sagt in seinem - laut Thomas Mann - "tiefsten und glänzendsten Essay": "Der Dichter [...] ist entweder Natur, oder er wird sie suchen. Jenes macht den naiven, dieses den sentimentalischen Dichter." Der naive Poet könne sich auf die "Nachahmung des Wirklichen" beschränken und habe deshalb "zu seinem Gegenstand auch nur ein einziges Verhältnis"; Aufgabe des sentimentalischen Schriftstellers hingegen sei "die Darstellung des Ideals", und hierfür gebe es "drei [...] mögliche Arten": "Satyre, Elegie und Idylle". Schiller verwendet hier Bezeichnungen für literarische Gattungen, die aus der Antike stammen und im 18. Jahrhundert noch in hohem Ansehen standen, betont aber mehrfach, daß er diese Bezeichnungen "in einem weiteren Sinne [...] als gewöhnlich" verstehen wolle: nämlich als "Empfindungsweise[n]" oder "Dichtungsweise[n]". Der satirische Dichter schildere "die Entfernung von der Natur und den Widerspruch der "Wirklichkeit mit dem Ideale"; der elegische Dichter setze "die Natur der Kunst und das Ideal der Wirklichkeit [...] entgegen" und stelle dabei die "Natur" als "verloren" und das "Ideal" als "unerreicht" dar; der idyllische Dichter schließlich gestalte die "Uebereinstimmung" zwischen Ideal und Realität (20,436-467).
Schiller hat damit den in den drei literarischen Gattungen dominierenden Merkmalen eine übergreifende Bedeutung gegeben. Gewiss treten die einzelnen künstlerischen Verfahrensweisen nicht rein auf und sollten deshalb nicht verabsolutiert werden - der Dichter selbst hat in seinen Werken diese Elemente durchaus miteinander vermischt Dennoch hat er - wie schon bei der grundsätzlichen Unterscheidung zwischen "naiver" und "sentimentalischer" Dichtung - heuristisch äußerst fruchtbare Distinktionen getroffen. Ich möchte seine Untergliederung zum Ausgangspunkt nehmen, um eine konkrete Problematik des Schillerschen Werkes zu untersuchen - nämlich das Verhältnis zwischen idyllischen und elegischen Zügen in seinem Antike-, insbesondere seinem Griechenbild - und darüber hinaus die Vielschichtigkeit dieses Bildes überhaupt herausstellen. (Satirische Elemente sind seinem Werk nicht fremd, spielen aber keine dominierende Rolle.)
Daß die Gesellschaft der Bundesrepublik eine Angestelltengesellschaft und ihre Kultur auch eine Bürokultur ist, belegt noch Volker Reiches erst kürzlich eingesteller STRIZZ-Comic in der FAZ mit seiner Hauptfigur, einer Karikatur auf die topischen Manien und Hypertrophien des Büroalltags und seines Personals: "Bürokultur muss verteidigt werden! Gepflegter Leerlauf hat auch seinen stillen Glanz!" - so der Titelheld in der Episode vom 3. Mai 2007. Mit solchen Attributen der Bürokultur spielt der Comictext sowohl an auf Rilkes "Glanz aus Innen", der die Armut sei, wie auch auf Hesses Schmetterling, der dem lyrischen Ich als "stiller Glanz" vom Paradies bleibe. Und solche Poetisierung des Büroalltags entspricht dem Julian Schmidt entlehnten Postulat und Motto von Gustav Freytags 'Soll und Haben' (1855), daß "der Roman [...] das deutsche Volk dort suchen [soll], wo es in seiner Tüchtigkeit zu finden ist, nämlich bei seiner Arbeit"; im gleichen Atemzug aber widerspricht dies einer Festtäglichkeit der Poesie, wie sie etwa Theodor Storm im Gedicht Märchen beschworen hat: "Ein Sonntagskind ist immer der Poet".
Was in der Literatur des bürgerlichen Realismus unter der Opposition von Alltag/Werktag und Festtag erscheint, ist in der westdeutschen Literatur der späten 1950er bis 1990er Jahre etwas anderes: Büroalltag ist hier erstens Allegorie der bundesrepublikanischen, voraussetzungsreichen und unwahrscheinlichen Normalität. Zweitens wird die Büroliteratur der Bundesrepublik lesbar als Reflexion über Rolle und Funktion des Intellektuellen in der bundesrepublikanischen Kultur, die als konformistische und normalistische und transzendenzlose in Erscheinung tritt. Die literarischen Mitschriften der westdeutschen Bürokratie sind, so die These dieses Beitrags, in viel stärkerem Maße von der Beobachtung und Reflexion dieser Trends motiviert als von den Bemühungen, die 'Arbeitswelt' zu literarisieren.
Das Pathos, mit dem die Intellektuellen seit 200 Jahren als moralische Autoritäten angerufen oder als 'Verräter' oder 'Volksfeinde' mißachtet wurden, ist einer generellen Ernüchterung gewichen. "Ich möchte nicht, daß Männer für mich denken", schrieb Sibylle Berg 2009 in Literaturen. Mit Habermas, Luhmann und Adorno weiß sie nichts mehr anzufangen. Vorstellen kann sie sich als Intellektuelle allenfalls "Susan Sontag, Hannah Arendt oder Oriana Fallaci [... ] Alle nicht deutsch. Alle eine Mischung aus Publizistinnen und Philosophinnen. Und Frauen." Immerhin gesteht sie auch den in ihrer Sicht langweiligen und wirkungslosen männlichen Intellektuellen eines zu: Zwar sei es "möglicherweise egal, ob es sie gibt oder nicht, die Intellektuellen. Nur so langweilig ist es ohne sie. So grau und reduziert auf unsere Grundbedürfnisse: Fernsehen schauen, essen und meckern." Was hier eher leichtgewichtig als Kultur- und Patriarchatskritik daherkommt, findet sein positives Pendant im Konzept des 'nomadischen Intellektuellen', wie es Toni Tholen Enzensberger zuschreibt. Dessen Unterhaltungswert bleibt auch hier im Zentrum: Von besonderem Interesse sei "das Verfahren des Sich-Aussetzens", das das Ich zum Schauplatz innerer Erfahrung, nicht notwendigerweise aber prinzipienfester Selbstbehauptung mache. Damit aber ist jenes Moment des Posierens, Inszenierens und Skandalisierens ausgesprochen, das die intellektuelle Intervention von allem Anfang an begleitet hat - und vielleicht ihr zentrales Charakteristikum bildet. Zwischen Arbeitszimmer und Literatencafé, punktuellem Engagement und "Distanz gegenüber allen festen Positionen und ihren Inhabern", zwischen Bekenntnis und Verrat profiliert sich der/die Intellektuelle als "Paria und Privilegierter" gleichermaßen.
Nach der Wende ins 21. Jahrhundert gilt deutsche Geschichte für deutsche Schriftsteller nach wie vor als ein privilegiertes Experimentierfeld für Erkundungen, Infragestellungen, Neubesinnungen. Wie bei Günter Grass' Novelle 'Im Krebsgang' (2002) oder bei Christoph Heins Roman 'Landnahme' (2004) wird die deutende Sinngebung des Vergangenen als ein Beitrag zum kollektiven Gedächtnis der Nation konzipiert. Immer wieder stößt man bei näherer Betrachtung auch der literarischen Produktion aus den 1990er Jahren auf Texte, die erkennen lassen, in welchem Maße Erinnerung an deutsche Vergangenheit immer noch als eine unerlässliche Voraussetzung für das Verständnis der Gegenwart angesehen wird. Auch die Debatte um den Luftkrieg, die von W. G. Sebald ausgelöst wurde, gehört in diesen Kontext als ein Versuch, ein schmerzhaftes Kapitel der Kriegsgeschichte ohne Ressentiments und mit der nötigen Einfühlung in das Leid der eigenen Nation nachzuholen. Wissenschaftliche Forschung hat diese neue Aufarbeitungswelle pünktlich registriert und analysiert, essayistisch-kritisches, engagiertes Denken hat, unter sehr verschiedenem Vorzeichen, ihre Legitimität in Bezug auf die Notwendigkeit, ein nationales Gedächtnis zu bilden und zu pflegen, bestätigt. Wie kann nun aber im Medium der Fiktionsliteratur - so lautet die Ausgangsfrage dieses Beitrags - ein in sich gekehrtes, notwendigerweise einsames Erinnern den Weg zum kollektiven Gedächtnis suchen und finden, um repräsentativ zu sein, ohne sich auf den an sich zwar verständlichen, doch beschränkten Anspruch des Dabeigewesenseins oder des Dazugehörenwollens reduzieren zu lassen?
Viel Sicheres ist über das Institut zum Studium des Faschismus/L'institut pour l'étude du Fascisme (INFA) nicht bekannt. Den Grundstock unseres Wissens bilden noch immer die Erinnerungen von Arthur Koestler und Manès Sperber, die natürlich auch Ungenauigkeiten aufweisen, zumal beide nur zeitweise zum Institut gehörten. Eine bis heute nicht übertroffene Gesamtdarstellung der Aktivitäten des Instituts gibt die sorgfältig und umfangreich recherchierte wissenschaftliche Studie von Jacques Omnès. Auch sie ist zum größten Teil auf das Gedächtnis ehemaliger Mitarbeiter angewiesen, kann sich aber auch auf Archivquellen und einige zeitgenössische Publikationen aus dem Umkreis des Instituts stützen. Sofern nicht wesentlich neue Materialien aufgefunden werden können, wird sich jede künftige Aussage zum INFA auf diese Darstellung beziehen müssen. Das gilt auch für den vorliegenden Text, der den von Omnès zusammengetragenen Quellen weitgehend verpflichtet ist und nur wenige - aber immerhin einige - bisher unbekannte oder nicht ausgewertete Belege und Hinweise hinzufügen kann.
Die allegorischen Figuren Raufebold, Habebald und Haltefest aus Goethes 'Faust' sind nicht nur wegen der sprechenden Namen in die 'Dritte Walpurgisnacht' von Karl Kraus eingegangen. Das zeigt die Auswahl der Zitate, die ihren Auftritt einleiten. Er steht inmitten einer Collage aus dokumentarischen und literarischen Passagen, die mit dem Hinweis heginnt, daß "das sichere Bett der Evolution keinen ruhigen Schlaf" gewähre: "Elemente treten auf den Plan. Rütteln an der Illusion, mit der Staat gemacht wurde. Schauen nach, was dahinter steckt Faustnaturen drohen zu vollenden, wo Ungesetz gesetzlich überwaltet, und wie auch verordnet sei - 'Indessen wogt, in grimmigem Schwalle / Des Aufruhrs wachsendes Gewühl.'") Kraus verknüpft hier Textstellen aus der 'Arbeiter-Zeitung' und dem zweiten Teil der Goetheschen Tragödie. Das Zentralorgan der österreichischen Sozialdemokratie berichtete am 8. Juli 1933 von einer Rede, die Hitler bei einer Konferenz der Reichsstatthalter gehalten hatte: "Man müsse den freigewordenen Strom der Revolution", zitierte das Blatt den deutschen Reichskanzler, "in das sichere Bett der Evolution hinüberleiten." Das wichtigste Mittel für diese Kultivierung sei "die Erziehung der Menschen [...] zur nationalsozialistischen Staatsauffassung". Es ist die im Titel des Artikels genannte "Angst vor der 'zweiten Revolution'", die den Hintergrund der Krausschen Schilderung bildet, wonach die "Elemente", die großteils proletarischen SA-Männer, nicht allein die politischen Gegner, sondern auch "den Plan" der NS-Führung mit Füßen zu treten beginnen und auf der Erfüllung jener sozialistischen Versprechungen beharren, mit denen man sie in die Partei gelockt hatte. Sie, die "Faustnaturen", drohen damit, das Programm der NSDAP in einer Situation zu verwirklichen, wo ohnehin das "Ungesetz gesetzlich überwaltet", sich also kurzer Hand bzw. auf eigene Faust zu holen, was ihnen zusteht, während die Wortführer mit der Gegenseite, den Junkern und Industriellen, paktieren. In Goethes Originaltext spricht der Kanzler den eingefügten wie die abgesetzten Verse vor dem Staatsrat, um dem Kaiser ein Bild von den chaotischen Zuständen im Reich zu geben, die später, im vierten Akt, zum Bürgerkrieg führen.
In der Essayistik und Publizistik wie in den Briefen Heinrich Bölls ist der Dichter Heinrich von Kleist vielfach gegenwärtig. Das erklärt sich wohl nicht zuletzt daraus, dass Kleist zu den Lieblingsautoren vor allem des jungen Schriftstellers gehörte. Auch im dichterischen Werk Bölls fehlt Kleist bekanntermaßen nicht. An einer zentralen Stelle im Roman 'Ansichten eines Clowns' aus dem Jahr 1963 nennt ihn die Hauptgestalt Hans Schnier beim Namen und spielt auf dessen Text 'Über das Marionettentheater' an und somit auch auf das Problem der Mechanik, das dann eine lebhafte wissenschaftliche Diskussion ausgelöst hat. Im schriftstellerischen Werk wie in den Briefen Bölls sucht man indessen vergebens nach dem Namen Henri Bergson. Auch im Schrifttum zu Böll kommt der Name meines Wissens nur zweimal vor, wie noch zu zeigen ist. Das verwundert, denn Bergson hat einen starken Einfluss auf 'le renouveau catholique' ausgeübt, jene religiöse, künstlerische und auch sozial gefärbte Strömung des späteren 19. und frühen 20. Jahrhunderts, zu deren Vertretern nicht zuletzt auch die Romanschriftsteller Leon Bloy und Georges Bernanos zählen, deren Namen in den Schriften und Briefen Bölls häufig vorkommen und die die Weltsicht und den literarischen Stil des angehenden Autors bekanntlich beeinflusst haben. Auch bei Bergson nehmen Mechanik und Puppe, wie man weiß, eine bedeutende Stelle ein. Es wird sich zeigen, dass ein zentraler Zug in Bölls Denken über Mensch und Gesellschaft eine deutliche Parallele in dem Bergsons findet, und diese ideelle Gemeinsamkeit prägt trotz punktueller Unterschiede teils ganz grundsätzlicher und eingehender zu untersuchender Art sowohl die ästhetische Theorie des Franzosen wie auch Thematik und Motivik des Deutschen stark mit. Darüber hinaus wird sich erweisen, dass Böll in diesem Zusammenhang dem französischen Philosophen näher steht als dem deutschen Dichter.
In einem Brief vom 15.10.1907 an Clara Rilke beschreibt Rainer Maria Rilke die Zeichnungen und Aquarelle der kambodschanischen Tänzerinnen, die Auguste Rodin voller Bewunderung in Paris und Marseille im Jahr 1906 angefertigt hatte: "Da waren sie, diese kleinen grazilen Tänzerinnen, wie verwandelte Gazellen; die beiden langen, schlanken Arme wie aus einem Stück durch die Schultern durchgezogen, durch den schlankmassiven Torso (mit der vollen Schlankheit von Buddhabildern), wie aus einem einzigen langgehämmerten Stück bis an die Handgelenke heran, auf denen die Hände auftraten wie Akteure, beweglich und selbständig in ihrer Handlung. Und was für Hände: Buddhahände, die zu schlafen wissen, die nach alledem sich glatt hinlegen, Finger neben Finger, um jahrhundertelang am Rande von Schonen zu verweilen, liegend, mit dem Innern nach oben, oder im Gelenk steil aufgestellt, unendlich stilleheischend. Diese Hände im "Wachen: denk Dir. Diese Finger gespreizt, offen, strahlig oder zueinander gebogen wie in einer Jericho-Rose; diese Finger entzückt und glücklich oder bange ganz am Ende der langen Arme aufgezeigt: sie tanzend. Und der ganze Körper verwendet, diesen äußersten Tanz im Gleichgewicht zu halten in der Luft, in der Atmosphäre des eigenen Leibes, im Gold einer östlichen Umgebung."
In einer poetologisch reflektierenden und dabei, charakteristisch für den Dichter, äußerst begeisterten Sprache ("Da waren sie ... ", "Und was für Hände") holt Rilke durch den überraschenden Vergleich der lebhaften Tänzerinnen mit der Buddhagestalt das Sakrale in die Sphäre der Kunst und die Kunst in die Sphäre des Sakralen. Der Tanz als ein Ausdruck des Sakralen und Tänzer als die Beschwörer des Heiligen haben seit je in vielen Traditionen der Welt, vor allem aber im Orient, tiefe kulturelle Wurzeln. Dabei zeigt sich bereits die enge Verbindung von ästhetischer Religiosität und religiöser Ästhetik.
"Ich gehöre nirgends hin. Im traditionellen thailändischen Theater bin ich nicht zu Haus, und mit dem westlichen Theater, das die gegenwärtige Theaterszene Thailands prägt, bin ich auch wenig vertraut. Wie komme ich weiter?" Das war die Äußerung eines jungen Schauspielers, der an der vom Humboldt-Club, Thailand, und vom Goethe-Institut, Bangkok, veranstalteten Rundtischdiskussion am 2. November 2007 teilnahm. Unter den Teilnehmern waren führende Regisseure, Schauspieler und Theaterwissenschaftler Thailands und Gäste aus Deutschland, Professor Gabriele Brandstetter vom Institut für Theaterwissenschaft der Freien Universität Berlin und Dr. Georg Schütte, Generalsekretär der Alexander von Humboldt-Stiftung. Die Diskussion war auf Englisch und verlief aufs Beste, da eine gemeinsame Basis von Theatererfahrungen vorhanden war und ein höchst lebendiger und fruchtbarer deutschthailändischer Dialog entstand. Die Frage des jungen Schauspielers wurde keineswegs als ein disruptives Element in einem sonst harmonischen Gedankenaustausch empfunden, sondern eher als ein Ansporn zur wahrhaften Konfrontation mit einem gewichtigen zeitgenössischen Phänomen: Die Welt von heute ist so reich an Erlebnissen und Bildungschancen, daß ein Autodidakt sich, aus seiner Umwelt schöpfend, entwickeln kann, und zwar ohne Bindung an bestimmte Traditionen oder Institutionen. Der junge Mann hat Erfolg gehabt, und seine Befürchtung, daß das "Niemandsland", auf dem er gewachsen ist, bar sicherer Bildungsbasis sei, ist vielleicht "unzeitgemäß".
Die Poesie hat es im Streit der Künste nicht leicht, sich gegen die Macht der Musik zu behaupten. Die Überlegenheit der Musik steht mit Monteverdi schon am Anfang der Operngeschichte. Die Operngeschichte ist voller Beispiele vom Streit zwischen Dichtern und Musikern. Nur ein transdisziplinärer Meister wie Dieter Borchmeyer vermag dieses Wechselspiel zu überschauen. Immer wieder strebte die Kunst zum Gesamtkunstwerk und zur Fusion von Wort und Ton. Richard Wagner gab aller neueren Kunst das Beispiel vor. Friedrich Nietzsche nahm den ungleichen Kampf mit Wagner auf. Sein Gegenprojekt war eng mit dem Mythos von Dionysos und Ariadne verbunden. Zuletzt sah er in Cosima Wagner seine Ariadne verkörpert Im 'Ecce homo' fragte er noch: "Wer weiss ausser mir, was Ariadne ist!" (KSA 6, 348) Seine letzten Zeilen an Cosima lauteten dann wohl: "Ariadne, ich liebe Dich. Dionysos". Auf Dionysos und Ariadne lief seine Wiedergeburt der Antike im Kampf mit Wagner hinaus.
Tierfilme und -reportagen haben Konjunktur, neue Bildtechnologien ermöglichen immer differenziertere Einblicke in Verhaltens- und Lebensweisen bekannter und unbekannter Tierarten. Wir fühlen uns als teilnehmende Beobachter in scheinbar gewagtester Nähe. Das "Privatleben" der Tiere wird bis in den letzten Winkel verfolgt, die Entdeckung der Tierindividualitäten schreitet voran, Tiere bekommen ein Schicksal und wecken Empathie, der vor über 2000 Jahren entstandene Tier-Mensch-Verwandtschafts-Topos, dem noch jeder Gedanke an die Abstammung der Arten fern lag, wird neu belebt. Doch das kulturelle Interesse am Tier erschöpft sich nicht im Fasziniertsein durch perfekt visualisierte Verhaltensstudien oder durch neueste Lesarten der Tiermetaphorik, in der es stets weniger um Tiere als um Menschen geht. Der historische Wandel der menschlichen Tierbeziehung wird in der Tierethik reflektiert.
Seit der Antike umstrittene kognitive Fähigkeiten verschiedener Tierarten bilden heute einen einzelwissenschaftlich fundierten philosophischen Diskussions- und Forschungsgegenstand ("Der Geist der Tiere"). Die Biosemiotik macht große Fortschritte, der Tier-Mensch-Vergleich - bereits ein Kernstück antiker Anthropologie und Ethik - erfährt eine tiefgreifende Umwertung. Dabei steht nicht mehr von vornherein der Mensch im Mittelpunkt; vielmehr wird versucht, das Animalische in seiner Artenvielfalt als eine vielgestaltige eigene Lebensform zu beschreiben; diese ist nicht länger an Maßstäben einer Anthropozentrik zu messen, die im innersten teleologisch geblieben ist. Der Tier-Mensch-Vergleich wird heute nicht mehr so einseitig und ausschließlich auf kognitive Fähigkeiten bezogen. Vielmehr werden weitere Aspekte wie Emotionalität, Wertungs- bzw. Präferenzverhalten, moralanaloge Verhaltensweisen, Antriebsstrukturen, Soziabilität, Zeichenverhalten mit einbezogen. Diese Komplexität der Vergleichspunkte oder Vergleichseinheiten war erst mit dem neuzeitlichen Rationalismus immer mehr eingeschränkt worden. Die gegenwärtig wiedergewonnene Komplexität lässt nach historischen Vorbildern Ausschau halten; da verwundert es nicht, wenn eine Anthropologie ins Blickfeld rückt, die im Tier-Mensch-Vergleich einen ihrer wichtigsten Ausgangspunkte hatte: die antike Anthropologie.
Die parteiamtliche Kulturpolitik der Deutschen Demokratischen Republik hat der Literatur mit Beginn der Eigenstaatlichkeit der DDR das Ziel gesetzt, eine eigene "sozialistische Nationalliteratur" zu schaffen, die dem neu gegründeten Staat durch Bereitstellung kollektiv verbindlicher Narrative gesellschaftlichen Rückhalt verleihen soll. In der Tat hat die DDR nicht nur ein literarisches Feld mit groben Unterschieden zur Bundesrepublik hervorgebracht, sondern auch eine Literatur, die insbesondere im Bereich der Epik seit den sechziger Jahren als solche "klar konturiert" ist. Diese Literatur - ich beschränke mich im folgenden gattungsmäßig auf die Erzählliteratur und literaturgeschichtlich auf die sechziger Jahre, in denen der Literaturbetrieb der DDR relativ störungsfrei abgeschottet und durchreguliert war - ist zwar nicht notwendigerweise programmatisch "sozialistisch" und muß auch nicht als Beitrag zu einer separaten Nationalliteratur intendiert sein, aber sie ist über gemeinsame Rahmenbedingungen, die artikulierbaren und tatsächlich artikulierten Fragestellungen und ästhetischen Vorentscheidungen sowie durch intertextuelle Verknüpfungen in hohem Maße verbunden. Im Kontext der DDR-Kulturgeschichte ist dieser Befund nicht überraschend. So wie sich spätestens seit dem Mauerbau eine eigene Konsumkultur entwickelt, so bildet sich eine eigene literarische Kultur, deren Werke durch die regionalen Sonderbedingungen geprägt sind - und zwar sowohl dort, wo sie sich staatlichen Direktiven vorsichtig zu entziehen versuchen, als auch dort, wo sie ihren Beitrag zur 'Planerfüllung' weitgehend leisten.
Daß in Italien im Laufe der Jahrhunderte nicht nur "Zitronen" und "Orangen", sondern auch - mit "vollkommener Unverschämtheit" - "Pomeranzen", "Anemonen", "Faschisten" und sogar "Zertissen" blühten, mag jedem Literaturwissenschaftler, der sich entweder mit parodistischen Texten oder mit dem Thema der Italienreise beschäftigt (hat), bekannt sein. Aber daß dort auch einmal Gastarbeiter (nicht) haben blühen können, mutet vielleicht etwas unerwartet an. Die chronologisch jüngste Parodie zu Goethes berühmtem Mignon-Lied ist tatsächlich eine weitgehend unbekannte und erschien lautlos in der 1984 veröffentlichten Gedichtsammlung 'Mein fremder Alltag' vom italienischen deutschschreibenden Dichter Gino Chiellino.
Hier Chiellinos Parodie 'Listige Gesichter' / (für J.W.v.G. in voller Wut):
Weißt du von einem Land, wo
das Leben billig, sehr billig für dich ist
und Sonne dazu?
Siehst du das Land
durch das du mit dem Film im Kopf
die Kamera am Hals
von der Sonnenbrille abgeschirmt
läufst?
Frauen am Fluß
Männer auf der Piazza
Kinder, die im Dreck spielen
listige Gesichter
auf leuchtenden Dias
stillen deine ästhetische
Sehnsucht nach Armut.
Nicht dies,
nicht dies ist das Land
wo die Gastarbeiter blühen!
Im Zuge des Postkolonialismus ist die Migrationsliteratur ein eigenständiges Arbeitsfeld literaturwissenschaftlicher Praxis geworden. Viele Artikel, etliche Sammelbände, einige Monographien und Handbücher widmen sich sowohl Literatur von Migrantinnen und Migranten als auch Literatur, die Migration thematisiert. Migration wird in diesen diversen Beiträgen überwiegend in einem kulturwissenschaftlichen Paradigma analysiert, das im Begriff der 'interkulturellen Literatur' sogar die Bezeichnung des Untersuchungsgegenstands prägt. Migration wird insofern vorrangig auf Fragen der kulturellen Identität bezogen. Verstanden wird Migrationsliteratur als Vehikel, das kulturelle Differenzen erfahrbar macht. Die verschiedenen Kulturen der Migration bezeugen in diesem Szenario den hybriden Status kultureller Räume, der die Dichotomie zwischen Fremdem und Eigenem unterläuft. Die performative Dimension kultureller Identitäten wird oftmals ins Zentrum der Untersuchung gestellt. Dies gilt auch in Bezug auf die 'Leitkultur'. Denn Fragen nach der Zugehörigkeit von Autorinnen und Autoren mit beispielsweise türkischem Migrationshintergrund zum 'deutschen' Kanon irritieren feste Identitätszuschreibungen. Manuela Günter zufolge liegt die kulturelle Leistung des Hybriden genau in dieser Irritation: "Was die neuere 'deutsch-türkische' Literatur der deutschen Kultur aufgibt, ist nichts weniger als das Problem, wie sie sich selbst als soziale Einheit konstituiert". Migrationsliteratur wird so zum Stachel im Fleische literaturwissenschaftlicher Einheitsphantasien. Der Postkolonialismus hat ohne Zweifel einen wichtigen Beitrag zur literaturwissenschaftlichen Analyse der Migrationsliteratur geleistet: Ein dynamischer und performativer Kulturbegriff ist entwickelt sowie die Heterogenität und Hybridität von Kultur betont worden.
Mehr als einmal hat Ilse Aichinger in den vergangenen Jahrzehnten ihre Vorliebe für Joseph Conrad bekannt: "Ich lese immer wieder Joseph Conrad, obwohl mich weder die Gegenden noch die Handlungen seiner Romane im geringsten interessieren", erklärte sie beispielsweise in einem Interview von 1996. Bereits in einem Fragebogen von 1993 hatte sie auf die Frage nach ihrem "Lieblingsschriftsteller: Joseph Conrad" genannt, und, daß er "zu meinen Liebsten gehört", unterstreicht Aichinger nochmals in einem weiteren Interview zehn Jahre später. Diese gelegentlichen, aber kontinuierlich wiederholten Äußerungen verweisen auf eine bemerkenswerte literarische Genealogie (auf Conrad beziehen sich unter anderen Andre Gidé, T. S. Eliot, Graham Greene, Ernest Hemingway ebenso wie zahlreiche Autoren der Gegenwartsliteratur, so etwa Italo Calvino, V. S. Naipaul, J. M. Coetzee, W. G. Sebald).
Weimarer Beiträge 57/2011
(2011)
Die Weimarer Beiträge sind eine Zeitschrift für Literaturwissenschaft, aktuelle ästhetische Theorie und Kulturwissenschaft. Zu Ihren Schwerpunkten gehören moderne Literatur im Rahmen anderer Künste und Medien, die Wechselbeziehungen von Literatur, philosophischer und ästhetischer Reflexion sowie die kritische Analyse der Gegenwartskultur.
In this brief excursion into the poetry of Dante and Montale, Rebecca West suggests some approaches to only a few issues that emerge out of the creation of both the primary beloveds of Dante and Montale and of those feminine figures that have been characterized as ostensibly 'antitranscendental' and more secondary in their roles and meanings. As regards Montale's primary feminine figure, Clizia, West argues that she is, to use Teodolinda Barolini's term for Beatrice, a 'hybrid' poetic character, and ultimately exceeds the limits of the poetic beloved as traditionally conceived and read, not only in the courtly tradition upon which she is modelled but well beyond it. In the case of the so-called secondary 'other women' in Dante's and Montale's poetry, West seeks to show that they are much less separable from the primary feminine figures than such binaries as major/minor, transcendent/erotic, soul/body, and traditional/experimental may lead us to believe. Lastly, West considers specifically the wife-figure, in her conspicuous absence from Dante's corpus and in her late appearance in Montale's. For both poets, there are complex intertwinings, interferences, and non-dualistic patterns that form a densely textured poetic weave, in which both the primary and the secondary feminine figures provide "fili rossi" as well as not so easily graspable dangling threads of meaning. These threads have to do with the preoccupation of both poets with the possible integration of immanence and transcendence, embodiment and abstraction, and with the very limits of poetic language. West's topic is also motivated by a feminist-oriented search for modes of deciphering the figure of the feminine beloved in lyric poetry that are not conditioned exclusively by the traditional emphasis on the male poet-creator, but which allow for a shift in focus onto the female figure who is, of course, the creature of the poet's imagination and skill, but who also often takes him into regions in which the excesses (commonly associated with the female) of non-binary thought and the mysteries of alterity - the feminine symbolic sphere, in short - do not so much allow the emergence of neatly squared-off meanings as the evolution of more oblique, circular conduits of potential significance. As a specialist of modern literature, Rebecca West concentrates on Montale more than on Dante, mainly noting the Dantesque aspects of the former's poetry.
Even if the title of Wolfgang Koeppen's last novel, "Der Tod in Rom", alludes quite obviously to Thomas Mann's novella, "Der Tod in Venedig", Koeppen's text must be understood first and foremost as a response to Mann's most controversial novel, "Doktor Faustus". The novels of Mann and Koeppen rank among the most well-known literary examinations of National Socialism but stand in a complementary relation to each other. "Doktor Faustus", published in 1947, analyses the cultural and intellectual origins of German fascism, while "Der Tod in Rom", published only seven years later in 1954, criticizes the continuity of National Socialist ideologies in post-war Germany. Both authors focus their analyses of fascism on fictional avant-garde composers who seem at first glance detached from any political context. [...] The actual starting point of Florian Trabert's paper, however, is the fact that both novels are preceded by epigraphs taken from Dante's "Inferno". Trabert begins by commenting on the references to Dante in "Doktor Faustus" and then continues by analysing the allusions to the "Commedia" in Koeppen's novel, which constitute, as Trabert demonstrates, a complex constellation among the three texts.
This paper is a study of language disorders in two works by twentieth-century poets in dialogue with Dante's Paradiso: Vittorio Sereni's "Un posto di vacanza" (1971) and Andrea Zanzotto's 'Oltranza oltraggio' (1968). The constellations that Francesca Southerden focuses on are linguistic, and the specific 'disorder' she wants to consider is aphasia - the dissolution of language. Charting the way in which Sereni and Zanzotto construct the universes of their poems as 'per-tras-versioni' of their Dantean counterpart - something 'turned aside' or 'diverted', which 'cuts across' the ideal, Dantean scheme - she shows how, in different ways, the intertextual dialogue between modern and medieval author manifests itself as a 'resemanticization' of the language of "Paradiso" or, better, of that coming-into-language of desire and the poem which, textually speaking, Dante's third canticle takes as its alpha and omega.
The subject of this paper is a recent comic movie version of Dante's "Comedy": a 2007 puppet and toy theatre adaptation of the "Inferno" directed by Sean Meredith. It is certainly not the first time that Dante and his theatre of hell appear in this kind of environment. Mickey Mouse has followed Dante's footsteps and very recently a weird bunch of prehistoric animals went a similar path: in part three of the blockbuster "Ice Age" (2009), a new, lippy guide character named Buck uses several Dante quotes and the whole strange voyage can be described as a Dantesque descent into dinosaur hell. In the following pages Ronald de Rooy argues that Meredith's version of Dante's "Inferno" is not only funny and entertaining, but that it is also surprisingly innovative if we compare it to other literature and movies which project Dante's hell or parts of it onto the modern metropolis.
Although Dante’s influence on modernism has been widely explored and examined from different points of view, the aspects of Virginia Woolf's relationship with the Florentine author have not yet been extensively considered. Woolf's use of Dante is certainly less evident and ponderous than that of authors such as T.S. Eliot and James Joyce; nonetheless, this connection should not be disregarded, since Woolf's reading of Dante and her meditations on his work are inextricably fused with her creative process. As Teresa Prudente shows in this essay, Woolf's appreciation of Dante is closely connected to major features of her narrative experimentation, ranging from her conception of the structure and design of the literary work to her reflections concerning the meaning and function of literary language.
Dante's 'Strangeness' : the "Commedia" and the late twentieth-century debate on the literary canon
(2011)
A reflection on Dante and the literary canon may appear tautological since nowadays his belonging to the canon seems a self-evident matter of fact and an indisputable truth. It is for this very reason, though, that a paradigmatic role has been conferred on Dante in the contemporary debate both by those who consider the canon a stable structure based on inner aesthetic values and by those who see it as a cultural and social construction. For instance, Harold Bloom suggests that 'Dante invented our modern idea of the canonical', and Edward Said, in his reading of Auerbach, seems to imply that Dante provided foundations for what we call literature "tout court". While his influence on other poets never ceased, the story of Dante's explicit canonization through the centuries revolved around the same critical points we are still discussing today: his anti-classical 'strangeness' in language and style, the trouble he occasions in genre hierarchies and distinctions, and the vastness of the philosophical and theological knowledge embraced by the "Commedia" (and, as a consequence, the relationship between literature and other realms of human experience). Dante's canonicity is also evinced by the ceaseless debates that he has inspired and the many cultural tensions of which he is the focus. In the next few pages Federica Pich tries to reflect on the features that make the "Commedia" central both to the arguments of the defenders of the aesthetic approach, such as Bloom and Steiner, and to the political claims of the so-called 'culture of complaint'.
'Perhaps the sodomites should be written out of Dante's "Inferno"', Jarman wrote in his journal on 1 August 1990: 'I'll offer myself as the ghostwriter.' What does he mean by 'ghostwriter' here? How queer is this odd speech-act? What is he offering to do to the homophobic landscape of the "Inferno", that forbiddingly sealed textual prison, with his Hollywood pitchman's casual bid to 'write out' the sodomites as if they were a slight embarrassment to the divine justice system? Is he speaking in jest as a writer of gay satires and sacrilegious memoirs, or in deadly earnest as an activist who had renounced the middle-class pretensions and frivolities of the pre-AIDS gay world? [...] Jarman counters the trope of homosexual theft visually with the triumphant figure of Man with Snake. The Dantesque merging of snake and thief is replaced by an erotic dance in which the gilded youth raises his phallic partner above his head and seductively kisses it on the mouth. Whereas Dante would have us notice the grotesque parody of the Trinity played out in the seventh bolgia - with the unchanging Puccio as God the Father, the two-natured Agnello-Cianfa as Christ, and the fume-veiled Buoso receiving his forked tongue from the serpent Francesco in a demonic replay of the gift of tongues from the Spirit - Jarman clears away all overdetermined theological meanings to revel in the purely aesthetic impact of the phallic dancer. All the ghosts from Dante's snakepit are conjured away in the film and replaced with the solid presence of a single gorgeously spotlit male body. Ghostwriting Dante, for Jarman, meant more than a mere appropriation of homoerotic scenes from the "Inferno" into his screenplay. It meant a complete reimagining of their aesthetic significance within the filmscape of his Dantean transformations.
Dante's "Inferno" and Walter Benjamin's cities : considerations of place, experience, and media
(2011)
When Walter Benjamin wrote his main texts, the theme of the city as hell was extremely popular. Some of his German contemporaries, such as Brecht or Döblin, also used it. Benjamin was aware of these examples, as well as of examples outside Germany, including Joyce's "Ulysses" and Baudelaire's "poetry". And he was - at least in some way - familiar with Dante's "Inferno" and used it, and in particular Dante's conception of hell, for his own purposes. Benjamin's appropriation of the topos of the Inferno has been seen as a critique of capitalism and as a general critique of modernism by means of allegory. In the following analysis, Angela Merte-Rankin takes a slightly different approach and, despite Benjamin's status as an expert on allegory, considers hell in its literal sense as a place and examines the issues of implacement that might follow from this standpoint.
Manuela Marchesini brings Agamben's ideas to bear on Gadda's "Pasticciaccio" and vice versa. While preserving the specificity of their different fields of operation, this mutual exposure contributes to reframing the Culture War of yore. On the one hand, we have a novel published after World War II with a tortuous gestation and convoluted publication history and reception, written by an author who happened to outlive his creative 'canto del cigno'; on the other, a philosophical and essayistic speculation on contemporary events. The function of Dante's "Comedy" in each author spans from the textual to the allegorical, but rests upon one single crucial common denominator: both Gadda and Agamben take literature seriously. [...] The present essay, part of a larger project unfolding along the same lines, attempts a 'close reading' in the spirit that Edward Said has solicited from the humanities in his lectures at Columbia - or, to put it differently, a tentative 'exercise' of critica in the wake of modern Italian Romance philology and textual criticism from Pasquali through Contini and Debenedetti (a lineage of which Agamben's approach appears to be mindful). [...] Marchesini passes over the general Dantesque infernal allegory of "Pasticciaccio" in order to expand on its final scene. Her thesis is that "Pasticciaccio's" allegorical use of Dante's "Comedy" does not just unravel its interpretive knot. It also points to a utopian overcoming of binarism that concurs with Agamben's reflections. "Pasticciaccio's" closure is neither an epiphany (in the sense of a final celebration of the missing piece that completes the puzzle of the novel), nor does it signal a collapse into ambiguity or irrationality (in the sense that everything is left undecided, wavering between one possibility and its opposite). Gadda maintains his interpellation of wholeness unequivocally throughout the novel.
During the Black Revolution, LeRoi Jones used a radical adaptation of Dante to express a new militant identity, turning himself into a new man with a new name, Amiri Baraka, whose experimental literary project culminated in "The System of Dante's Hell" in 1965. Dante’s poem (specifically, John Sinclair's translation) provides a grid for the narrative of Baraka's autobiographical novel; at the same time, the Italian poet's description of hell functions for Baraka as a gloss on many of his own experiences. Whereas for Ralph Ellison and Richard Wright, Dante marks a way into the world of European culture, Baraka uses Dante first to measure the growing distance between himself and European literature and then, paradoxically, to separate himself totally from it. Baraka's response to the poet at once confirms and belies Edward Said's claim that Dante's "Divine Comedy" is essentially an imperial text that is foundational to the imperial discipline of comparative literature. That Baraka can found his struggle against imperialist culture, as he sees it, on none other than this specific poem suggests the extent to which it is a richer and more complex text than even Said imagined. To see exactly how Baraka does this, Dennis Looney proposes to read several extended passages from "The System of Dante's Hell" to take stock of its allusiveness to the Italian model. For all the critical attention to Baraka, surprisingly no one has undertaken the necessary work of sorting out his allusions to Dante in any systematic way.
Early in his life Pasolini showed interest in Dante: in a letter sent to Luciano Serra in 1945, he declared that 'la questione di Dante è importantissima'. He later reaffirmed his interest in Dante in two attempts to rewrite the "Commedia": "La Mortaccia" and "La Divina Mimesis". [...] In 1963 he mentioned "La Divina Mimesis" for the first time. [...] Critics have mostly focused on the work's unfinished condition as a sign of the poetic crisis which Pasolini experienced at the end of his life. Scholarly interpretations of "La Divina Mimesis" can be divided into three main groups: the first strain can be primarily attributed to a 1979 essay by Giorgio Bàrberi Squarotti, four years after the publication of La Divina Mimesis. Bàrberi Squarotti attributes Pasolini's difficulty in completing his rewriting of the "Divine Comedy" to the author's ideology. The work's intermittent irony and its unfinished state are good indicators of the impossibility of recreating Dante's achievement, in particular the Dantean ideology. [...] The second strain of interpretation stresses the work's linguistic dimensions. The period when Pasolini conceives of the project of "La Divina Mimesis" corresponds, according to his repeated declarations, to a time of dramatic change in the Italian linguistic context. [...] Finally, the third type of interpretation locates "La Divina Mimesis" in the theoretical context of Pasolini's final conception of poetry. Here critics stress in particular the difference between the poet's intentions and the final result.[...] These three interpretative strains share the conviction that, in comparison with its model, Pasolini's project ends in failure. It is a failure in at least three senses: on the level of its ideology (not as strong as Dante's), on the level of reality (because of the linguistic standardization of Italian society), and on the level of aesthetics (even though the author pretends that his failure possesses an aesthetic value). This paper would like to question this conclusion: by redefining the object of mimesis and its conditions Davide Luglio tries to understand the reason why the author decided to print his work in a form that at first sight appears ill-defined and fragmentary.
In a 1949 letter, Cesare Pavese describes with great zeal the genesis of a new work - one he compares, albeit with a certain amount of irony, to Dante's Commedia. [...] This embryonic project would quickly become the novel "La luna e i falò", completed in less than two months and published shortly before Pavese's suicide in 1950. On the surface, there would seem little reason to take seriously the analogy drawn by the author between "La luna" and the "Commedia", for the novel in question contains no explicit references to the medieval poet. Tristan Kay argues in this essay, however, that the presence of Dante in "La luna" is both more pervasive and more significant than has previously been suggested. While critics have noted in passing several narrative and structural parallels between the two texts, which Kay details in Section II, no attempt has been made to consider their wider significance in our understanding of Pavese's novel. What follows is a reading of "La luna" which shows that the "Commedia" functions not simply as a formal model for Pavese, but, more importantly, as an ideological anti-model, in dialogue with which the author articulates his deeply pessimistic understanding of the human condition.
The 'fortuna di Dante' among English and American poets of the twentieth century is a rich story that continues on into this millennium with new permutations and undiminished energies. Pound and Eliot canonized Dante for more than one generation of poets and readers. It was "Purgatorio" rather than "Inferno" that both Pound and Eliot valorized, its charged and affectionate poetic encounters serving as a model for key moments in both their works. [...] Yet it was two American poets, James Merrill and Charles Wright, who focused their attention and delight specifically on the "Paradiso", a much less common predilection for both poets and general readers. [...] Wright says that he writes for the dead; sometimes he seems to write as the dead. It is this premature identification with the dead, even if sporadic, which makes Wright so different from both Dante and Merrill, for whom the afterlife is ultimately an affirmation of life. Both Dante and Merrill make us understand the usefulness of the fiction of the afterlife as a way of staging a dialogue with the dead - which is what much of poetry, perhaps much of life, is about. What all three poets share is a dream of paradise as a site that emboldens the imagination.
The 1935 Fox Films "Dante's Inferno" (directed by Harry Lachman) traces the rise and fall of an entrepreneur. Its protagonist, Jim Carter (played by Spencer Tracy), begins the story as a stoker on a cruise liner. The narrative opens with a burst of flames from the ship's boiler, and the ensuing scene goes on to show the protagonist competing at shovelling coal for a bet in the sweltering engine-room. Interspersed are shots of the superstructure directly above with a number of elegant and vapid passengers following the game below. This initial sequence thus concisely conveys the main features of the film's social agenda through imagery that anticipates that of two of its later 'infernal' sequences. [...] Spectacular admonition and concern about the ruthless pursuit of wealth are the main features which link this "Inferno" of the thirties to the one that had appeared some six hundred years earlier. Wealth and avarice were, of course, demonstrably serious concerns for Dante: as Peter Armour, for example, has shown, there is a recurrent and pervasive concern with money, its meaning, and its misuse throughout the "Commedia". So it is not surprising that the "Inferno" should also have been appropriated by social critics some hundred years before the 1935 Hollywood fable. [...] Some of the narrative and visual patterns in "Dante's Inferno" imply an uneasy underlying vision of the movie industry and its practices. Other productions, publicity, and journalism of the time reinforce suggestions of such a metafictional approach to movies, morality, and the market in the 1935 "Dante's Inferno".
"Nel regno oscuro" is the first part of a planned trilogy inspired by the "Divine Comedy", integrating the Middle European style of Giorgio Pressburger's previous works with the attempt to engage with the first part of Dante's poem. The role of Virgil, Dante's guide in the "Inferno", is taken by Sigmund Freud, and the journey of the melancholic protagonist begins as psychoanalytic therapy to enable him to come to terms with the loss of his father and his twin brother, but soon turns into a journey through the realm of the dead which, like the "Divine Comedy", takes the shape of a series of encounters with the shades of historical figures. Thus Dante's descent to hell metamorphoses into a phantasmagoric voyage to the most intimate and obscure dimensions of the human psyche as well as a journey through the tragic events of history in the twentieth century - and the Shoah in particular. The combination of the personal, the collective, and even the universal is one of the most interesting aspects Pressburger takes from Dante's poem. In the following analysis Manuele Gragnolati explores how both Dante's "Divine Comedy" and Pressburger's "Nel regno oscuro" place personal and collective suffering at the centre of their own narratives and stage writing as a political, ethical, and possibly 'salvific' way to deal with this dual suffering, even as they differ in their concepts of identity and selfhood on the one hand and in their models of history on the other.
Dante as a gay poet
(2011)
The reception of the "Vita nuova" among contemporary Italian poets is not based on the love theme. The "Vita nuova" provides Italian twentieth-century poets more with a model of autobiographical writing than with an erotic paradigm. What is essential is that the imitation of the "Vita nuova" expresses a clearly polemical anti-Petrarchan poetics - something which, of course, one would have no reason to look for in American poets. The American poet Frank Bidart's idiosyncratic appropriation of the young Dante, as opposed to the Dante-versus-Petrarch-based interpretation of Italian poets, is peculiar but by no means as exceptional in the American panorama as it might at first appear. Other gay American poets also treat Dante as a model: Robert Duncan, J. D. McClatchy, and James Merrill. In this essay Nicola Gardini attempts to explore, however rapidly, the grounds on which Dante may have become so essential for such poets. To be sure, the Dantism of these gay American poets may be viewed as a particular moment of the well-established American interest in Dante which goes as far back as Emerson and Longfellow and had its peak in Pound and Eliot. But Gardini argues that such gay Dantism - which no survey of Dante's twentieth-century influence has yet brought to the fore - is a kind of cultural allegiance stemming originally and specifically from the soil of gay discourses and gender preoccupations. Interestingly, Dante, not Petrarch, also serves as a model for some Italian homosexual poets: Michelangelo, Pier Paolo Pasolini, and Giovanni Testori. What, then, is it in the work of a poet like Dante, who confined the sodomites in hell and mostly sang the praises of one woman, that is so compatible with, indeed inspiring for, gay views?
In December 1960 the Leo Castelli Gallery in New York displayed a series of thirty-four illustrations of the "Inferno" by the avant-garde artist Robert Rauschenberg. Rauschenberg had developed this project over the previous two years, working on it almost exclusively, first in New York City, and then in an isolated storage room in Treasure Island, Florida, where he retreated to concentrate on the last half of the cycle. [...] Whatever the spark that set the project in motion, we find Rauschenberg's reply to his detractors here: the refuse that crowded his "Combines" was no joke, nor was it there to undermine or deride high art in the spirit of Dada. With his collection of things, he was composing a new language, turning fragments - the ruins of his environment and culture - into emblems. And what is an emblem if not a composite figure, an assemblage of diverse fragments into a new unity and order? As such, it is an elusive visual allegory whose pictorial image tends to lose its consistency and become a sign open to interpretations; in it, the different narratives springing from its multiple nature come together and give birth to a polysemic language. It is with this language, abstract and referential at the same time, that Rauschenberg translates Dante's poem and makes it new by linking it to something in existence, present in the viewer’s reality of mechanically reproduced images. By choosing 'to ennoble the ordinary', he, perhaps unconsciously, became the hermeneutist of his age and gave durability to what was trivial and precarious.
Between 1816 and 1821, the philologist François Raynouard (1761–1836) published a "Choix des poésies originales des troubadours". His connections with Madame de Staël's cultural circle at Coppet determined the construction of the myth of courtly love as a forerunner of Romantic love. [...] Acording to this cultural tradition, Dante is an intermediate (although pre-eminent) step in the history of Western desire, a process begun in medieval Provence and revitalized by European Romanticism. When Lacan approaches Dante, it is therefore one Dante - this Dante - that he is approaching. The present essay, in which Fabio Camilletti analyses three tightly interwoven texts, explores some of the reverberations of this encounter. In 1958, Lacan published in "Critique" an article entitled 'La jeunesse d'André Gide, ou la lettre et le désir'. This text, later included in Lacan's "Écrits", was meant to be a review of a biography of the young Gide published in 1956 by Jean Delay, entitled "La jeunesse d'André Gide". In comparing Gide's life with his works of youth, Delay notably focused on Gide's novel of 1891, "Les Cahiers d'André Walter", the third text on which Camilletti focuses his inquiry. These three texts evoke in various ways the relationship between Dante and Beatrice, using it as a cultural allusion through which specific problems of sexuality (or, better, of the absence of sexuality) are conveyed. This essay aims therefore to be a study in the rhapsodic and subterranean presence of Dante and the "Vita Nova" between the end of the nineteenth and the twentieth centuries, as well as in the relationship between literature and psychoanalysis through the quartet Dante-Gide-Delay-Lacan.
'Dante and Ireland', or 'Dante and Irish Writers', is an extremely vast topic, and to cover it a book rather than an essay would be necessary. If the relationship between the poet and Ireland did not begin in the fourteenth century - when Dante himself may have had some knowledge of, and been inspired by, the "Vision of Adamnán", the "Vision of Tungdal", and the "Tractatus de purgatorio Sancti Patricii" - the story certainly had started by the eighteenth, when the Irish man of letters Henry Boyd was the first to produce a complete English translation of the "Comedy", published in 1802. Even if one restricts the field to twentieth-century literature alone, which is the aim in the present piece, the list of authors who are influenced by Dante includes Yeats, Joyce, Beckett, and Heaney - that is to say, four of the major writers not only of Ireland, but of Europe and the entire West. To these should then be added other Irish poets of the first magnitude, such as Louis MacNeice, Ciaran Carson, Eiléan Ní Cuilleanáin, and Thomas Kinsella. Therefore Piero Boitani treats this theme in a somewhat cursory manner, privileging the episodes he considers most relevant and the themes which he thinks form a coherent and intricate pattern of literary history, where every author is not only metamorphosing Dante but also rewriting his predecessor, or predecessors, who had rewritten Dante. Distinct from the English and American Dante of Pound and Eliot, an 'Irish Dante', whom Joyce was to call 'ersed irredent', slowly grows out of this pattern.
Transforming a text - narrative or poetic - into a play, made of dialogues and organized into scenes, has been one of the most frequent forms of literary transcodification both in the past and in the present. We can find examples of this procedure at the very origins of Italian theatre, which indeed began as the rewriting of earlier texts, both in the "sacre rappresentazioni" and in the profane field: the Bible in the first case and the Ovidian mythologies in the second. Poliziano's "Fabula d'Orfeo" and "Cefalo e Procri" by Niccolò da Correggio are the first well-known examples of this process. Thus, the metamorphosis of a text into a dramatization has many models in the history of theatre and literature. It would be of great interest to start with an overview of the different types, aims, and forms of transcodification of texts that are enacted in order to create dramatizations capable of being performed on stage. Erminia Ardissino attempts to offer an introduction to her study of Giovanni Giudici's play about Dante's "Paradiso" with a brief discussion of three different practices of theatrical transcodification. She looks at three pièces written at the request of the Italian scenographer Federico Tiezzi between 1989 and 1990 as stage productions of the three cantiche of the Divine Comedy. Although they belong to the same project, are inspired by the same person, and share a unified aim, the three pièces created by Edoardo Sanguineti, Mario Luzi, and Giovanni Giudici show three different approaches to the task of transcodifying a text in order to produce a drama - the task, in Genette's words, of creating a theatrical palimpsest.
Wenn man die Broch'schen Betrachtungen durchblättert, wie auch jene einiger Zeitgenossen, scheinen sie nicht nur ideengeschichtliche Resonanz, also rein akademisch-historisches Interesse, auszulösen, vielmehr erinnern viele Äußerungen an die Gegenwart oder regen zu Vergleichen mit der späteren Moderne (oder eben: mit der Postmoderne, Spätmoderne oder zweiten Moderne) an. Man stolpert über Beobachtungen, die sich in gegenwärtigen zeitdiagnostischen Studien wiederfinden, zum Teil bis in die Wortwahl hinein. Natürlich könnte man beide Arten von Literatur, damals wie heute, damit abtun, dass sich kulturpessimistisches Vokabular immer in gleicher Weise darstelle und demgemäß die verwendeten Denkfiguren immer ziemlich ähnlich seien. Man könnte aber auch dem Gedanken nachgehen, ob es sich nicht bei den beschriebenen Phänomenen um solche handelt, die seinerzeit, schon an der Wende zum 20. Jahrhundert, ihren ersten "Anlauf" zu verzeichnen hatten, während sie, nach mancherlei Bremsversuchen in der ersten Hälfte des Jahrhunderts erst in der Gegenwart zur vollen Entfaltung gelangt sind. Es könnte ja sein, dass schon in jener Zeit, als die Moderne erst so recht zu sich selbst gekommen ist, kräftige Tendenzen hin zu jener Welt spürbar und wahrnehmbar geworden sind, die als Postmoderne zu bezeichnen man sich mittlerweile angewöhnt hat. Die historische Zeitdiagnose könnte sich mit der aktuellen Zeitdiagnose überlagern. Es könnte - schon damals - von "uns" die Rede gewesen sein. Wie "postmodern" war Broch?
In diesem Aufsatz geht es um einen Teil jener Ansätze von Karl Kraus, die bei der Entfaltung der Wiener historischen Avantgarde eine besondere, jedoch kaum geachtete Rolle gespielt haben. Denn er war es, der, nach den 1896 begonnenen Attacken auf den etablierten Pol des literarischen Feldes (der Kleinproduktion), sich ab 1912 auch gegen die Avantgarde richtete: nicht nur gegen den Expressionismus, wie oft behauptet wird, sondern auch gegen den Aktivismus, Dadaismus und Konstruktivismus. Er übernahm also zuerst die anderswo den Avantgardisten zukommende Rolle - nämlich die Zurückdrängung der klassischen Moderne - und anschließend versuchte er, auch jene überflüssig erscheinen zu lassen. All dies vollzog er nicht ausschließlich, doch überwiegend in seiner eigenen Zeitschrift "Die Fackel"; in einem Einzelunternehmen, das dazu da war, die Kraus’sche Sichtweise einem breiten Publikum zugänglich zu machen, sprich: eine selbstständige Position zu etablieren. Das war ihm auch gelungen und er wurde dabei selten und nur geringfügig von dem einen oder anderen Netzwerk unterstützt oder getragen. [...] Im Anschluss an die Analyse des in dieser Arbeit vorerst aus undetaillierten Bestimmungen bestehenden Kontextes wurde eine Analyse der Fackel in ihren Verknüpfungen zu den Ismen unternommen. Die digitale Ausgabe der Fackel wurde durch zahlreiche Begriffe, die dem Vokabular der Avantgarde angehören, gefiltert. Der Bericht diskutiert einen Teil der Ergebnisse, die mit den Suchbegriffen "Expressionismus", "Futurismus", "Dadaismus", "Konstruktivismus", "Raumbühne" sowie "Neutöner", "Hans Arp" und "Friedrich Kiesler" erzielt wurden.
Das Weibliche als Natur, Rolle und Posse : sozio-theatrale Tableaus zwischen Shakespeare und Nestroy
(2011)
Es wäre viel zu einfach, die in einer bestimmten historischen Konstellation verbreitete Rede davon, was "weiblich" und was "männlich" sei (eine Rede, der die Alltagsrealität des Einzelnen ohnehin entgegengesetzt sein kann), und die in einem Bühnenstück vorgeführten Verhaltensweisen von Frauen und Männern in eins zu setzen. Zu bedenken ist vielmehr, was Walter Obermaier über die Frauen bei Nestroy schreibt: dass sie nämlich "generell einer Welt der Fiktion zugehörig [sind], in der Possentradition und Theaterkonventionen eine entscheidende Rolle spielen" - oder allgemeiner formuliert, dass Kunst, Alltagswissen und die Autorität wissenschaftlicher Rede je spezifische Funktionen für einen Diskurs besitzen und dabei in verschiedene Beziehungen zueinander treten können. Dies vorausgesetzt, möchte Marion Linhardt im Folgenden einem traditionellen Thema des komischen Theaters nachgehen: dem Aufeinandertreffen von geschlechtsbezogener Norm einerseits und Abweichung von dieser Norm andererseits. Das genre- wie geschlechtergeschichtliche Feld wird dabei durch William Shakespeares "The Taming of the Shrew" (um 1592) und Nestroys "Gewürzkrämer-Kleeblatt" (Theater an der Wien 1845) aufgespannt. Die Verschiebungen im Geschlechterdiskurs, die sich innerhalb dieses Feldes vollzogen, und das jeweilige Potenzial dieses Diskurses im Hinblick auf komische Genres lassen sich beispielhaft anhand der maßgeblichen Wiener Shrew-Adaption des 19. Jahrhunderts nachvollziehen: gemeint ist "Die Widerspänstige" (Burgtheater 1838) des Nestroy-Zeitgenossen Johann Ludwig Deinhardstein, ein Stück, das seinerseits nach zwei Richtungen hin kontextualisiert werden soll - zunächst durch einen Blick auf die im deutschsprachigen Raum viel gespielten älteren Shrew-Bearbeitungen von Johann Friedrich Schink und Franz Ignaz von Holbein, dann durch Beobachtungen zu einem programmatischen Stück aus dem unmittelbaren Umfeld der "Widerspänstigen", nämlich Wilhelm Marchlands Lustspiel "Frauen-Emancipation" (Theater in der Josephstadt 1839). Der Ausgangspunkt der Überlegungen ist ein doppelter: Es wird gefragt, wie sich die aus dem erwähnten Aufeinandertreffen von Norm und Abweichung resultierende Komik zur - historisch bedingten - Disposition von Genres verhält und welche Dimensionen das Phänomen des Rollenspiels in diesem sozio-theatralen Tableau gewinnt.
Wer ist Margherita Salicola? Man erfährt über sie in den einschlägigen Lexika nur, sie sei die Schwester der Sängerin Angiola (oder Angela) Salicola und die berühmtere der beiden gewesen, daß aber sich kaum Nachrichten über sie erhalten hätten, außer jener daß sie, wie ihre Schwester, in den Diensten des Herzogs Ferdinando Carlo (IV.) Gonzaga von Mantua gestanden habe und dann mit Johann Georg III. nach Dresden gegangen sei. Schon Lorenzo Bianconi und Thomas Walker hatten in einem langen Artikel, der noch heute die Grundlage aller sozialgeschichtlichen Arbeiten zur Operngeschichte des 17. Jahrhunderts ist, herausgearbeitet, daß die ca. 1660 geborene Sängerin in den 1680er Jahren zu den international berühmtesten italienischen Sängerinnen gehörte und ihr Ruhm auch jenseits der Alpen noch am Anfang des 18. Jahrhunderts nicht verblaßt war. 1682 begegnet Salicola zum erstenmal als Sängerin am Teatro San Salvatore in Venedig in einer Oper Giovanni Legrenzis und trat im folgenden Jahr in Pietro Andrea Zianis "Il talamo preservato dalla fedeltà d’Eudossa" in Reggio Emilia auf. Kurz darauf sang sie in Venedig, wo ihr der sächsische Kurfürst begegnete, der sie - davon handelt der folgende Text - mit nach Dresden nahm, wo sie, die erste Primadonna jenseits der Alpen wurde. 1693, nachdem sie Dresden verlassen hatte, trat sie in Wien auf und ist ab 1696 erneut in Italien nachweisbar. [...] War Salicola bei den Zeitgenossen berühmt wegen ihres Gesangs, so wurde sie musikhistorisch vor allem bekannt durch ihre angebliche Entführung aus Venedig, die noch im 19. Jahrhundert und bis heute immer wieder erzählt wurde. Aber auch außerhalb der musikwissenschaftlichen Literatur werden die im folgenden dargestellten Ereignisse anekdotisch erzählt und mit der "Theaterbegeisterung der höfischen Gesellschaft" erklärt. Im folgenden soll dem, im Detail gelegentlich verwirrenden, "Salicola incident" erneut nachgegangen werden, um ihn dann innerhalb des politisch-kulturellen Rahmens zu erklären.
Theaterkulturen - Kulturtheater präsentiert u.a. die Ergebnisse der im Rahmen des LiTheS-Workshops "Habitus" im Mai 2009 geführten und davon angestoßenen Diskussionen. Michael Walter: Der Fall Salicola oder Die Sängerin als symbolisches Kapital - Marion Linhardt: Das Weibliche als Natur, Rolle und Posse : Sozio-theatrale Tableaus zwischen Shakespeare und Nestroy - Zoltán Péter: Karl Kraus und die Avantgarde - eine mehrschichtige Beziehung - Manfred Prisching: Der spätmoderne Hermann Broch
Nachdem der erste große Krieg der Moderne Ende Juli 1914 seinen Anfang genommen hatte und innerhalb weniger Monate immer mehr Nationen in ein Kampfgeschehen von bis dahin unerreichtem Ausmaß eingetreten waren, ließ es sich – so wird in ausgewählten Puppenspielen der Zeit berichtet – alsbald auch ein altbekannter Spaßmacher und berühmtberüchtigter Spitzbub nicht nehmen, im weltumspannenden Kriegsgetümmel mitzumischen. Mit dem Kasper(l) unserer Tage, der wohl in vielen Menschen kraft seiner herzerwärmenden Kindlichkeit und seiner schalkhaften Harmlosigkeit Assoziationen an die eigene Kindheit hervorruft, hat der Lustigmacher des Ersten Weltkriegs wenig gemeinsam. Vorausgeschickt sei an dieser Stelle ein wesentlicher Aspekt: beim Kriegskasper(l) der Jahre 1914 bis 1918 handelt es sich nicht um eine für ein Kinderpublikum konzipierte Figur. In weiterer Folge differieren beispielsweise die Inhalte, die Figurenkonzeption oder die Darstellungsmittel in erheblicher, ja mitunter frappierender Weise von dem, was der unbedarfte Rezipient von heute sich vermutlich von einem Kasper(l)theater erwarten würde. Zum Gegenstand wissenschaftlicher Forschungen wurde der Spaßmacher des Ersten Weltkriegs allerdings äußerst selten erklärt: Sowohl die Literatur-, die Theater- und die Sprachwissenschaften als auch die historisch-volkskundlichen Disziplinen schenkten diesem Randphänomen des Literatur- und Kulturbetriebs bisher spärlich Beachtung. [...] Programm und zugleich Ziel dieser Masterarbeit ist eine Annäherung an das Phänomen des Kasper(l)s der Weltkriegszeit auf mehreren Ebenen unter Rückgriff auf ein interdisziplinäres Instrumentarium, wobei der philologische Zugang zu den Primärtexten durch die zusätzliche Einbeziehung sozialhistorischer wie auch soziologischer Theorien und Methoden maßgeblich bereichert werden kann. Diese fächerübergreifende Herangehensweise wurde gewählt, da die Kasper(l)stücke der Weltkriegsjahre 1914 bis 1918 eine Fülle von Anspielungen auf politische Ereignisse und soziale Zustände in sich bergen wie auch auf ihre sehr spezifische Weise die Gesellschaft bzw. die nationale Gemeinschaft der damaligen Zeit samt ihren Charakteristika, Anforderungen und Problemen widerspiegeln.
Die "Interjekte" geben Einblicke in die laufende Forschung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des ZfL, dokumentieren Vorträge und präsentieren Tagungs- und Workshopergebnisse. Sie erscheinen in loser Folge digital und im Open Access ('Goldener Weg') hier auf der Website des ZfL und sind auch über CompaRe, das Fachrepositorium für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft bei der Universitätsbibliothek Frankfurt am Main, zugänglich. Das ZfL unterstützt damit den freien Zugang zu öffentlich finanzierten Forschungsergebnissen im Internet. Seit 2018 werden die "Interjekte" von Mona Körte, Georg Toepfer und Daniel Weidner herausgegeben. Alle Beiträge durchlaufen einen internen Begutachtungsprozess und werden sorgfältig redigiert.
If there is one thing to be learned from David Foster Wallace, it is that cultural transmission is a tricky game. This was a problem Wallace confronted as a literary professional, a university-based writer during what Mark McGurl has called the Program Era. But it was also a philosophical issue he grappled with on a deep level as he struggled to combat his own loneliness through writing. This fundamental concern with literature as a social, collaborative enterprise has also gained some popularity among scholars of contemporary American literature, particularly McGurl and James English: both critics explore the rules by which prestige or cultural distinction is awarded to authors (English; McGurl). Their approach requires a certain amount of empirical work, since these claims move beyond the individual experience of the text into forms of collective reading and cultural exchange influenced by social class, geographical location, education, ethnicity, and other factors. Yet McGurl and English's groundbreaking work is limited by the very forms of exclusivity they analyze: the protective bubble of creative writing programs in the academy and the elite economy of prestige surrounding literary prizes, respectively. To really study the problem of cultural transmission, we need to look beyond the symbolic markets of prestige to the real market, the site of mass literary consumption, where authors succeed or fail based on their ability to speak to that most diverse and complicated of readerships: the general public. Unless we study what I call the social lives of books, we make the mistake of keeping literature in the same ascetic laboratory that Wallace tried to break out of with his intense authorial focus on popular culture, mass media, and everyday life.
In the last few years, literary studies have experienced what we could call the rise of quantitative evidence. This had happened before of course, without producing lasting effects, but this time it’s probably going to be different, because this time we have digital databases, and automated data retrieval. As Michel’s and Lieberman’s recent article on "Culturomics" made clear, the width of the corpus and the speed of the search have increased beyond all expectations: today, we can replicate in a few minutes investigations that took a giant like Leo Spitzer months and years of work. When it comes to phenomena of language and style, we can do things that previous generations could only dream of.
When it comes to language and style. But if you work on novels or plays, style is only part of the picture. What about plot – how can that be quantified? This paper is the beginning of an answer, and the beginning of the beginning is network theory. This is a theory that studies connections within large groups of objects: the objects can be just about anything – banks, neurons, film actors, research papers, friends... – and are usually called nodes or vertices; their connections are usually called edges; and the analysis of how vertices are linked by edges has revealed many unexpected features of large systems, the most famous one being the so-called "small-world" property, or "six degrees of separation": the uncanny rapidity with which one can reach any vertex in the network from any other vertex. The theory proper requires a level of mathematical intelligence which I unfortunately lack; and it typically uses vast quantities of data which will also be missing from my paper. But this is only the first in a series of studies we’re doing at the Stanford Literary Lab; and then, even at this early stage, a few things emerge.
This paper is the report of a study conducted by five people – four at Stanford, and one at the University of Wisconsin – which tried to establish whether computer-generated algorithms could "recognize" literary genres. You take 'David Copperfield', run it through a program without any human input – "unsupervised", as the expression goes – and ... can the program figure out whether it's a gothic novel or a 'Bildungsroman'? The answer is, fundamentally, Yes: but a Yes with so many complications that it is necessary to look at the entire process of our study. These are new methods we are using, and with new methods the process is almost as important as the results.
Rezension zu Martin Schüwer: Wie Comics erzählen. Grundriss einer intermedialen Erzähltheorie der grafischen Literatur. Trier (WVT Wissenschaftlicher Verlag Trier) 2008 (= WVT-Handbücher und Studien zur Medienkulturwissenschaft; Bd. 1). 574 S.
Mit seiner 2006 an der Universität Gießen eingereichten Dissertation, die hier in der Druckfassung vorliegt, hat sich der Verf. nicht weniger zum Ziel gesetzt als die Formulierung einer "modifizierten Erzähltheorie, mithin einer Theorie nicht mehr des sprachlichen, sondern des visuellen Erzählens" anhand des Mediums Comic.
Rezension zu Robert Matthias Erdbeer: Die Signatur des Kosmos. Epistemische Poetik und die Genealogie der Esoterischen Moderne. Berlin, New York (de Gruyter) 2010 (= Studien zur deutschen Literatur, Bd. 190). 766 S.
Friedrich Schlegels Würdigung der schriftstellerischen Leistungen Georg Forsters bietet Anlaß zur einleitenden Exposition des Themas dieser groß angelegten Studie, einer Tübinger Dissertation, die qualitativ wie quantitativ den Vergleich mit Habilitationsschriften bestens aushält: In den Blick rücken Schreibweisen, die inhaltlich zwar auf die Vermittlung von Wissen über die Welt, insbesondere über die Natur, abzielen, damit aber ästhetische Merkmale und Arrangements verbinden, die sie der literarischen Sphäre naherücken lassen.
[Rezension zu:] Wilhelm Amann, Georg Mein u. Rolf Parr (Hg.): Gegenwartsliteratur und Globalisierung
(2011)
Rezension zu Wilhelm Amann, Georg Mein u. Rolf Parr (Hg.): Gegenwartsliteratur und Globalisierung. Konstellationen - Konzepte - Perspektiven. Heidelberg (Synchron) 2010. 360 S.
Der vorliegende Band ist das Ergebnis der Tagung "Globalisierung und deutschsprachige Gegenwartsliteratur. Konstellationen, Konzepte, Perspektiven" im Dezember 2008 an der Universität Luxemburg. Wie bei einem solchen Projekt zu erwarten, bietet der Band einen (durchaus positiv zu wertenden) inhomogenen Einblick in den aktuellen Stand der Forschung zum "Konzeptschlagwort" Globalisierung.
[Rezension zu:] Sabine Coelsch-Foisner u. Dorothea Flothow: High Culture and/versus Popular Culture
(2011)
Rezension zu Sabine Coelsch-Foisner u. Dorothea Flothow: High Culture and/versus Popular Culture. Heidelberg (Universitätsverlag Winter) 2009 (= Wissenschaft und Kunst; Bd. 12). 208 S.
Das Verhältnis von Hoch- und Populärkultur beschäftigt weder die Literaturwissenschaft noch die Kulturtheorie erst seit jüngster Zeit. Doch jenseits einer Wertungskritik a la Killy, Broch oder Adorno/Horkheimer einerseits und eines die Grenzüberwindung postulierenden Kulturoptimismus' im Sinne Susan Sontags oder Umberto Ecos Rechtfertigung der Massenkultur andererseits, bietet diese Distinktion immer noch genug Anlaß zur Diskussion und Auseinandersetzung, wie der die Beiträge der im Jahr 2007 in Salzburg stattgefundenen 18. 'British Cultural Studies Conference' in Auswahl umfassende Band belegt. Ziel der Konferenz war es, so die Herausgeberinnen, "to explore the relationship between high culture and popular culture in terms of dynamic processes." Im Band wird dieses Vorhaben mehr oder minder eingelöst durch 13 insgesamt recht blasse Fallstudien, denen zwei theoretische Beiträge vorangestellt sind.
Rezension zu Eckart Goebel u. Elisabeth Bronfen (Hg.), Narziss und Eros. Bild oder Text? Göttingen (Wallstein Verlag) 2009. (= Manhattan Manuscripts, hg. von Eckart Goebel, Paul Fleming u. John T. Hamilton, Bandnummer: 2), 302 S.
'Narziss und Eros', Band 2 der 'Manhattan Manuscripts', die Eckart Goebel mit Paul Fleming und John T. Hamilton herausgibt, setzt literaturhistorisch bei Ovids Fassung des Narziss-Mythos an und geht zeitgemäß - kontextgebunden - einen großen Schritt über Freud hinaus. Anstatt sich an den Ungereimtheiten, Spannungen und Widersprüchen der Ausführungen Freuds abzuarbeiten, legt der Band ohne viel Aufhebens die Kriterien narzisstischer Persönlichkeitsstörung nach dem Diagnoseklassifikationssystem DSM-N ('Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders', Fourth Edition) der American Psychiatrie Association zugrunde, holt Eros in den Titel und bringt damit (Un)Ordnung in Ovids und Freuds Ordnungen der Geschlechter.
Rezension zu Elisabeth Arend, Elke Richter u. Christiane Solte-Gresser (Hg.), Mittelmeerdiskurse in Literatur und Film / La Méditerranée: représentations littéraires et cinématographiques. Frankfurt am Main (Peter Lang) 2010 (= Mittelmeer: Literaturen - Kulturen, hg. von E. Arend u. E. Richter, Bd. 2). 317 S.
Rezension zu Geert Brône u. Jeroen Vandaele (Hg.): Cognitive Poetics. Goals, Gains and Gaps. Edited by. Berlin, New York (Mouton de Gruyter). 561 S.
Der von Geert Brône (Leuven) und Jeroen Vandaele (Oslo) herausgegebene Band zeigt auf einem sehr hohen und sachkundigen Niveau, an welchen Stellen tatsächlich Skepsis angebracht ist, aber zugleich auch, dass es sich bei den 'Cognitive Poetics' um ein außerordentlich vielfältiges, interdisziplinäres und forderndes Gebiet handelt.
Rezension zu Michael Niehaus: Das Buch der wandernden Dinge. Vom Ring des Polykrates bis zum entwendeten Brief. München (Hanser) 2009. 406 S.
"Die Geschichte eines wandernden Dinges kann dazu bestimmt werden, das Ding mit Bedeutung zu beladen, zu befrachten. Doch was geschieht mit dieser akkumulierten Bedeutung, wenn die Geschichte am Ende ist?"(159), fragt Michael Niehaus mitten in seiner groß angelegten Studie zu wandernden Dingen in Literatur und Film.
Rezension zu Gerigk, Horst-Jürgen: Ein Meister aus Russland. Beziehungsfelder der Wirkung Dostojewskijs. Vierzehn Essays. Heidelberg (Winter) 2010. 215 S.
Gerigk vereinigt vierzehn Essays zu Dostoevskij, darunter drei Erstpublikationen und elf Bearbeitungen von Veröffentlichungen der Jahre 1981 bis 2006. Texte Dostoevskijs kommunizieren mit solchen von Turgenev, Heidegger, Schiller, E.T.A. Hoffmann, Faulkner, Flaubert, Hauptmann, Salinger, Joyce, Sylvia Plath und anderen.
Boris Previšić (Hg.): Die Literatur der Literaturtheorie. Bern u. a. (Lang) 2010. S. 199.
Dieser Band markiert eine veritable Lücke in der Literaturwissenschaft und schließt sie wenigstens ansatzweise, indem er eine alltägliche Beobachtung fruchtbar macht: Bestimmte (naturgemäß genau deshalb mittlerweile kanonisierte) Autoren oder Texte haben so innovativ in die Weiterentwicklung literarischer Möglichkeiten eingegriffen oder den Lesern so elementar die Augen für Neues oder Selbstverständliches geöffnet, dass sie nicht nur in dem Umfang, wie dies für jeden beliebigen Beitrag zur Literatur gilt, sondern mit erheblicher Wirkung die Literaturwissenschaft selbst verändert haben.
Rezension zu Konrad Meisig (Hg.): Ruhm und Unsterblichkeit. Heldenepik im Kulturvergleich. Wiesbaden (Harrassowitz) 2010. VII u. 194 S.
Es ist erstaunlich, wie schmal die neuere Forschungsliteratur zu jenem literarischen Genre ist, das bis ins 18. Jh. die Dignitätsrangliste der Gattungen anführte: das Epos. Wenngleich dieser Terminus mit den Spielarten Lehrgedicht, geistliches oder allegorisches Epos, mock-heroic u. a. deutlich mehr Optionen umfasst, assoziiert die Literaturgeschichte doch zumeist das sogenannte Heldenepos. So war es eine sinnvolle und zugleich lückenfüllende Initiative, im Sommersemester 2007 eine Ringvorlesung an der Universität Mainz der Heldenepik im Kulturvergleich zu widmen. Die zwölf Beiträge des Sammelbandes sind denn auch grundsätzlich nach dem Maß einer Vorlesung dimensioniert. Sie sind chronologisch angeordnet und behandeln einerseits "gesetzte", kanonische Texte der Heldenepik wie die Werke Homers und Vergils, andererseits aber wenig bekannte Paradigmen aus außereuropäischen Literaturen bzw. exzentrischere Beispiele, an denen sich die Spannbreite des Heroisch-Epischen beweist.
Rezension zu Uta Degener u. Norbert Christi an Wolf (Hg.): Der neue Wettstreit der Künste. Legitimation und Dominanz im Zeichen der Intermedialität. Bielefeld (Transcript) 2010. 269 S.
Im Konnex der Intermedialitätsdebatte werfen die Herausgeber einleitend die Frage nach der künstlerischen Dominanz wie auch der gesellschaftlichen Legitimität distinkter Kommunikationsmedien auf, worauf auch der Fokus dieses Sammelbandes gerichtet ist.
Rezension zu Klimek, Sonja: Paradoxes Erzählen. Die Metalepse in der phantastischen Literatur. Paderborn (mentis) 2010 (= Explicatio. Analytische Studien zur Literatur und Literaturwissenschaft). S 442.
Sonja Klimek versucht in ihrer Arbeit, die im Jahr 2009 als Dissertation an der 'Université de Neuchâtel' angenommen wurde, eine - wie sie ihre Einleitung betitelt - "Annäherung an ein (nicht nur) literarisches Phänomen": die Metalepse.
Rezension zu Theisohn, Philipp: Plagiat. Eine unoriginelle Literaturgeschichte. Stuttgart (Kröner) 2009. 591 S.
Eine "Mentalitätsgeschichte" verspricht Philipp Theisohn in seiner Einleitung - "sie enthüllt nicht, sondern beobachtet vielmehr, wie sich Enthüllungen und Verhüllungen von Textvergehen im Laufe der Jahrhunderte entwickeln." (XII). Es gilt zu wissen, "in welcher Weise, unter welchen Umständen, zu welcher Zeit und mit welchen Folgen der Mensch auf die Vorstellung des Plagiats verfällt." (XIII) Auf dem Weg durch die Literaturgeschichte hin zu diesem Wissen sollen drei Thesen überprüft werden (3):
1. Zu einem Plagiat gehören immer drei Beteiligte: ein Plagiierter, ein Plagiator und die Öffentlichkeit.
2. Plagiate entstehen dadurch, dass man sich von ihnen erzählt.
3. Plagiate verhandeln grundsätzlich ein "inneres" Verhältnis von Text und Autor.
Rezension zu Peter Schnyder: Alea. Zählen und Erzählen im Zeichen des Glücksspiels 1650-1850. Göttingen (Wallstein Verlag) 2009. 436 S.
Wenn man sich mit der bedeutenden Rolle beschäftigt, die der Zufall in der Literatur und Kunst des 20. Jahrhunderts von Dada über John Cage bis hin zu von Zufallsgeneratoren hergestellten Werken spielt, übersieht man leicht die gut zweihundertjährige Vorgeschichte, in der der Zufall und das untrennbar mit ihm verbundene Glücksspiel bereits durch die Literatur geisterte. Die ab der Mitte des 17. Jahrhunderts zu beobachtende wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Zufall und Wahrscheinlichkeit blieb nicht ohne Auswirkungen auf die Literatur - und vice versa: neue Narrative führten zur Veränderung der Sicht auf die Möglichkeiten der Vorhersehbarkeit der Zukunft. Das Glücksspiel wurde zum gängigen Motiv in literarischen Texten, und auch die formale Ebene (Handlungsführung, Erzählweise u. ä.) blieb von den Überlegungen zu den Geheimnissen des Weltlaufs nicht unberührt. In seiner Züricher Habilitationsschrift widmet sich Peter Schnyder eben der Frage, wie die Glücksspielmetapher "zu einer der zentralen (Des-)Orientierungsmetaphern der Moderne" und zum Inbegriff des Irrationalen und Abenteuerlichen wurde, sowie der durch die verstärkte Kontingenzerfahrung ausgelösten Krise des Erzählens.
From Arthouse to Grindhouse - and back? : Wechselbeziehungen zwischen Hoch- und Populärkultur
(2011)
Bericht zur Tagung 'From Arthouse to Grindhouse - and back? Wechselbeziehungen zwischen Hoch- und Populärkultur', Abteilung für Vergleichende Literaturwissenschaft der Universität Wien, Societa - Forum für Ethik, Kunst und Recht, Filmarchiv Austria, 5. bis 7. Mai 2011
Die von Keyvan Sarkhosh (Wien) und Paul Ferstl (Wien) organisierte Tagung, die im Studiokino des Filmarchivs Austria stattfand, widmete sich in dreizehn Vorträgen diesen komplexen, sprach- und medienübergreifenden Wechselbeziehungen von 'Arthouse' und 'Grindhouse' und verband die inhaltliche Thematik mit dem methodischen Ziel einer verstärkten Theoretisierung bei der Betrachtung populärkultureller Phänomene.
Tagungsbericht zum Internationalen Symposium, Wien, 15. bis 17. Januar 2011: Der literarische Transfer zwischen Großbritannien, Frankreich und dem deutschsprachigen Raum im Zeitalter der Weltliteratur (1770-1850)
Unter dem Titel 'Der literarische Transfer zwischen Großbritannien, Frankreich und dem deutschsprachigen Raum im Zeitalter der Weltliteratur (1770-1850)' veranstalteten die Abteilung für Vergleichende Literaturwissenschaft der Universität Wien und die Gesellschaft für Buchforschung in Österreich von 15. bis 17. Januar 2011 ein internationales Symposium in Wien. In zahlreichen Vorträgen und Diskussionen wurde die Intensivierung der internationalen literarischen Kontakte und Transfers im titelgebenden Zeitraum erörtert, wobei unter anderem die Modalitäten der Produktion und Distribution von Literatur, urheberrechtliche Fragen, Vermittlerpersönlichkeiten und die Zensur im Zentrum standen.
Tagungsbericht zum XIX. Weltkongress der Association International de Littérature Comparée/International Comparative Literature Association
Seoul, 15. bis 21. August 2010
Der nach Tokio und Hong Kong dritte in Asien ausgerichtete Weltkongress war, sowohl was die Veranstaltung selbst als auch den Austragungsort angeht, von Superlativen geprägt. Mit über eintausend angemeldeten Teilnehmern aus 65 Ländern und 750 angemeldeten Vorträgen war der Kongress ebenso eindrucksvoll und vielfältig wie die Gastgeberstadt.
Studierende und Lehrende des Faches Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft, die in den Beständen ihrer Bibliothek nicht fündig geworden sind, werden sich vielleicht fragen, warum viele ihrer Fernleihen von der Universitätsbibliothek Frankfurt am Main stammen. Dass sich ausgerechnet dort das Sondersammelgebiet für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft befindet, mag überraschen, denn schließlich wurde an der Goethe-Universität ein eigenes Institut für Komparatistik erst im Sommersemester 2001 gegründet. Aufmerksame Entleiher und Entleiherinnen älterer Titel aus den Frankfurter Beständen könnten darin ein Exlibris finden: "Frhl. Carl von Rothschildsche Bibliothek Stadt Frankfurt a. Main": Die bedeutenden Bestände der Rothschildschen Bibliothek, die durch rechtzeitige Auslagerung ohne größere Verluste den Zweiten Weltkrieg überstanden haben, waren u. a. ausschlaggebend dafür, dass 1949 der damaligen Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft die Sondersammelgebiete "Allgemeine und Vergleichende Sprachwissenschaft" (SSG 7.11), "Germanistik" (SSG 7.20) sowie "Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft" (SSG 7.12) zugewiesen wurden. Mit 130.000 Bänden stellte die Rothschildsche Bibliothek immerhin fast 15 % des 1945 an der Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt noch vorhandenen Gesamtbestandes von 900.000 Bänden.
Alphabetisch organisierte Texte haben seit Jahren Konjunktur, und ein Blick ins Verzeichnis der Neuerscheinungen bestätigt deren Kontinuität. Belehrende und unterhaltende ABC-Bücher sowie vielfältige Mischformen von Belehrendem und Unterhaltendem scheinen sich bei Autoren wie bei Lesern großer Beliebtheit zu erfreuen. Daß die Matrix des Alphabets neben lexikographischen oder pseudo-Iexikographischen Büchern über alles Mögliche auch als Kompositionsprinzip für große und (nicht nur quantitativ) gewichtige Romane dienen kann, verdeutlicht der neueste Roman von Günter Grass, der dem Wörterbuch der Brüder Grimm sowie dessen alphabetischer Struktur in mehr als einer Hinsicht verbunden ist: 'Grimms Wörter' (Grass 2010).
Eine besondere Erfahrung ist es für mich gewesen, die elsässischen Dichter Claude Vigée und Adrien Finck kennenzulernen sowie einen Einblick in ihre enge Zusammenarbeit zu gewinnen. Im Folgenden möchte ich den Voraussetzungen und der Einzigartigartigkeit dieser Dichterfreundschaft auf die Spur kommen. Als Achse ihrer Gemeinsamkeit verstehe ich - vorgreifend gesagt - eine Poetik, der es wesentlich um die Initiierung von Aufbrüchen geht.
Obwohl die Aufmerksamkeit, die das Verhältnis zwischen Nikolaj Gogol und E.T.A. Hoffmann von der Wissenschaft erfahren hat, letztlich auf einen Gemeinplatz der Literaturgeschichtsschreibung zurückgeht - nämlich auf die Abhängigkeit wenigstens des frühen Gogol von der deutschen Romantik -, ist die eigentliche Forschungslage bestenfalls verworren. Das Prinzip vom direkten Einfluß des Deutschen auf den Russen, wie er traditionell postuliert wurde, ist zwar größtenteils überwunden, aber nur unsystematisch durch eine motivgeschichtliche Tendenz ersetzt, die sich nach wie vor an der Rhetorik einer zielgerichteten Beeinflussung orientiert. In der Folge soll der Versuch angestellt werden, einige Prinzipien für eine systematische komparatistische Methodik zu skizzieren, und mittels ausgewählter Beispiele für eine Neubewertung des Verhältnisses der beiden Autoren zu plädieren.
Durch die Unterscheidung eines engen und eines weiten Begriffs absurder Literatur werden alle Texte berücksichtigt, in denen absurde Spielformen realisiert werden, ohne dass die Brisanz der absurden Kerntexte nivelliert würde. Um dies herausarbeiten und verdeutlichen zu können, habe ich die Texte von drei Autoren für eine detaillierte Analyse ausgewählt: Daniil Charms, Samuel Beckett und Christian Morgenstern.
Die folgenden Ausführungen verstehen sich deshalb als erste Erkundungen im Bereich einer Frage, die weitaus weniger 'unzeitgemäß' ist, als sie auf den ersten Blick anmutet. Sie schlagen den Bogen zurück zum 'grundlegendsten' und 'universalsten' Theorieprogramm, welches das abendländische Denken lange zu bieten hatte: zur Ontologie. Im Lichte der perennierenden Problemhorizonte des ontologischen Denkens soll im Folgenden die Frage nach einer ontologischen Bestimmung der schönen Literatur erneut aufgeworfen werden - und trotz der Probleme dieser Frage anhand einer möglichen Antwort nachgewiesen werden, warum dieses Theorieprogramm auch literaturtheoretisch nicht einfach aufgegeben werden sollte.
'Über den Grund des Vergnügens an tragischen Gegenständen' nannte Schiller 1792 einen seiner berühmten ästhetischen Grundlagenaufsätze. Als Tragödienautor war er Partei und versuchte daher 'nicht' zu explorieren, 'ob 'das Tragische vergnügen könne (was natürlich nicht trivial, sondern im Sinn ästhetischen Reizes und dessen theatraler Befriedigung zu verstehen ist), sondern er setzte den vorgefundenen oder hypostasierten Affekt als eine anthropologische Konstante. Dass nun das Vergleichen 'literarischer Einheiten' (Inhalte, Strukturen, Epochen) Vergnügen bereitet, ist in der Tat Prämisse dieses Beitrags. Warum aber, das lohnt vielleicht einen Blick, der auf das Selbstverständnis und die Episteme unseres Fachs zielt.
Testamente fungieren als Mittler zwischen Vergangenheit und Zukunft. Sie organisieren Memoria und Nachleben, beeinflussen Verwandtschaftsordnungen und bestimmen deren Reproduktion, sie verursachen oder lösen rechtliche, familiale, ökonomische Konflikte. Insofern zählt das Testament zu den wichtigsten kulturellen Formen des geregelten Übergangs von Leben zu Leben, durch den Tod getrennt.
Ulrike Vedders Studie analysiert das Testament im Spannungsfeld von Recht, Ökonomie und Kultur sowie im Zusammenhang mit Konzepten von Erbschaft, Vererbung und Nachleben. Sie entwickelt eine Poetologie des Testaments anhand der Literatur des 19. Jahrhunderts (von Jean Paul, Kleist, E.T.A. Hoffmann, Balzac, Heine, Droste-Hülshoff, Stifter, Melville, Keller, Storm, Fontane, Zola, James u.a.) und erforscht zudem das Testament als eine Form der Übertragung von Eigentum, Dingen, Rechten, Identität, Schuld, Leidenschaften. Als ein Medium für weitreichende - literarische und außerliterarische - Erbe- und Transferprozesse bildet das Testament eine zentrale Figur der kulturellen Tradierung sowie des Austausches zwischen verschiedenen Wissensfeldern, zwischen Literatur, alltäglicher Praxis und Wissenschaften.
Das Aufkommen der Biopolitik als Dispositiv der Moderne beschreibt Michel Foucault als Effekt einer Reihe von Transformationen, verbindet es allerdings an dieser Stelle nicht explizit mit den wissenschaftlichen Entdeckungen Darwins. Die Eingliederung des Menschen in das Kontinuum der lebenden Organismen ist aber eine der bedeutsamsten Konsequenzen von Darwins Theorie von der Abstammung des Menschen. Wenn parallel zu oder auch in Abhängigkeit von dieser Transformation des biologischen Wissens der Mensch als lebendiges Wesen sich auch politisch zu verstehen beginnt, stellt sich dann freilich die Frage, als was er dies tut. Wird dann der Organismus, das Individuum als biologische Entität zugleich zum politischen Subjekt? Und bedeutet dies dann eine Erweiterung des personellen, intellektuellen und vor allem ethischen Subjektbegriffs auf lebende Wesen, die zumindest potenziell die Grenzen des Menschengeschlechts überschreiten? Oder bedeutet diese fundamentale Umwälzung der Biopolitik ganz im Gegenteil eine objektivierende, Politik, Recht und Ethik auf Wissenstechnik einschränkende Verwaltung von lebenden Einheiten, deren Subjektstatus sich auf die Teilbedeutung des Unterworfenseins einengt? Foucaults eigene Rede von der Sorge eines administrativen Apparats um die Lebensvollzüge von Bevölkerungen legt Letzteres nahe. Jedoch bleibt seine grundsätzliche Formel vom Eintritt des Lebendigen in die Sphäre des Politischen und Historischen gegenüber beiden Auslegungen offen.
Alle Menschen sind sterblich; doch was sie verbindet, trennt sie zugleich. Denn der Tod ist zwar gewiss, aber sein Eintreten unbestimmt; nur dass wir sterben werden, ist sicher, nicht wie, wo oder wann. "Mit der Gewißheit des Todes geht die U n b e s t i m m t h e i t seines Wann zusammen", betonte Heidegger im § 52 von 'Sein und Zeit'; und gerade die Differenz zwischen Gewissheit und Unbestimmtheit generiert den Tod als die "eigenste Möglichkeit" des Daseins. Denn wir sterben nicht gemeinsam, sondern allein, in verschiedenen Augenblicken. Selbst Katastrophen oder Unfälle, ja sogar die Todesarten der Liebe - Tristan und Isolde, Romeo und Julia - respektieren eine Reihenfolge. Die mögliche Solidarität der Lebenden gegen den Tod wird also von vornherein durchkreuzt: in der fatalen Evidenz des Überlebens, Spur der Unfähigkeit, den eigenen Tod widerspruchsfrei zu imaginieren. So oft "wir den Versuch dazu machen", beobachtete Freud, ein Jahr nach Beginn des Ersten Weltkriegs, "können wir bemerken, daß wir eigentlich als Zuschauer weiter dabeibleiben." Im Innersten sind wir von unserer Unsterblichkeit überzeugt; folglich können und werden wir länger leben als die Personen an unserer Seite; folglich können und werden wir länger leben als unsere Eltern, Freunde oder Feinde. Schon im Begriff des Überlebens artikuliert sich das Wissen von drohender oder bewältigter Gefahr, aber auch das Wissen vom - manchmal gefürchteten und erlittenen, manchmal gewünschten, ersehnten oder bewirkten - Sterben der anderen. Der Tod ist asymmetrisch und ungerecht, Ausdruck opaker Natur, die das Repertoire kultureller Deutungen und Rituale außerordentlich strapaziert und erweitert, um dennoch das Versprechen einer natürlichen Gleichheit der Sterblichen stets zu blamieren, unabhängig davon, wie viele Verfassungen und Manifeste der Menschenrechte es bekräftigen.
Ich werde zu zeigen versuchen, dass der Begriff 'Überleben' bei Foucault zwar nicht besonders auffallend ist, aber doch immerhin in einer signifikanten Weise verwendet wird, und ich werde argumentieren, dass die von Charles Darwin populär gemachte Spencersche Wendung 'survival of the fittest', die das Leben und Überleben-Wollen im Register der Biologie und damit im kalten Licht eines genealogisch-evolutionären Denkens bezeichnet - ich werde sie kurz diskutieren -, auch Foucaults Begriffsverwendung formatierte: Als ein kleiner, ambivalenter Index am Rand seiner Texte, der zum einen auf Theorien verweist, die Foucault als "Bio-Politik" kritisierte, der zum anderen aber die "kalte" Systematik der Diskursanalyse und ihre stille Verwandtschaft mit Theorien der Lebenswissenschaften anzeigt. In jedem Fall aber bezog Foucaults Begriffsverwendung sich auf einen Denkhorizont, der von Darwins schillerndem 'catchword' eröffnet wurde.
Philosophieren heißt überleben lernen. Ursprünglich schien das Gegenteil der Fall. Bei den Stoikern hieß philosophieren sterben lernen. Doch auch sterben lernen hieß natürlich überleben lernen. Die stoische Einübung in den Tod war letztlich eine Entmächtigungsstrategie, mit der die überwältigenden täglichen Ängste in Bann gehalten werden sollten - eine elitäre, weil intellektuelle Strategie, denn sie setzte darauf, - vermeintliche - Fehlurteile zu entlarven. Wer sich vor dem Sterben fürchtet, erliegt, so die Logik dieser Philosophie, nur einer falschen Einschätzung dessen, was wirklich furchtbar und fürchtenswert ist. Hans Blumenberg hat das Ensemble der Mächte, die uns in Furcht schlagen, unter den Sammelbegriff eines "Absolutismus der Wirklichkeit" gebracht. Damit meinte er schon die archaische Situation, in der "der Mensch die Bedingungen seiner Existenz annähernd nicht in der Hand hatte und, was wichtiger ist, schlechthin nicht in seiner Hand glaubte. Er mag sich früher oder später diesen Sachverhalt der Übermächtigkeit des jeweils Anderen durch die Annahme von Übermächten gedeutet haben." Es geht dabei um die Umwandlung von Angst in Furcht, also von einem unspezifischen Ohnmachtsgefühl angesichts der Vielzahl von Bedrohungen, die oft auch nicht versteh- und erklärbar sind, in eine durchschaubare Macht, der das Übel zugeschrieben und die so auch ein Stück weit gebannt werden kann. Auch wenn der Mensch keine Waffe gegen die wirkliche Gefahr in Händen hält, so glaubt er es doch zumindest und wird durch diese Waffe handlungs- und überlebensfähig - ein, wenn man so will, narratives Placebo. Vorgeschobene imaginative Instanzen sind für Blumenberg, was der Lebensangst abhilft.
Auch wenn die Zukunft dem Menschen nicht bekannt ist, gehört sie zu den Aspekten, die den Horizont für Bildung ausmachen. Kinder und Jugendliche sollen sich so bilden, dass sie zukunftsfähig werden. Selbst wenn sich nicht genau angeben lässt, was zu einer zukunftsfähigen Bildung gehört, besteht kein Zweifel darüber, dass Frieden, Umgang mit kultureller Diversität und Nachhaltigkeit zu 'den' Bedingungen zukunftsfähiger Bildung gehören. Alle drei Bereiche sind miteinander verschränkt. Wenn Fragen des Friedens bearbeitet werden, spielen Probleme der kulturellen Vielfalt und der Nachhaltigkeit eine Rolle. Eine Erziehung zur Nachhaltigkeit ist ohne Berücksichtigung kultureller Vielfalt und sozialer Gerechtigkeit nicht möglich. Dass alle drei Aufgabenfelder von höchster Aktualität sind, ist offensichtlich. Es gilt eine 'Kultur des Friedens, der kulturellen Vielfalt' und 'der Nachhaltigkeit' zu entwickeln. Damit sind grundlegende gesellschaftliche Veränderungen impliziert, bei deren Realisierung dem Bereich der Erziehung und Bildung und insbesondere der Schule eine wichtige Aufgabe zukommt. Im Weiteren möchte ich drei zentrale Aufgabenfelder einer zukunftsfähigen Bildung skizzieren. Dabei werde ich zunächst bei meinen Ausführungen zur Friedenserziehung auf Diskussionen zurückgreifen, die in den 1970er Jahren begonnen wurden, aber bis heute nichts an Aktualität verloren haben.
Im Folgenden möchte ich Aspekte der Dynamik des Überlebensbegriffs anhand der Untersuchung einiger kultureller Stränge verfolgen, die sich in der westdeutschen Survival-Bewegung der 1980er Jahre kreuzen. Da es keine umfassende Darstellung und auch keine akademische Literatur zum Thema gibt, möchte ich vor allem einen ersten Versuch der Eingrenzung und Lesart der Survival-Bewegung vorschlagen und untersuchen, welcher Überlebensbegriff hier zum Tragen kommt.
Paul Baran, 1926 in Polen geboren, als Zweijähriger in die USA gekommen, hatte nach Abschluss seines Studiums Ende der 1940er Jahre bereits Erfahrung in der Entwicklung des ersten kommerziellen Computers UNIVC gemacht. 1959 trat Baran in den Dienst der RAND Corporation und war mit der Beforschung von Konzepten der Dezentralisierung von Kommunikationsnetzwerken betraut. "On Distributed Communications Networks" stellte das erste Ergebnis seiner Arbeit dar und erschien in der Reihe der Arbeitspapiere des RAND. Obwohl 1962 Computer gerade erst zwanzig Jahre existierten, extrem teuer waren, raumfüllende Ausmaße hatten und ihre Vernetzung exotische Technologie darstellte, kulminiert Barans Konzept bereits in der visionären Frage: "Is it time now to start thinking about a new and possibly non-existant public utility, a common user digital data communication plant designed specifically for the transmission of digital data among a large set of subscribers?"
1925 ließ Ernst Troeltsch einen "modernen Theologen" sagen, dass "das eschatologische Bureau heutzutage zumeist geschlossen [sei], weil die Gedanken, die es begründeten, die Wurzel verloren haben". Zurückzuführen sei diese Entwertung der Eschatologie auf die Integration der Idee des Fortschritts in den christlichen Erlösungsgedanken. Der Frage, ob diese Diagnose für die Theologie zutraf, kann hier nicht nachgegangen werden. In unserem Zusammenhang ist sie nur deshalb interessant, weil die Dependance des eschatologischen Bureaus in der philosophischen Fakultät der Heidelberger Universität ein Jahr später in einer heiklen Angelegenheit tätig werden musste. 1926 wurde Alexander Koschewnikoff, ein junger Russe, der seit dem Sommersemester 1921 Philosophie und Orientalistik in der süddeutschen Universitätsstadt und seinem Wohnort Berlin studiert hatte, von Karl Jaspers mit einer Arbeit über 'Die religiöse Philosophie Wladimir Solowjews' promoviert. 1930 erschien ein zwanzigseitiger Auszug der Doktorarbeit in einer in Bonn erscheinend en 'internationalen Zeitschrift für russische Philosophie, Literaturwissenschaft und Kultur'. Laut Koschewnikoff war für Vladimir Solov'ev (1853-1900), den vielleicht bedeutendsten russischen Philosophen des 19. Jahrhunderts "von Anfang an eine religiös-mystische Weltauffassung charakteristisch". Diesen religiösen Charakter habe seine Philosophie bis zuletzt beibehalten und auch seine Geschichtsphilosophie wesentlich geprägt: "es wird ein zu verwirklichendes Zukunftsideal [...] aufgestellt, und die 'tatsächliche' Geschichte als eine dazu mit Notwendigkeit führende Entwicklung konstruiert". Bei der Aufstellung dieser "Zukunftsideale" hat die Kenntnis der tatsächlichen Geschichte keine nennenswerte Rolle gespielt. Insofern habe Solov'ev nicht Geschichtsphilosophie im modernen Sinne des Wortes betrieben, sondern "Geschichtskonstruktion". Koschewnikoff unterscheidet in Solov'evs Geschichtsauffassung drei Perioden: eine slawophile, eine katholische Periode und den Standpunkt der letzten Schrift Solov'evs, der 'Drei Gespräche'.
Dass offensichtlich gerade eine ästhetische Praxis Hoffnung verspricht auf Bewältigung, sei sie Literatur, bildende Kunst oder sei sie Filmemachen, zeigen so exemplarische und so unterschiedliche Belege wie die Lyrik eines Paul Celan, die Prosa eines Primo Levi, die Zeichnungen eines Zoran Mušič oder beispielsweise die von Avraham Lavi initiierte Dokumentarfilmarbeit über seine jahrzehntelange Suche nach der Schwester. Dass diese Referenzliste um Überlebende, die in einer Art Selbstanalyse und -therapie der überstandenen Vergangenheit künstlerisch beizukommen versuchen, sich ohne Schwierigkeiten erweitern ließe, muss nicht besonders erwähnt werden. Gleichwohl ist die Umsetzung solch perennierender Leid-Erfahrung in Kunst nicht schon Garant einer dauerhaften Errettung.
Ausgehend von Šalamovs Poetik und mit Blick auf die Positionen von Solženicyn und Semprún sollen im Folgenden einige Aspekte des vielschichtigen Problemfeldes 'Überleben und Schreiben' diskutiert werden. Dabei geht es mir, das sei betont, nicht um einen Vergleich zwischen dem sowjetischen GULag und den nationalsozialistischen Konzentrations- beziehungsweise Vernichtungslagern. Ein solcher Vergleich war auch von keinem der drei Autoren intendiert, selbst wenn sich deren Refl exionen mitunter auch auf die europäischen Terrorpraktiken des 20. Jahrhunderts insgesamt erstreckten. Die Art und Weise, wie das Überleben in literarischen Texten thematisiert wird, hängt eng mit der Frage nach den poetologischen Konsequenzen zusammen, nach Möglichkeiten und Grenzen des Sprechens über das Erlebte, nach der Modellierung des Lagers in fiktionalen Räumen. Mit Ausnahme von Solženicyns 'Archipel GULAG', in dem gestützt auf zahlreiche mündliche und schriftliche Berichte von Überlebenden der "Versuch einer künstlerischen Untersuchung" des GULag-Systems als Ganzes unternommen wird, handelt es sich bei den nachfolgenden Beispielen um literarische Darstellungen des Lagers aus der Perspektive eines Einzelnen. Die literarische Rekonstruktion des im Lager Erlebten verlangte jedem Schreibenden ethische und ästhetische Entscheidungen ab.
In einem 1936 geschriebenen Beitrag, der in dem Band 'Ausdruckswelt' (1949) erschienen ist, bezeichnet Gottfried Benn die letzte Zeile aus Rilkes 'Requiem' als einen "Vers, den meine Generation nie vergessen wird". Das Gedicht, 1908 entstanden und ein Jahr später gedruckt, schließt mit den Worten: "Wer spricht von Siegen -, Überstehn ist alles!" Der Vers ist durch Benn zum geflügelten Wort geworden. Vorausgegangen waren allerdings zwei Weltkriege mit Millionen von Toten und Verwüstungen großer Teile Europas. Dennoch ist in Benns Bekenntnis von Trauer oder Demut nichts zu spüren. Vielmehr verweist es auf einen Gedanken von Nietzsche, in dessen Schriften das Überleben als Leistung des willensstarken Individuums aufgefasst wird. "Ein wohlgerathner Mensch", so Nietzsche in seiner 1889 verfassten Autobiografie 'Ecce homo', "erräth Heilmittel gegen Schädigungen, er nützt schlimme Zufälle zu seinem Vortheil aus; was ihn nicht umbringt, macht ihn stärker". Die Feststellung ist Teil von Nietzsches Idee eines 'Willens zur Macht', die den Willen zum Leben einschließt. Sie hat neben der physischen und psychischen eine intellektuelle Seite, die man als glückliche Verabschiedung der Vergangenheit bezeichnen kann. Schon Marx hat den Gedanken in der Einleitung seiner 'Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie' (1843/44) mit Blick auf die griechische Literaturgeschichte formuliert. An konkrete Erfahrung gebunden wird er in Elias Canettis Studie 'Masse und Macht' (1960). "Dieses Gefühl der Erhabenheit über die Toten", so heißt es hier, "kennt jeder, der in Kriegen war. Es mag durch Trauer um Kameraden verdeckt sein; aber dieser sind wenige, der Toten immer viele. [...] Wem dieses Überleben oft gelingt, der ist ein 'Held'. Er ist stärker. Er hat mehr Leben in sich. Die höheren Mächte sind ihm gewogen." Ernst Jünger hat das glückliche Überleben von Kriegen im Sinne Nietzsches immer wieder zum Thema seiner Tagebücher gemacht. Während Benn die nihilistische Dimension in den Mittelpunkt stellte, wie sein Rückblick 'Nietzsche nach 50 Jahren' (1950) deutlich werden lässt, nahm Jünger die optimistischen Impulse des Werkes auf. Dabei hat er, vor allem in seinen späteren Schriften, die Idee des Überlebens vom Ausnahmezustand auf den Alltag und zugleich auf die Zukunft übertragen. Wie Nietzsche wollte Jünger nicht nur glücklich in der Zeit überleben, sondern plante auch ein immaterielles Fortleben im Gedächtnis der Nachwelt. Voraussetzung dieser doppelten Überlebensidee ist ein hoffnungsvoller Blick in die Zukunft.
Vielfältig sind die Definitionen, die das Überlebensparadigma im Sinne eines die Weltsicht prägenden Denkmusters zu erfassen versuchen, und verschieden sind die Aspekte, die der Betrachter in seiner Auffassung jeweils als die dominierenden pointiert. Nichtsdestoweniger wurzelt das moderne Verständnis vom 'Überleben' zuletzt im evolutionistischen Diskurs der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Unter dem evolutionistischen Diskurs sind nicht bloß Darwins Werke zu verstehen, sondern vielmehr die Konstellation von Autoren, Diskursen, Berichtigungen, Anregungen, Ergänzungen, die sich um Darwins Evolutionstheorie drehen und die den Namen Darwinismus tragen. Anders ausgedrückt: Unsere Auffassung des Überlebensbegriffs ist in diesem Diskurs verfangen und kann von ihm nicht restlos loskommen. Dies gewinnt an höchster Evidenz in den Reflexionen über das Überleben von kulturellen Artefakten, die in Analogie zu den Exemplaren bestehender Spezies als Resultat einer 'natürlichen' Auslese gedeutet werden. Unter den unzähligen Beispielen einer Übertragung des Auslesegesetzes von der biologischen auf die kulturelle Evolution mag hier die Reflexion von Hans Blumenberg vorgeführt werden, denn sie bietet viel mehr als eines der rein evolutionistischen Modelle, die eine Erläuterung des kulturellen Überlebens präsentieren. Kein weiterer Autor hat meines Erachtens in der Nachkriegszeit solch einen anspruchsvollen Versuch unternommen, das Darwinsche Evolutionsgesetz jenseits der Fehlschlüsse des Sozialdarwinismus wiederherzustellen und es für die kulturelle beziehungsweise ästhetische Anthropologie fruchtbar zu machen. Des Weiteren erzielte Blumenberg mit seiner theoretischen Berichtigung zuletzt die Beschreibung eines humaneren Modells der kulturellen Produktion, dessen ethische Dimension im Folgenden auszuloten ist. Das Heranziehen einiger Betrachtungen über Primo Levis narrative Erfahrung dient anschließend dazu, die ethische Grundproblematik herauszudestillieren, die das Verbleiben in diesem - obschon korrigierten - Überlebensparadigma in Hinblick auf das historische Gedächtnis impliziert.
Vom Überleben des Wunsches als Todestrieb : Nachträglichkeit, Subjekt und Geschichte bei Freud
(2011)
Es ist nahe liegend, sich zum Thema 'Überleben' mit Freuds Schrift 'Jenseits des Lustprinzips' von 1920 zu beschäftigen, mit der traumatischen Neurose und mit Freuds Diktum, dass das Ziel des Lebens der Tod sei. Beginnt Freud doch damit, dass er gerade durch das Leiden derer, die den Krieg (oder einen schweren Unfall) überlebt haben, dazu kommt, ein Jenseits des Lustprinzips zu postulieren, einen Todestrieb einzuführen, da der traumatische Wiederholungszwang dem Lustprinzip so sehr zu widersprechen scheint, geht es doch um die Perpetuierung des Leidens, um die Wiederholung von etwas Schrecklichem. Ich möchte jedoch im Folgenden einen Umweg beschreiten und mit einer Konstellation aus den Anfängen der Psychoanalyse beginnen, von der sich ebenfalls sagen lässt, dass sie das Überleben behandelt, allerdings in einem gänzlich anderen Kontext, dem der Konstitution des Psychischen. Die Rede ist vom Befriedigungserlebnis und dem unbewussten Wunsch - zwei Konzepte, die für Freuds Denken um 1900 zentral sind.
Der vorliegende Essay beschäftigt sich, aus einiger Distanz, mit jenem 'Dilemma des Zeugnisses', wie es von Giorgio Agamben und Jean-François Lyotard formuliert wurde: 'Die Mordopfer sind tot. Wer spricht für sie, wer soll das Verbrechen bezeugen?' Die Absicht dieses Beitrags ist es, einige aus meiner Sicht unglückliche Diskursarten, die in Verbindung mit diesem Dilemma stehen, zu kritisieren.
"Der Beredsamkeit der Sieger den Hals umdrehen" : jüdischer Humor als Strategie zum Überleben
(2011)
Es ist kein Zufall, dass Freud ausgerechnet in der ostjüdischen Kultur ein Arsenal an Witzen entdeckt, entlang dessen er Witz-Techniken und ihre psychische Begründung darstellt. Die Vehemenz, mit der er den Umstand, dass es sich bei seinen Beispielen hauptsächlich um Witze aus der Kultur der Ostjuden handelt, als nebensächlich und erklärungsbedürftig zugleich kennzeichnet, um ihn dann aber doch weitgehend unbegründet zu lassen, legt die Annahme einer hier verschwiegenen Beziehung zwischen der Besonderheit des Witzes und jener "Herkunft" gerade nahe. In 'welchem' Verhältnis aber stehen Witz und Humor zur jüdischen Überlieferungskultur? Eine Frage, die sich auch Rabbiner und Philosophen stellten, darunter Marc Alain Ouaknin, dessen Reflexionen zum jüdischen Humor dieser Beitrag grundlegende Impulse verdankt. Seine Beobachtung einer methodischen Nähe zwischen Textstrategien von Talmud und Midrasch und gewissen Techniken des jüdischen Witzes lässt sich leicht erweitern zu der Annahme einer Koinzidenz von einem in diesen Witzen zeichenstrategisch und thematisch auftauchenden Verständnis jüdischer Überlieferungsdynamik und Vorstellungen des Zusammenhangs von Interpretation und Sinnerneuerung, wie sie in jenen Quellen der jüdischen Tradition gründen. Den Ort der Witze und humorvollen Anekdoten, von denen hier die Rede sein wird, kennzeichnen nun mindestens zwei besondere Situationen: Sie entspringen den unmittelbaren Erfahrungen jüdischen Lebens in Osteuropa, das bereits vor seiner Vernichtung fortwährend mit wechselnden Verfolgungs- und Unterdrückungssituationen konfrontiert war, und dem Kontinuum seiner kulturellen und religiösen Herkunft und Tradition.
Im Sinne einer Musikhistorie als "Plural von Zusammenhängen" (H. Blumenberg), deren sich überkreuzende Fäden der narrativen Bündelung durch Hörer und Chronisten bedürfen, erweist sich Schönbergs "Überlebender aus Warschau" als ein Scharnierstück der von politischen Verwerfungen durchsetzten Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts. Die Einbeziehung des die Dignität kultureller und religiöser Selbstbehauptung symbolisierenden Glaubensbekenntnisses setzt kompositionsgeschichtlich einerseits eine national-religiöse Tradition fort, denkt man etwa an die Schlüsselstellung, die das Zitat von Luthers Choral "Ein feste Burg" in nicht wenigen Werken des 19. Jahrhunderts einnimmt. Andererseits resultiert auch die Wirkung des 'Survivor' - wie Reinhold Brinkmann im Zeichen der um und nach 1968 leidenschaftlich ausgetragenen Diskussion der politischen Aussagekraft musikalischer Werke betonte - aus der Aktivierung des politischen Textinhalts durch eine dezidiert musikalische Konzeption: Die dem "Shema Yisrael" vorausgehende musikalische Steigerung lässt sich als kompositorisches Modell bereits im apotheotisch angelegten Schluss von Schönbergs 'Gurreliedern' ("Erwacht, erwacht ihr Blumen zur Wonne") nachweisen. Auf dynamischer Ebene ist diese Klimax der Takte 72-80, die es buchstäblich darauf anlegt, den Hörer zu überwältigen, durch das anziehende Tempo (von Viertel=60 bis Viertel=160) und ein Crescendo zum dreifachen Forte, rhythmisch durch die aus der Erzählerstimme in das Orchester überspringenden triolischen Figuren, sowie tonal durch ein chromatisches Wechselspiel zwischen den vier Ausprägungen des übermäßigen Dreiklangs und der dadurch ebenfalls erforderlichen Transposition der Reihenformen bestimmt. Schönbergs ideelle Besinnung auf die Religion stützt sich kompositorisch somit ein Stück weit gerade auf ihr säkularisiertes Gegenstück - jene musikalischen Überhöhungen, die das Zeitalter der "Weltanschauungsmusik" in Form einer bisweilen hypertrophen Kunstreligion zelebrierte. Die Erinnerung des "Überlebenden" wird so auf den "grandiose moment" des musikalischen Widerstands konzentriert, während Schönberg eine gleichwertige Einbeziehung des Erzählertexts in das motivisch- tonale Gefüge der Komposition dezidiert ausschließt. Trotz dieser historischen Verortung steht der von Adorno als "autonome Gestaltung der zur Hölle gesteigerten Heteronomie" beargwöhnte 'Survivor' zugleich aber nicht nur ideengeschichtlich, sondern durchaus auch kompositionstechnisch - wie hier an Kompositionen von Schönbergs (posthumem) Schwiegersohn Luigi Nono gezeigt werden soll - mit avancierten Beispielen einer 'musique engagée' der 1960er Jahre in Verbindung.
Die Erfindung des Kinos hat man in Frankreich treffend kommentiert mit den Worten: "La vie est prise sur le vif." Durch die Wiedergabe der sichtbaren Wirklichkeit in bewegten Bildern wird der Eindruck des Lebendigen nicht wie auf Gemälden und selbst noch auf Fotografien buchstäblich festgehalten; vielmehr erscheinen die aufgenommenen Menschen und Dinge in dem Augenblick, da sie als bewegte und ebenso flüchtige Bilder auf die Leinwand projiziert werden, wie zu neuem Leben erweckt. An die Stelle des Gewesenen tritt das Gegenwärtige. Wenn Malerei und Fotografie aus dieser Perspektive als Medien der Verewigung bezeichnet werden können - so der Film als ein Medium steter Aktualisierung. Aufgrund dessen ist er aber auch in der Lage, eine dem Zuschauer überaus nahegehende Darstellung des Tötens zu geben. Insofern er fotografischen Realismus und lebendige Bewegung, theatralische Inszenierung und literarische Erzählweise kombiniert, kann er eindrucksvoller als alle anderen Medien das Publikum in Angst und Schrecken versetzen. Genau diese als besonders sinnlich gerühmten (oder gerügten) Qualitäten lassen es fraglich erscheinen, ob der Film geeignet ist, einen Einblick in den tiefsten Abgrund der Historie zu gewähren. Wenn grundsätzliche Bedenken gegen eine mögliche Darstellung der nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslager geäußert werden, dann gelten sie insbesondere dem Film. Niemand würde mehr behaupten, dass etwa die Literatur das nicht könne oder nicht dürfe; Art Spiegelmans 'Maus' hat den Schriftgelehrten unterdessen vor Augen geführt, dass selbst eine graphic novel, nämlich ein Comic, als eine durchaus angemessene Form der Darstellung in Betracht kommen kann. Eine vergleichbar breite Zustimmung hat der Film, zumal der fiktionale, bisher nicht erreicht.
Überleben? : nach Auschwitz
(2011)
Es geht tatsächlich auch beim Nachdenken über 'Überleben' um Erfahrung und den Begriff der Erfahrung, einen qualitativen Begriff der Erfahrung, der ja in den Sozialwissenschaften immer wieder droht, aufgeweicht zu werden beziehungsweise diffundiert zu werden durch die Übermacht einer rein quantifizierbaren Empirie. Aber im Kern der Sozialforschung, gerade in ihrem kritischen Kern, steht die Kategorie der 'Erfahrung'. Erfahrung ist auch etwas, was über Personen vermittelt wird und vermittelt werden kann. Erfahrung kann auch die engen Grenzen überschreiten, die eine Aufklärung kennzeichnet, die sich bloß auf Texte bezieht. Erfahrung kann diese Grenzen überwinden. Auch die Enge kann überwunden werden, dass nur das mitgeteilt und auch verstanden werden kann, was individuell erlebt worden ist und in der Kommunikation zwischen unterschiedlichen Subjekten überschritten werden kann. Zwar haben Horkheimer und Adorno immer einen Schrecken gehabt, wenn sie das Wort 'Kommunikation' gehört haben, aber hier geht es auch tatsächlich um eine Überschreitung, eine Überschreitung der Grenzen des Individuums.
Die vielen Tode des Sokrates : zum Schicksal einer Figur der abrahamitischen Religionskulturen
(2011)
Einer der ersten islamischen Philosophen, der sich mit der griechischen Philosophie eingehend befasste, war der iranische Gelehrte Abu al-Hasan al-Amiri (gest. 992). In seiner auf Arabisch verfassten Abhandlung 'Al-Amad ala al-abad' ('Über das Leben nach dem Tod') wird die Thematik des Lebens nach dem Tod auf eine Reihe von Argumenten gestützt, welche die Unsterblichkeit der Seele zu beweisen suchen. Hierbei beruft sich al-Amiri nicht nur auf Aristoteles, sondern auch auf die Lehren von Empedokles, Pythagoras, Sokrates und Platon, die er in der Einleitung seiner Schrift namentlich erwähnt. Nur diese fünf Denker verdienten es, als die Weisen (al-hukama) bezeichnet zu werden. Auf andere griechische Denker träfe diese Bezeichnung nicht zu, da sich diese nur in einzelnen Wissensbereichen etabliert hätten, ohne grundlegende Kenntnis der Gotteslehre ('al-'ulum al-ilahiya', wörtlich: 'göttliche Wissenschaften'), besessen zu haben. Im al-Amad findet sich auch eine bemerkenswerte, wenn auch äußerst knappe biographische Skizze von Sokrates.
Jesus als Märtyrer
(2011)
Zu definieren, was einen Märtyrer ausmacht, ist für das Altertum ebenso wichtig wie für die Moderne. Was meinen wir mit dem Begriff 'Märtyrer', wenn wir Jesus von Nazareth so nennen? Liegt dabei der Schwerpunkt auf dem historischen Jesus und den Motiven für seinen gewaltsamen Tod, den er erwartet haben mag? Oder sollten nicht eher die frühen Textteile des Neuen Testaments, die die Reaktionen der Anhänger Jesu auf dessen gewaltsamen Tod und seine Rechtfertigung schildern, den Ausgangspunkt für unsere Analyse bilden? Natürlich verfügen wir im Falle Jesu über keine Internetquellen, kein Videomaterial, keine Interviews mit dem Märtyrer vor seiner Tat. Wir haben nur kanonische und apokryphe Texte. Deshalb beginne ich bei meiner Diskussion über Jesus als Märtyrer mit einer Definition des Martyriums, die sich auf die zweite oben angeführte Möglichkeit stützt. Sie fußt auf antiken jüdischen und christlichen Texten, von denen allgemein angenommen wird, dass ihre Rezipienten sie als Beschreibungen des Lebens und Leidens von Märtyrern verstanden; die Berichte, die solches erinnern sind schriftlich festgehalten (Abschnitt 1). Danach kehre ich zur ersten Definitionsmöglichkeit zurück und konzentriere mich kurz auf die Person des historischen Jesus, um mit Hilfe der antiken jüdischen und christlichen Märtyrerberichte herauszufinden, was wir möglicherweise über Jesu eigene Sicht auf seinen nahen Tod als den eines Märtyrers wissen können (Abschnitt 2). Im letzten Abschnitt widme ich mich den Passionsberichten des Neuen Testaments. In der Forschung wurden diese Narrative häufig mit den Erzählungen der antiken Märtyrer verglichen, diese wurden sogar als Modell herangezogen, um den Ursprung des Passionsberichts zu rekonstruieren. Sei dieser Ansatz plausibel oder nicht, auf jeden Fall spiegeln die Passionsberichte auf faszinierende Art und Weise die dialogische Gegenüberstellung von Märtyrer und Gegner wider, die so oft das Herzstück der Prozess- und Folterszenen antiker jüdischer und christlicher Märtyrererzählungen darstellt. So gibt es offensichtlich gute Gründe, diese beiden Textgruppen zu vergleichen (Abschnitt 3).
An Versuchen, Walter Benjamins 'Einbahnstraße' in die literarhistorischen Traditionen einzuordnen, fehlt es nicht. Vorzugsweise hat man dabei auf den Feldern gesucht, die sich von Benjamins eigenen frühen literarhistorischen Schwerpunkten aus anbieten, dem Barock mit dem Emblem und der Romantik mit dem Fragment, beides mit ebenso vielen Erträgen wie Problemen. Von anderen Aspekten in seinem Werk gehen die Erörterungen zu Traktat und Denkbild aus. Zum Traktat setzen sie bei Benjamins "Innenarchitektur" (WuN VIII, 38) an und nehmen Bezug auf den Konstruktivismus; zum Denkbild gehen sie von seinen "Denkbildern " aus, die unter dem Pseudonym Detlev Holz in der 'Frankfurter Zeitung' vom 15. November 1933 erschienen, wesentlich gestützt durch die Autorität Adornos etwa von Schlaffer und Jäger. Fernerliegendes, wie Anekdote und Mosaik, ist (von Bertrams Nietzsche-Bild her) gleichfalls erprobt worden, und Schöttker hat aus dem jeweiligen Ungenügen heraus auch integrierende Versuche unternommen. Benjamin habe versucht, "den frühromantischen Fragmentarismus, den er im barocken Drama vorbereitet sah, mit den Ideen der konstruktivistischen Avantgarde zu verbinden". Miniatur oder Minimalprosa sind daneben eher unverbindliche Verlegenheitslösungen geblieben. Am nachhaltigsten ist wohl der Aphorismus zur zentralen Kategorie erklärt worden, mit sehr viel Berechtigung und wiederum nicht ohne erhebliche einschränkende Bemerkungen.
Mit merklicher Begeisterung verfasst Walter Benjamin am 6. Januar 1938 einen Brief an Max Horkheimer, in dem er ihm von einem "seltnen Fund" von höchster Bedeutsamkeit berichtet, der seine Arbeit "entscheidend beeinflussen" werde (GB VI, 9). Bei dem Fund handelte es sich um Louis Auguste Blanquis (1805–1881) kosmologische Schrift 'L’Éternité par les astres', verfasst 1871 im Kerker einer Gefängnisburg vor der Küste der Bretagne. Der Autor, einer der umtriebigsten Revolutionäre Frankreichs im 19. Jahrhundert, war einen Tag vor Beginn der Pariser Kommune eingesperrt worden. Dass das Material um Blanqui die wohl umfangreichste Ergänzung des neuen 'Passagen-Werk'-Exposés von 1939 darstellt, kann kaum bestritten werden. Was aber genau hat Blanquis Kosmologie so signifikant für Benjamins Arbeit werden lassen? Benjamin ist auf 'L’Éternité par les astres' durch die Lektüre von Gustave Geffroys bekannter Blanqui-Biographie aufmerksam geworden; Miguel Abensour schreibt Benjamin in seinem wegweisenden Artikel zum Verhältnis von Blanqui und Benjamin gar eine bisweilen Geffroy'sche Lesart zu. In der Tat geht Benjamin wiederholt auf den von Geffroy betonten Umstand ein, dass es sich bei dem Autor der 'Éternité par les astres' um einen eingesperrten Revolutionär handelt, der an der Teilnahme an der Pariser Kommune gehindert wurde. Aus diesem Sachverhalt folgert er, dass die im Gefängnis geschriebene Kosmologie auf eine "Spekulation" zulaufe, "die dem revolutionären Elan des Verfassers das furchtbarste Dementi erteilt" (GS V, 1256). Ich möchte nachfolgend Überlegungen dazu anstellen, wie der von Benjamin wiederholt hergestellte Zusammenhang von ewiger Wiederkunft des Gleichen und Kapitalismus gedacht werden muss. Die diesem Text zugrundeliegende Vermutung ist, dass die Beschäftigung mit Blanqui Benjamin Impulse gegeben hat, um das für ihn so wichtige Problemfeld des Zusammenhangs von Anschaulichkeit, Geschichte und Marxismus zu bearbeiten; das Blanqui'sche Universum lässt sich dann als Denkbild verstehen, das dazu imstande ist, theoretische Reflexionen zu zeit- und geschichtsphilosophischen Aspekten der Kapitalismuskritik in intuitiv erschließbare Bilder zu übersetzen. Im Hinblick auf diese Anschaulichkeit frage ich weiterhin danach, wie einige Aspekte bei Blanqui, denen Benjamin selbst wenig oder keine Aufmerksamkeit schenkt, im Dialog mit Benjamins eigenem Denken eine produktive Lesbarkeit erlangen können.
It is no accident that the figuration of rewriting as copying is an image from "One Way Street". This apparently casual assemblage of small, rather belletristic texts - still some of the least explored terrain in all of Benjamin - is in important ways the key to all of Benjamin’s later writing, and especially that writing based on the form of the "Denkbild" or figure of thought. In what follows, I will concentrate on one set of paired examples in order to demonstrate in a more focused way the practice of rewriting and its effects: on the relationship between "Berlin Childhood around 1900" and "One Way Street".
Barthes' Benjamin-Rezeption soll in einem ersten komparatistisch-dokumentarischen Teil genauer erfasst werden, indem die photographischen Illustrationen in der 'Literarischen Welt', dem 'Nouvel Observateur' und in 'La Chambre claire' gegenübergestellt und die Photographie-Zitate identifiziert werden. Als Zweites werden weitere mögliche Rezeptionswege zwischen Benjamin und Barthes angedeutet, die im Kontext der Photographie eine Rolle gespielt haben könnten. Dem wird drittens ein analytisch ausgerichteter Teil folgen, in dem problematisiert werden soll, inwiefern der theoretische Gegenstand selbst, d.h. die Photographie, als visuelles Bindeglied zwischen Benjamin und Barthes fungiert und auf welche Weise die Photographie-Zitate mit einigen Scharnierstellen in der Photographie-theoretischen Argumentation insbesondere bei Barthes zusammenhängen. Abschließend soll untersucht werden, inwiefern Barthes’ spezifische Zitierpraxis mit Benjamins eigener Zitier-, Montage- und Sammlerpraxis verwandt ist, inwiefern dadurch die Photographien "zu ihrem Rechte kommen" (GS V, 574) und inwiefern schließlich Rezeptionsgeschichte im Sinne von Benjamins Geschichtsverständnis exemplarisch zur Anschauung kommt.