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Die Logik und die mit ihr verbündete und verbundene Grammatik beschreiben und bestimmen eine Welt, die sie für die wahre erklären, die aber eben in dieser Wahrheit bloßer Schein ist, eine "vollständige Fiction". Wirklich wahr hingegen ist die Welt, die von der und durch die Wahrheits-Produktion zum Schein
erklärt wird, die der Sinnlichkeit und damit der anfänglichen Erfahrung eines Nervensystems, das diese "vollständige Fiction" aus sich und für sich schafft, um mit sich ins rein und offen Unterschiede zu kommen. Fazit: Das wirklich Wahre hat keine Sprache, während die Wirklichkeit, die eine hat, nicht wahr ist. In dieses von Logik und Grammatik erzeugte und verschwiegene Bedürfnis nach ihrer ursprünglich anderen Sprache erfindet sich die Lyrik, eine Nachfrage befriedigend, deren Stunde mit ihrem Kommen vorübergeht. Sie verschmilzt bei Wolfgang Hilbig das Licht äußerster Begrifflichkeit mit der steinernen Schwere dichtester Materialität. An diesem Schmelzpunkt entstehen seine Gedichte [...].
Silke vom Berg liefert eine imagologische Studie, in der sie den überwiegend xenophoben Türken-Bildern in lyrischen Texten nachgeht und das nicht nur im Vormärz negative Image dieser Besatzer historisch herleitet. Mit dem 2005 erschienen Corpus "Philhellenische Gedichte des deutschsprachigen Raums", zusammengetragen und herausgegeben von Michael Busse, liegt nun eine rund 670 Gedichte, Balladen und Lieder umfassende Sammlung vor. Die Fülle mag nicht nur angesichts der thematischen Engführung auf das historische Ereignis verwundern, sondern auch hinsichtlich der zeitgenössischen Beliebtheit des künstlerischen Klein-Formats. Der vorliegende Beitrag nähert sich diesen Phänomenen auf den Pfaden philhellenischer Selbst- und Fremdbilder. Letztere figurieren in der Lyrik der Philhellenen vornehmlich als Orientalen und Türken, welche in auffälliger Häufung als Kannibalen, Dämonen und Kindsmörder verunglimpft und entmenschlicht werden. Hingegen hebt sich das zu verteidigende 'Selbst', repräsentiert durch Deutsche, Philhellenen, Hellenen und Neugriechen, als edel, tugendhaft und heldenmütig ab. Der vorliegende Beitrag soll jedoch nicht erneut dazu beitragen, dichotome Freund-Feindbilder figurativ und motivisch zu unterfüttern - das Material böte hierfür schier endlose Möglichkeiten -, sondern er richtet sein Augenmerk auf Knotenpunkte, in denen historische und zeitgenössische Diskurse zusammenlaufen und eine innerdeutsche Gemengelage in Relation zu ethnisch-kulturellen Konzepten tritt.
"Das schöne Gedicht auf den Vogel ..." : Anmerkungen zu Hofmannsthals Rezeption Walt Whitmans
(1986)
Die Bedeutung des amerikanischen Dichters Walt Whitman (1819-1892) für Hugo von Hofmannsthal im einzelnen ausmachen zu wollen, ist nicht einfach und kann auch nicht Ziel dieser Ausführungen sein. Vielmehr soll es darum gehen, Spuren zu verfolgen, die einer solchen Untersuchung dienlich sein können. Dem kurzen Überblick über die Rezeption Whitmans im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert folgen eine genauere Untersuchung des Briefwechsels zwischen Hofmannsthal und Ottonie von Degenfeld, welcher gegenüber Hofmannsthal Whitmans Gedicht "Out of the Cradle Endlessly Rocking" wohl als das "schöne Gedicht auf den Vogel, der um seine Frau klagt" erwähnte, sowie der vollständige Abdruck des Gedichtes und dessen deutsche Übersetzung von Johannes Schlaf.
Auf die als Zürcher Literaturstreit bekannt gewordene philosophisch-ästhetische Heiterkeitsdebatte um Emil Staiger Ende der 1960er Jahre folgte 1982 erneut eine Auseinandersetzung um die Möglichkeiten heiterer Literatur. Den Beginn der neuen Heiterkeitsdebatte in den 1980er Jahren bildet Hans-Jürgen Heises in der Wochenzeitung "Die Zeit" veröffentlichte Klage über die "Übellaunigkeit" der gegenwärtigen Poesie, in der er die "lebenszugewandten und sinnfrohen Verlautbarungen" vermisst. Autoren wie Günter Kunert, Peter Härtling, Karl Krolow, Michael Krüger und Adolf Muschg reagieren kritisch auf diese 'neue' Forderung nach mehr Fröhlichkeit in der Dichtung. In einer rekonstruierenden und kontextualisierenden Untersuchung wird der Frage nachgegangen, ob und inwiefern sich die Argumente der neuen Heiterkeitsdebatte von denen des durch Staigers Forderungen ausgelösten Zürcher Literaturstreits unterscheiden. Damit verbunden ist die These, dass Heiterkeit wieder nur als feuilletonistischer 'Kampfbegriff' verwendet wird, der eine differenzierte Sicht auf Heiterkeit als ästhetische Kategorie letztlich verstellt und die der Debatte eigentlich zugrundeliegende Frage nach dem Verhältnis von Lyrik und Gesellschaft unbeantwortet lässt.
Spätestens seit den Untersuchungen von Heinrich Henel besteht in der literaturwissenschaftlichen Forschung weitgehend Einigkeit darüber, dem lyrischen OEuvre C. F. Meyers einen festen Platz in der Vorgeschichte der literarischen Moderne zuzuweisen. Die Neigung zum Statischen, der Duktus distanziert-objektivierenden Sprechens und die tendenzielle Verselbständigung der Form lassen in den Augen der meisten Interpreten zumindest einen Teil dieser in ersten Fassungen seit 1860 entstandenen Gedichte als Vorwegnahme der symbolistischen Lyrik Georges, Hofmannsthals oder Rilkes erscheinen - Bernhard Böschenstein apostrophiert Meyer daher gar als "Hermes der Jahrhundertwende".
Dieser emphatische Modernitätsbefund bringt freilich Probleme mit sich. So wurde zum einen die Frage, wie die Symbolismus-Vorläuferschaft Meyers zu erklären, zu verstehen sei, bislang entweder gar nicht oder - in der älteren Forschung - nur höchst inadäquat beantwortet durch den anachronistischen Hinweis auf einen im 19. Jahrhundert angeblich stattfindenden Übergang von der Erlebnislyrik zum Symbolismus, der sich auch in Meyers Lyrik manifestiere.
Die hier vorgestellte Studie entwickelt eine Theorie 'lyrischer Selbstentwürfe' und leistet eine kritische Bestandsaufnahme und Evaluation diesbezüglicher Forschungspositionen. Entgegen verbreiteter literaturwissenschaftlicher Grundannahmen wird die These vertreten, dass lyrische Texte faktual sein und auf Autor:innen referieren können. Für solche Fälle liefert die Studie ein begriffliches Instrumentarium, das sie an Beispielanalysen erprobt.
Die nachfolgende Untersuchung hat nicht nur Sabine Schos Farben-Band zum Gegenstand, sondern will Werke acht weiterer deutschsprachiger Autorinnen und Autoren auf den Gebrauch von Farbworten in den Gedichten hin analysieren. Voraussetzung für die Aufnahme in das Korpus war - bis auf Sabine Scho -, dass mindesten drei Gedichtbände vorliegen müssen, damit eine mögliche Entwicklung oder Veränderung deutlich werden kann. Beachtet werden nur Werke, die nach 2000 erschienen sind oder Autoren, deren Publikationstätigkeit erst kurz vor oder nach der Jahrtausendwende begonnen hat. Diese Kriterien erfüllen Nico Bleutge, Björn Kuhligk, Albert Ostermaier, Steffen Popp, Marion Poschmann, Monika Rinck, Jan Wagner und Ron Winkler. Ausgangspunkt bei der Lektüre ihrer Werke ist die Überlegung, dass Farben markante Adjektive sind, die den Anschein erwecken, als könne in einem schwarzweißen Druckerzeugnis bunte Sichtbarkeit hergestellt werden. Wenn es aber stimmt, dass gerade das "Sichtbare nicht zu den Stärken der Dichtung" gehört, dann können Farbworte in den - zumeist kurzen - lyrischen Texten ein besonderer Brennpunkt sein, der nicht nur eine metaphorisch-symbolische Ebene signalisiert, sondern auch Anschaulichkeit und optische Prägnanz anstreben kann. Das mit Farben ebenfalls verbundene heikle Gefühls- und Stimmungsspektrum wird in der Lyrik im 21. Jahrhundert nicht mehr unbedingt angestrebt; deswegen ist von Interesse, wie mit der emotionalen Gefahrenzone umgegangen wird. Entscheidende Fragen in diesem Zusammenhang sind: Wird Gottfried Benns Warnung vor "Wortklischees" berücksichtigt? Wie oft ist der Himmel blau, die Rose rot und der Baum grün? Werden Komposita gebildet und wenn ja, welche, und wie werden bekannte Farbbezeichnungen in unbekannte Zusammenhänge eingeordnet? Spielen synästhetische Effekte und Vergleiche eine größere Rolle? Wie wichtig ist die Stellung der Farbworte im Gedicht oder im Vers, zu Beginn, am Ende oder unauffälliger mitten im Text? Insgesamt soll über den Fokus Farbe eine allgemeinere Diagnostik gegenwartslyrischer Schreibweisen erstellt werden.
Nach einem Besuch beim Ehepaar Simmel berichtet Max Weber seiner Frau, dass sie sich hinsichtlich der religiösen Autorität Stefan Georges einig seien: "[D]aß er 'Prophet' werden möchte, halten auch sie für einen Fremdkörper." Doch wie fremd nimmt sich dieser Anspruch tatsächlich aus, sei es in der Zeit um 1900, sei es im lyrischen und/oder ethischen Werk Stefan Georges? Was bedeutet es zudem, einen Gott auszurufen, der nach Friedrich Nietzsche längst tot war, und welche Folgen hat die Wiederkehr Gottes für dessen Seher? Gerade diese Frage scheint mir für Georges Prophetie zentral zu sein. Denn das exklusive Wissen von Gott, dessen wohl konkreteste Bezeichnung Maximin ist, restituiert nicht bloß die Opposition von einerseits einem Absoluten und andererseits den Menschen; es mündet zudem in der Autorisierung des einen Propheten, der einzig und allein unmittelbaren Zugang zu Gott gefunden haben will. So ist letztlich er es, über den das Göttliche seine Rückkehr in die entzauberte Welt feiert, sieht und verkündet dieser doch, was ausgehend vom Leben Maximilian Kronbergers wirkungslos geblieben war. Das Göttliche inmitten der "Mechanisierung", wie Friedrich Gundolf das "Zurücktreten der Götter aus der Zeit" um 1900 beschreibt, wird also weniger durch Maximin als durch dessen Mythos reanimiert, kraft der Erkenntnis, der Sprache und nicht zuletzt der subjektiven Kriterien Stefan Georges.
Dass dieser hierbei nicht nur initiierend auftritt, sondern vor allem auch als größter Nutznießer aus einem Maximin-Kult hervorgeht, will der Aufsatz ausgehend von Georges Auftaktgedicht zu Auf das Leben und den Tod Maximins, von Das Erste, herausstellen. Methodologisch erweist sich hierbei eine produktionsästhetische Argumentation zur Erschließung wesentlicher ästhetischer Leerstellen in Georges Lyrik als vielversprechend. Prophetische Dichtung fordert nämlich sowohl im Allgemeinen als auch im besonderen Fall Stefan Georges stets zugleich ästhetische wie soziale Implikationen zu berücksichtigen.
"Vor einem Bild", so Arthur Schopenhauer, "hat Jeder sich hinzustellen, wie vor einem Fürsten, abwartend, ob und was es zu ihm sprechen werde; und, wie jenen, auch dieses nicht selbst anzureden: denn da würde er nur sich selbst vernehmen." Es ist, als hätte Günter Eich eben diese Aufforderung ernst genommen und in ein subversives Sprachspiel verwandelt. Sein Gedicht "Munch, Konsul Sandberg" aus dem Jahre 1963 erweist sich dabei als ebenso bemerkenswerter wie eigenwilliger Beitrag zum Thema "Text und Bild". [...]Wenn Günter Eichs Gedicht aus dem Band "Zu den Akten" von 1964 etwas aus dem Bild übemimmt, was gleichsam ins Auge springt, so ist es jene genannte Ambiguität zwischen Präsenz und Entzug, zwischen Flächigkeit und Plastizität der Gestalt, die der Text nun seinerseits, in einer Art "overkill" gleichsam, radikalisiert. Eich besingt nicht das Bild, er kokettiert nicht mit der Tradition des Bildgedichtes, er treibt und hintertreibt vielmehr die Erwartung des Lesers durch die Konstruktion eines provozierenden Sprechers. Einer solchen Konstruktion scheinen Fragen vorausgegangen zu sein, wie: Kann ein Text etwas von der Spannung und Energie, die das Gemälde ausstrahlt, "übersetzen"? Läßt sich etwas von der (Nach-)Wirkung dieses Bildes fassen, ohne in gängige Register zu verfallen, mit denen Bilder in der Regel kommuniziert werden? Kann, mit anderen Worten, das Verhältnis von Text und Bild anders artikuliert werden als im Modus der Beschreibung, eines Narrativs oder einer hermeneutischen Belehrung - Modi allesamt der Bemächtigung, der Rivalität oder der Unterwerfung?
Der vorliegende Beitrag setzt sich Zweifaches zum Ziel: erstens, Karl Dedecius' Weg zum renommierten Übersetzer der polnischen Lyrik in Deutschland sowie sein Konzept der Übersetzungskunst zu skizzieren, und daran anschließend – an zwei Gedichten von Wisława Szymborska in der Übersetzung von Dedecius ('Das erste Foto' und 'Katze in der leeren Wohnung') – aufzuzeigen, wie selbst eine große Meisterschaft an bestimmte Grenzen stößt, die dem Übertragen der Lyrik in eine andere Sprache innewohnen.