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Junghegelianer in Paris
(2003)
Angesichts der fortgeschrittenen sozialen, politischen und theoretischen Verhältnisse in Paris mußte die gedankenschwere nach-hegelsche deutsche Philosophie, die in Ruges und Marx' Person zum Zwecke einer Allianz nach Paris gekommen war, in einem für sie ungewohnten Tempo eine welthistorische Entscheidung treffen. Das haben die beiden Herausgeber auch getan. Arnold Ruge entschied sich für das bürgerliche Lager, für gesetzliche Opposition, für den Idealismus, Karl Marx für die Arbeiterklasse, für die Revolution, für den
Materialismus. Diese Begriffe sind jedoch damals zwischen den beiden Beteiligten mit Gewißheit nicht gefallen, ja es ist nicht einmal sicher, ob der von der Grunddifferenz abgeleitete Streit über den Charakter der junghegelianischen Bewegung und ihrer Erneuerung thematisiert worden ist. Wir kennen Marx' Absagebrief an Ruge vom 26. März 1844 nicht, aber daß er, in welchen Worten auch immer, den grundsätzlichen Bruch
aussprach, ist sicher. Nachdem dies geschehen war, konnte man nicht mehr gemeinsam eine Zeitschrift redigieren. Gescheitert ist nicht eine persönliche Freundschaft (oder ein Zweckbündnis), sondern der (vielleicht schon unrealistische) Versuch einer gemeinsamen zeitgemäßen Erneuerung des Junghegelianismus. Während aber nun die Entscheidung von Marx in einer unübersehbaren Literatur seit Jahrzehnten kommentiert wird und sein erster Aufenthalt in Paris bis ins einzelne erforscht ist, kam Ruge weit stiefmütterlicher davon. Geht man jedoch auch seinen einzelnen Schritten nach, werden die Umstände und Hintergründe des Geschehens von Herbst
1843 bis Frühjahr 1844 mit seinen welthistorischen Folgen deutlicher. Dabei spielen Briefe, die bisher oft zu wenig herangezogen bzw. noch nicht publiziert wurden, eine große Rolle. In vielen Fällen sind sie die einzige Quelle.
Ruges Aufenthalt in Paris ist auch deshalb für die geistesgeschichtliche Forschung relevant, weil er die Peripetie in der Entwicklungskurve seiner politischer Radikalität bildet. Schon nach einem halben Jahr der Zusammenarbeit fand er Marx' Redaktion der Deutsch-Französischen Jahrbücher unpassend und überwarf sich mit allen seinen "kommunistischen" Freunden.
Die Geschichte der französischen Philosophie im 19. Jahrhundert beginnt als akademische Fachrichtung mit Victor Cousin, der weit mehr als seine blassen Vorgänger Laromiguière oder Royer-Collard die akademische Disziplin geprägt hat. Cousin stellte als offizieller Philosoph
der Julimonarchie, als Minister und als Vorstand des Ausschusses zur Auswahl der Gymnasiallehrer eine Art Galionsfigur der Geisteswissenschaften dar, und hatte einen entscheidenden Einfluss sowohl auf die Personalpolitik wie auf die Definition der Lehr- und Forschungsgegenstände. Er bekannte sich zu einer als Eklektizismus umschriebenen
Doktrin, die einerseits die Bewahrung der gegebenen Ordnung der Dinge auch in religiöser Hinsicht anstrebte, andrerseits die Philosophie von jeder Form religiösen Bekenntnisses emanzipierte und gewissermaßen den neutralen Geist der späteren "Laïcité" ankündigte. Das sogenannte
Regiment von Victor Cousin, d.h. die Philosophielehrer, deren Ernennung und Beförderung von seinem Gutdünken abhing, konnte sich auf seine Rückendeckung verlassen, wenn sie in Konflikt zu der religiösen Obrigkeit gerieten. Andrerseits mussten sie sich wie die Vertreter einer einzigen Doktrin, seiner Doktrin verhalten. Nun findet Cousins Doktrin ihre Wurzeln wenn nicht in der deutschen Philosophie - Heine bemerkte ironisch, dass Cousins Unkenntnis des Deutschen ihn gegen jeden
Verdacht philosophischer Deutschtümelei schützte -, so wenigstens in einem privilegierten Deutschlandbezug.
"Wahlverwandtschaften" : Programme einer deutsch-französischen Allianz von Heine bis Ruge und Marx
(2003)
Nichts zeichnet den interkulturellen Transfer im Vormärz so aus wie der Versuch, die fortschrittlichsten Eliten Deutschlands und Frankreichs enger als je zu verknüpfen. Nie zuvor, und wohl nie danach, haben sich deutsche und französische Dichter und Denker so zahlreich für die geistige Entwicklung ihres Nachbarlandes begeistert - bereit, alles national Trennende zurück- und alles kulturell Verbindende voranzustellen. Mehr noch: Nie zuvor und niemals später haben sich führende Schriftsteller und Intellektuelle beider Länder derart intensiv damit beschäftigt, die Grundlagen einer informellen, geistigen Allianz zu erarbeiten. Man nenne eine Epoche, in der die Verwirklichung dieser wahrhaft europäischen Idee so greifbar nah war wie etwa 1844!
Wer dieser verschollenen Randfigur der Literatur des 19. Jahrhunderts nachspüren will, wird Mühe haben. Einschlägige deutsche Lexika widmen ihr keine Zeile, und ihr Name wird nur in älteren französischen Nachschlagewerken überliefert, die allerdings die wohl unvermeidlichen Lücken und Fehler aufweisen. Die trockenen Fakten deuten ihre Verdienste kaum an, und die Tatsache, dass sie in Frankreich posthum zu
einer Steadyseller-Autorin wurde, zwar nicht mit eigenen Werken, sondern mit Übersetzungen, ist nicht zu erkennen.
Der Versuch, dieser Randfigur Relief zu verleihen, muss infolge mangelnder Vorarbeiten und der wenigen entdeckten Quellen ein Unterfangen bleiben, das vorerst kein erschöpfendes Ergebnis zeitigen kann, eher ein Provisorium, das vielleicht zu weiterer Forschung anreizt.
Nach seiner Erfindung um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert wurde der romantische Rhein in Deutschland bald als Abgrenzungskriterium zwischen Deutschland und Frankreich instrumentalisiert. Eine Ursache ist selbstverständlich die politische Situation: Deutschland ist zersplittert und steht unter französischer Besatzung, als sich
Clemens Brentano und Achim von Arnim 1802 auf ihre berühmte
Rheinfahrt begeben und Friedrich Schlegel 1803 auf der Reise nach Frankreich, über die er in seiner Zeitschrift Europa berichtet, den Rhein als Sinnbild Deutschlands entdeckt.
Tragfähig konnte die politische Instrumentalisierung des Rheins allerdings nur deshalb sein, weil sie auf einer seit der Jahrhundertwende schnell angewachsenen und von breitesten Bevölkerungsschichten in Deutschland mitgetragenen Tradition beruhte. Solche Traditionen zu
stiften und damit überhaupt erst so etwas wie eine nationale deutsche Kultur, in Absetzung und Überbietung von anderen, bereits bestehenden Nationalkulturen wie etwa der französischen zu begründen, war eines der Hauptanliegen der romantischen Bewegung. Insofern ist selbst den
Gründervätern des Rheinmythos zumindest indirekt der deutsch-französische Gegensatz als Antrieb nicht fremd.
Da Frankreich und dessen jüngste Geschichte für Börne mehr bedeuteten als ein Motiv seines schriftstellerischen Interesses und seiner Lebenswelt unter anderen, weil ihm sowohl Frankreich wie Deutschland, ob ausgesprochen oder latent, Welt und Gegenwelt waren, in denen sich Existenz wie Denken abspielten und abspiegelten, kann in diesem Rahmen nur auf wenige Facetten seines Schreibens eingegangen werden. Es wird sich daher im Wesentlichen um die Rolle handeln, die Frankreich und besonders Paris für seine Arbeit als Journalist und als Zeithistoriker
wie für den Ansatz seines geschichtsphilosophischen Denkens überhaupt gespielt haben.
Deutsch-französische Erfahrungen und/oder Erfindungen :
Heines Besucher in Paris von 1831 bis 1848
(2003)
Überlegungen, die sich einem der bedeutendsten Kapitel der Beziehung zwischen der deutschen und französischen Literatur widmen, können an der Gestalt und dem Werk Heinrich Heines nicht vorbei gehen. Oft genug gibt er gar das Modell ab für politische und soziale Funktionen der Literatur in ihrer die Grenzen überschreitenden Möglichkeit. Heine selbst liefert dafür immer wieder Beispiele der Vermittlung in unterschiedlichster Weise. Den Franzosen die deutsche Eigenart wie Geisteswelt und den Deutschen die künstlerischen, intellektuellen wie revolutionären Errungenschaften der Franzosen nahe zu bringen, betrachtete er als Lebensaufgabe seiner letzten 25 Jahre von 1831 bis 1856, die er in Frankreich bzw. Paris verbracht hat.