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Am 25. Februar 1789 teilt Friedrich Schiller seinem Freund Christian Gottfried Körner mit: „Das lyrische Fach, das Du mir anweisest, sehe ich eher für ein Exilium, als für eine eroberte Provinz an. Es ist das kleinlichste und auch das undankbarste unter allen. Zuweilen ein Gedicht lasse ich mir gefallen […].“ Diese unverblümte Selbstaussage lässt Schillers Verhältnis zur Lyrik in einem bedenklichen Licht erscheinen: Weder scheint er sich auf dem Feld der lyrischen Dichtung heimisch gefühlt zu haben, noch hat er offenbar die Ausarbeitung von Gedichten für sonderlich lohnenswert gehalten. Gemildert wird diese entschiedene Distanzierung einzig durch den Umstand, dass er zugesteht, wenigstens „zuweilen“ im lyrischen Fach tätig werden zu wollen. Ist daraus nun zu schließen, dass Schiller seine Gedichte nur als gelegentliche Nebenprodukte begriffen hat?
Feingesponnene Gedichte, wie sie das lyrische OEuvre Hofmannsthals aufweist, erfordern vom Wissenschaftler theoretische Zurückhaltung, hermeneutische Diskretion. Deswegen nehmen nachfolgende Überlegungen ihren Ausgang nicht von Abstraktionen wie etwa dem im Titel geführten Begriff "Subjektivität", sondern von Beobachtungen, die aufgrund ihrer Textnähe leicht nachvollziehbar sein dürften. Diese gelten zudem einem Gebilde, das, obzwar intrikat gefügt, an das unmittelbare Verständnis keine allzu großen Anforderungen stellt. Gemeint ist der erstmals 1892 in den "Blättern für die Kunst" veröffentlichte Text "Vorfrühling".
Das goldene Zeitalter der Hyperfiktion mit ihrer Multilinearität sei vorbei - verkündete im Jahre 2001 ausgerechnet Robert Coover, der doch zehn Jahre zuvor die Geburt der Hyperfiktion in seinem eindrucksvollen Artikel 'The End of Books' (The New York Times, 21. Juni 1992) begrüßt hatte. Der um den Jahrtausendwechsel spürbare Boom zahlreicher deutschsprachiger Mitschreibprojekte im Netz unter Schlagwörtern wie 'verknüpftes Schreiben', 'soziale Interaktivität' und 'kollektives Gedächtnis' scheint ebenfalls nur einige Jahre überdauert zu haben. Was ist von den einmal so hoch gelobten digitalen Literaturen noch geblieben? Für jemand, der trotz vieler Enttäuschungen und Misserfolge den elektronischen Raum als literarisch kreatives Medium noch nicht aufgegeben hat, könnte diesmal digitale Poesie ein neuer Hoffnungsträger sein. Digitale Poesie hat sich ungeachtet des Abstiegs anderer Formen mittlerweile als florierender Zweig erwiesen. Digitale Poesie akzentuiert nicht mehr die Initiative des Lesers durch mehrere 'Wahlmöglichkeiten', sondern konzentriert sich darauf, dem Leser den aktuellsten Stand der hypermedialen Ästhetik und Technik auf einem breiten experimentellen Feld zu vermitteln. Abgesehen von dem meist genannten Grund, dass man auf dem elektronischen Bildschirm offenbar immer noch - zumindest über einige Generationen hinweg - lieber Poesie als Prosa rezipiert, verdankt sich dieser Überlebensantrieb der digitalen Poesie einer weiteren literarhistorischen, oder besser: kunstgeschichtlichen Folie. Im Vergleich zu anderen Formen hat die digitale Poesie von Beginn an mit ihrer Anschlussfähigkeit an die literarischen Experimente in der Poetik Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Während die neuen Gattungen der Hypertexte sich eher auf eine völlig neuartige Ästhetik beziehen wollten, hat die digitale Poesie einen anderen Weg beschritten, nämlich den, sich als Erbe der avantgardistischen Moderne zu bezeichnen.
Trotz seiner Abneigung gegen die lyrische Form schrieb Schmidt in den 1950er Jahren einige beachtliche Gedichte. [...] Obwohl gerade diese Gedichte mit ihrer ausgreifenden, originellen Metaphorik und ihren zahlreichen Anspielungen der Deutung bedürfen, ist bisher keines eingehend analysiert worden. Wo überhaupt einzelne Gedichte betrachtet wurden, ist dies in größeren Zusammenhängen ohne die eigentlich nötige genaue Ausdeutung geschehen. Die vorliegende Arbeit soll am Beispiel des 1950 entstandenen Widmungsgedichts zu "Brand's Haide" – "Der goldgetränkte Himmel über mir" – zeigen, dass eine tiefer gehende Analyse Schmidtscher Gedichte durchaus ergiebig sein und einen weiteren Blick auf die Werkgeschichte eröffnen kann. Auch zu diesem Gedicht liegt bisher – außer einigen Bemerkungen in zwei Überblicken über Schmidts lyrisches Schaffen bzw. über die Paratexte der Erstausgabe von "Brand's Haide – keine Interpretation vor.
Der Begriff 'Verstreute Gedichte' klingt im Deutschen nicht gut, der Terminus 'Einzelgedichte' lenkt den Blick hin auf das Singuläre jedes Texts und weg von Gemeinsamkeiten und Gedichtgruppen. Der Titel "Uncollected Poems", den William Waters für das Treffen der Internationalen Rilke-Gesellschaft in Boston (2011) in Vorschlag gebracht hat, vermag die Balance gut zu halten, allerdings nur in der englischen Sprache. Eine erste, noch provisorische Übersetzung ins Deutsche mit 'Ungesammelte Gedichte' war wenig überzeugend, denn eine solche Fügung findet sich nicht im Repertoire der deutschen Sprache. Zusammen mit der englischen Prägung wird aber sofort klar, was gemeint ist, auch wenn ein passender editorischer Fachbegriff in der deutschen Sprache nur schwer zu finden ist. Ein Blick auf die Editionsgeschichte von Rilkes Werken erklärt, worin die Besonderheit des Falles besteht.
Verschiedene Gedichte Rilkes mit englischer Übersetzung, darunter "Poem of Capri I", "Der Ursprung der Chimäre" / "The Origin of the Chimera", "Lied" / "Song" und eine Auswahl der "Uncollected Poems".
Mitteilungen
(2012)
Inhaltlich stehen lebens- und werkgeschichtliche Konstellationen der Jahre zwischen 1906 und 1913 im Mittelpunkt des Bandes. In diesem Septennium überlagern sich Phänomene, die, obgleich beide an Jahreszahlen geknüpft, doch auf sehr unterschiedliche Art und Weise in der historischen Realität verankert sind. Die ausgewählten Vorträge der Rilke-Tagung in Bad Rippoldsau vom 22. bis 26. September 2008, die im ersten Teil unter der Überschrift "Im Schwarzwald" zu finden sind, nehmen ihren Ausgang bei den beiden Kuraufenthalten Rilkes im "alte[n], früher fürstenbergische[n] Bad" Rippoldsau in den Jahren 1909 und 1913. [...] Rilkes "Verstreute Gedichte" ('Uncollected Poems') der Jahre 1906 bis 1911 standen im Mittelpunkt des Rilke-Treffens in Boston vom 22. bis 25. September 2011. Verantwortlich für die Organisation waren Prof. Dr. Judith Ryan von der Harvard University in Cambridge und Prof. Dr. William Waters von der Boston University sowie Prof. Dr. Erich Unglaub von der Technischen Universität Braunschweig. Vorangestellt sind diesem Teil Übertragungen von Rilke-Gedichten aus der Feder dreier Übersetzer. Die Vielfalt der Eindrücke, Anregungen und Vortragspositionen der Bostoner Tagung sollen durch diese Übersetzungen ebenso wie durch die nachfolgenden wissenschaftlichen Beiträge repräsentiert werden.
Albert Ostermaiers Werk nimmt eine Sonderstellung ein in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur: zum einen weil sich der Autor mit großer Selbstverständlichkeit in allen Gattungen bewegt und zum anderen, weil er intertextuelle und intermediale Bezüge ungewohnt offen verarbeitet und damit offensiv ausstellt, dass die schriftliche Literatur (zumal im 21. Jahrhundert) immer auch von anderen Künsten profitiert und aus diesen 'gemacht' ist. Vergleichbare Bezüge sind schon einigen Werktiteln zu entnehmen wenn Dramen 'Tatar Titus', 'The Making Of B.-Movie' bzw. 'Radio Noir' und Gedichtbände 'Autokino' und 'Wer sehen will' heißen. Bezüge zu Shakespeare klingen damit ebenso an wie zur amerikanischen Tradition der billigeren kleineren Filmproduktion, zum Hörmedium des Radios wie auch zu der einer bestimmten Form der Filmrezeption; und nicht zuletzt zur Photokunst, wenn sich in 'Wer sehen will' alle Gedichte auf die abgebildeten Photos Donzellis beziehen. Diese Mischung aus so genannter hohen und populärer Kultur ist kennzeichnend für Ostermaiers unbefangenen Umgang mit kulturellen und ästhetischen Traditionen. Das zeigt auch der kleine Band mit dem Titel 'Der Torwart' ist immer dort, wo es weh tut. Die Populärkultur des Sports wird in diesem Band gattungsübergreifend verhandelt: Die Sammlung beginnt mit drei lyrischen 'ode[n] an kahn'; findet später ihre Fortsetzung in einer dramatisch-dialogischen Szene 'Eins mit der eins' während im Rest des Bandes so genannte epische Texte dominieren und essayistisch-philosophische Gedanken versammeln, die um den Fußballsport kreisen. Dabei schreibt sich Ostermaier mit der Ode in eine lyrische Tradition ein, die schon in der Antike begonnen hat, während er in den epischen Texten über aktuelle und alltägliche Fußballangelegenheiten nachdenkt, über einen Sport also dem massenhafte Aufmerksamkeit zuteil wird und der globale schichten- und klassenübergreifende Beachtung findet.
Die Szene der Einfluß-Angst und ihre Vorgeschichten : Lyrik und Poetik beim frühen Hofmannsthal
(2012)
Die vielleicht elementarste Antwort auf die Frage, warum erzählt werde, lautet, dass für das Dasein der Dinge eine Herleitung, eine aus der Genese entwickelte Begründung gegeben wird. Das factum wird auf das facere zurückgeführt, dem Sein eine Vorgeschichte gegeben. Die erzählte Vorgeschichte legitimiert einen Zustand aus seinem Gewordensein, der begründenden Hauptgeschichte wird eine begründende Vorgeschichte zuteil. Diese Erzähl- und Denkform ist offenkundig so elementar und zugleich so universell, dass sie sich auf ihre eigene Form anwenden lässt und permanent angewandt wird. Erzählt jemand eine Vorgeschichte, dann wird ihm die Frage gestellt werden, was die Vorgeschichte dieser Vorgeschichte gewesen sei. Die begründungsaffine Narrationsform der Vorgeschichte schematisiert nicht nur die Denkform der Kausalität vor, sie formiert nicht nur die Temporalität, sie öffnet vielmehr auch in grundsätzlicher Weise die symbolische Explikation des Weltverständnisses überhaupt, indem sie zu jeder Geschichte eine weitere, sie begründende Geschichte hinzufügt und so ein Gewebe von Geschichten etabliert, welches in zunehmender Verdichtung die Zusammenhänge dessen darstellt, was wir Welt nennen.