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Eine qualitative und quantitative Studie zum Einsatz der virtuellen Mikroskopie in der Schule
(2019)
Das Mikroskop stellt in der Alltagswelt ein Sinnbild für naturwissenschaftliches Arbeiten dar (Coleman 2009, Paulsen 2010). Im Bereich der Lehre eröffnet dieses Laborgerät das Eintauchen in die mikroskopische Dimension und besitzt eine wesentliche Rolle bei der damit verbundenen Erkenntnisgewinnung, insbesondere von funktionsmorphologischen Konzepten (Gropengießer & Kattmann 2008, Kremer 2002). Jedoch wird die Durchführung der klassischen Mikroskopie und damit die aktive Auseinandersetzung mit mikroskopischen Präparaten im schulischen (Biologie-)Unterricht durch verschiedene Faktoren erschwert. Zu den Limitierungen gehören beispielsweise die Verfügbarkeit geeigneter Mikroskope und Dauerpräparate, die aufwendige Vor- und Nachbereitungszeit sowie der zeitliche Aufwand bei der Herstellung hochwertiger mikroskopischer Frischpräparate. Die virtuelle Mikroskopie könnte diese Schwierigkeiten umgehen. Das virtuelle Mikroskop kann als eine Simulation verstanden werden, bei der die bildanalytischen Vorgehensweisen bei mikroskopischen Präparaten analog zur klassischen Mikroskopie nachvollzogen werden können (Gu & Oglivie 2005, Hentschel 2009). Hierbei umfasst das virtuelle Mikroskop ein Akquisitionssystem zum Einscannen und Digitalisieren mikroskopischer Präparate, einen Server zum Speichern und Bereitstellen der entstandenen virtuellen hochauflösenden Aufnahmen (WSI) sowie eine Bildbetrachtungssoftware auf einem Anwendungsrechner (Kalinski et al. 2006). Basierend auf einer Nutzerbefragung wurde eine Betrachtungssoftware programmiert, die hinsicht¬lich ihrer Benutzerfreundlichkeit und ihren Eigenschaften auf den schulischen Einsatz angepasst wurde. Um die Relevanz in diesem Anwendungsfeld zu testen, wurden die Untersuchungen der vorliegenden Arbeit sowohl im Schülerlabor Goethe BioLab als auch in der universitären Lehre der Abteilung für Didaktik der Biowissen¬schaften der Goethe–Universität Frankfurt am Main durchgeführt. Der Schülerlabortag „Blut und das virtuelle Mikroskop“ wurde entwickelt, um die computerbasierte virtuelle Mikroskopie mit Schülern ergänzend zur klassischen Mikroskopie in einem fachlichen Kontext anzuwenden und zu erforschen.
Beruhend auf der Vergleichbarkeit beider Mikroskopiemethoden (Paulsen et al. 2010) lagen die Forschungsschwerpunkte neben der Nutzung der Software durch Schülerinnen und Schülern auf einer gegenüberstellenden Beurteilung beider mikroskopischer Verfahren von Schülern und Lehramtsstudierenden. Es wurden in diesem Zusammenhang drei zentrale Forschungsfragen formuliert.
Die erste Forschungsfrage untersucht das Nutzerverhalten der Schüler (n = 123) bei der virtuellen Mikroskopie mittels automatisch generierter Datensätze während der Anwendung der Bildbetrachtungssoftware. Die Analyse der Anwendungsdaten zeigt, dass das mikroskopische Sehen, insbesondere das Fokussieren auf relevante Bildbereiche, im virtuellen Humanblutausstrich angewandt wurde.
Die zweite Forschungsfrage untersuchte das aktuelle Interesses bei Schülern (n = 293) im direkten Vergleich zwischen virtueller und klassischer Mikroskopie. Dabei wurde das aktuelle Interesse aufgrund des engen Zusammenhangs zum Lernen (vgl. Krapp 1992a) als Indikator der Lernwirksamkeit gewählt. Die Erhebung erfolgte mittels eines Fragebogens. Die Ergebnisse dieser Untersuchung zeigen, dass der Einsatz beider mikroskopischer Verfahren das aktuelle Interesse fördert, das emotionale und das wertbezogene Merkmal sich jedoch zugunsten der klassischen Mikroskopie signifikant unterscheiden.
Im Rahmen der dritten Forschungsfrage erfolgte eine Beurteilung der Vorteile virtueller Mikroskopie gegenüber der klassischen Mikroskopie von Schülern (n = 504) sowie Lehramtsstudierenden (n = 247). Hierbei diente ebenfalls ein Fragebogen als Grundlage der Erhebung. Die Auswertung zeigt, dass sowohl die Schüler als auch die Studierenden die Vorteile der virtuellen Mikroskopie klar erkennen. Es liegen jedoch signifikante Unterschiede zwischen den Versuchsgruppen vor. Die Schüler bewerten die Vorteile betreffend der Förderung von Lernprozessen, des Erkennens von Strukturen und des mikroskopischen Zeichnens höher.
Zusammenfassend bestärken die Ergebnisse dieser Studie die Ansicht, dass das virtuelle Mikroskop nicht als Ersatz, sondern als sinnvolle Ergänzung zu der klassischen Lichtmikroskopie angesehen werden sollte (Bloodgood et al. 2006, Berg et al. 2016, Braun & Kearns 2008, Hufnagl et al. 2012, Mione et al. 2013, Santiago 2018, Scoville & Buskirk 2007). Dabei sollte die vorliegende Arbeit als Einstieg verstanden werden, um bestehende Forschungslücken zu verkleinern, damit ein Transfer der virtuellen Mikroskopie in den schulischen Kontext möglichst lernwirksam erfolgen kann.
Die Neurowissenschaften sind in Forschungsarbeiten für Schüler und Studierende immer wieder als eines der schwierigsten Teilgebiete der Biologie angeführt. Die Inhalte werden überwiegend nicht verstanden. Als mögliche Ursache gelten die seltenen praktischen Zugänge für die Lernenden aufgrund limitierter Ressourcen. Diese Ursache konnte in der vorliegenden Arbeit durch eine Befragung der Lehrkräfte zu ihren Praxisumsetzungen bestätigt werden. 70 % der Lehrkräfte gaben an, dass sie keine Experimente in der Schule zum Thema Nervenzellen anbieten. Experimente zur Verhaltensbiologie führen 65 % der Lehrkräfte nicht durch.
Um Schülern die Möglichkeit zu geben, sich experimentell mit den Themenfeldern der Neuro- und Verhaltensbiologie auseinanderzusetzen, wurden im Rahmen der vorliegenden Arbeit Schülerlabortage auf dem Feld der Neurowissenschaften konzipiert. Die Konzepte wurden schülerorientiert umgesetzt und neurowissenschaftliche Forschung durch den eigenen Umgang mit modernen Forschungsapparaturen erfahrbar gemacht. Die drei Labortage für die Sekundarstufe II wurden wissenschaftlich begleitet: 1) Verhaltensbiologie, 2) systemische Ebene der Elektrophysiologie, 3) elektrophysiologische Forschungsmethoden. Um die Qualität und Wirksamkeit der Labortage beurteilen zu können, wurden sie mit Feedbackerhebungen begleitet. Die drei Labortage wurden sowohl von den Lehrkräften als auch von den Schülern bezüglich ihrer Qualität positiv bewertet. Für die Schüler konnte gezeigt werden, dass die Beurteilung weitgehend unabhängig von einem zugrunde liegenden Interesse an Biologie und Forschung ausfällt. Anhand einer retrospektiven Erhebung wird außerdem gezeigt, dass alle drei Labortage eine höchst signifikante, selbsteingeschätzte Steigerung des „Wissens“, der „Anwendungszuversicht“ und des „Interesses“ bewirken. Schüler mit niedrigen Ausgangswerten zeigen einen besonders hohen Anstieg. Für das Interesse kann weiter gezeigt werden, dass auch Schüler mit hohem Ausgangswert eine große Interessenssteigerung durch den Labortag aufweisen. Das Interesse für den verhaltensbiologischen Labortag liegt etwas niedriger – die Labortage mit elektrophysiologischen Inhalten zeigen dagegen für die Anwendungszuversicht etwas niedrigere Werte.
Der Fokus der fachdidaktischen Forschung lag auf der Betrachtung des experimentellen Zugangs zur Elektrophysiologie über ein entwickeltes „EPhys-Setup“. Dabei handelt es sich um einen quasi-realen Messaufbau. Die Umsetzung kombiniert dazu Komponenten eines realen Elektrophysiologie-Setups (Hands-on Komponenten) mit einer speziell entwickelten schülerfreundlichen Software (Neurosimulation) und einem virtuellen Nervensystem in Form einer Platine. Als Modellnervensystem werden für diese Umsetzung Ganglien von Hirudo medicinalis verwendet – der Neurosimulation liegen originale elektrophysiologische Messspuren des Ganglions zugrunde. Experimentelle Vermittlungsansätze für die Elektrophysiologie finden sich kaum für den Schulbereich. Dem Bedarf einer entsprechenden Beforschung wurde mit verschiedenen Testinstrumenten nachgegangen, um den Vermittlungsansatz mit dem EPhys-Setup bewerten zu können. Dafür fand eine Wirksamkeitsanalyse über die Erhebung der Motivation der Schüler statt (Lab Motivation Scale; Dohn et al. 2016). Von Bedeutung war auch, inwiefern gegenüber der Umsetzung eine Technologieakzeptanz vorliegt (Technology Acceptance Model; Davis 1989), die im Schulkontext ausgehend von der steigenden Einbindung von Technologien einen entsprechenden Forschungsbedarf aufweist. Weiter wurde untersucht, ob sich die Bewertung des EPhys-Setups von der Bewertung einer Kontrollgruppe unterscheidet. Für die Kontrollgruppe wurde die Neurosimulation von den Hands-on Komponenten gelöst und die Schüler arbeiteten ausschließlich PC-basiert. Die Ergebnisse zeigen, dass beide Umsetzungen die Motivation förderten und eine Technologieakzeptanz bei den Schülern aufwiesen. Der Unterschied der Untersuchungsgruppen fällt gering aus. Die Abhängigkeiten, die für die verwendete Simulationsumsetzung gefunden wurden, beziehen sich ausschließlich auf Komponenten der „Freude“. Somit wird der intrinsische Bereich von den Schülern die am EPhys-Setup gearbeitet haben höher bewertet. Zur weiteren Analyse der Testinstrumente wurde auch eine Abhängigkeit der Bewertung vom zugrunde liegenden Biologieinteresse sowie von den Computerfähigkeiten vergleichend betrachtet. Der Einfluss auf die Bewertungen der drei Testskalen ist in vielen Fällen höher als der Einfluss der verwendeten Simulation. Vom individuellen Biologieinteresse der Schüler zeigen alle untersuchten Komponenten eine Abhängigkeit. Die größeren Effekte beziehen sich auf die Komponenten der „Lernwirksamkeit“ oder der „Freude“. Von den individuellen Computerfähigkeiten der Schüler zeigen Komponenten zur „Zuversicht bezüglich der Methoden und der Inhalte“ eine Abhängigkeit.