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Der 1801 als Sohn eines Zuchthaus- und Leihbankverwalters in der fürstlichen Kleinresidenz Lippe-Detmold geborene Dramatiker Christian Dietrich Grabbe (1801-1836), neben Georg Büchner der heute unbestritten wichtigste Wegbereiter des modernen Dramas im frühen 19. Jahrhundert, als Visionär des Medienzeitalters und luzider Geschichtskritiker aber in seiner Zeit eben auch lediglich einer der vielen Autoren, die "ein Publikum nur in der Zukunft" (Bourdieu) haben sollten, bietet mit seinem ostentativ nach außen getragenen Antiklassizismus ein frühes Beispiel für die Positionierungskämpfe, die das sich herausbildende literarische Feld bestimmen und als solche überhaupt erst durch die Ausdifferenzierung des Literaturmarktes möglich wurden. Mit Grabbe, dem seine bürgerliche Existenz als Militärrichter (Auditeur) nicht genügte und der hinausstrebte in die Welt des Theaters, dem er in seiner Zeit aber als unspielbar galt, richten die folgenden Ausführungen die Aufmerksamkeit auf den Vormärz als historisch gesehen relativ offene Phase der Modernisierung, die sich im Rückblick als "Suchbewegung des Experimentierens" zwischen zwei relativ stabilen Literatursystemen darstellt: nämlich desjenigen der Goethezeit (das um 1830 relativ abrupt zusammenbricht) und dem des Realismus (in dem sich das System um 1850 restabilisiert). Die Klassifikationskämpfe, die nach Bourdieu das literarische Feld strukturieren, treten in dieser "'Labor'-Zeit", in der konträre Diskursformationen (Klassik, Romantik, Biedermeier, Vormärz) neben- und gegeneinander bestehen, besonders anschaulich zutage.
Die europäischen Reisenden des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts wählten oft die Überfahrt durch die Meerenge von Messina, um nach Sizilien zu gelangen. So avancierte die Schiffsreise durch den so genannten 'Faro di Messina' (auch: 'Pharo' oder 'Pharus') zum Auftakt und ersten Höhepunkt vieler Sizilienreisen. Neben der räumlichen Erschließung sowie zunehmend auch genießenden Wahrnehmung der beiden einander gegenüberliegenden Küstenlandschaften Kalabriens und Siziliens faszinierte viele Autoren der Reiseberichte bei der Passage der Meerenge insbesondere die Begegnung mit den Naturkräften des Meeres. [...] Im Hinblick auf die stark zunehmende Ausdifferenzierung der naturwissenschaftlichen Erkenntnisbereiche in dieser Zeit erfolgte außerdem eine Kritik an den überlieferten Wahrnehmungsmustern, da die Reisenden um 1800 die klassischen Vorstellungsbilder nicht nur reaktivieren, sondern mit Hilfe 'neuer' naturkundlich-fundierter Argumente ebenso relativieren oder sogar negieren konnten. Reisende Geologen und Philologen begegneten der unheimlichen Natur nun zunehmend mit kritischer Überprüfung und Analyse. Neben sich neu entwickelnden Erklärungsmodellen für Naturphänomene und -katastrophen, lebte die Erinnerung an die antiken Dichtungen zwar weiter, aber die eigene Erfahrung und Wahrnehmung des Meeres blieben nicht mehr auf die literarischen Vorlagen und den unmittelbaren Vergleich mit den antiken Textstellen beschränkt. [...] Neben diesen wissenschaftshistorischen Entwicklungen seit der zweiten Jahrhunderthälfte, die hier nur kurz skizziert werden können, rückte die Meerenge von Messina mit den neuerlichen Sizilienerkundungen seit Riedesel auch gerade deswegen ins Blickfeld der Reisenden, da sie mit der Mythosrezeption und der aufkommenden bevorzugten Homerlektüre der klassizistischen Ästhetik korrelierte.
Rezension zu Gabriele von Glasenapp, Hans Otto Horch: Ghettoliteratur. Eine Dokumentation zur deutsch-jüdischen Literaturgeschichte des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Teil I: Rezeptionsdokumente (1), Rezeptionsdokumente (2), Teil II: Autoren und Werke der Ghettoliteratur. Conditio Judaica 53-55. Studien und Quellen zur deutsch-jüdischen Literatur- und Kulturgeschichte. Hg. von Hans Otto Horch in Verbindung mit Alfred Bodenheimer, Mark H. Gelber und Jakob Hessing. Tübingen: Max Niemeyer Verlag, 2005, XV, 1162 Seiten.