Weimarer Beiträge 50.2004
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Frühe Leser von Kafkas Erzählung 'In der Strafkolonie' verwarfen ihre schockierende, perverse Offenheit. Wie Hans Beilhack schon 1916 schrieb, sei Kafkas Erzählung sadistisch, und ihr Autor sei ein "Lüstling des Entsetzens". Otto Erich Hesse ging einen Schritt weiter, indem er behauptete, Kafka und seine Leserschaft seien "Ekel erzeugen[de]" sexuelle Scheusale, die "sich an derartigen Quälereien erlustier[en] und aufgeil[en]." Selbst Kafkas Bewunderer fühlten sich verpflichtet, sich von den sexuellen Exzessen zu distanzieren, wie auch von der Beschuldigung, daß sie perverses Vergnügen aus ihr zögen. Kurt Tucholsky, der erste öffentliche Verteidiger der Erzählung, befürchtete, Kafkas Beschreibungen von Nadeln, die einen nackten Körper durchdringen, würden Vergleiche zu den allgemein bekannten sadomasochistischen Schriften des "parfümierten Salonsadisten" Hans Heinz Ewers ziehen. Doch Tucholsky betonte, daß man weder Kafka noch den Protagonisten seiner Erzählung, einen Offizier, korrekterweise als einen "Sadist[en]" bezeichnen könne. Zwar mag der Text einem perverse sexuelle Phantasien ins Gedächtnis rufen, aber das eigentliche Thema von In der Strafkolonie ist politischer Natur: Es geht um die Schilderung eines militärischkolonialen Regimes, das Amok läuft.
Erst allmählich wird der Autor Alexander Lernet-Holenia wiederentdeckt. Dabei war er in der Zwischenkriegs- und Nachkriegszeit einer der bekanntesten österreichischen Schriftsteller. Sein weitgehendes Verschwinden aus der literarischen Öffentlichkeit und der literaturwissenschaftlichen Diskussion der letzten Jahrzehnte dürfte wohl vor allem seinem politischen Konservatismus - manche bezeichnen ihn als reaktionär, er selbst hat sich einmal einen konservativen Revolutionär genannt - wie seiner ihm von den Interpreten wiederholt attestierten Zwitterstellung zwischen 'hoher' und unterhaltender bzw. Trivialliteratur geschuldet sein. Daß er nicht zu den kanonisierten österreichischen Autoren des 20. Jahrhunderts gehört, hat sicherlich auch mit der bis heute von Literaturwissenschaftlern vertretenen Einschätzung zu tun, daß sich an seiner Prosa nicht ähnlich innovativ wie bei Musil, Broch und anderen die Formproblematik des modernen Erzählens erörtern läßt. Wenn sein Prosa-Werk ernsthafte Berücksichtigung erfährt, dann vor allem in der Forschung zur literarischen Phantastik zwischen dem fin de siècle und den dreißiger Jahren. In diesem Zusammenhang ist oft von einem zentralen Charakteristikum seines Schreibens die Rede. Bezug genommen wird dabei auf die von Lernet-Holenia selbst verwendete Metapher des 'Zwischenreichs'. So heißt es in einer häufig zitierten Studie von Franziska Müller-Widmer, daß Lernet-Holenia "das Ineinanderfließen von Wirklichkeit und Fiktion, von Realität und Traumwelt, Leben und Tod zum wesentlichsten Prinzip seiner schriftstellerischen Arbeit erhoben hat". Allein schon dieses Zitat belegt, wie aktuell sein Werk, das die Aufhebung bzw. die Ununterscheidbarkeit solcher Gegensätze und darüber hinaus ihr Zwischen zum zentralen Thema hat, in einer Zeit (wie der unsrigen) sein müßte, in der die Grenzen zwischen Realität und Fiktion unscharf werden. Neben der auch kürzlich wieder vorgenommenen Abwertung des Autors und seines Werkes gibt es gleichwohl auch Stimmen, die die Modernität der Texte Lernet-Holenias andeuten.
"Er schrieb mit sicherer Gelassenheit, von rechts nach links; seine Gewandtheit im Aufstellen von Syllogismen und im Ausspinnen weitläufiger Paragraphen hinderte ihn nicht, die kühle Tiefe des Hauses, das ihn umgab, wohltuend zu empfinden." So lautet der Beginn von Jorge Luis Borges' Geschichte Averroës auf der Suche. Der arabische Arzt und Philosoph Ibn Ruschd, bei uns Averroës genannt, sitzt in seinem Haus in Córdoba, jener Stadt, von der es heißt, sie habe bereits im 10. Jahrhundert eine halbe bis eine Million Einwohner gezählt, habe über 80 000 Werkstätten und Geschäfte, 900 öffentliche Bäder, 300 Moscheen und 50 Krankenhäuser besessen. Hier fließen die Geistesblüten von Okzident und Orient zusammen und kulminieren in einem Jahrhundert des Aufschwungs, das wenig später der Zerstörungswut der Reconquista zum Opfer fallen wird.
Averroës also sitzt in seinem Garten und arbeitet an seinem Werk 'Tahafut-ul-Tahafut' (Zerstörung der Zerstörung), das die Erwiderung auf das 'Tahafut-ulfalasifa' (Zerstörung der Philosophie) des Mystikers Al-Ghazali darstellt. Ein leichtes Unbehagen überkommt ihn, nicht wegen der Auseinandersetzung mit Al-Ghazali, sondern wegen eines Problems, das Averroës mit seinem Aristoteles-Kommentar hat, es sind die zwei Worte "Komödie" und "Tragödie" aus der Aristotelischen Poetik, die niemandem in der islamischen Welt etwas sagen. Wie der Zufall es will, gerät Averroës unwissentlich in den Bannkreis der Wahrheit: Bei einem Abendessen mit dem berühmten Reisenden Abulcásim Al-Ashari berichtet dieser von einem eigenartigen, bemalten Holzhaus in China, in dem maskierte Gestalten eine Geschichte aufführten, ein Theaterstück also. Keiner der Anwesenden kann sich einen Reim darauf machen, auch der Reisende selbst nicht.
In ihrem Buch 'Post-Fascist Fantasies' nennt die psychoanalytische Kritikerin Julia Hell Christa Wolfs 'Der geteilte Himmel' "Mauerroman". Im Jahre 1963 veröffentlicht - zwei Jahre nach dem Mauerbau -, erforscht 'Der geteilte Himmel' die umstrittenen Gelände der Teilung Deutschlands und der Kulturpolitik des Kalten Krieges. Wie Hell haben viele bei ihren Versuchen, Wolfs literarische Darstellung der Deutschen Demokratischen Republik und der Ideale, die sie zu realisieren suchte - besonders die Entwicklung sozialistischer Kollektive -, zu schildern, auf diesen Roman verwiesen. Und doch ist es problematisch, ihn als "Mauerroman" zu bezeichnen. Die Mauer spielt nie explizit eine Rolle in 'Der geteilte Himmel'.
In seiner Analyse dieser Vermeidung nennt Andreas Huyssen die Berliner Mauer eine "Tabuzone" in Wolfs Werk; sie zählt mit zu anderen Leerstellen in ihrem Werk: der Aufstand im Jahre 1953, der Prager Frühling 1968, der Schießbefehl.
In der Tat ist es erst in Wolfs letzter Erzählung, Leibhaftig, daß die Mauer konkretisiert wird. Mehr als vierzig Jahre nach der Barrikadierung der deutsch-deutschen Grenze und mehr als ein Jahrzehnt nach ihrem Abriß scheint es leicht, Wolfs Schwachpunkt anzuführen, um ihr Werk als scheinheilig abzutun. Doch das würde bedeuten, daß man Wolfs einzigartige Perspektive auf die Politik des Erinnerns vernichtet, die in hohem Grade mittlerweile das aktuelle deutsche Denken bestimmt. Denn in der Erinnerungspolitik enthalten sind die Chiffren der Verleugnung: die Verweigerung einer traumatischen Wahrnehmung. Wenige Autoren sind in der Lage, eine genauere Auslegung dieser Chiffren zu liefern als Christa Wolf.
Die übergreifende theoretisch-historische Fragestellung für die folgenden Ausführungen lautet: Warum wird die Antike rezipiert? Konkret handelt es sich um Wandlungsprozesse in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Deutschland, die von Winckelmann ausgingen, an der zahlreiche Intellektuelle dieser Zeit Anteil hatten und die im weimarisch-jenaischen Kulturkreis kulminierten - bei Schriftstellern und Gelehrten, die mehr oder weniger lange und mehr oder weniger enge Verbindungen mit Thüringen hatten (auch wenn manche ihrer Äußerungen schon vor oder erst nach ihrer Thüringer Zeit lagen). Die auffallendste Wandlung in der europäischen (mit besonderem Nachdruck in der deutschen) Antikerezeption des 18. Jahrhunderts ist die Verlagerung des Schwerpunktes von Rom auf Griechenland (und zwar auf Athen bzw. auf ein von Athen her bestimmtes Griechentum) - eine Wandlung, die zugleich die Wende von einer primär politischen zu einer vorrangig kulturellen Antikerezeption bedeutete. Ich werde darauf eingehen, das Problem aber einem anderen Aspekt unterordnen: der Frage nämlich, ob die Beziehung zum Altertum in erster Linie die Ästhetik und Poetik oder die Geschichtsphilosophie, Anthropologie und Ethik betrifft, ob sie der Kunstschönheit oder dem Menschenbild gilt, ob sie auf eine Normativität des Stils und der literarischen Gattungen oder auf eine Aufnahme von Stoffen und Motiven zielt. Es soll demnach vor allem untersucht werden, ob es sich um eine detaillierte, punktuelle, selektive oder um eine universelle Rezeption handelt und ob die imitatio von musterhaften künstlerischen Werken sowie die Befolgung allgemeinverbindlicher kunsttheoretischer Lehren oder die Affinität zum Leben, zur Geschichte, zur Kultur und zum Mythos - also zur Antike als einer ganzheitlichen Erscheinung - ausschlaggebend ist.
Barbara Honigmann knüpft in ihrem Roman 'Alles, alles Liebe!' (2000) an das Genre Briefroman ihres Debüts 'Roman von einem Kinde' (1986) an. Sie führt auch in vielem den Ton weiter, der bereits diesem ersten Text seine besondere, eigenwillige Färbung gab. Es ist ein unverwechselbarer, unnachahmlicher Ton. Daß diesem Ton, den die Honigmann-Kritik bisher häufig als "einfach ", mitunter beinahe "kindlich", von einer "Naivität der höheren Art" gerühmt hat, eine ausgeprägte Sprachreflexion zugrunde liegt, soll im zweiten Teil dieses Beitrags gezeigt werden. Erinnerte Kindheit und verzeichnete Landschaften. - Erinnerte Kindheit im SED-Staat funktioniert weder als vermeintliche Idylle - verzeichnete Selbstbildnisse und Landschaften, so der ursprüngliche Titel von Honigmanns Debüt - noch als Identifikationsmuster für Anna, die Protagonistin in Honigmanns Roman 'Alles, alles Liebe!'. Anna, eine junge jüdische Frau, sieht aus wie eine Zigeunerin und assoziiert damit das Bild der 'schönen Jüdin'. Dieses Bild der abendländischen Kulturgeschichte avanciert zur "Metapher für die doppelt Andere", in der die "Phantasmen über das andere Geschlecht mit denen über das 'Jüdische' eine exotische Verbindung eingehen." So schreibt Anna an Eva: "Liebe Eva! Das erste Wort, das ich in Prenzlau hörte, war 'Zigeuner'. Jemand rief es mir nach, kaum daß ich ein paar Schritte aus dem Bahnhof getan hatte, auf der Suche nach meinem Hotel. Aber soviel ich mich auch umgesehen habe, da war kein Mensch und kein Hotel, weit und breit."
Es gehört zum topischen Inventar des Schreibens über Auschwitz, daß allem, was von der Vernichtung zu sagen ist, bereits ein Index der Unsagbarkeit anhaftet. So notiert Peter Weiss unter dem Eindruck des Frankfurter Prozesses 1964: "Zur Endlösung: es ist ja nur unsere Generation, die etwas davon weiß, die Generation nach uns kennt es schon nicht mehr. Wir müssen etwas darüber aussagen. Doch wir können es noch nicht. Wenn wir es versuchen, mißglückt es."
Das Projekt, die "Endlösung" zu versprachlichen, zeichnet sich gegen einen Horizont seines Mißglückens ab. Jegliche Aussage ist zunächst und zuerst ein Versuch. In zwei der Eintragung nachfolgenden Arbeiten ist diese Problematik auf sehr unterschiedliche Weise reflektiert. Das Prosastück 'Meine Ortschaft' exponiert den Gestus des Versuchens, forscht nach den Differenzen und Widersprüchen im Schreiben des Vergangenen. Die Ortschaft Auschwitz, die einen festen Bezugspunkt in der Bio-/Topographie des Exilautors markiert, präsentiert sich beim Rundgang als zerfallende, gleichsam entschwindende Stätte. Imaginative Annäherungen an ihre historische Realität werden im Text umgehend reflektiert und relativiert: "Ein Lebender ist gekommen, und vor diesem Lebenden verschließt sich, was hier geschah. Der Lebende, der hierherkommt, aus einer andern Welt, besitzt nichts als seine Kenntnisse von Ziffern, von niedergeschriebenen Berichten, von Zeugenaussagen, sie sind Teil seines Lebens, er trägt daran, doch fassen kann er nur, was ihm selbst widerfährt. Nur wenn er selbst von einem Tisch gestoßen und gefesselt wird, wenn er getreten und gepeitscht wird, weiß er, was dies ist. Nur wenn es neben ihm geschieht, daß man sie zusammentreibt, niederschlägt, in Fuhren lädt, weiß er, wie dies ist."
"Auf eine unüberschreitbare Grenze gestoßen / Hast du, so heißt es / Eine überschreitbare überschritten." Diese Zeilen aus Brechts Gedicht auf den gescheiterten Grenzübergang Walter Benjamins 1940 in den Pyrenäen könnten dann auch, wenn auch bei radikal verändertem Vorzeichen, als Motto über dem ganzen Schaffen des Autors und Grenzgängers Volker Braun stehen. Denn auch sein ersehnter 'Übergang' drohte zu scheitern - und ist dann schließlich auch gescheitert - bei dem Zusammenstoß mit schier unüberwindlichen Hürden, auch hier solche, wie es sich herausstellte, der Macht, also ebenfalls bürokratisch-politischer Art; und auch Braun sah sich aufgefordert, bei der vergeblichen Suche nach dem einen, verwehrten Übergang dann auch alle anderen Möglichkeiten des Übergangs - die denkbaren wie die unausdenkbaren - auszutesten. Dabei ist der, wie es auf den ersten Blick scheinen könnte, wohl nächstliegende Übergang für einen Schriftsteller von Brauns Herkunft und politischer Überzeugung - der erhoffte in den Sozialismus - paradoxerweise gerade der, der sich dann als glatt undurchführbar erwies. Denn gemäß dem einstigen tschechischen Witz von den zwei Stadien in der Entwicklung des Sozialismus - die Schwierigkeiten der Entwicklung, und die Entwicklung der Schwierigkeiten - ist Brauns Werk also schon früh gezeichnet von der Blockade, die sich zwischen dem 'realen Sozialismus' und der Verwirklichung des Marxschen Emanzipationsprogramms auftat. So ist sein Werk wie kaum ein anderes reich an Übergängen, welcher Reichtum aber gleichzeitig die bald ausdrückliche, bald verborgene Klage und Elegie um einen einzigen verwehrten, verfehlten und gescheiterten Übergang darstellt: um jenen Übergang, in dem alle anderen hätten münden sollen, den Übergang in die von Marx evozierte menschliche Gemeinschaft.
In zwei bemerkenswerten Feuilletons hat der österreichische Expressionist Robert Müller eine Gesamtcharakteristik des Schriftstellers Gustav Meyrink entworfen. Sie liest sich, als solle bewiesen werden, daß die - erst später und am historischen Gegenstand des barocken Trauerspiels entfaltete - Benjaminsche Kategorie des Allegorischen auf die zeitgenössische Literatur anwendbar sei. Geschrieben zu eben der Zeit, in der Benjamin, nicht zuletzt unter dem Eindruck des Expressionismus, sein Buch 'Über das deutsche Trauerspiel' zu konzipieren begann, umkreisen Müllers Aufsätze den melancholischen Blick eines Autors, dem die Welt insgesamt zum Gegenstand einer allegorischen Lektüre gerät: Meyrink versuche "Chiffren (alles Leben ist Bild) in Sprache umzusetzen", so Müller in seiner Rezension des 1916 veröffentlichten Romans 'Das grüne Gesicht', den er als Fortsetzung des ein Jahr zuvor erschienen Erfolgsbuchs 'Der Golem' begreift. In seinen "Grenzmenschen" gehe "das Tote um, Erstarrtes", sie seien "unverwendbar für das Leben des Lesers".
Die Prinzipien der Meyrinkschen Darstellungsweise erläutert Müller eingehender: "Es fehlt seinem Geschriebenen an Einmaligkeit und Präzision. Er hat keinen Humor, denn er ist ein Pathetiker bis zum Unerträglichen, aber er hat Komik, sein Witz eben ist pathetisch, es ist eine Komik, die ganz aus den Worten kommt wie seine Melancholie, sein verzehrender Pessimismus, seine Mystik, die oft zu den tiefsten Dingen geht. Wo er chaotisch ist, an den Wurzeln des Denkens, im Fegefeuer der Sprache, wird er symptomatisch für das Zeiterlebnis, das einen wissenschaftlichen Nihilismus, eine Aufklärung wider das Gelehrtendogma kennt. Das Leben erscheint als Kreislauf von Motiven, Worte, nein Wörter stehen pflanzenhaft, als Fetische des Geschehens, im Mittelpunkt. Er denkt in Sprachprämien, das Phonetische einer Prägung ist nichts Zufälliges, sondern eine Verwandtschaft, die Lautanalogie sozusagen zum Urgrunde alles Seins. [...] Meyrinks Schreibeakt chiffriert das Leben, in diesen Kürzungen und Kraftworten kommen die sonderbaren Leitmotive, die das Weltgeschehen ins Kreisen bringen, in einer Art Nebelplastik, wie Wolken, die über das Bewußtsein ziehen, zum Ausdruck."
Die Kamera folgt einem Ball aus kreisenden Ziffern und Buchstaben. Er schnellt schwerelos durch eine Umgebung aus geometrischen Formen, leuchtenden Streifen und schnell an uns vorbeischießenden Symbolen. Die eingeblendete Schrift informiert über Ort und Zeit des Geschehens: Internet, 2021. So beginnt 'Johnny Mnemonic' - mit einer Visualisierung des Datenstroms des Internet, einer Visualisierung des Cyberspace. Der Begriff Cyberspace beschreibt dabei seinerseits, innerhalb der Kunstform, der er entstammt - der Literatur - eine Visualisierung: die grafisch dargestellte und immersiv erlebbare Summe aller vernetzten Daten. Als Erfinder des Begriffes sowie des Synonyms "Matrix" und den wesentlichen Parametern seiner Erscheinung - vor allem die Repräsentation von Daten als dreidimensionale geometrische Gestalt - gilt der kanadische Autor William Gibson. In seiner Short Story 'Burning Chrome', dem Prototyp für seinen einflußreichsten, 1984 erschienenen Roman 'Neuromancer', definiert Gibson die Erscheinung und die wesentlichen technischen Vorraussetzungen des Cyberspace: "The matrix is an abstract representation of the relationships between data systems. Legitimate programmers jack into their employers' sector of the matrix and find themselves surrounded by bright geometries representing the corporate data. Towers and fields of it ranged in the colorless nonspace of the simulation matrix, the electronic consensus-hallucination that facilitates the handling and exchange of massive quantities of data." "Cyberspace itself," schreibt Adam Roberts als Versuch einer Definition des literarischen Cyberspace, "is not a real space, but a notional space, a metaphorical space. In Gibson's novel it is described in literal, visual terms, although the narrative repeats several times that it is not a literal or visual space, but rather a nonspace."