BDSL-Klassifikation: 17.00.00 20. Jahrhundert (1914-1945) > 17.18.00 Zu einzelnen Autoren
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"Trommeln in der Nacht" ist das erste Stück Brechts und hat damit für seine weitere Laufbahn eine nicht unerhebliche Bedeutung. [...] Eine der ersten Arbeiten der Nachkriegszeit, die in dem Stück, und vor allem in dessen Version von 1922, eine Bedeutung für Brechts Gesamtwerk erkannten, ist der 1972 erschienene Aufsatz "'Anschauungsmaterial' for Marx. Brecht Returns to 'Trommeln in der Nacht'" von David Bathrick. Nachdem in den verschiedenen, in den 1950er und 60er Jahren herausgegebenen Sammelausgaben von Brechts Werken jeweils der überarbeitete Text aufgenommen wurde, machte sich Bathrick daran, die beiden Fassungen gegenüberzustellen, um Ansätze von Brechts später so zentralem dialektischen Theaterverständnis auch im Erstdruck nachzuweisen. Dabei deutete er bereits an, dass die Änderungen, die Brecht vornahm, die Rezeption des Stücks, vor allem des Schlusses, stark veränderten. Die Ausführungen dazu bleiben aufgrund des spezifischen Erkenntnisinteresses von Bathricks Arbeit aber vage. Der hier vorliegende Aufsatz will diesen Ansatz nun konkretisieren und dadurch eine Lesart für die frühe Fassung entwickeln, die die für das Verständnis des Stücks so zentrale Entscheidung Kraglers, sich von der Revolution abzuwenden, figurenimmanent erklärt. Dazu wird, wie bei Bathrick, die Fassungen des Erstdrucks, die auch in die Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe aufgenommen wurde - und auf die sich die Forschung mittlerweile größtenteils bezieht - mit der von Brecht in den frühen 50er Jahren umgearbeiteten Fassung verglichen. Wenn man die Wirkung der Umarbeitungen untersucht, so meine These, lässt sich behaupten, dass Kraglers Entscheidung, der Revolution den Rücken zu kehren, nur retrospektiv als der von Brecht kritisierte Verrat am Proletariat zu verstehen ist; in der ursprünglichen Konzeption der Figur stellt diese hingegen eine Befreiung aus einem Kreislauf dar, in dem Kragler immer wieder für die Ziele anderer ausgenutzt wird. Das Ausbrechen aus diesem Teufelskreis stellt, wie gezeigt werden soll, eine durchaus radikale Absage an die bestehenden Verhältnisse dar; das von vielen Kritikern vermisste Engagement oder vielleicht sogar der Tod Kraglers für die Revolution wäre im Vergleich lediglich eine "Kapitulation vor der Romantik" gewesen.
Bertolt Brecht war fasziniert von Gerichtsprozessen. Sein Werk zeichnet sich durch eine kontinuierliche Thematisierung und Inszenierung von Tribunalen, Urteilsszenen und rechtsphilosophischen Sentenzen aus, die von einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Recht zeugen. Immer wieder markieren Tribunal-Situationen und eigentümliche Gerichtsprozesse die epischen Stücke Brechts. [...] Der Umstand der andauernden Faszination für das Recht und der wiederholten Thematisierung von Tribunal-Szenen im Werk wirft die Frage nach den rechtstheoretischen Motiven bei Brecht auf. Es ist erstaunlich, dass in diese Richtung bisher kaum geforscht wurde, obwohl Brechts Werk, wie bereits erwähnt, durch eine andauernde Auseinandersetzung mit dem Recht geprägt ist. Es lassen sich zwar erste ausführlichere Vertiefungen zur Thematik Brecht und Recht finden, die allerdings insbesondere das epische Theater als vom Tribunal inspiriert erörtern. Diese Interpretationen fragen nicht danach, wie Brecht selbst es mit dem Recht hält. Die Beantwortung der Frage nach den systematischen, rechtstheoretischen Motiven bei Brecht wäre jedoch unerlässlich, um darüber hinaus analysieren zu können, wie und in welcher Form Brecht seine Rechtsauffassung in sein Werk eingehen lässt. Ein nicht ganz offensichtlicher Zugang zu Brechts rechtstheoretischen Vorstellungen bietet, wie in dieser Arbeit gezeigt werden soll, seine Schrift zum Dreigroschenprozess. Anhand des Brecht'schen Kommentars, der rückwirkend das eigene Gerichtsverfahren darlegt und erstmals als "Dreigroschenprozeß" im 3. Heft der "Versuche 8–10" 1931 veröffentlicht wurde, sollen die Dimensionen einer rechtstheoretischen Auseinandersetzung Brechts herausgearbeitet werden. Die Frage nach den rechtstheoretischen Motiven bei Brecht lässt sich selbst nur in Verbindung mit seinen ästhetischen, politischen und ökonomischen Grundannahmen denken. Dahingehend wird zu zeigen versucht, dass Brecht im "Dreigroschenprozeß" eine materialistische Theorie des Rechts vertritt, die sich in spezifischer Weise in Verbindung mit den rechtstheoretischen Überlegungen Eugen Paschukanis' und Karl Korschs denken lässt.
Die Tatsache, dass Friderike 'Zweig' heute vornehmlich in ihrer Rolle der Schriftsteller-Gattin wahrgenommen wird, korrespondiert mit zahlreichen anderen vergessenen Biographien künstlerisch und/oder intellektuell tätiger Frauen ihrer Generation. Nahezu unbekannt geblieben ist ihr Wirken als Roman-Autorin, Übersetzerin, Journalistin, Frauenrechtlerin, Friedensaktivistin u.v.m. Allerdings hat sie selbst nicht unwesentlich zu dieser selektiven Wahrnehmung ihrer Person beigetragen: 1882 geboren als Friderike Burger, geschiedene von Winternitz und Mutter zweier Kinder aus erster Ehe, stand sie ab 1912 mit Stefan Zweig in Kontakt, mit dem sie von 1920 bis 1938 auch verheiratet war. Sie hat nicht nur wesentlich an der schriftstellerischen Karriere ihres Mannes mitgearbeitet, sondern sich auch nach dessen Freitod in Brasilien im Jahr 1942 mit großem Engagement seinem literarischen und geistigen Erbe gewidmet. Ihre Schriften haben das postume Stefan-Zweig-Bild und die weitere Forschung zu seinem Leben und Werk maßgeblich geprägt. Dennoch ist ihr vorgeworfen worden, sich als 'falsche' Witwe des Weltautors in Stellung gebracht zu haben, um dank dieser Aura mit ihren eigenen 'dilettantischen' literarischen Ambitionen zu reüssieren. Es ist bemerkenswert, dass sie sich damit in der Stefan-Zweig-Forschung bis heute mit misogynen Zuschreibungen konfrontiert sieht, wie sie die Geschlechterdiskurse der Jahrhundertwende und damit die Zeit ihrer ersten literarischen Schritte dominieren: Die Möglichkeiten für schreibende Frauen sind Anfang des 20. Jahrhunderts nach wie vor eingeschränkt, auch wenn sich durch die Frauenbewegung eine Periode des Aufbruchs und der Veränderung abzeichnet. Erste Erfolge im Kampf für die Rechte der Frau auf Bildung und geistige Selbsterfüllung können jedoch noch keine substantielle Änderung herbeiführen. In den antifeministischen Diskursen ist die Frau als künstlerisch oder intellektuell eigenständiges Wesen schlichtweg nicht denkbar. Die Auseinandersetzung mit Schriftstellerinnen dieser Generation kann demnach nur gelingen, wenn ihre Werke in diesem Bedingungsrahmen betrachtet werden.
Memorability, shareability, and repeatability are interrelated characteristics often ascribed to lyric poetry in current theory, sometimes with an emphasis on the transnational potential of its circulation. This article approaches this question of shareability not in terms of diction or form, as is usually the case, but of gesture. Drawing on Bertolt Brecht, Walter Benjamin, and Giorgio Agamben, gesture is defined as both historically situated and transferable to different contexts, but whether or not to re-enact a particular gesture in one's own context is a political decision. After examining how a sonnet by Andrea Zanzotto addresses the lyric gesture of exhortation offered by a Petrarch sonnet, the article goes on to explore the potentiality opened up for the formation of gestural communities by the suspension of action in the lyric.
Rezension zu Carl Einstein, Briefwechsel 1904-1940, éd. par Klaus H. Kiefer et Liliane Meffre, Heidelberg-Berlin, J. B. Metzler, 2020, 666 p.
Die intellektuelle Ausbeute literarischer Jubiläen und Gedenkjahre fällt in der Regel mager aus. Viel Nippes wird zu solchen Anlässen auf den Markt geworfen. Runde Geburts- oder Todestage von Schriftsteller*innen zeugen so oft unfreiwillig von jenem vielfach beklagten Prestigeverlust der Literatur, gegen den ihre mediale Verwertung gerade anzurennen versucht. Große Namen sind für diese Schieflage besonders anfällig, nur selten erscheinen zu ihren Jahrestagen ambitionierte Neudeutungen ihrer Werke. Es dominiert die gediegene Traditionspflege und ein mitunter verschmitzter Respekt - der schlimmste von allen. Aus diesen Gründen haben Gedenkjahre aber stets eine seismographische Funktion, denn an ihnen lässt sich ablesen, wo ihre Jubilar*innen und deren - oder gar die - Literatur öffentlich gerade stehen. Das Kafka-Jahr 2024 macht hier keine Ausnahme. Anlässlich seines 100. Todestags am 3. Juni ist mit Kafka einem Autor wiederzubegegnen, der nach dem Zweiten Weltkrieg zum Inbegriff moderner Literatur avanciert ist. Anders als etwa Thomas Mann, Robert Musil oder Marcel Proust hat Kafka unzählige Nachahmer*innen gefunden und im Gegensatz zu ihnen - im Gegensatz selbst zu Goethe - wurde Kafka kaum je ernsthaft vom Sockel gestoßen. Vermutlich wird er sogar mehr gelesen als sie alle zusammen. Außerhalb des deutschen Sprachraums ist das zweifelsohne der Fall und es dürfte nicht zuletzt an seiner guten Übersetzbarkeit liegen. Ausgerechnet Kafka, eine Art ewiger Sohn, wurde zum Heiligen Vater der neueren Literaturgeschichte.
In a radical shift from Hans Blumenberg's account of the classical trope, "Shipwreck with Spectator", the existence of the spectator is no longer grounded in their safe detachment from shipwreck, but from their fearless involvement in it. In this article, I will shift focus once again, from those involved, lifesaving spectators of shipwreck to the immediate actors, or rather: the actor-network of sea travel, which includes shipping companies, crews, passengers, and ships. This actor-network, with the sailing crew at its core, has been subsumed into a binding code of behavior in distress ever since the 1852 foundering of the Royal Navy steam frigate HMS Birkenhead at Danger Point, off the Western Cape of Africa. The code's two key imperatives - "women and children first" and "captain goes down with the ship," henceforth known as the Birkenhead drill - were safely embedded in Victorian morals by popular life guides. [...] Based on this shift of attention, I will look at two different articulations of this dilemma, the "Jeddah incident" of July 1880 (a shipwreck that never happened), and the sinking of the Titanic of April 1912 (a shipwreck that has been happening ever since), and unfold the translation of each case in a modern novel: Joseph Conrad's "Lord Jim" for the former, and Franz Kafka's "Der Verschollene" ("The Man who Disappeared") for the latter. I will pay particular attention to the role of professional ethics as drivers of the narrative in both cases, and I will highlight how the two authors, while using an almost identical plot structure, pursue different strategies of fictionalizing the Birkenhead dilemma.
Der Begriff der Verblendung, ein oft implizit immer wiederkehrendes Thema in der Literatur, Philosophie, und auch in der Religion, hat eine komplexe Bedeutungsebene, die es vielleicht wohl zu bewahren gilt, anstatt sie zu fixieren und damit die Lesemöglichkeiten, die er eröffnen kann, zu reduzieren. Das Wort, das Offenes (etwa eine Hingabe an einen Glauben, die auch eine Selbsttäuschung, ein Fehler sein kann, aber auch Mut bedeuten kann) und Verborgenes (eine mehr oder weniger bewusste Täuschung anderer) zugleich andeutet, entzieht sich durch diese doppelte Struktur von 'Oberfläche' und 'Hintergrund' in gewisser Weise, ohnehin einer festen BeDeutungsgebung. In besonderer Weise bleibt der Begriff mit dem als 'Verliebtheit' umschriebenen Zustand als einer ambivalenten un/wahren, irrational und affektiv besetzten, relationalen, inneren Vorstellung und äußeren Projektion des Selbst und eines Anderen verbunden. Der Begriff kann die Hingabe an eine (trügerische) Romantik oder eine (trügerische) Hingabe an eine Romantik meinen, der ein Selbst und ein Anderes in eine affektive Beziehung zueinander setzt, und so auch die Möglichkeit des Unheimlichen, das Hineinbrechen eines Trug(-Bild)-es kennzeichnen. Dies wiederum ist engstens mit Angst und Wut, den oft als destruktiv dargestellten Affekten und affektiv besetzten Effekten verbunden. Verblendung ist somit auch ein Begriff, der Vorstellungen von 'Rationalität' und (affektiv-besetzter) 'Irrationalität', von 'Richtigkeit' und 'Falschheit' beinhaltet.
Susanne Klimroths Beitrag widmet sich den Texten zu Oskar Kokoschkas Alma-Mahler-Puppe und stellt den fiktionalisierten Status insbesondere der eigenen Schilderungen der 'Puppenepisode' des doppelbegabten Künstlers heraus. Sie argumentiert für eine Widerspenstigkeit sowohl der Materialität der Puppe als auch der Überlieferung der literarisierten Puppe.
Einige Beiträge zum aktuellen ZfL-Jahresthema erinnerten zuletzt an dieser Stelle daran, dass das Begriffspaar "Aktivismus und Wissenschaft" von einem alten Spannungsverhältnis geprägt ist, welches sich gegenwärtig wieder bemerkbar macht. [...] Tatsächlich sehen sich Forschende heutzutage immer öfter dazu genötigt, den unmittelbar praktischen Mehrwert ihrer Arbeit im Namen eines vermeintlichen Aktivismus zu Markte zu tragen, nicht zuletzt, um den Empfang etwaiger Fördergelder zu rechtfertigen. [...] So drängt sich die Frage auf, worin eigentlich der kritische Zug im Verhältnis von Wissenschaft und Aktivismus liegt, wenn die institutionelle Konvergenz der Aktivismen von oben und unten zur Affirmation tendiert? [...] Möglicherweise ist es lohnenswert, Geulens Verfahren des Rückgriffs aufzunehmen und sich auf ein weiteres streitbares Beispiel aus der frühesten Geschichte des Aktivismusbegriffs zu besinnen, von dem zuweilen behauptet wird, es handele sich um die früheste Okkurenz dieses Wortes überhaupt. Die Rede ist vom sogenannten "literarischen Aktivismus", auf den auch Henning Trüper in seinem Blogbeitrag zum ZfL-Jahresthema anspielt, wenn er vom "Umfeld des Expressionismus" spricht, in dem der "Aktivismusbegriff nach dem Ersten Weltkrieg erstmals politisch Fuß fasste". Was hat es hiermit auf sich? Tatsächlich ist es so, dass Kurt Hiller (1885–1972) - deutsch-jüdischer Publizist, expressionistischer Impresario und pazifistischer Aktivist - diese Wortprägung für sich beansprucht. So soll bei einem Treffen seines Berliner Kreises anno 1914 "Literarischer Aktivismus" als Name der von ihm gegründeten, "ethisch-politischen" Bewegung beschlossen worden sein. Die Organe dieses Aktivismus waren vorrangig Periodika, allen voran die ab 1916 von Hiller und seinem Kreis herausgegebene Zeitschrift "Das Ziel: Aufrufe zu tätigem Geist", in deren Namen sich bereits eine gewisse Vorstellung von Aktivität ankündigt.