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Am 25. Februar 1789 teilt Friedrich Schiller seinem Freund Christian Gottfried Körner mit: „Das lyrische Fach, das Du mir anweisest, sehe ich eher für ein Exilium, als für eine eroberte Provinz an. Es ist das kleinlichste und auch das undankbarste unter allen. Zuweilen ein Gedicht lasse ich mir gefallen […].“ Diese unverblümte Selbstaussage lässt Schillers Verhältnis zur Lyrik in einem bedenklichen Licht erscheinen: Weder scheint er sich auf dem Feld der lyrischen Dichtung heimisch gefühlt zu haben, noch hat er offenbar die Ausarbeitung von Gedichten für sonderlich lohnenswert gehalten. Gemildert wird diese entschiedene Distanzierung einzig durch den Umstand, dass er zugesteht, wenigstens „zuweilen“ im lyrischen Fach tätig werden zu wollen. Ist daraus nun zu schließen, dass Schiller seine Gedichte nur als gelegentliche Nebenprodukte begriffen hat?
Wenn sich die Proponenten der IFWG entschließen, das Jahrbuch Sympaian unter das Thema "Musikalität bei Werfel" zu stellen, gilt es wohl als ausgemacht und als unumstrittene Tatsache, daß das Werk Franz Werfels "musikalisch" ist. Tatsächlich beschäftigt sich bereits eine der frühesten wissenschaftlichen Arbeiten über den damals noch lebenden Autor mit diesem Merkmal seines Werkes, nämlich die Dissertation Adolf D. Klarmanns aus dem Jahre 1931, die den Titel "Musikalität bei Werfel" trägt. Klarmann ist auch der Autor des Beitrags über Franz Werfel in einem der Standardwerke zum deutschen literarischen Expressionismus, in dem 1969 von Wolfgang Rothe herausgegebenen Sammelband Expressionismus als Literatur. Diesen Aufsatz beginnt Klarmann mit einer musikalischen Geschichte um Franz Werfel, die fast schon legendenhafte Züge trägt.
Die Sekundärliteratur zu Johannes Urzidil, die in den Sechzigerjahren doch beträchtlich war, als der Autor noch lebte und durch seine häufigen Lesereisen nach Europa, seine liebenswürdige Art und seine überzeugende Kunst des Vortrags, seinen literarischen Ruhm steigerte, widmet sich meistens dem reifen Werk Urzidils, seinen im amerikanischen Exil entstandenen Erzählungen, Gedichten, Feuilletons, Essays, Memoiren, dem einzigen Roman, dem Goethe-Buch (dessen erste Fassung bereits in den 30er Jahren entstanden ist). Das Frühwerk der lOer und 20er Jahre wird in den meisten Arbeiten nur gestreift, als ob es zu unbekannt wäre oder vielleicht zu wenig interessant für die Rezensenten oder gar zu schlecht im Vergleich mit dem reifen Spätwerk?
Der Titel „Jemandssprache“ bezieht sich kontrafaktisch auf Paul Celans Gedichtband „Die Niemandsrose“. (...) [In dem ersten Teil seine Aufsatzes bezieht sich Volker Mertens] auf die aktuelle Situation im Fach, in einem zweiten (...) [votiert er] für eine spezifische Gegenstandsbestimmung und einen bestimmten Umgang mit den methodischen Paradigmen, in einem dritten für eine Überwindung der Schwelle zwischen Älterer und Neuerer Literatur, (...), in einem vierten (...) [gibt er] eine vergleichende Interpretation je eines Gedichts von Heinrich von Morungen und von Paul Celan als Beispiel für eine Überschreitung der im Fach institutionalisierten Epochengrenze.
Assoziativ, konsekutiv, parasitär : Formen und Funktionen der Intertextualität bei Durs Grünbein
(2008)
(...) [W]er so aus der Lyrikgeschichte heraus dichtet wie Grünbein, der gerät in den Verdacht, Philologenpoesie zu fabrizieren. Und das ist kein Ruhmestitel mehr. Es ist vielmehr die Groteske des puer senex, die Mischung aus Un- und Überreife. Hier hat einer viel gelesen, und er zeigt es gern. Um dieses Problem der Grünbeinschen Lyrik frei von aller Küchenpsychologie und auch möglichst frei von Geschmacksfragen zu erörtern, hilft der dtrukturalistische Begriff ‚Intertextualität’, d.h. der Bezug auf vorausliegende literarische und auch nicht-literarische Texte, ein hervorstechendes Kennzeichen von Grünbeins Lyrik. (...)[Grünbergs Gedichte mobilisieren] die Literaturgeschichte, um ihre eigene Gegenwart zu erreichen. Ob ihnen dabei nur noch ein philologisches Publikum folgt, wäre an den – allerdings öffentlich nicht zugänglichen – Verkaufszahlen seiner Bücher abzulesen. Als Indiz, dass es nicht nur Philologen sind, kann die Beobachtung gelten, dass Grünbein in Reich-Ranickis Lyrik-Kanon vorkommt.
"Das zwischen dem Herbst 1989 und dem 3. Oktober 1990 entstandene literarische Material, das von einer vielfältigen Haltung der DDR-Intellektuellen zur deutschen Wiedervereinigung zeugt, scheint mir [...] besonders wichtig. Die Textsammlung [Grenzfallgedichte : eine deutsche Anthologie] - etwa 100 Gedichte - die hier kurz besprochen wird, bildet einen vielstimmigen Kommentar, manchmal genau datiert, zu den politischen Ereignissen jener Zeitspanne, in der sich der Lauf der deutschen Geschichte radikal verändert hat."
Das Gedicht ‚Ruth’ ist unverkennbar ein Liebesgedicht, ohne sich jedoch in dieser Zuordnung zu erschöpfen. Es gehört zu jenem Katalog von lyrischen Texten Else Lasker-Schülers, in dem die Autorin sich den großen Gestalten der ‚Hebräischen Bibel’ bzw. des ‚Alten Testaments’ zuwendet, um ihnen „neue Identitäten“ zu verleihen. Mit der biblischen Figur aus dem ‚Buch Rut’ hat die „Ruth“ des Gedichts „kaum mehr gemeinsam […] als den Namen“. Als biblisch-poetisches Signalwort ist der Titel rezeptionsästhetisch allerdings mit einem Verweischarakter versehen, der jede Lektüre immer wieder auf den Subtext der ‚Hebräischen Bibel’ zurückverweist.
Das Gedicht 'Boas' erschien erstmals im Mai 1912 in der avantgardistischen Zeitschrift "Der Sturm", die Lasker-Schülers Ehemann Herwarth Walden herausgab. Gemeinsam mit den Gedichten 'Ruth' und 'Pharao und Joseph!' veröffentlichte die Autorin es 1913 erneut in der Zeitschrift Die Freistatt, wobei im vorletzten Vers statt „Ueber seine Korngärten“ die Variante „In seine Korngärten“ zu lesen war. Was auf der Oberfläche ein sentimentales Liebesgedicht (i.e. 'Boas') zu sein scheint, erweist sich bei einer näheren Betrachtung, die die biblische Rut-Novelle einbezieht und den biographischen Konnex sucht, als … mnemosynetisches Gedicht, die poetische Erinnerung an ein gescheitertes Projekt in der Literatur wie im Leben.
Schon seit einiger Zeit ist innerhalb der Germanistik eine Interessenverschiebung von der Literatur- zur Medien- und Kulturwissenschaft zu beobachten, die sich auch institutionell durchsetzt. So interessant ihre Ergebnisse in kulturgeschichtlicher und teils auch theoretischer Hinsicht sind, so scheint es mir doch, daß das eigentliche Zentrum der Germanistik immer noch die Literatur zu sein hätte, daß dieser Gegenstand aber von theoretischen und historischen Konstruktionen zunehmend verdeckt wird. Das Folgende kann daher als kontrapunktische Übung in textnaher Interpretation verstanden werden. Gedichte eignen sich zu solcher Übung in besonderer Weise. Mörikes Um Mitternacht gehört zu den Gedichten, deren Bildzusammenhang sich dem Leser kaum erschließt. In der Sekundärliteratur wird es als nahezu unverständlich bezeichnet, weil es sich nach außen abschließe. Anlaß genug, das Gedicht noch einmal vorzunehmen Es wird hier dem späteren Am Rheinfall kontrastiert, um einer einseitigen Auffassung der Lyrik Mörikes vorzubeugen.
[Anna Chiarloni] scheint, daß solche Gedichte aus dem Bedürfnis entstanden sind, erneut an eine fortschrittliche Tradition anzuknüpfen. In der Tat ist Müller jetzt viel näher bei Bertolt Brecht und Peter Weiß angesiedelt, als bei Wagner oder Nietzsche. Hier ist keine Ideologie der Vergeblichkeit, keine Selbstabdankung zu spüren. Im Gegenteil verwendet der Dichter seine eigene Biographie - im Gedicht 'SEIFE IN BEYREUTH' die Struktur des persönlichen Gedächtnisses - um eine entschiedene (marxistische) Interpretation des Phänomens Auschwitz zu behaupten. Das robuste "Jetzt weiß ich" der 16. Zeile stammt aus der Überzeugung, daß seine individuelle Erfahrung Geltung für das besitzt, was mit Begriffen wie "kollektives" oder "historisches Gedächtnis" umschrieben wird. Gleichzeitig artikuliert Müller provokativ seine Unzugehörigkeit zu einer Welt, die das Nachleben des Faschismus zu lange geduldet hat. Hier will er keinen intellektuellen Wohnsitz haben. So wirkt der Text als Sicherung seiner eigenen historischen Identität.