Weimarer Beiträge 61.2015
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Im Zentrum der vorliegenden Studie steht Benjamins Konzeption der Politik der "Entstaltung". Dabei soll gezeigt werden, dass diese vor allem einer "Gesellschaft des Spektakels" Paroli bietet, in welcher alles, selbst die Politik sich als Zurschaustellung und Aufführung inszeniert. Die Politik der "Entstaltung" zielt hingegen darauf ab, mit der gesellschaftlichen Inszenierung und Repräsentierbarkeit radikal zu brechen und jenseits dieser eine Politik des Nicht-Repräsentierbaren als wirkliche Demokratie zu ermöglichen. Sie setzt dort an, wo eine konstitutive Lücke in der Gesellschaft sichtbar wird. Sie ist in erster Linie nichts anderes als die Sichtbarmachung und Zurschaustellung einer solchen konstitutiven Lücke in der gesellschaftlichen Ordnung. Die Lücke ist das Moment, in dem die gesellschaftliche Repräsentation und Darstellung, das heißt die Mimesis endet und die Performanz als das radikal Undarstellbare ansetzt. Diese Lücke heißt bei Benjamin im Anschluss an Brecht "Zustand". Die Politik der Entstaltung hält daher an "Zuständen" (GS II, 521) fest, die noch inhaltsleer sind und als Orte des Übergangs fungieren.
Die vorliegende Studie verortet den Begriff der Entstaltung im Kontext der Theorien der Gestalt bei Goethe, Mach, Ehrenfels und in der Gestaltpsychologie. Benjamins Begriff der Entstaltung ist demnach als ein antimetaphysisches Gegenkonzept zur Gestalt aufzufassen. Diese Studie führt den Gegensatz von Gestalt und Entstaltung auf die Divergenz zwischen Goethe und der Romantik zurück. Sie verfolgt die These, dass die Phantasie als "Entstaltung des Gestalteten" (GS VI, 114) in Benjamins Konzeption der Politik eine wesentliche Rolle spielt.
Friede den Hütten! Krieg den Palästen!
Im Jahre 1834 siehet es aus, als würde die Bibel Lügen gestraft. Es sieht aus, als hätte Gott die Bauern und Handwerker am fünften Tage und die Fürsten und Vornehmen am sechsten gemacht, und als hätte der Herr zu diesen gesagt: 'Herrschet über alles Getier, das auf Erden kriecht', und hätte die Bauern und Bürger zumGewürm gezählt. Das Leben der Vornehmen ist ein langer Sonntag: sie wohnen inschönen Häusern, sie tragen zierliche Kleider, sie haben feiste Gesichter und redeneine eigne Sprache; das Volk aber liegt vor ihnen wie Dünger auf dem Acker. DerBauer geht hinter dem Pflug, der Vornehme aber geht hinter ihm und dem Pflug und treibt ihn mit den Ochsen am Pflug, er nimmt das Korn und läßt ihm die Stoppeln. Das Leben des Bauern ist ein langer Werktag; Fremde verzehren seine Äcker vor seinen Augen, sein Leib ist eine Schwiele, sein Schweiß ist das Salz auf dem Tische des Vornehmen.
Mit dieser rhetorischen Fanfare beginnt der Hessische Landbote, jene politische Flugschrift, die Georg Büchner 1834, noch vor seinen eigentlich literarischen Werken, veröffentlichte. Es ist der Text in Büchners Werk, in dem die biblischen Bezüge am deutlichsten sind, wie in der zitierten Passage nicht nur die explizite Erwähnung der Bibel im ersten Satz und die deutliche Anspielung auf Jesaja 1.7 "Fremde verzehren eure Acker vor euren Augen" zeigt. Auch der gesamte Tonfall, jene Mischung von Vehemenz und Anschaulichkeit, die den Landboten insgesamt auszeichnet, ist biblisch geprägt. Allerdings wissen wir nicht einmal sicher, ob dieser zitierte Anfang von Büchner stammt, denn der Landbote hat zwei Autoren: Georg Büchner und Friedrich Ludwig Weidig, der einen nicht überlieferten Entwurf von Büchner überarbeitet und ergänzt hat, so dass am Ende kaum zu sagen ist, wer hier was geschrieben hat.