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Bloßes Interesse, über die DDR, ihre Literatur und ihre bedeutendste Autorin etwas zu wissen, ist gewiß nicht der alleinige Grund dafür, daß kein anderer DDR-Autor eine so breite Leserschaft bei uns gefunden hat wie Christa Wolf. Sehr unmittelbar scheinen ihre Werke zu uns zu sprechen, unsere Lebensprobleme zu artikulieren, Schwierigkeiten der Selbstverwirklichung in modernen Industriegesellschaften, leidvolle Konflikte von Gefühl und Rationalität, Aufrichtigkeit und Klugheit, Hoffnung und Resignation, die recht verstandene Emanzipation der Frau nicht zuletzt. Junge Leute sind es, die sich angezogen fühlen von dem eben so seriösen wie unironischen Gestus ihrer Texte und ihrer öffentlichen Lesungen. […] Gewiß, DDR-Texte erscheinen uns in aller Regel, wenn nicht leicht genießbar, so doch leicht verständlich. "Popularität" gehört ja zu jenen gesellschaftlichen Anforderungen, denen sie genügen sollen. Zugleich aber erscheinen sie uns fremd und ein bißchen exotisch, sind sie doch eingebettet in einen gesellschaftlichen Kontext und ein Kommunikationssystem, deren Eigenarten uns nicht durchweg vertraut sind. Literaturproduktion hat ja in der DDR nicht nur Tabus zu achten und Zensur zu gewärtigen, sie ist vielmehr bis in ihre Themen und Formen hinein Gegenstand planvoller Politik. Noch ihre Rezeption wird durch entsprechende Kritiken und vorsorgliche Interpretationen angeleitet, die man in manchen Fallen schon vor dem Erscheinen der Texte lesen kann. [...] Es bleibt daher eine der verblüffendsten Paradoxien der deutsch-deutschen Literaturbeziehungen, daß gerade die Autorin, die in so eminenter Weise mit ihrem Werk auf Probleme der DDR antwortet, zugleich eine so herausragende Bedeutung bei uns erlangt hat. Das Interesse, auf das ihr Werk stößt, besteht jedenfalls nicht, obgleich, sondern insofern sie eine DDR-Autorin ist.
Heine artikuliert seine kunsttheoretischen Reflexionen in publizistischen Texten in Form von Korrespondenzartikeln und Briefen, Tagesberichten und Notizen. Diese Kleingattungen besitzen die typischen Kennzeichen des literarischen Genres der Moderne: Sie sind offen und temporär und damit Bewegungsliteratur per se. Die Negierung der traditionellen Gattungsgrenzen und die Favorisierung von literarisch-journalistischen Kleinformen, durch welche die Umbruchssituation der Epoche ihren formalen Niederschlag in der Literatur finden soll, verbindet Heine mit den anderen jungdeutschen Autoren. Der Aufschwung der prosaischen Textsorten beruht auf der von ihren Verfassern postulierten Eigenschaft, authentische Dokumente einer verschriftlichten Gegenwart zu sein. Mittelpunkt der revolutionären Gegenwart ist für viele engagierte Autoren die Revolutionsstadt Paris, deren Urbanität und charakteristische Atmosphäre der Beschleunigung eine große Faszination ausüben und den Diskurs über das Phänomen Großstadt definieren. Heine nimmt dabei die Wahrnehmungsperspektive des flanierenden Betrachters ein, der kaleidoskopartig die vielschichtigen Aspekte des großstädtischen Lebens erfasst und reflektiert, um darin die Signatur der Zeit zu entziffern. Diese vor allem visuelle Perzeption in einzelnen Partikeln und Fragmenten sowie die Diskontinuitt der wahrgenommenen Eindrücke determinieren die Kompositionsweise der publizistischen Schriften: Die Flanerie wird zum narrativen Prinzip. Eine solche kompositorische Struktur, in der Einzelelemente selbständige Bedeutung erlangen, lässt sich nicht mehr mit den Parametern der idealistischen Ästhetik und dem Prinzip der geschlossenen Ganzheit erfassen.
Die vorliegende Arbeit untersucht die Motivation des Wechsels von der Lyrik zur Prosa im Frühwerk von Thomas Bernhard und bemüht sich zu zeigen, wie sich die 'neue' Gattung als Experimentierraum sprachlicher Konstruierbarkeit einer literarischen Wirklichkeit und die Existenzialphilosophie als neues Ausdrucksmittel des leidenden Subjekts erweist. Beide bilden die Voraussetzungen für den neuen Bernhard'schen Ton, der sich im Roman 'Frost' (1963) zum ersten Mal zeigt. Das Experimentelle im Romanerstling Bernhards ist soziologisch motiviert und äußert sich sowohl erzähltechnisch als auch konzeptuell in der 'experimentellen Sprache' des Malers Strauch.
Wenn man sich mit der Literatur der siebziger Jahre beschäftigt, stößt man zwangsläufig auf den Begriff der ‚Neuen Subjektivität’, ersatzweise auch auf den der ‚Neuen Innerlichkeit‘. Gemeint ist damit eine ungenaue Gemengelage, die die verschiedensten Texte und Tendenzen in Lyrik und Prosa zusammenzufassen versucht. An negativen ebenso wie an positiven Fixpunkten läßt sich feststellen: Eine Kritik an der Studentenbewegung und an den sich im Anschluß daran formierenden neu-linken Parteien wird von den Vertretern der ‚Neuen Subjektivität‘ artikuliert, um dagegen ganz offensiv die Bedürfnisse des Einzelnen, die Begehrlichkeiten des Subjekts, einzuklagen. Um typische Produkte aus jenen Jahren handelt es sich bei den Gedichten von Born oder Kiwus. Beide Texte folgen dem Ratschlag des Lyrikerkollegen Günter Herburger, der im Blick auf die neue Lyrik davon geredet hat, daß hierin keine Metaphern verwendet werden sollen, damit die Alltagssprache allererst zur Geltung kommen kann. Alltag, Stagnation, wenn man so will, Entfremdung – das sind die prägenden Erfahrungen, die sich in der Lyrik, aber auch in vielen Prosatexten der Zeit zeigen. Zu den mit beachtlichen Erfolgen als Prosaautor debütierenden Schriftstellern zählt der Österreicher Gernot Wolfgruber, der in rascher Folge zwischen 1975 und 1981 vier Romane vorgelegt hat, die das Schicksal kleinbürgerlich- proletarischer Helden erzählen: Von den Drangsalierungen in Elternhaus und Schule, dem Stigma des Proletarierdaseins, berichten diese Entwicklungs- und Desillusionierungsromane geradeso wie von den Hoffnungen und Enttäuschungen, die mit dem sozialen Aufstieg verbunden sind.
Der österreichische Autor Clemens J. Setz erregte bereits in relativ jungen Jahren die Aufmerksamkeit der literarischen Welt. Ab seinem 26. Lebensjahr wurden ihm bedeutende literarische Auszeichnungen verliehen. Seine Bücher zeichnen sich durch einen experimentellen Zugang zur narrativen Struktur aus, indem er beim Schreiben technische Möglichkeiten der Neuen Medien verwendet, kanonisierte Texte umschreibt und durch tiefe Einblicke in das Innere seiner Figuren Tabus bricht. In seinen Prosawerken gelingt es ihm, die dringlichsten Probleme von Individuum und Gesellschaft zu benennen. Die Schicksale und Einstellungen seiner ProtagonistInnen wirken kontrovers, weshalb sein literarisches Schaffen ambivalent rezipiert wird.
Aleksandar Hemons Romane und Erzählungen, die den Gegenstand der folgenden Ausführungen bilden, sind in dieser transnationalen neuen Weltliteratur zu verorten und zugleich Bestandteil einer postjugoslawischen Literatur, für die "Jugoslawien" als Bezugsrahmen nach wie vor eine Rolle spielt. Um diese mehrfache Verortung von Hemons Werk zu fassen zu bekommen, wird im Folgenden die Gestaltung von Zugehörigkeit in Hemons Texten in den Blick genommen. Zugehörigkeit wird dabei als Form der Identitätsbildung aufgefasst, die nicht notwendigerweise auf Eindeutigkeit und Ausschließlichkeit abzielt, sondern für Wandel und Mulitiplizität offen ist. So verstanden dient der Begriff der Zugehörigkeit dazu, Selbstverortung in transnationalen Zusammenhängen zu beschreiben: "'Belonging', which used to belong to retrograde, nationalist and racist agendas, now indicates identity as it widens in response to globalization."
Bericht zur Interdisziplinären und Internationalen Tagung, 7.-10. Oktober 2002, Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Die Geisteswissenschaften waren gewissermaßen immer schon eine gespenstische Angelegenheit. Versuchte man im Zeitalter der Hermeneutik, den reinen Geist zu beschwören, ohne ungebetene Gäste aus dem Reich der Toten einzuladen, so begrüßt man jene Gespenster heute herzlicher. Schließlich scheinen die Gespenster die Figuren des Zwischenraums, des Anderen, der Wiederholung sprachlich verfügbar zu machen und auf diese Weise zu Metaphern der Postmoderne zu werden. Um über die Diskursfigur dieser 'Un-Wesen' nachzudenken, luden Dr. Moritz Baßler (Rostock), PD Dr. Bettina Gruber (Bochum) und Prof. Dr. Martina Wagner-Egelhaaf (Münster) nach Münster ins Alexander-von-Humboldt-Haus ein zu einer unheimlichen Begegnung mit den 'Gespenstern' in ihren vielfältigen 'Erscheinungen - Medien - Theorien'.
Erzählen
(2011)
Was ist Erzählen? Erzählen ist eine sprachliche Handlung: Jemand erzählt jemandem eine Geschichte. An dieser Handlung lassen sich – in Analogie zu der linguistischen Grundeinteilung zwischen der Pragmatik, Semantik und Syntax der Sprache – drei Dimensionen unterscheiden.
(a) Erstens ist das Erzählen eine Sprachhandlung, die in einem bestimmten Kontext zwischen einem Erzähler und einem oder mehreren Rezipienten stattfindet. Diese Kommunikation kann unterschiedlich gestaltet sein, beispielsweise als mündliches Erzählen mit kopräsenten Gesprächsteilnehmern oder zerdehnt als schriftlicher Kontakt zwischen räumlich und zeitlich voneinander entfernten Autoren und Lesern. Die Praxis des Erzählens kann unterschiedlichen Funktionen dienen: Man kann erzählend informieren, unterhalten oder belehren, moralisch unterweisen, geistlich stärken oder politisch indoktrinieren, Erzählgemeinschaften bilden, individuelle oder kollektive Identität en stiften usw. Pragmatische Aspekte des Erzählens stehen insbesondere bei der Untersuchung nicht-literarischer ›Wirklichkeitserzählung en‹ (Klein/Martínez 2010) im Vordergrund, also beim Erzählen in institutionellen, quasi-institutionellen und alltäglichen Situationen, etwa Gerichtserzählungen, Predigten, Krankheitsgeschichten beim Arzt oder Therapeuten, journalistischen Reportagen oder dem Klatsch unter Arbeitskollegen.
(b) Eine zweite Dimension der Erzählhandlung umfasst das, was mitgeteilt wird: den Erzählinhalt, nämlich bestimmte Figuren, Schauplätze und Ereignisse, die sich zu einer Geschichte zusammenfügen.
(c) Drittens schließlich ist das ›Wie‹ des Erzählens von Interesse, die Gestaltungsweise der Erzählung. Dazu gehören rhetorische und stilistische Mittel, aber auch die verschiedenen Gestaltungsmöglichkeiten der Erzählstimme, etwa der aus dem Text erschließbare ›Standort‹ des Erzähler s (der sich innerhalb innerhalb oder außerhalb seiner eigenen Geschichte befinden kann), das Verhältnis zwischen dem Zeitpunkt des Erzählens und dem Zeitpunkt der erzählten Handlung oder auch die Perspektive der Darstellung. Während die erste Dimension den pragmatischen Kontext des Erzählens umfasst, betreffen der Erzählinhalt (das ›Was‹) und die Erzählweise (das ›Wie‹) textinterne Aspekte.