Komparatistik online 2010 : Namen in Literatur, Kultur, Medien
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Im folgenden Beitrag sollen diese zwei Romane analysiert werden, die beide die Frage ins Zentrum stellen, ob ein perfekter Körper mit einer perfekten Seele versehen werden kann. Zwar stammen die beiden Werke aus verschiedenen Epochen und Ländern, weisen aber viele Gemeinsamkeiten auf und sind zudem aus literarischer Hinsicht jeweils höchst interessant.
Villiers und Bioy, die beide Meister der knappen Erzählung sind und sich insbesondere in der fantastischen Narrativik heimisch fühlen, haben mit diesen Werken ausgereifte Romane vorgelegt, die Elemente der Fantastik mit denen der Science Fiction verbinden, was sie für unser Thema so interessant macht, da jeweils wissenschaftlich anmutende Thesen für die Schaffung der perfekten Frau gegeben werden. Zudem setzen beide das ernste Thema humorvoll und ironisch um, was als charakteristisch für ihren Stil zu bezeichnen ist und worauf zurückzukommen sein wird. Somit bietet sich ein Vergleich zwischen "Dormir al sol" und "Eve future" an, welcher gerade im deutschen Sprachraum eine besondere Berechtigung hat, da hier diesen beiden bedeutenden Autoren noch nicht das Forschungsinteresse gezollt wurde, das ihnen eigentlich zustünde. An Adolfo Bioy Casares gibt es zuletzt immerhin ein verstärktes Interesse fest-zustellen, das auch Villiers de l'Isle-Adam zu wünschen wäre und wozu dieser Artikel einen bescheidenen Beitrag leisten möchte.
Mit seiner Bascombe-Trilogie, deren mutmaßlich abschließender Teil vor kurzem erschienen ist und von weiten Teilen der Kritik, national wie international, hymnisch bejubelt wurde, hat Richard Ford für ein wahres Ereignis in der erzählenden Literatur um das Jahr 2000 gesorgt. Um die Bedeutsamkeit der drei Romane "The Sportswriter" (1986), "Independence Day" (1995) und "The Lay of the Land" (2006) herauszustreichen, hat man sie immer wieder mit einem anderen berühmten Romanzyklus der amerikanischen Literatur verglichen, mit John Updikes vier "Rabbit"-Romanen (erschienen in den Jahren 1960 bis 1990). Liefert Updike ein Sittenbild Amerikas von der Eisenhower-Ära bis zur Präsidentschaft von Bush sen., so Ford eines der achtziger und neunziger Jahre. Darüber hinaus könnte man Fords drei Bascombe-Romane auch mit anderen Zeit- und Gesellschaftsromanen neueren Datums in Zusammenhang bringen, etwa mit jenen von Philip Roth und Jonathan Franzen. Und man könnte noch weiter ausholen: Im Grunde steht Ford in der Tradition der großen Realisten des 19. Jahrhunderts und ihrer Gesellschaftsromane. Wie sie porträtiert er anhand einer fiktiven Handlung und eines fiktiven Figurenarsenals den "zeitgeist" einer gegebenen Epoche. Die Bascombe-Romane stellen geradezu ein Paradebeispiel dafür dar, was Erich Auerbach in seinem Mimesis-Buch zu einem zentralen Kriterium für literarischen Realismus erklärt hat: die Bewegtheit des politisch-gesellschaftlichen Hintergrundes, die in und zwischen den Zeilen zu spüren sein müsse.
Michel Foucault stellt uns in einem seiner Texte einen besonderen Menschentypus vor: die Infamen. Die infamen Existenzen bezeichnet er auch als „Skandalmenschen“ und Skandale gibt es seit der Ausdifferenzierung der Massenmedien vor allem als Medienereignisse. Die massenmediale Berichterstattung ist dann auch einer der Orte, an dem seit dem 18. Jahrhundert Foucaults infame Menschen dokumentiert werden, die "allesamt rasend, anstößig und erbärmlich" sind. [...]
Genau dort findet sich auch der Name, der im Folgenden im Mittelpunkt steht: Robert Steinhäuser, der Erfurter Amokläufer, der 2002 sechzehn Menschen und anschließend sich selbst tötet. Inwiefern diese Tat als ein Individualisierungsprogramm mit dem Ziel der Einschreibung des eigenen Namens in den publizistischen Diskurs zu verstehen ist, inwiefern Steinhäuser sich also im Sinne Foucaults auf elende Art einen Namen macht, wird in den kommenden Ausführungen Thema sein. Im Zuge dessen wird es einerseits auch um die Frage gehen, in welcher Form der Name im journalistischen Raster verarbeitet wird und welche prominente Rolle er dort spielt. Der Name wird mit einer Biografie unterlegt, deren Koordinaten durch spezifische publizistische Verfahren, die im Folgenden vorgestellt werden, weitgehend festgelegt sind. Zugleich jedoch können Elemente der Biografie auch stark divergieren, so dass der Name zur frei verfügbaren Einschreibungsfläche wird.
In Nabokovs postum erschienenen "Lectures on literature" skizziert er in einem kurzen Essay sein Idealbild von good readers and good writers. Nabokov argumentiert für Eigenständigkeit, Zweckfreiheit und Magie der Kunst. Der good writer, eine Kombination aus Geschichtenerzähler, Lehrer und insbesondere Magier, schöpft aus dem Fiktionspotenzial der "Realität" – laut Nabokov ein so problematischer Begriff, dass er stets in Anführungszeichen gesetzt sein müsste – und erschafft bzw. erfindet eine neue – literarische – Welt, die der good reader in einem nahezu detektivischem Lektüreprozess in all ihren Einzelheiten erkunden und unabhängig von Forderungen wie Wahrheit oder Wirklichkeitstreue goutieren soll. Good reading bedeutet für Nabokov dementsprechend stets re-reading, ein detailverliebtes Immer-wieder-lesen.
Ein ganz entscheidendes Repertoire an Spuren und Beweismitteln für den detektivischen Leser, der dem Geheimnis der literarischen Strukturen Lolitas auf die Schliche kommen will, findet sich in der Art und Weise wie Nabokov in seinem Roman Namen, ihre Verwendung und Funktion stilisiert, bespiegelt und inszeniert.
Renate Stauf legt in der Reihe Klassikerlektüren des Erich Schmidt-Verlags eine Einführung in das Werk des "unbequemen Klassikers" Heinrich Heine vor, die den Anspruch hat, einerseits einen Überblick zu geben und eine Orientierungshilfe für Erstleser zu sein, andererseits bereits einen tiefer gehenden Blick auf Werk, Schaffen und Person Heines zu werfen, um diesen in Form eines Wieder- und Neu-Lesens kritisch zu begegnen. Auf die Problematik der 'boomenden Heine-Forschung' und die dabei entstehende Gefahr der "Verharmlosung" eines ganz und gar nicht harmlosen Dichters, der sich jedes Vorhaben, Heines Werk in seiner Aktualität, Komplexität und Widersprüchlichkeit zusammenfassend darzustellen, ausgesetzt sieht, weist die Autorin ausdrücklich hin. Sie will keinen geglätteten Überblick eines Dichters geben, sondern Heine und sein Werk mit allen Ecken und Kanten vorstellen und so "das Bewusstsein für die 'Wunde Heine' (Adorno) wach" halten.
Stauf zeigt die verschiedenen Facetten in Werk und Persönlichkeit Heines und seine im Laufe des Lebens wechselnden Ansichten bezüglich Politik, Religion und Gesellschaft anschaulich auf und verdeutlicht so die für ihn typische Einheit des Unvereinbaren, die ihm oftmals den Vorwurf fehlenden Charakters eingebracht hat und doch eher als Zeichen von lebenslanger Selbsttreue gedeutet werden sollte. Ebenso macht sie aber auch die über die Jahre hinweg gleich bleibenden Leitbegriffe (Revolution, Emanzipation, Freiheit, Kunst) als Fixpunkte von Heines Denken kenntlich. Der Aufbau des Buches orientiert sich an thematischen Aspekten, wobei der rote Faden der "poetischen Zeitgenossenschaft" niemals verloren geht.
Dass man mit PN [Personennamen] mehr machen kann als nur auf die Namensträger zu referieren, ist Schriftstellern und Literaturwissenschaftlern natürlich immer schon bewusst gewesen. Eigennamen (EN), die „von Haus aus“ nicht zum Charakterisieren, sondern nur zum Referieren taugen, werden aber offensichtlich auch im alltäglichen öffentlichen Sprechen und Schreiben zur Erzeugung spezifischer Effekte verwendet. […] Ich möchte in meinem Beitrag Antworten auf folgende Fragen geben: Welche Wortbildungsmöglichkeiten werden für diese sprachliche Technik genutzt? Seit wann, in welchen Zusammenhängen und unter welchen Bedingungen werden Deonomastika – so das Fachwort für diese Wörter – verwendet? Welche Intentionen und Effekte sind mit dieser Technik verbunden, d.h. welche stilistischen und pragmatischen Funktionen haben solche Wörter? […] Über die Beschreibung der Formen, Geschichte und Funktionen der Deonomastika hinaus möchte ich zudem in zwei Bereichen theoretischer Sprachreflexion mit den Deonomastika bestimmte Positionen stützen: Zum einen ist dies die Wortbildungstheorie, zum zweiten ist es die Theorie der EN-Bedeutung. Auf beide werde ich im Anschluss an die systematische Darstellung zu sprechen kommen. Ich benutze ein Korpus von etwa 400 Belegen aus vor allem überregionalen Tageszeitungen […] seit 1987 sowie aus deren Online-Ausgaben.
Als Hartmann von Aue vor gut 800 Jahren seine Version der Gregoriuslegende niederschrieb, mag ihm der Ödipusmythos bekannt gewesen sein, aus der Perspektive eines mittelalterlichen Gelehrten war dieser jedoch ein Überbleibsel aus einer vorchristlichen und damit gottesfernen Zeit und eher über den Umweg der christlichen Allegorese interessant. Wahrscheinlicher ist es hingegen, dass für ihn die Legende vom heiligen Papst eine historisch wahre, die Allmacht Gottes unter Beweis stellende Geschichte war. Thomas Mann versteht Hartmanns Gregorius hingegen in Folge seiner Beschäftigung mit den mythologischen Ursprüngen der europäischen Kultur als Variante des Ödipusdramas Sophokles’ und versucht in dem Erwählten die antiken Quellen zum einen auf einer literaturhistorischen Ebene freizulegen, zum anderen jedoch auch im Rahmen der psychoanalytischen Theorie zu interpretieren. Im Folgenden wird diesem Interpretationsansatz anhand der Differenzen der Textfassungen nachgegangen, um die Frage zu erörtern, welche Elemente des Ödipusmythos Thomas Mann aus der Gregoriuslegende herausgearbeitet hat. ...
Ist es wichtiger, welchen Namen man sich im jeweiligen kulturellen Kontext zulegt, und sagt der bei der Geburt gegebene Name weniger über die soziokulturelle Dimension aus als ein später angenommener? Für Miguel de Cervantes’ Don Quijote scheint diese Annahme formgebend zu sein: denn den Namen ‚Don Quijote‘ kennt heute fast jeder, den ursprünglichen Namen dieser fiktiven Figur dagegen, der im Roman in verschiedenen Versionen angegeben wird, weiß nicht einmal mehr der Erzähler selbst zweifelsfrei zu nennen. […] Onomastische Überlegungen und Forschungen gibt es inzwischen zu nahezu allen weltliterarisch bedeutsamen Texten […]. Interessant beim Don Quijote ist hierbei, dass eine vielschichtige Überlegung angestellt werden muss: allein bezüglich des Namens der Hauptfigur sind zum einen die Motivationen zu betrachten, die der Autor bei der Namensgebung seiner Figur hatte, und welche Rezipientenbeeinflussung ihm somit durch die Wahl des Namens ‚Don Quijote‘ vorschwebte. Zum andern ist aber auch die Motivation zu analysieren, die der Erzähler seiner Figur, welche er ja diesen und andere Namen ersinnen lässt, unterstellen möchte. Des Weiteren muss auch der ursprüngliche innerfiktive Name der Hauptfigur Beachtung finden und dabei besonders die Tatsache, dass der Erzähler sich dazu entschieden hat, diesen Namen bis zum Ende des Romans in der Schwebe zu lassen und in verschiedenen Variationen anzubieten. Hinzu kommen noch zusätzliche Beinamen, die der Ritter im Laufe des Romans annimmt.
Hans Henny Jahnns „Fluss ohne Ufer“ ist vor allem als Text martialischer sexueller Gewaltakte in die Literaturgeschichte eingegangen. Eine Perspektive, die ich aufbrechen oder verschieben möchte, indem ich sie in eine poetologische Fragestellung überführe. Die obsessive Beschäftigung mit dem Tod im Text soll also nicht, wie dies in der bisherigen Forschung häufig der Fall ist, als Deckdiskurs eines nekrophilen homosexuellen Autors verstanden werden. Meine These ist, dass sie auf eine poetologische Konzeption des Textes selbst verweist, der an der Selbstzerstörung des Protagonisten aufzeigt, dass es kein Ohneeinander von Schreiben, Schrift und Tod gibt. Oder: dass die Obsession, die Nekrophilie, schon im Schreiben liegt und nicht etwa bloß beschrieben wird. Eine wesentliche Funktion kommt in diesem Zusammenhang der Setzung von Eigennamen unter Schriftstücke, der Signatur, sowie feierlichen Akten der Umbenennung zu. Wer wann welchen Namen tragen kann und unter welchen Bedingungen dieser Name etwas bezeugt – dies ist das zentrale Thema vor allem des zweiten Teils der Romantrilogie „Die Niederschrift des Gustav Anias Horn, nachdem er 49 Jahre alt geworden war.“
Dem Namen kommt in der menschlichen und gesellschaftlichen Rede eine grundlegende, konstitutive Bedeutung zu: Es ist der Name, der sowohl die je spezifische Eigenheit seines Trägers indiziert als auch seine Stellung und seine Beziehungen zu anderen im Bereich des Sozialen allererst definiert. Diese in doppelter Hinsicht begründende Rolle des Namens haben, aus einer philosophischen bzw. kulturwissenschaftlichen Sicht, in neuerer Zeit vor allem die Untersuchungen von Tilman Borsche und Matthias Waltz dargelegt. Während Borsche aus philosophischer Sicht die erzeugende, die Gegenstände des Erkennens, Denkens und Sprechens hervorbringende und bestimmende Kraft des Namens betont, gilt Waltz’ Augenmerk demgegenüber stärker der gesellschaftlichen und institutionellen Wirkungsweise des Namens: Dabei hält er die Rolle der Namen für so grundlegend, dass sie – über eine bloß nachträgliche Beschreibung des Gegebenen weit hinaus gehend – Kategorisierungen hervorbringen, die die Formen unseres gesellschaftlichen Sprechens und Handelns weitreichend bestimmen. [...] Eigennamen erweisen sich als Kristallisationspunkte sui generis in Prozessen kultureller Bedeutungsstiftung und fungieren als Möglichkeit der Selbstverortung, Selbstreflexion sowie Fremdwahrnehmung. Die ausgewählten literarischen Textbeispiele reflektieren eindringlich die kulturelle Relevanz der Eigennamen und verdeutlichen zugleich ihre Bedeutung als Gegenstände kulturwissenschaftlicher Forschungen.