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Kolonie und Flotte
(1918)
"Der Krieg um die Kolonieen"
(1922)
Im Zuge des unvermindert andauernden Mittelalter-Rezeptionsbooms hat Dieter Kühn (...) nun einen weiteren mittelalterlichen Autor, Neidhart, in den Mittelpunkt eines Werkes gestellt. Er konfrontiert in diesem „Liederbuch mit Prosakapiteln“ Übersetzungen nach Transkriptionen der Neidhart-Handschriften (...) mit Texten neidhartscher Zeitgenossen (...) und Collagen (...) aus zeitgenössischen Chroniken und wissenschaftlicher Sekundärliteratur.
Vom Recht des naiven und von der Notwendigkeit des historischen Verstehens literarischer Texte
(1982)
Die Szene ist originell, aber vielleicht nicht ganz unwahrscheinlich: Ein siebzehnjähriger Lehrling, der im finsteren Klo einer Gartenlaube nach Papier sucht, findet dort ein Reclamheft, benutzt einige Deck- und Nachblätter für den ortsüblichen Zweck und beginnt danach aus Langerweile das Buch zu lesen, das nun nichts weiter enthält als einen, als den Text. Es sind die Briefe eines gewissen Werther, die ihm so in die Hände kommen, aber der Name sagt ihm nichts, so daß er weder besondere Erwartungen noch Vorbehalte gegen die Lektüre hat, sondern sich wirklich unvoreingenommen und in seiner Lage auch frei von Ansprüchen auf sie einlassen kann. Für eine Rezeptionsforschung, die herausfinden möchte, was im Akt des Lesens und Verstehens literarischer Texte ,eigentlich' geschieht, ist die Dokumentation eines solchen Falles fraglos ein Beispiel, das dem sonst üblichen testmäßigen Abfragen von Leserreaktionen an Zuverlässigkeit überlegen ist.
Yin und Yang im Klassenzimmer? : China-Moden der 80er Jahre – mit einem kurzen Rückblick auf Brecht
(1985)
In zwei Beiträgen der Zeitschrift Diskussion Deutsch (Heft 84/1985) wurde ein Denkmodell ins Licht der Diskussion gestellt, das bis dahin eher in kleinen Zirkeln sich verborgen hatte: die Sucht, Rettung beim >Uralten< zu finden. Es war nicht, wie bei gestandenen Konservativen, das >Klassische<, es waren nicht >die Alten<, nein, das UR-Alte musste es sein, nämlich die Geheimnisse des Fernen Ostens, das Tao und Yin und Yang. Nun, zwanzig Jahre später, sind Tai Chi, Qi Gong, Bachblüten, Gaia, Heilenergien, Rebirthing, Reiki, Karmaarbeit etc. pp. zum esoterischen Alltag bzw. ist Esoterik alltäglich geworden. Das war ein Anlass, diese Miszelle wieder hervorzuholen, die damals – offensichtlich vergeblich – versuchte, jenes Denkmodell ins Licht der Kritik und damit in seiner Unreflektiertheit bloß zu stellen: westliches Denken spiegelt hier das Licht des Ostens gleichsam blind, nämlich ohne es zu reflektieren.
"Das schöne Gedicht auf den Vogel ..." : Anmerkungen zu Hofmannsthals Rezeption Walt Whitmans
(1986)
Die Bedeutung des amerikanischen Dichters Walt Whitman (1819-1892) für Hugo von Hofmannsthal im einzelnen ausmachen zu wollen, ist nicht einfach und kann auch nicht Ziel dieser Ausführungen sein. Vielmehr soll es darum gehen, Spuren zu verfolgen, die einer solchen Untersuchung dienlich sein können. Dem kurzen Überblick über die Rezeption Whitmans im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert folgen eine genauere Untersuchung des Briefwechsels zwischen Hofmannsthal und Ottonie von Degenfeld, welcher gegenüber Hofmannsthal Whitmans Gedicht "Out of the Cradle Endlessly Rocking" wohl als das "schöne Gedicht auf den Vogel, der um seine Frau klagt" erwähnte, sowie der vollständige Abdruck des Gedichtes und dessen deutsche Übersetzung von Johannes Schlaf.
Für die Literatur der Jahrhundertwende werden Werke der bildenden Kunst auf eine Weise bedeutsam, die sich wesentlich von der Kunstrezeption früherer Epochen unterscheidet: Im Zusammenhang mit den literarischen Neigungen zur Symbolisierung kommt dem Bild bzw. der BiIdhaftigkeit des Ausdrucks eine zentrale Rolle zu. Bildende Kunst als Medium visueller Vergegenwärtigung erhält einen neuen Stellenwert innerhalb des literarischen Produktionsprozesses. Am Beispiel Hofmannsthals läßt sich dies besonders gut verdeutlichen, da er sich zeitlebens intensiv mit der Kunsttradition auseinandersetzte und Bild"vorgaben" in hohem Maße in sein Werk einbezog. Diese "produktive Rezeption" (G. Grimm) der bildenden Kunst bei Hofmannsthal läßt sich durch sein gesamtes literarisches Schaffen verfolgen. Sie ist nicht nur konkret faßbar in den lyrischen Dramen und den Kunstaufsätzen. Sie ist auch erkennbar in elementaren Erfahrungen (wie dem Van-Gogh-Erlebnis in den Briefen des "Zurückgekehrten" und dem Anblick der archaischen Koren im dritten Teil der "Augenblicke in Griechenland") und schlägt sich nieder in grundsätzlichen philosophischen und kunstästhetischen Fragestellungen.
Ursprünglich meinte ‚Formen’ in erster Linie die Medien der Aneignung – Literatur und Film, bildende Kunst und Musik-, bzw. die gesellschaftlichen Institutionen von Wissenschaft und Schule, Museum und Ausstellung. (...) In dem Maße, die Literaturwissenschaft aufgehört hat, das literarische Werk isoliert zu betrachten, ist ein legitimes Interesse auch der Literaturhistoriker an der Rezeption nicht-literarischer Themen und Formen ebenso gegeben wie an den nicht-literarischen Rezeptionsmedien.
Über Maximilians I. "Ambraser Heldenbuch" (AH) ist eine Fülle von Spezialliteratur erschienen, die, rechnet man die überlieferungsgeschichtliche und textkritische Literatur einzelner Texte hinzu, fast einen eigenen Forschungsbericht verlangte. [...] Völlig unbefriedigend sind die bisherigen Erklärungsversuche zur Vorlagenproblematik. Hat es tatsächlich ein dem AH bis in Einzelheiten vergleiehbares Sammelwerk - das "Heldenbuch an der Etsch" - gegeben oder sind verschiedene Sammel- bzw. Einzelvorlagen Ried zur Abschrift vorgelegt worden? Wie alt waren diese Vorlagen, woher stammen sie und warum wurden alle Vorlagen - bis auf ein Fragment des Nibelungenliedes - vernichtet?
Im Falle jenes Textes, dem die (...) Überlegungen gelten sollen, handelt es sich freilich um eine fatale Verknüpfung von Umständen, die seiner editorischen Erschließung entgegenwirken, obwohl der ‚Ritter vom Thurn’ mit zu den erfolgreichen und immer wieder neu aufgelegten Werken der frühen Druckgeschichte zu zählen ist: (...) Der autobiographische Fiktionsrahmen um seine Übersetzung des ‚Livre du Chivalier de la Tour pour l’enseignment de ses filles’ wird durch die Existenz der Töchter Elsa und Jakobea (...) bestärkt.
Die Rezeption der französischen Adelskultur endet mit dem 12. Jahrhundert, wobei doch eine spürbare Überlegenheit des Westens erhalten bleibt. Aber es hat sich ein Selbstbewusstsein entwickelt, das es erlaubt, bewußter eigene Wege zu gehen. (...) [Das zeigt Volker Mertens] exemplarisch bei Wolfram von Eschenbach (...).
Während die Tannhäuser- und die Bremberger-Ballade keine direkten Beziehungen zum Minnesang aufweisen, ist das im Moringer-Lied anders: hier singt der Held zwei Strophen eines Liedes, das durch die Liederhandschriften A, C und E als Lied Walthers von der Vogelweide bezeugt ist, das sogenannte „sumerlaten-Lied“. Es hat damit die längste ununterbrochene Wirkungsgeschichte eines mittelhochdeutschen Liebesliedes: der jüngste nachweisbare Druck stammt aus dem Jahre 1605 (…). Die lange produktive Rezeption des Liedes (…) [nimmt Volker Mertens] zum Ausgangspunkt (…) [seiner] Überlegungen und (…) [arbeitet sich] durch die Tradition zurück: von der Ballade zum Text der Hs. B (dazu kommt der Vergleich von B mit dem, was der Balladen-Autor daraus gemacht hat) bis zu dem komplexen Text, wie ihn die Handschriften A und C überliefern. Über das Verständnis der Eigenart der späten Texte und der on ihnen aktualisierten Valenzen des ältesten Textes will (…) [Volker Mertens] dann abschließend dessen Mehrdimensionalität erschließen.
Einläßliche Untersuchungen zur Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte Lichtenbergs fehlen bislang. Sie würden zunächst ein disparates Rezeptionsfeld aufweisen: Lichtenberg als Naturwissenschaftler, Lichtenberg als Physiognomikkritiker, Lichtenberg als Literatursatiriker , Lichtenberg als Stifter eines neuartigen ästhetischen Bildreservoirs, eines Orbis Pictus, den seine Hogarth Kommentare erschließen, schließlich Lichtenberg als Autor der Sudelbücher, die ihn als Selbstdenker zu erkennen geben. Darüber hinaus wäre das Besondere von Lichtenbergs Wirkungsweise methodisch zu bedenken und zu verwirklichen.
Trotz einiger vorliegender Arbeiten zu Hofmannsthals Kunstrezeption ist die Frage nach der spezifischen Art seiner Wahrnehmung von "Bildern" und deren Bedeutung für sein Werk noch weitgehend unbeantwortet. Hier setzen die folgenden Überlungungen ein. Hoffmannsthals Interesse an bildender Kunst zeigt sich schon zu Beginn seines literarischen Schaffens: in seinem Prosagedicht "Bilder" von 1891, den Ausstellungsbesprechungen und Rezensionen [...]; später dann in seinen Einleitungen zu Mappenwerken wie Ludwig von Hofmanns "Tänzen" (1905) oder den Handzeichnungen aus der Sammlung seines Rodauner Nachbarn Benno Geiger (1920). Auch in seine Versen zu "lebenden Bildern", in den lyrischen Dramen und den Libretti, sogar in einzelnen Gedichten ist eine besondere "ikonographische" Komponente erkennbar; sie gilt im besonderen Maße für die Balette, etwa den "Triumph der Zeit", was bislang noch kaum gesehen wurde. Schließlich spiegelt sich das vitale Interesse an Kunst in den Reiseaufsätzen, in Vorträgen, Briefen und Notizen. In vielen seiner persönlichen Beziehungen (von den deutschen Zeitgenossen insbesondere zu Harry Graf Kessler, Eberhard von Bodenhausen, Alfred Walter Heymel, Julius Meier-Graefe) ist die bildende Kunst ein wichtiges kommunikativ-verbindendes Element.
Die Rezeption des Mittelalters hat im wesentlichen nicht als Ausweis für ein Interesse am Mittelalter zu gelten, sondern vielmehr als Moment des Interesses an der V e r w e r t b a r k e i t des Mittelalters, seiner Mythen und Utopien unter einem speziellen Aspekt zeitgenössischer Ideologisierung. (…) Zu hinterfragen ist gleichfalls das Interesse der mediävistischen Philologie an der Rezeption des Mittelalters. Hinter der zweifelsohne weitgehend unverdächtigen Freude an der legitimationsstiftenden Rolle der aktuellen Rezeption für ein scheinbar jedem direkten zeitgenössischen Zugriff entzogenes Fachgebiet und der einsichtigen eskapistischen Freude der Mediävist/inn/en an der Möglichkeit, die engen Fachgrenzen und ihren spezifischen Ballast vorübergehend hinter sich zu lassen, steht oft genug auch der Versuch, das eigene Unbehagen an der zeitgenössischen Aneignung des Mittelalters zu übergehen, um nicht als fachidiotischer Störfaktor einer allgemeinen Begeisterung zu gelten.
Für die mediävistische Germanistik gilt in noch stärkerem Ausmaß, was bereits für die Diskussion feministischer Fragestellungen im Bereich der neueren deutschen Literatur festzustellen war: Die Rezeption einschlägiger Forschungsansätze erfolgte zögerlich und mit großer Verspätung, vor allem im Vergleich zum anglo-amerikanischen Sprachraum. (...)
Ruth Klüger in Deutschland
(1994)
Enthält:
Ruth Klügers deutsches Publikum im Spiegel der Veranstaltungsberichte / Stephan Braese
Weiter leben in der deutschen Buchkritik / Holger Gehle
Ruth Klügers Lesung in Hamburg / von Timothy K. Boyd
Ruth Klüger liest in Bonn / von Holger Gehle
Ruth Klüger im Gespräch mit Matthias Beltz / von Susanne Klockmann
Ruth Klüger zur Begrüßung / Martin Walser
Hofmannsthals Aufsatzentwurf "Die neuen Dichtungen Gabriele d’Annunzio’s" aus dem Jahre 1898, der hier zum ersten Male abgedruckt ist, belegt anhaltendes Interesse und eine um die Jahrhundertwende noch einmal aufllammende Sympathie, die erst 1912 in offene Ablehnung umschlagen wird. Gegenstand des ersten Teiles "Zwei Verherrlichungen der Stadt Venedig", welcher als beinahe abgeschlossen gelten kann, ist ein Bändchen von D’Annunzio mit dem Titel "L’Alllegoria dell’ autunno" (1895). Hofmannsthal kaufte es auf seiner Italienreise 1898. Über welche Dichtungen er darüber hinaus noch schreiben wollte, ist nicht bekannt. Einer genaueren Rekonstruktion der Beziehung zwischen D’Annunzio und Hofmannsthal bis zu diesem Zeitpunkt gelten die folgenden Hinweise.
Obwohl noch nicht ausreichend geklärt ist, wie belesen Schmidt im Bereich der literarischen Moderne eigentlich gewesen ist, als er um 1950 mit ersten literarischen Veröffentlichungen und um die Mitte der fünfziger Jahre sogar mit seinen ersten prosatheoretischen Entwürfen an die Öffentlichkeit trat, läßt sich seinen Äußerungen doch soviel entnehmen, daß wir seine Kenntnis der außerdeutschen europäischen Moderne wohl eher als sehr bescheiden und lückenhaft ansehen müssen. Die Quellenlage spricht dafür, daß außer Alfred Döblin, Hans Henny Jahnn, Hermann Hesse und, im Wortspielerischen, Expressionisten wie August Stramm nur wenige andere moderne Autoren ihm für sein Werk Pate gestanden haben, am wenigsten noch die großen Vertreter der europäischen Moderne. Schmidt, vom Faschismus samt der verabscheuten Wehrmachtszeit zu einem der zahlreichen 'transzendentalen Obdachlosen' der Nachkriegszeit transformiert, siedelte seine private literarische Ahnengalerie stattdessen vorzugsweise im 18. und 19. Jahrhundert an; Vorbilder waren ihm, dem selbst erklärten "Verirrten aus dem 18. Jahrhundert", unter anderem Wieland, Fouqué, Tieck, Poe, Dickens und Stifter.
Im Jahr 1895 verherrlichte Annunzio bei irgend einem festlichen Anlaß die Stadt Venedig in einer Rede, die sich nicht mit den Reden vergleichen läßt, welche man bei ähnlichen Anlässen zu halten pflegt. Er gab dieser Rede, als sie später veröffentlicht wurde, die Überschrift: "Allegorie des Herbstes", und in der That bildet ihren Inhalt die Vision und Schilderung einer hochzeitlichen Vereinigung Venedigs mit dem Herbst. Man fühlt sich an jene frostigen Personificationen erinnert, an jene Kunstform, deren sich drei vergangene Jahrhunderte bis zur völligen Erschöpfung ihres Reizes, ja über die Grenze des Erträglichen bedienten.
Und wirklich scheinen sich die gewaltigsten visionären Augen und der kühnste an unerhörten Gleichnissen reichste Freund, den die lateinischen Völker im jetzigen Zeitraum besitzen, endgültig dieser majestätischen lateinischen Kunstform zugewandt zu haben: der gewaltigen, das gesammte Dasein umschließenden Allegorie, den prunkvoll hinrauschenden Triumphzug, der aus blendenden Gleichnissen aufgethürmten Ehrensäule. Seit einigen Jahren sehe ich kein Werk von ihm entstehen, das nicht dastünde wie eine Trophäe.
Im Sinne der "lectio difficilior" soll im folgenden die Spur der metaphora audax verfolgt und die These vertreten werden, die Parallelführung zwischen göttlichem und poetischem Schöpfungsakt gelte für die ganze Kosmogonie; sie impliziere damit auch zwei grundsätzlich verschiedene poetische Schaffenstypologien, und Goethe kontrastiere in Wiederfinden über die beiden Schöpfungsphasen der Weltwerdung den einen Typus des dichterischen Schaffensprozesses mitsamt dem ihm innewohnenden Leidensdruck mit seinem Gegentypus, der freilich deutlichen Wunschbildcharakter trage.
[Franz Josef] Worstbrocks Artikel mit seinen Argumenten für einen Hiltbold zwischen 1190 und 1210 war der Aufgangspunkt für (...) [Volker Mertens], Hiltbolds Oeuvre erneut zu untersuchen, seine Eigenart zu erfassen und – vielleicht – zu einer Entscheidung in der strittigen Datierungsfrage zu kommen, zumindest aber, die Valenz der Worstbrockschen Begründungen zu überprüfen.
Alban Berg begann seine kompositorische Laufbahn als Komponist von Klavierliedern, die Teil einer quantitativ frappierenden Liedproduktion im Wien der Jahrhundertwende sind: Das Klavierlied hatte zu dieser Zeit in Wien schon eine lange, vor Franz Schubert beginnende Gattungstradition und erlebte als Gattung von besonderer Lokalbedeutung nun einen späten, abschließenden Höhepunkt. Kaum ein Oeuvre eines in Wien lebenden Komponisten dieser Zeit zeigt nicht die Anziehungskraft eines musikalischen Lyrismus. Das gilt für Wilhelm Kienzl, Julius Bittner, Carl Lafite, Joseph Marx ebenso wie für Franz Schreker, Alexander von Zemlinsky, Arnold Schönberg, Alban Berg, Anton von Webern sowie für die beiden bedeutendsten Lied-Komponisten dieser Zeit - Hugo Wolf und Gustav Mahler. Ihre Liedkompositionen markieren zugleich einen zweifachen gattungsgeschichtlichen Wendepunkt, denn war Wolf der letzte, in dessen Schaffen das Klavierlied zwar noch einen alles dominierenden Rang einnahm, sich aber endgültig vom bis dahin gültigen Strophenlied-Modell ablöste und zum Deklamationslied entwickelte, so führte Mahlers Entwicklung von frühen, späterhin orchestrierten Klavierliedern zum Orchestergesang und zur Synthese zwischen Lied und Symphonik.
Vermeintliche Freiheit
(1996)
Interpretation des Gedichts "Klage der Ceres" von Friedrich Schiller. [...] gerade "Alexis und Dora" sei, schreibt [Schiller] an Goethe, "so voll Einfalt [...], bey einer unergründlichen Tiefe der Empfindung", daß sie dem proklamierten Muster der Empfindung vollkommen zu entsprechen scheint. Seine Theorie gibt Schiller jedoch auch die Kritik ein, er vermisse bei der Idylle eine anhaltende Grundstimmung, zu rasch wechselten Glücksgefühl und Eifersucht innerhalb dieser Dichtungsweise. Auf Schillers rezeptionsgeschichtlich wirkungsträchtiges Mißverständnis wird hier eingegangen, weil es durch Goethes folgende Revanche in Form der in bedeutendem Ton vorgetragenen Unverbindlichkeiten zur "Klage der Ceres" auf Schillers Elegie zurückgewirkt hat.
Ein Blick auf die klassizistischen Plastiken um 1800 - verfertigt von Dannecker, Canova oder Thorwaldsen - verweist trotz aller Verschiedenheit auf einen gemeinsamen Charakterzug: den Kult der Jugend. [...] Der Blick ist nach innen gerichtet; körperliche Gegenwart steht in Spannung zur seelischen Ferne. Diese Blickweise ist unantik, ein Zeichen für das Sentimentalische des modernen Klassizismus. Die Antike kennt nur den abgewandten Blick, der gesenkte Blick ist ihr unbekannt. Es gilt zunächst hervorzuheben, daß diese markante Differenz zwischen Antike und Klassizismus keineswegs nur einer neuartigen Kunstauffassung geschuldet ist. Der Klassizismus ist, und das hat Goethe im Sinn, wenn er Winckelmann mit Columbus vergleicht, eine Ethik, Ästhetik, ja die Lebensweise umfassende Konzeption, er ist ein Weltentwurf. Der zivile Klassizismus schuf nicht nur ein bisher unbekanntes Antikebild, eine eigenartige Kunstanschauung, eine innovative Wahrnehmungs- und Schreibweise, er kreierte vor allem einen neuartigen Habitus, eine neue Identität des Gebildeten. Ins Zentrum dieses sich neu konstituierenden Habitus' tritt der Kult des schönen Jünglings. Um diese Identität durchzusetzen, wurden die bisherigen Zuwendungsformen zur Antike und damit zugleich die traditionellen Italienreisen abgelehnt und destruiert.
Die Antike im doppelten Aspekt von Mythos und Geschichte war lebenslang einer der von Hofmannsthal bevorzugten Themenkreise. Sein Interesse daran reicht in die ersten Anfänge zurück und setzt sich bis ins Spätwerk fort. Schon ein flüchtiger Blick auf die lange Reihe der Titel zeigt die beeindruckende Dichte der Projekte: Auf den Alexander-Stoff, der bereits Ende der achtziger Jahre in den Vordergrund rückt, folgen 1891 eine im Umriß ganz vage gebliebene "mythische Komödie", die vielleicht den Titel "Athene" tragen sollte, im Jahr darauf das Hades- und Alkibiades-Thema sowie die Auseinandersetzung mit den "Bacchen" des Euripides, die zwischen 1904 und 1918 im "Pentheus"-Plan weiter vorangetrieben wird. Ein erstes 'fertiges' Stück ist der - kurz vor "Tor und Tod" - im März 1893 entstandene Einakter "Idylle", der auf schmalstem Raum eine antikisierende Szene "im Böcklinschen Stil" gestaltet. Im Sommer 1893 werden Entwürfe zum 1906 wieder aufgenommenen "Traum" notiert, der auf einer Erzählung des Plutarch in der Demetrius-Vita 27 beruht.
Seine Annäherung an die Antike, soweit sie an die attischen Tragiker anknüpft, fühlt sich dem eingestandenen Ziel verpflichtet, den "Anschluß an große Form" zu suchen und damit, vom lyrischen Drama weg, die wirkliche Bühne zu erobern. Dabei geht es ihm von Anbeginn darum, die antiken Stücke aus ihrer "maskenhaften Starrheit zu lösen", wie es anläßlich des "Alkestis"-Plans im Januar 1894 heißt; ein Gedanke, den auch Hermann Bahr 1923 im Rückblick seines Tagebuchs formuliert, wenn er daran erinnert, daß er und Hofmannsthal sich vor drei Jahrzehnten vor der "Gypsgriechelei der Heysezeit" zu retten versucht hätten, ganz im Einklang mit Max Reinhardt, der die Unlust, antike Dramen zu spielen, dem "gipsernen " Charakter der vorliegenden Übersetzungen und Bearbeitungen anzulasten pflegte.
Mit diesem Roman stellt sich Christa Wolf als starke "Intellektuelle" unter Beweis, dazu fähig, auf der Suche nach einer existenziell berührenden und das Bewußtsein formenden Wahrheit die Geschichte neu zu schreiben. Auf die Transparenz ihres Namens zurückgeführt, bringt diese Medea guten Rat, indem sie die archetypischen Prinzipien einer moralischen Klarheit wiederentdeckt, die sich - in Anlehnung an Rousseau - mit einer Rückkehr zum Natürlichen verbindet. Wie in "Kassandra" liegt der Akzent nicht auf der Praxis der Differenz, sondern auf der Humanisierung der menschlichen Beziehungen. Daraus entsteht eine dem theoretischen Feminismus gut bekannte Poetik binokularer Optik.
Unter den zahlreichen Motiven, die in der mittelalterlichen Literatur mit Frauendienst verbunden sind, gehört das vom Ritter mit dem Hemd zu den besonders interessanten. Es erscheint zunächst in dem ersten von fünf Fabliaux aus einer verlorenen Turiner Handschrift, die dem sonst unbekannten altfranzösischen Dichter Jacques de Baisieux zugeschrieben werden, einer heiteren Kurzgeschichte mit dem Titel "Des trois chevaliers et del chainse". In der vorliegenden Untersuchung gilt es, der Frage der Rezeption im deutschsprachigen Raum anhand der Fassungen des Wiener Chronisten Jans Enikel und der etwas späteren "Weihenstephaner Chronik" nachzugehen und die Verschiedenheit der drei Fassungen zu ergründen. Die mhd Erzählung "Frauentreue" (c. 1300) wird dabei außer Acht gelassen; zwei gemeinsame Hauptmotive legen zwar eine grundsätzliche Verwandtschaft nahe, eine Vielfalt an fremden Erzählelementen schließen diese Märe jedoch aus dem engeren Kreis der hier zu besprechenden Werke aus.
Das schöne Wort "Weltliteratur" verdanken wir zwar nicht Goethe, wie immer wieder behauptet wird, sondern Wieland. Goethe aber verdanken wir einen Begriff von Weltliteratur, der sich nicht auf den Kanon ihrer Meisterwerke beschränkt, wie es sowohl bei Wieland als auch im heutigen Sprachgebrauch konnotiert wird. Seine Verwendung des Begriffs umfaßt alles, was durch die Beschleunigung von Handel und Verkehr an Gedrucktem grenzüberschreitend Verbreitung findet. Dazu gehört sowohl die mit der Internationalisierung der Märkte unvermeidlich ausufernde Massenware als auch das Pretiose; die "englische Springflut" genauso wie der chinesische Sittenroman des Yü-chiao-li. Das entscheidende Definitionskriterium für Goethes Begriff der Weltliteratur ist die weltweite Rezipierbarkeit. Und was das Bedeutende vom Unbedeutenden unterscheidet, ist dennoch von denselben kommunikativen Voraussetzungen abhängig. ...
Weimar ohne Goethe gibt es nicht im Bewußtsein der Weltkultur. Die Stadt verdankt ihren Mythos zuallererst der originären Gestalt Goethes, dem bürgerlichen Dichter, der zum Anbruch der Moderne neue Bereiche des Fühlens und Denkens literarisch-poetisch erschließt, der hier den größten Teil seiner Lebenszeit verbringt. Aber daß "die berühmtesten Deutschen [...] lange hier gewohnt, dafür kann man billigerweise Weimar selbst nicht verantwortlich machen. Der Ort ist keine Fabrik berühmter Leute", wußte man bereits kurz nach Goethes Tod.
Die produktive Rezeption von Thomas Mann im Roman "Ana em Veneza" von João Silvério Trevisan (1994)
(1999)
The novel "Ana em Veneza" (1994) by João Silvério Trevisan is composed as a literary game of intertextual references to the works of Thomas Mann. Especially his tales "Enttäuschung" ("Desillusion") and "Tod in Venedig" ("Death in Venice") and his novel "Doktor Faustus" serve as models. Trevisan uses figures, motives and themes of Thomas Mann on various levels of his own literary creation, thus using elements in the works of the German writer as pattern of a "European" attitude towards art, about which he argues through his characters, seeking a specific Brazilian identity as an artist. The article surveys this productive reception of motives from Thomas Mann's works, refering to the basic ideas of the novel.
This article shows how the genre Bildungsroman (self-development novel) has been assimilated to the Brazilian literary tradition. Through the examples of Cristina Ferreira Pinto's "O 'Bildungsroman' feminino" ("The female novel of development") and Eduardo de Assis Duarte's "Jorge Amado e o 'Bildungsroman' proletário" ("Jorge Amado and the proletarian novel of development"), this article focuses the dynamic process by means of which a typical European genre has been assimilated by a young South-American literary tradition.
Für Lessing [...] war die Epoche der Nationalliteratur [...] an der Zeit gewesen; und er hat in Hamburg nicht wenig für den "süße[n] Traum" gewirkt, "den Deutschen ein Nationaltheater zu verschaffen, da wir Deutsche noch keine Nation sind". Gleichwohl operierte er als Autor wie als Kritiker schon früh und je später desto mehr im Horizont der Weltliteratur. Um diesen literarischen Ausgriff in die "große Welt" besser zu verstehen, muß man sich zunächst seine ursprüngliche "kleine Welt" vergegenwärtigen.
Das Faszinosum Weimar in seiner sich selbst überlassenen Modernität gründet nicht zuletzt in der Mischung von hochartifizieller Weltbetrachtung und bis heute uneingelösten philosophischen Maximen. Gerade jene Postulate - vom zielgerichtet individuellen, imperativisch-unverbindlichen "Edel sei der Mensch, hilfreich und gut" bis zum kollektivistisch orientierten Gedanken des Weltbürgertums - boten durch Zeiten und Kriege eine Utopie des schönen Scheins, die immer irgendwo zitabel und stets irgendwie variierbar war. Zudem sicherte die Verschränkung von Weltbürgertum und Humanitas, deren Kerngedanke recht gut mit der Goetheschen Aufforderung zu solidarischem Handeln und Gutsein umschrieben werden kann, dem Zitat seinen Aufstieg zur klassischen Sentenz und allen damit verbundenen sittlichen Unverbindlichkeiten.
Rezension zu Harald Kämmerer: "Nur um Himmels willen keine Satyre ..." Deutsche Satire und Satiretheorie des 18. Jahrhunderts im Kontext von Anglophilie, Swift-Rezeption und ästhetischer Theorie. Heidelberg (Universitätsverlag C. Winter) 1999 (= Probleme der Dichtung; Bd. 27).353 Seiten.
Von der Metapher über die Metonymie bis zur Ironie - gleichgültig, um welche Form der uneigentlichen Rede es sich handelt, allen diesen Tropen bzw. Figuren ist gemeinsam, daß sie den Hörer oder Leser immer wieder vor die (meist unausgesprochene) Frage stellen, was mit dem Uneigentlichen denn eigentlich gemeint ist. Einer ganz ähnlichen Frage widmet sich Harald Kämmerer in seiner Dissertation: Die Grundproblematik, auf die Kämmerer aus unterschiedlichen Blickwinkeln immer wieder zurückkommt, läßt sich zugespitzt so formulieren: Ist das satirische Schreiben (und zwar jenseits der rhetorischen Mittel der uneigentlichen Rede, die im satirischen Schreiben zweifellos in ausgesprochenem Maße zur Anwendung kommen), selbst als eine Art literarischer Großform uneigentlicher Rede anzusehen? Oder trifft das Gegenteil zu, und enthält das satirische Schreiben weit mehr Anteile an eigentlicher denn an uneigentlicher Rede?
Nicht Gedichte, gedacht zur privaten, stillen Lektüre im mehr oder weniger trauten Kämmerlein, sondern Lieder, bestimmt zum gesungenen öffentlichen Vortrag vor einem (exklusiv) höfischen Publikum stellen das mittelalterliche Pendant dessen dar, was unter dem Begriff „Lyrik“ subsumiert wird (...) Vielleicht ist dies eine gute Möglichkeit, (...) das die „Lese“- Rezeption im modernen Sinn und ihr Eingehen in den lyrischen Text doch auch bis zum heutigen Tag oft genug den „Vortrag“, zumindest im Sinne des gesprochenen, wenn schon nicht gesungenen oder rezitierten Wortes evoziert (...).
Rezension zu Mallarmé in the Twentieth Century. Edited by Robert Greer Cohn. Associate Editor Gerald Gillespie. Madison (Fairleigh Dickinson University Press); London (Associated University Presses) 1998.298 Seiten.
Der pünktlich zum hundertsten Todestag Mallarmés erschienene Sammelband geht zurück auf ein "Mallarmé Festival", das auf Anregung des Komparatisten Ricardo Quinones im Oktober 1996 an der Stanford Universität stattgefunden hat und von Robert Greer Cohn, einem der international führenden Mallarmé-Forscher, organisiert worden ist. Er versammelt Beiträge zu grundlegenden Aspekten des Mallarméschen Gesamtwerks, zu einzelnen seiner Texte, zu Problemen der Mallarmé-Übersetzung, zur weltweiten Wirkung des Dichters sowie zu Beziehungen Mallarmés zu anderen Autoren.
Rezension zu Rostislav Danilevskij: Schiller in der russischen Literatur. 18. Jahrhundert - erste Hälfte 19. Jahrhundert. Dresden (Dresden University Press) 1998 (= Schriften zur Kultur der Slaven. Neue Folge der MAISK-Schriften. Hg. von Hans Rothe; Bd. 1 (20)). 365 Seiten.
Rostislav Danilevskij vom Institut für Russische Literatur der Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg unternimmt mit der hier vorgelegten Studie eine Auslotung des russischen "Schiller-Bildes", worunter der gesamte Komplex literarischer und ideengeschichtlicher Vorstellungen zu verstehen ist, die für russische Leser mit diesem Namen verknüpft sind.
Drei Erfahrungsberichte über Bertolt Brechts Theater auf brasilianischen Bühnen. Caco Coelho spricht über den Zyklus der Brecht-Lesungen, -Aufführungen und -Vorträge seiner Theatergruppe 'Os Fodidos Privilegiados ' 1998 in Rio de Janeiro. Fernando Peixoto vertritt die Ansicht, daß der zentrale Punkt von Brechts Theater darin besteht, Emotionen im zwischenmenschlichen Verhalten und in ihren politisch-historischen Kontexten verstehbar zu machen. Er erzählt unter anderm von einer "Wiederentdeckung" der Brechtschen Theaterästhetik durch eine Laiengruppe in Amazonien und vertritt insgesamt ein undogmatisches, auf die heutigen Verhältnisse ausgerichtetes Lernen mit Brecht. Willi Bolle berichtet von seiner Inszenierung von Brechts 'Die Hochzeit ' (1919) mit einer Laien-Theatergruppe in São Paulo 1997-1998, in der die lineare Struktur des Textes durchbrochen wurde durch die Einführung einer neuen Perspektive sowie einer neuen Figur, der Braut, die sich das Hochzeitsfest in der Erinnerung vergegenwärtigt.
This article discusses some aspects of Brecht's work and its relationship with the Brazilian literary, historical and socio-political life. The focus is on the inconsistency of the struggle for the so-called Bildung, where the advances of new ideas and social forms are in conflict with a reactionary context.
Ziel der folgenden Ausführungen ist es, Hölderlins Verarbeitung des Fichteschen "Wechsel"-Begriffs sowohl in seiner Tragödientheorie wie auch in der Tragödie selbst kenntlich zu machen. Ausgehend von Fichtes philosophischer Konzeption ist zunächst zu zeigen, in welcher Weise Hölderlin die ‚Wechselwirkung’ im Grund zum Empedokles poetologisch funktionalisiert. Vor diesem Hintergrund soll danach die dichterische Umsetzung der "Wechselwirkung" im Tod des Empedokles verfolgt werden.
Harald Haferland erört die Frage, inwiefern wir beim "Nibelungenlied" von einem ‚festen Text’ sprechen können; dabei wird das Verhältnis von Mündlichkeit und Schriftlichkeit besprochen. Es wird die These aufgestellt, das Nibelungenlied stehe in der Tradition des auswendigen Vortrags und sei auch selbst auswendig vorgetragen worden.
Tagungsbericht zum Symposion an der Universität Potsdam vom 20.-22. Oktober 2000
Endlich ist es vollbracht: Nach verschiedensten juristischen, verlagstechnischen u.a. Peripetien, die Maria Sommer, die Leiterin des Gustav Kiepenheuer Bühnenvertriebs und Inhaberin der deutschen Pirandello-Werkrechte, bei der Präsentation plastisch schilderte, liegt nun die deutsche Pirandello-Ausgabe (Propyläen-Verlag) vollständig in 16 Bänden vor. Allemal ein Anlaß für den Herausgeber Michael Rössner (München), gemeinsam mit Helene Harth (Potsdam) und dem Istituto Italiano di Cultura (Berlin), dort sowie an der Universität Potsdam vom 20.-22. Oktober 2000 ein Symposion zu veranstalten.
Tagungsbericht zum internationalen Arbeitsgespräch in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, 12.-13. September 2000
Die niederländisch-deutschen Kulturbeziehungen sind als ein wichtiges Element im Prozeß der europäischen Kulturgeschichte in den letzten Jahren verstärkt Gegenstand der Forschung geworden. Dabei wurde die Gattung der Lyrik, deren zentrale Rolle im Literatursystem mit je verschiedener Begründung in der Literaturwissenschaft seit einiger Zeit wieder stärker betont wird, noch ungenügend berücksichtigt, auch wenn gelegentlich auf den großen Einfluß niederländischer Dichtung und Poetik (z. B. Heinsius) auf den deutschen Sprachraum im 17. Jahrhundert hingewiesen wurde. Um hier den Erkenntnisstand zu verbessern, fand am 12. und 13. September 2000 im Bibelsaal der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel ein internationales Arbeitsgespräch zum Thema "Die niederländische Lyrik und ihre deutsche Rezeption in der Frühen Neuzeit" statt.
Rezension zu Tippner, Anja: Alterität, Übersetzung und Kultur. Čechovs Prosa zwischen Russland und Deutschland. Frankfurt/M. u.a. (Peter Lang) 1997 (= Slawische Literaturen. Texte und Abhandlungen. Hg. von Wolf Schmid; Bd. 13).307 Seiten.
Es geht um Čechov auf deutsch. Und zur Debatte stehen die Vorurteile der Übersetzer beim Übersetzen. Behandelt wird ausschließlich Čechovs erzählende Prosa, nicht sein Bühnenwerk.
Rezension zu Kluge, Rolf-Dieter (Hg.): Von Polen, Poesie und Politik. Adam Mickiewicz 1798-1998. Tübingen (Attempto) 1999. 330 Seiten.
Vierzehn Essays führen in Werk und Wirkungsgeschichte des polnischen Nationaldichters Adam Mickiewicz (1798-1855) ein, an der Spitze eine kenntnisreiche und ausgewogene, Werk und Leben verbindende Betrachtung von Karl Dedecius: "Adam Mickiewicz: Idol und Idee einer Nation" (S. 11-32).
Die Untersuchung der Goetheschen und Heineschen Betrachtungen eines für das kulturelle Gedächtnis prominenten Ortes, des Amphitheaters in Verona, [soll zeigen], auf welche Weise unterschiedliche Verfahrensweisen vor Ort zu differenten Bedeutungen vom Gedächtnis der Orte führen. Diese sind auch in der gegenwärtigen theoretischen Diskussion virulent. Dabei gilt es nicht nur, das "Gedächtnis der Orte" vom Konzept der "Gedächtnisorte", der lieux de mémoire zu unterscheiden, sondern auch, die je verschiedene Bedeutung der Orte in unterschiedlichen Gedächtnistraditionen - wie beispielsweise der ars memoriae, einer Kultur des Gedenkens und dem Freudschen Gedächtnismodell - herauszuarbeiten. Das steht im Zusammenhang der Notwendigkeit, die Lektüre- und Textmetapher, die in ihrer universellen Verwendung in den gegenwärtigen Kulturwissenschaften ihre Konturen zu verlieren droht, auf ihre Spezifik und ihre theoretische Stimmigkeit hin zu befragen.
Im Sinne einer "Reisefolgenforschung" wird in dieser Studie danach gefragt, wie sich die ehmalige Landesregentin während des Italienaufenthalts der Kunst und Gesellschaft Italiens näherte, und inwieweit sie in den Jahren danach in der Residenz Weimar als Vermittlerin italienischer Kultur auftrat - Kultur verstanden als die Manifestationen, in denen sich eine Gesellschaft über ihre Lebensformen verständigt. Dies schließt den Konsum und die Verständigung über die Künste mit ein, auf denen der Schwerpunkt das Aufsatzes liegt. Die komplizierte Rezeptionsgeschichte, die Anna Amalia eine außerordentliche Bedeutung als Mäzenin zuschreiben wollte, interessiert an dieser Stelle nicht. Es handelt sich um eine Fallstudie, welche die Handlungsspieräume hochadliger Frauen im Alten Reich vermisst. Damit soll die identifikatorische und idealisierende Umfeldforschung zu den Protagonisten der "Weimarer Klassik" verlassen und Anschluß an die allgemeine Hof- und Reisefoschung gesucht werden.
Rezension zu Alf Mentzer: Die Blindheit der Texte. Studien zur literarischen Raumerfahrung. Heidelberg (Winter) 2001 (= Anglistische Forschungen; Bd. 293). 252 Seiten.
An der Kluft zwischen Sehenden und Blinden setzt Alf Mentzer in seiner ausgezeichneten, komparatistisch angelegten Studie über literarische Raumdarstellungen ein. Das Phänomen der Blindheit wird dabei nicht allein als Darstellungsgegenstand in den Blick genommen, sondern es geht Mentzer weit mehr darum, ob und wie mit dem Thema Blindheit immer schon "die Blindheit der sprachlichen Repräsentation thematisch wird". Denn, so Mentzers These, der Leser eines literarischen Textes verhält sich hinsichtlich der Räume, die im Text dargestellt werden, wie ein Blinder. Der Leser 'sieht' nicht, was der Erzähler 'sieht' und erzählt, und dennoch gelingt es literarischen Texten immer wieder, bei Lesern Raumerfahrungen zu evozieren. Wie aber vollzieht sich dieser Prozeß der textuellen Konstitution von Wahrnehmungsräumen bzw. wie wird überhaupt die Möglichkeit der Wahrnehmbarkeit von literarischen Räumen erzeugt?
Goethe (1749 - 1832)
(2003)
Goethe: den "wahren Statthalter des poetischen Geistes auf Erden" hat Novalis ihn einst in der Romantiker-Zeitschrift "Athenäum" genannt. Es dürfte keine Nation geben, in der ein einziger Name zum Synonym für ihre Kultur geworden ist - die wichtigste kulturpolitische Institution Deutschlands trägt bezeichnenderweise seit dem Ende der Weimarer Republik den Namen Goethes -, keine Nation, die ein halbes Jahrhundert ihrer Literaturgeschichte nach einem einzigen Autor: als "Goethezeit" bezeichnet hat. Den Deutschen gilt Goethe mit fast noch größerer Selbstverständlichkeit als Homer den Griechen, Dante den Italienern, Cervantes den Spaniern, Shakespeare (mit langer Verzögerung) den Engländern oder Puschkin den Russen als ihr größter Dichter.
L’oeuvre poétique de l’écrivain juif de langue allemande Paul Celan (1920-1970) jouit aujourd’hui d’une renommée internationale et d’une considération quasi unanime, qui sont peu habituelles pour un poète contemporain. Rares sont en effet les écrivains dont on est à ce point sûr, dès leur vivant, que leur oeuvre va rester une référence essentielle pour la postérité. Classique « pré-posthume », Paul Celan n’a pas connu le purgatoire littéraire après sa disparition ; presque immédiatement il a été accueilli dans le panthéon de la poésie universelle, où il côtoie des figures telles que Hölderlin, Rilke, Mallarmé, Rimbaud, Shelley, Pessoa. À l’heure actuelle, les articles, livres et colloques qui lui sont consacrés de par le monde entier ne se comptent plus. En même temps, on a pu assister à la création d’un mythe Paul Celan, notion qu’on n’entendra pas dans le sens d’une non-vérité, mais comme la représentation puissante, surdéterminée autant que simplifiée, d’une réalité autrement plus complexe. Comme chaque mythe, celui de Celan comporte plusieurs variantes, pour lesquelles il est néanmoins aisé de trouver un dénominateur commun. Depuis sa mort, Paul Celan a été peu à peu subsumé sous l’image du poète de la Shoah, dans un sens historique, mais aussi philosophique, voire religieux. De la sorte, son oeuvre est aujourd’hui considérée à la fois comme un mémorial pour les six millions de Juifs morts dans les camps nazis, et comme l’entreprise, contre le verdict d’Adorno, de faire renaître des cendres de notre civilisation occidentale la parole poétique et sa vérité. L’investissement passionnel que certains lecteurs de Paul Celan ont pu manifester est à la mesure du rang qui lui a été assigné ; et le conflit des interprétations qui existe au sujet de son oeuvre, reflète dans une large mesure les discussions, controverses et polémiques sur le génocide des Juifs d’Europe et sur la période de la Seconde Guerre mondiale.
Ziemlich pregnant finden sich in [...] Zeugnissen [wie Goethe in einem Brief an Schiller, 1797 und den 1798 entstanden Versen Goethes zum "Vorspiel auf dem Theater"], die um ein vielfaches vermehrt werden könnten und auch noch um einige ergänzt werden sollen, Positionen, die ich in zwei Ausgangsthesen zusamenfassen möchte: 1. Goethes intensive Beschäftigung und oft kritische Auseinandersetzung mit dem Journalwesen, das er stets auch in das Ensemble anderer wissenschaftlich-kultureller Kommunikationsformen (Compendium, Almanach usw.) stellte. 2. Seine Bereitschaft, dennoch differenziert, ja sensibel mit dieser offensichtlich besonders wichtigen Publikationsgattung umzugehen, also sein produktiver Ansatz, der zu beweisen wäre. Eine operative Publikationsgattung steht vor uns, mit der Goethe als "Autor-Produzent" oder "Leser-Rezipient" ständig zu tun hatte. Sie war ein markanter Teil jener gesellschaftlich-literarischen Kommunikationsverhältnisse, die mit dem zeitgenössischen "Publicums"-Begriff und den modernen Begriffen "Literarischer Markt" und "Literaturverhältnisse" erfaßt werden. Diese Verhältnisse wirkten zu Lebzeiten Goethes in außerordentlich dynamischer Weise und erfuhren revolutionierende Veränderungen und Entwicklungen. Entgehen konnte man ihnen zu keiner Zeit.
"Mein mercurialisches Fabrikwesen" : die Anfänge des "Teutschen Merkur" und die Selbstverlagsidee
(2003)
Bemerkungen zum "Teutschen Merkur" aus publikationsgeschichtlicher und vor allem zeitschriftengeschichtlicher Sicht ergeben sich aus der Sache selbst, ein "Periodicum" an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert möglichst umfassend zu untersuchen. Doch eine solche Aufgabe führt zu einem Anspruch, der nur schrittweise bewältigt werden kann. Seine besondere Verlockung findet ein solcher thematischer Ansatz nicht zuletzt dadurch, daß der "Teutsche Merkur" [...] in der Tat ein exzeptionelles Beispiel in der Geschichte der deutschen literarischen Zeitschrift zu Beginn des letzten Viertels des 18. Jahrhunderts darstellt. Und seine Anfänge gewinnen unter dem Aspekt der Selbstverlagsidee, die in den 70er und 80er Jahren des 18. Jahrhundens eine große Rolle in Deutschland spielt, ihren besonderen Reiz. lnsofern können diese Vorgänge über das Beispiel selbst hinaus Bedeutung erlangen. Der Fall ist deshalb so exzeptionell, weil die Gründung und ersten Schritte des "Merkur" sich in einer Zeit einschneidender Veränderungen und Entwicklungen in dem komplizierten Beziehungsgeflecht von Literaturproduktion, Literaturdistribution und Literaturkonsumtion vollziehen. Wobei die Literaturkonsumtion im weitesten Sinne das "Publikum" ins Spiel bringt und damit eine Größe, deren Einfluß auf diese Vorgänge seit den 1770er Jahren immer mehr an Bedeutsamkeit gewann. So wurde das Wechselverhältnis von literarischem Anspruch des Autors und der Art und Weise der Publikumsreaktion und -rezeption zu einem entscheidenden lndiz der literarischen Verhältnisse und prägte deshalb die gesamte Sphäre der Produktion und Vermittlung von Literatur. Und Wielands "Merkur" reagierte auf diese Entwicklungsvorgänge auf seine Art als Journal mit einschneidenden Veränderungen und Innovationen.
"Wenn man die Meisterstücke des Shakespeare, mit einigen bescheidenen Veränderungen, unsern Deutschen übersetzt hätte, ich weiß gewiß, es würde von bessern Folgen gewesen sein, als daß man sie mit dem Corneille und Racine so bekannt gemacht hat." (Briefe, die neuere Literatur betreffend, Lessing 1967,616) Mit diesen Worten formuliert Lessing eine Kritik an der französischen klassischen Tragödie, die für die Herausbildung der deutschen Nationalliteratur von kaum zu unterschätzender Bedeutung gewesen ist. Sie hat dazu beigetragen, daß die Vorbildfunktion der französischen Tragödie im ausgehenden 18. Jahrhundert durch das Naturgenie Shakespeare und dessen melancholischen Helden Hamlet abgelöst wird.
Es ist üblich, die drei Autoren Marie von Ebner-Eschenbach, Ferdinand von Saat und Jakob Julius David, die (ähnlich wie der Jubilar) mit dem mährischen Land verbunden sind, zusammen zu denken und zu behandeln; man spricht gelegentlich sogar vom "mährischen literarischen Triumvirat". Für die Olmützer "Arbeitsstelle für mährische deutschsprachige Literatur" sind die drei genannten Dichter die "Vorzeigeautoren", deren anerkannt großes Werk dem tatsächlichen - oder nur virtuellen - Ansturm der Anzweiflungen der Methoden und des Sinnes der Regionalforschung standhält, wenn aus dem Lager der "großen", der "Weltliteratur"-Geschichte gefragt wird: Ist die Gefahr nicht zu groß, mit dem Objekt und den Methoden der Regionalforschung immer bloß auf Mittelmäßiges, Geringes, künslerisch Schwaches zu stoßen, sich im Fahrwasser der Trivialität, der bloßen Gebrauchsliteratur zu bewegen?
Rezension zu Michel Cadot: Dostoïevski d'un siècle à l'autre ou la Russie entre Orient et Occident. Avant-propos Rudolf Neuhäuser. Paris (Maison-neuve et Larose) 2001. 350 Seiten.
Michel Cadot, Emeritus der Sorbonne Nouvelle (Institut für "Littérature générale et comparée"), legt hier eine Summe seines Nachdenkens über Dostojewskij vor. Auf den Ort dieser Monographie innerhalb der internationalen Dostojewskij- Forschung sei hier nicht eingegangen. Nur so viel ist zu sagen, dass Geistesgeschichte und poetologische Analyse des Einzelwerks eine fruchtbare Fusion eingehen, wobei die kulturphilosophische Fragestellung allerdings dominiert, was im Titel ja bereits eindeutig vermerkt wird.
Daß Texte sich auf andere Texte beziehen und jedes literarische Werk als eine Art Schnittpunkt von Linien auffaßbar ist, welche, ihrerseits aus einer komplexen literarischen Tradition kommend, in ihm zusammenlaufen, gilt nicht erst seit der rezenten Karriere des Intertextualitätsbegriffs als eine Leitprämisse der Literaturwissenschaft. Doch auch Werke der bildenden Kunst befinden sich inmitten dieses Geflechts. Sie bilden oftmals - um ein weiteres räumliches Gleichnis zu verwenden - eine "Lage", welche zwischen dem einen Text und dem anderen Text situiert ist. Solche bildlichen Zwischen-Lagen stiften auch Intertextualitätsbeziehungen eigener Art: Der spätere Text nimmt auf den oder die früheren Bezug, schließt an diese an oder stellt sich in eine historische Reihe von Texten hinein, und zwar durch Vermittlung des Bildes, welches dazwischentritt und das explizite Bezugsobjekt bildet. Indem über ein Bild oder eine Folge von Bildern gesprochen wird, werden also mittelbar und indirekt zugleich Texte thematisiert, interpretiert, fortgesetzt. Um dies zu erläutern, sei im folgenden ein Beispiel genauer in den Blick genommen - das der literarischen Rezeption der Werke William Turners. Hier wiederum möchte ich mich darauf beschränken, Prosatexte vorzustellen, statt das weite Feld der Bildgedichte zu Turners Werken einzubeziehen.
Eine Untersuchung der Rezeption der Opera comique in Italien mag auf den ersten Blick wenig ertragreich erscheinen. Während ihre Werke im übrigen Europa die Bühnen beherrschten, konnten sie sich hier nie recht im Repertoire etablieren. Wiederholt wurden Versuche unternommen, dies zu ändern; belegt sind immer wieder Vorstellungsserien einzelner Werke, in der Regel mit Rezitativen und in italienischer Übersetzung. Kurzzeitig gab es sogar lokale Aufführungstraditionen, aber von einer auch nur annähernd flächendeckenden Verbreitung konnte nicht die Rede sein. Eines von vielen gescheiterten Experimenten war das Gastspiel einer französischen Theatertruppe im Teatro dAngennes in Turin - wo eine Tradition französisch- sprachigen Theaters bestand - im Frühjahr 1858, wobei Operas comiques in Originalsprache und mit gesprochenen Dialogen gespielt wurden. Wegen wirtschaftlicher Erfolglosigkeit fand das Unternehmen ein vorzeitiges Ende.
Warum Wezel?
(2004)
Obwohl Goethes Bedeutung als größter deutscher Dichter - bei aller Polemik gegen ihn zu seiner und späterer Zeit - kaum je umstritten war, wurde ihm doch von den Deutschen nach der Überzeugung Nietzsches kaum je wirklich normative Kraft zugeschrieben. "Goethe that den Deutschen nicht noth, daher sie auch von ihm keinen Gebrauch zu machen wissen", bemerkt er in einem anderen Aphorismus aus Menschliches, Allzumenschliches: "Man sehe sich die besten unserer Staatsmänner und Künstler daraufhin an: sie alle haben Goethe nicht zum Erzieher gehabt, - nicht haben können." Er stehe "zu seiner Nation weder im Verhältnis des Lebens noch des Neuseins noch des Veraltens", heißt es wieder im Aphorismus "Giebt es >deutsche Classiker<?". "Nur für Wenige hat er gelebt und lebt er noch: für die Meisten ist er Nichts, als eine Fanfare der Eitelkeit, welche man von Zeit zu Zeit über die deutsche Grenze hinüberbläst."
Goethe und die Musik seiner Mit- und Nachwelt: das ist ein weites, ja eines der weitesten Felder seiner Wirkungsgeschichte. Wohl kein Dichter in der Geschichte der Weltliteratur hat einen vergleichbaren Einfluß auf die Musik gewonnen hat wie er. Fast keiner der großen Komponisten - zumindest in Deutschland - von der Schwelle des 19. bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts ist ohne ihn ausgekommen, ja in vielen Fällen - es seien nur die Namen Beethoven, Schubert, Mendelssohn, Schumann, Liszt, Wagner, Brahms, Mahler, Strauss, Busoni oder Webern genannt - stehen die Lektüre und musikalische Auseinandersetzung mit Goethe so sehr im Zentrum ihres ästhetischen Kosmos, daß man beinahe behaupten kann: ohne ihn hätte ihr Werk eine andere geistige, ja vielfach eine andere künstlerische Gestalt. Vor allem eine bestimmte musikalische Gattung, die außerhalb Deutschlands heute mehr denn je als Inbegriff deutscher Kultur gilt, hätte sich ohne ihn niemals in dieser Form und zu dieser Höhe entwikelt: das Kunstlied, "le lied", wie die Franzosen sagen, ein Wort, das niemals im Dictionnaire stünde, hätte es Goethe nicht gegeben, dessen Gedichte seit fast zweihundert Jahren nach den Worten von Friedrich Blume "die bei weitem am häufigsten komponierten Texte der Weltliteratur" sind.
Bei der Durchsicht von literarischen und literarkritischen Werken der 1830er und 40er Jahre wird schnell deutlich, daß jedes einen anderen 'Goethe' hat. Damit ist nicht nur den Tatsachen Rechnung getragen, daß jeder der Autoren seine ganz individuelle Sicht auf Goethe zur Geltung bringen will - um des eignen Profils und der Distinktionsgewinne willen - und daß jede der sich ausdifferenzierenden ideologischen Positionen,
die dem Vormärz sein besonderes Gepräge geben, sich ihre spezielle, pejorative oder verklärende Mystifikation zurechtlegt.
Der jüdische Schriftsteller und aggressiv-polemische Publizist Saul Ascher (1767-1822) fing nach den napoleonischen Befreiungskriegen das Befinden einer Generation von deutschen Intellektuellen mit einem Reizwort ein. "Die höchsten Interessen der menschlichen Natur, Religion, Vaterland, Recht, erwarben in dem Gemüth der deutschen Denker nunmehr ein eigenes Gepräge, das sich durch eine Gemüthsäusserung aussprach, die man füglich 'Germanomanie' benennen könnte." Gemeint waren die Überlegungen eines Ernst Moritz Arndt, Johann Gottlieb Fichte, Friedrich Ludwig Jahn, Friedrich Schlegel, Friedrich W.J. Schelling, Adam Müller und Ludwig Tieck, um die Verschiedenheit der Religion, der Verfassungen und Fürstentümer in einem deutschnationalen Geist zu einigen.
Aschers trennscharfe, aber polemisch übersteigerte Analyse der sogenannten 'Germanomanen', die er an anderer Stelle als "transzendentale Idealisten und Identitäts-Philosophen" identifizierte, erschien zu einem Zeitpunkt, als auch die Neue Welt von einer Welle der germanophilen Begeisterung erfasst wurde. Der wichtigste und am meisten rezipierte Autor der amerikanischen "Germanomanie" war Johann Wolfgang Goethe (1749-1832).
Rezension zu Karl August Varnhagen von Ense/Heinrich Düntzer: "durch Neigung und Eifer dem Goethe'schen Lebenskreis angehören": Briefwechsel 1842-1858. Herausgegeben von Berdt Tilp. Teil 1: Einführung und Text. Teil 2: Kommentar (Forschungen zum Junghegelianismus, hrsg. v. Konrad
Feilchenfeldt und Lars Lambrecht, Band 7), Peter Lang Europäischer Verlag der Wissenschaften, Frankfurt/Main 2002
"Vor einem Bild", so Arthur Schopenhauer, "hat Jeder sich hinzustellen, wie vor einem Fürsten, abwartend, ob und was es zu ihm sprechen werde; und, wie jenen, auch dieses nicht selbst anzureden: denn da würde er nur sich selbst vernehmen." Es ist, als hätte Günter Eich eben diese Aufforderung ernst genommen und in ein subversives Sprachspiel verwandelt. Sein Gedicht "Munch, Konsul Sandberg" aus dem Jahre 1963 erweist sich dabei als ebenso bemerkenswerter wie eigenwilliger Beitrag zum Thema "Text und Bild". [...]Wenn Günter Eichs Gedicht aus dem Band "Zu den Akten" von 1964 etwas aus dem Bild übemimmt, was gleichsam ins Auge springt, so ist es jene genannte Ambiguität zwischen Präsenz und Entzug, zwischen Flächigkeit und Plastizität der Gestalt, die der Text nun seinerseits, in einer Art "overkill" gleichsam, radikalisiert. Eich besingt nicht das Bild, er kokettiert nicht mit der Tradition des Bildgedichtes, er treibt und hintertreibt vielmehr die Erwartung des Lesers durch die Konstruktion eines provozierenden Sprechers. Einer solchen Konstruktion scheinen Fragen vorausgegangen zu sein, wie: Kann ein Text etwas von der Spannung und Energie, die das Gemälde ausstrahlt, "übersetzen"? Läßt sich etwas von der (Nach-)Wirkung dieses Bildes fassen, ohne in gängige Register zu verfallen, mit denen Bilder in der Regel kommuniziert werden? Kann, mit anderen Worten, das Verhältnis von Text und Bild anders artikuliert werden als im Modus der Beschreibung, eines Narrativs oder einer hermeneutischen Belehrung - Modi allesamt der Bemächtigung, der Rivalität oder der Unterwerfung?
Marsyas' Folter und Midas' Zorn : von der Wanderschaft eines Mythos oder: Schiedsrichterskandal
(2005)
Der Mythos des Marsyas wurde in der (Kunst-) Geschichte verändert und ständig neu erfunden. [..] Im Jahre 1968, während der Studentenrevolte, schrieb der deutsche Dichter Günter Eich (1907-1977) einen kurzen Prosatext unter dem Titel "Ein Nachwort von König Midas". Midas, der Möchtegern-Schiedsrichter, wütet gegen die Mächtigen und beschuldigt die Massen, von Apollo verführt, im Glauben, die Welt sei in Harmonie. Nachdem Marsyas zum wahren Sieger deklariert wurde, stigmatisiert Midas ihn zum Schutzpatron der Erniedrigten und der Vertriebenen - all jener Außenseiter, die in der Lage sind, zu erkennen, was falsch mit der Welt ist. In diesem Abseits von Kunst und Gewalt, beherrscht Apollo den Kunstdiskurs; was für einen Dissidenten wie Midas verloren gegangen ist, ist der "Paratext" - Epilog und Erinnerung.
Rezension zu Julia von Rosen: Kulturtransfer als Diskurstransformation. Die Kantische Ästhetik in der Interpretation Mme de Staëls, Heidelberg (Winter) 2004. 306 Seiten.
Es wäre schwer und womöglich müßig zu entscheiden, welches Kapitel in Madame de Staëls kulturgeschichtlich so überaus wichtigem Werk 'De l'Allemagne', mit dem sie in übergreifenden Betrachtungen und vielen Einzelportraits die Tendenzen der deutschen Literatur und Philosophie zwischen 1750 und 1810 international bekannt machte, den größten Einfluß entfaltet hat. Als das Buch, durch die napoleonische Zensur sowohl behindert als auch im Hinblick auf sein Prestige gewaltig aufgewertet, 1813 zunächst in London und nach dem Sturz des Kaisers 1814 in Paris erschien, wurden innerhalb weniger Wochen in ganz Europa 70.000 Exemplare verkauft; bis 1870 kam es auf 15 Auflagen. Das Werk prägte das Deutschlandbild nicht nur mehrerer Generationen von Franzosen, sondern, da es in zahlreiche Sprachen übersetzt wurde, auch vieler Intellektueller in der ganzen Welt. Der im Frühjahr 2004 erschienene, von Udo Schöning und Frank Seemann herausgegebene Sammelband 'Madame de Staël und die Internationalität der Romantik' hat das zuletzt mit Beiträgen etwa zur russischen, britischen, nord- und südamerikanischen, aber auch zur polnischen oder portugiesischen Wirkungsgeschichte eindrucksvoll gezeigt.
Rezension zu Sigrid Weigel: Literatur als Voraussetzung der Kulturgeschichte. Schauplätze von Shakespeare bis Benjamin, München (Wilhelm Fink) 2004. 306 Seiten.
Vergangene Bedeutung von Wörtern gewinnt einen geheimnisvollen Glanz, wenn sie vom Staub des Vergessens befreit wird. Daß Theorie und Schauplatz eine gemeinsame Wortgeschichte haben, bildet die Grundlage für den Titel des Buches von Sigrid Weigel, in dem die "Szenarien der Kulturgeschichte" gezeigt, die "Gemeinsamkeiten von Anschauung und Denken, von Bild und Begriff, von Kunst und Wissen" (7) erinnert werden.
Der 200. Todestag Friedrich Schillers - wären zu diesem Anlaß folgende Feiern vorstellbar: In vielen deutschen Städten werden nicht einzelne, sondern ganze Zyklen von Festreden gehalten, nicht nur von Germanisten, sondern auch von Ministern, Ministerpräsidenten, vom Bundespräsidenten und von Ehrengästen aus dem Ausland; sie füllen Hör- und Festsäle, die für den Publikumsandrang nicht groß genug sein können; die Theater sowieso, aber auch viele Laiengruppen spielen und rezitieren Schiller, so daß von der Großstadt- bis zur lokalen Vereinsbühne ein flächendeckendes Angebot herrscht; dessen Popularität wird nur noch von Denkmalseinweihungen übertroffen, die zu Volksfesten auswachsen; der Bundespräsident ruft zur nationalen Schiller-Spende für Forschung und Nachlaß-Pflege auf; die Kinder haben schulfrei. Überwältigend. Und auch: unvorstellbar - jedenfalls für das Jahr 2005 sowie für die absehbar weiteren Jahre, etwa 2009, wenn Schillers 250. Geburtstag ansteht. Die Vorstellung eines nationalen Spektakels gehört nicht in die Gegenwart und nicht in die Zukunft, sondern in die Vergangenheit der Schiller-Jubiläen.
Die Geschichte der Fassungen von "Cristinas Heimreise" ist nicht nur kompliziert und langwierig - sie erstreckt sich von 1908 bis 1926 -, sie ist als Teil von Hofmannsthals Bühnenerfahrung auch schmerzlich, denn diesem von ihm selbst schließlich als "uneigentliches Theaterstück" qualifizierten Werk blieb trotz vielfacher Bemühungen der Durchbruch versagt. Dabei ist gerade der Versuch, im Bereich der Komödie Fuß zu fassen, für die Bemühung um das "Soziale" von programmatischer Bedeutung: Der Bruch mit George, die Zusammenarbeit mit Richard Strauss und schließlich das gescheiterte Ringen um "Silvia im Stern" stellten bereits erschwerte Vorbedingungen dar. 1908 als "Florindos Werk" begonnen, aber nicht publiziert, folgten 1910 zwei Aufführungen der daraus hervorgegangenen Komödie "Cristinas Heimreise", einmal im Februar 1910 in Berlin (drei Akte), dann im Mai 1910 in Budapest (mit der Opferung des Schlußaktes). Weitere Aufführungen - als Einakter "Florindo" 1921 und dann wieder in der Budapester Fassung 1926 an der Wiener Josefstadt - blieben folgenlos.
Dabei ist diese schmerzliche, durchaus aufschlussreiche Textgeschichte auch mit der Wahrnehmung durch die Zeitgenossen verknüpft. Schon die Dokumentation der Zeugnisse Hofmannsthals aus seinen Briefwechseln konnte Einblicke in die Werkstatt bieten. Aber erst die Chronik der öffentlichen Aufnahme, überwiegend der Theateraufführungen, kann nun ein authentischeres Bild davon vermitteln, mit welchem Erwartungshorizont der Zeitgenossen eine Hofmannsthalsche Bühnenaufführung zu rechnen hatte. Aus den nachfolgend abgedruckten Rezensionen zwischen 1910 und 1930, ergänzt um wenige Stimmen von Lesern, die keine Aufführung beschreiben (Josef V. Widmann, Arnold Zweig, Arnold Gehlen), geht das mehr als kritische Klima anschaulich hervor, in das Hofmannsthals Komödie kam.
Kafka und die Weltliteratur
(2005)
Tagungsbericht zum internationalen Symposion an der Universität des Saarlandes, Saarbrücken, vom 20. bis 23. September 2004
Die Veranstalter des Saarbrücker Symposions 'Kafka und die Weltliteratur', Manfred Engel (Saarbrücken) und Dieter Lamping (Mainz), wußten, daß sie mit ihrer Tagung die vielfältigen Differenzen innerhalb der Kafka-Forschung nicht würden ausräumen können. Wohl aber hofften sie, die schmale Konsensbasis der Kafka-Forschung durch einen neuen Zugangsweg zu vergrößern: Statt den Autor, wie schon so oft, als (bewunderten) Einzelgänger innerhalb der klassischen literarischen Moderne zu betrachten und alle Anstrengungen auf eine Deutung der Einzeltexte zu konzentrieren, ging es in Saarbrücken erstmals darum, Kafkas Dichtungen in komparatistischer Hinsicht zu kontextualisieren.
This essay aims at making a survey of Kafka’s reception in Brazil. After justifying the importance of this study, I show how intermittently Kafka’s work was translated into Brazilian Portuguese in the very beginning of his reception, that is to say, 1956. The first text published in Brazil was "Die Verwandlung", which was written in German in 1915. However this text was not translated from the German, but from the English. Other texts were translated from the French. Translations from the German only appeared in 1983, among them the one with the 'short stories' "Kleine Fabel", "Der Geier", "Gibs auf!" and "Vor dem Gesetz". It is interesting to notice that essays and other articles in newspapers on Kafka and his work preceded the translations. For example, the first essay on the author was written by Otto Maria Carpeaux in August 1941 in the newspaper "Correio da Manhã". Nowadays Kafka’s work is object of considerable research in Brazil.
Kategorien wie "nationales" oder "europäisches" Kulturerbe sind [...] nicht selbsterklärend. Immer aber werden sie mit großen Ansprüchen verbunden, sollen "Identität" stiften, zivilgesellschaftliche Normen beglaubigen oder den Bürgern eines bestimmten Landes dessen kulturelle und politische Bedeutung suggerieren. Touristisch vermarktet werden dabei zumeist die ästhetisch ansprechenden, politisch korrekten, also eher die unproblematischen und kulturell angenehmen Überlieferungen. Die negativen Seiten der Geschichte, die verstörenden Ereignisse der Vergangenheit und die Traumata der individuellen wie kollektiven Biographie sperren sich eher gegen eine glatte Nutzung im kulturtouristischen und ökonomischen Sinne. Mit ihnen kann man sich professionell in der Abgeschiedenheit von Akademien und Universitäten leichter beschäftigen als im Streit der öffentlichen Meinungen oder im Kontext touristischer Event-Kultur. [...] Die Tourismusindustrie und deren Werbung setzen immer wieder auf die Beschwörung der Präsenz längst gestorbener Geister. So behauptet beispielsweise das diesjährige Prospekt der "Thüringer Tourismus GmbH" mit dem saisonal bedingten Titel "Schiller lockt", dieser "klassische" Autor sei noch heute an den Stätten seines ehemaligen Wirkens "präsent". [...] In dem vor einigen Jahren erschienenen Sammelwerk "Deutsche Erinnerungsorte" steht auch ein Artikel über "Schiller" [...] Doch wird dort festgestellt, dass Schiller heute kein "deutscher Erinnerungsort" mehr sei, sondern ein Fall für Spezialisten und ein lebendiger Autor für allenfalls einige Hunderttausend Bundesbürger, die regelmäßig ins Theater gehen und dort ab und zu auch ein Stück von Schiller sehen. [...] Die Diskrepanz zwischen der nüchtern, wissenschaftlich konstatierten Bedeutungslosigkeit eines Dichters für das nationale Selbstverständnis der Nation und der emphatischen Behauptung der Tourismusbranche, der Autor sei bis heute präsent, verweist auf spezifische Probleme und Widersprüchlichkeiten im Umgang mit dem kulturellen Erbe, denen ich mich [...] etwas genauer zuwenden möchte, und zwar am Weimarer Beispiel.
In der heutigen Zeit sieht sich das kulturelle Erbe der Völkergemeinschaft der Gefahr ausgesetzt, von der rasanten Entwicklung der Medientechnologien in den Hintergrund gedrängt und zerstört zu werden. Die Globalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft führt auch zu einer kulturellen Globalisierung und damit zur Dominanz des von der westlichen Welt gelebten Kulturimperialismus. Einzelne Kulturformen verlieren ihren Platz in der Kulturweltgemeinschaft und wichtige Kulturgüter wie Literatur, Sprache, Mythen, Darstellungen oder Riten werden nach und nach verdrängt. Aus diesen Gründen ist es notwendig, dass sich die Theater- und Medienwissenschaftler mit diesen Kulturformen auseinandersetzen, sie erforschen und im Bewusstsein der Menschen erhalten. Diese Arbeit stellt eine unabhängige Untersuchung dar, die in dieser Form innerhalb eines geschlossenen gesellschaftlichen Systems nicht möglich gewesen wäre. Die letzte deutschsprachige Dissertation über den Stand der For-schung zu diesem Thema wurde vor knapp vierzig Jahren verfasst. Seitdem ist auch keine Untersuchung der Rezeption dieser Kunstform in Theater, Film und Medien in Europa erfolgt. Meiner Kenntnis nach existiert auch im Iran keine ver-gleichbare wissenschaftliche Arbeit, die sich mit dem untersuchten Themengebiet beschäftigt. Die Ta¬ziyeh ist eine sakrale Theaterform aus dem Iran, die sich über lange Zeit großer Beliebtheit in der eigenen Bevölkerung und Anerkennung durch westliche Reisende erfreute. Obwohl der Vormarsch der Medientechnologien, insbesondere die Verbreitung des Fernsehens und des Kinos im letzten Jahrhun-dert auch dazu geführt hat, dass das Ta¬ziyehritual zurückgedrängt wurde, ist es bemerkenswert, dass modernes Theater, Film und Fernsehen im Iran ihrerseits durch die Ta¬ziyehkultur und –praxis bis heute beeinflusst werden. Ich untersuche in meiner Promotionsarbeit die Geschichte und Auffüh-rung der Ta¬ziyeh, sowie ihre Rezeption im Theater, Film und Fernsehen im Iran. Die Ta¬ziyeh ist ein auf religiösen Riten beruhendes Passionsspiel, welches durch die Ideale und den Glauben der Schiiten begründet wurde und seinen Ursprung im Mythos des  hat. Für das Verständnis der Ta¬ziyeh ist über die Begriffsklärung hinaus sowohl ein grundlegender Überblick über die schiitische Glaubensrichtung, als auch ein Abriss der altiranischen Geschichte und Kultur im ersten Teil dieser Ar-beit unerlässlich. Außerdem werde ich auf die konkrete Ausgestaltung des schiiti-schen Passionsspiels eingehen. Besonders wichtig erscheinen mir hierbei der Ort der Aufführung des Schauspiels, die Dekoration und Requisiten, sowie die Art der Aufführung, zu der eine genaue Beschreibung der Schauspieler, ihrer Rollen, ihrer Kostüme, der begleitenden Musik und der für die Vorstellung benötigten Tiere gehört. Im weiteren Verlauf der Arbeit soll dann detailliert auf die theatralische Entwicklung der Ta¬ziyeh in der Zeit des 15.– 20. Jahrhunderts anhand von Be-richten berühmter Iranreisender eingegangen und eine Rezeption des letzten Jahr-hunderts im Hinblick auf die Ta¬ziyeh besprochen werden. Im dritten Teil der Arbeit analysiere ich nach der Klärung der Ta¬ziyehhistorie und -ästhetik in den ersten beiden Teilen schließlich ausführlich die Rezeption und Praxis der Ta¬ziyeh im modernen Theater, Film und anderen Medien im Iran. Diese Untersuchung bildet aus Sicht der Theater- und Medien-wissenschaften den wesentlichen Kern der Arbeit, in dem die im Untersuchungs-gegenstand beschriebene Synthese herausgearbeitet wird. Dafür werden exempla-risch zwanzig Werke bedeutender Künstler des Irans herangezogen, die den Ein-fluss des sakralen Rituals in einem säkularen Medium eindeutig aufzeigen. Den Abschluss der Arbeit bildet eine Synopsis der Untersuchungen, so-wie ein Ausblick auf die gegenwärtige Entwicklung der Ta¬ziyeh.
1998 erschien in Ungarn ein Gedichtband von Endre Kukorelly unter dem Titel H.Ö.L.D.E.R.L.I.N. Es kam nicht von ungefähr, dass Attila Bombitz, seiner Besprechung den vielsagenden Titel In Hölderlin (Hölderlin ist in) gab, denn in den 90er Jahren haben sich neben Kukorelly auch andere Autoren produktiv mit dem Hölderlinschen Werk auseinandergesetzt, außerdem sind mehrere selbstständige Hölderlinausgaben erschienen, gleichsam als Manifestationen einer zwar unerwarteten, aber wohl kaum abstreitbaren ungarischen Hölderlinrenaissance. Alle Rezensenten des Gedichtbandes konzentrierten sich auf die Deskription der poetischen Verfahren, mittels deren Kukorelly die die ungarische Hölderlinrezeption beherrschenden romantischen Hölderlintopoi gewissermaßen zu dekonstruieren versuchte.
Die hier vorgeschlagene Rekonstruktion der eher zufälligen Entstehung der Spinoza-Studie und insbesondere die Interpretation des zweiten Teils dieser Schrift als ironische, jedoch entschiedene Distanzierung von den im ersten Teil formulierten Prinzipien vermag nun abschließend auch eine wenigstens plausible Antwort auf die nicht nebensächliche Frage zu geben, warum Goethe Zeit seines Lebens nicht nur nie an eine Veröffentlichung dieses angeblich so wichtigen Zeugnisses seiner Naturauffassung gedacht, sondern diesen Text auch an keiner Stelle je erwähnt hat.
Der Beitrag untersucht die parasoziale Funktion literarischer Werke, die der fiktive Herausgeber von Werthers Briefen voraussetzt, wenn er seinen Lesern das Buch als einen "Freund" anempfiehlt. Textanalysen zeigen, daß Goethes "Werther" sich eines besonderen "emotiven Sprechmusters" bedient, um Individualität zu artikulieren und zu kommunizieren. Im zweiten Teil des Beitrags wird das emotive Sprechmuster als ein spezifisches Interaktionsmuster, wie es als Figurenrede in Goethes Jugendwerk in Erscheinung tritt, untersucht. Dabei ist eine Verschiebung von einer supplikativen zu einer konsolatorischen Verwendung des emotiven Sprechmusters zu beobachten. Der konsolatorische Effekt, in der Selbstaussprache eines anderen sich selbst wiederzufinden und dadurch seine Individualität bestätigt zu sehen, wird im dritten Teil des Beitrags als Erklärung für das Phänomen des "Werther-Fiebers" nutzbar gemacht. Der Beitrag unternimmt eine ausführliche Kritik des Forschungstopos, die enthusiastischen jugendlichen Leser hätten den "Werther" mißverstanden oder an Realitätsverlust gelitten, und stellt eine Verbindung zu Kult-Phänomenen der modernen Pop- und Jugendkultur her.
In "Marsyas - Zeitschrift und Pathosformel des Expressionismus" wird auf ein spätexpressionistisches Zeitschriftenprojekt Theodor Taggers (i.e.Ferdinand Bruckner) eingegangen. Die zweimonatlich erscheinende „Marsyas“ ist ein kurzlebiger (1917-1919) Versuch, kulturpolitisch zu wirken und „eine anlagebereite Klientel für bibliophile Projekte zu gewinnen.“ Den Ausführungen zu Tagger und der Rezeption seiner Zeitschrift folgen ausgewählte Tagebucheinträge Theodor Taggers.
Im Folgenden werden wir drei Wirkungskomplexe beschrieben, in denen die Codierung Veränderungen bewirken kann, wobei es sich - das soll hier nicht verschwiegen werden - um idealtypische Situationsannahmen handelt: Es geht um die Folgen erstens für den Originaltext (das Gedicht), zweitens für das Verstehen (sowohl bei der Codierung als auch bei der Rezeption) und drittens schließlich um mögliche Auswirkungen auf die Wissenschaft. Die Neuerungen für die AutorInnen im Umgang mit digitalen Medien findet keine Berücksichtigung, da jegliche im Projekt behandelten Quellentexte vor der Zeit des digitalen Mediums produziert wurden.
Zum Start einer gemeinsam geplanten Monatsschrift wünschte Siegfried Jacobsohn im September 1926 von Tucholsky den Entwurf für die erste programmatische Seite. Darüber hinaus aber - heißt es dann in Jacobsohns Brief weiter - rate er ihm, einen Artikel mit dem Titel "Der Jahrhundertkerl Heine" zu schreiben. Pompös und ausgiebig sollte dieser Artikel sein, denn es lasse sich darin "wunderschön alles sagen, was wir von der Gegenwart und Zukunft fordern". Jacobsohn sah in einem solchen Artikel Tucholskys "die Hauptsache" für die erste Nummer dieser neuen Zeitschrift, die - vorläufig - als "Das Jahrhundert" angekündigt werden sollte.
Der Vorschlag war nicht neu, denn schon ein Jahr zuvor hatte Jacobsohn seinem Freund und Autor nahegelegt, er solle doch "in einem ganz großen, ganz ernsten Aufsatz den Politiker Heine neu entdecken". Auch das bewundernd-derbe Wort vom "Jahrhundertkerl" Heinrich Heine findet sich bereits hier. Das folgende Jahrhundert, das 20., meint Jacobsohn, habe - zumindest in seinem ersten Viertel - seinesgleichen nicht hervorgebracht. Der politische Heine wird also von Jacobsohn akzentuiert, ja, eine aktuelle Charakteristik seiner Vorstellungen geradezu als eine Neuentdeckung betrachtet. Wie weit das zutrifft, sei dahingestellt - um ein zeitgemäßes Verständnis des Schriftstellers Heine bemühten sich damals auch andere. Entscheidend ist, daß es Jacobsohn dabei um Heine als eine programmatische Leitfigur ging, er hoffte - wie es in einem anderen Brief an Tucholsky heißt - auf "einen Hymnus auf Heine, der Dir und mir aus dem Innersten käme".
Hofmannsthal war auch als Philologe Dichter. Das zeichnet seine literaturkritischen Arbeiten aus, macht sie aber einzigartig subjektiv. Zudem ist die Denk- und Empfindungsweise der Epoche in diesen Texten deutlich präsent. Das gilt für das Meiste, was er an Würdigungen, Einleitungen und Reden schrieb. Es wird uns hier in seinen Urteilen über Nestroy und Raimund beschäftigen.
Die Reaktionen auf das Werk Thomas Bernhards sind Paradebeispiele für das Missverständnis, Literatur habe unvermittelt etwas mit Politik, Philosophie oder anderen gesellschaftlichen Teilbereichen zu tun. Auch Aussagen von Bernhard selbst forcieren diesen Eindruck, gleich, ob sie in den 'faktualen' Interviews, den wenigen poetologischen Texten, den Reden zu Preisverleihungen, der meist referentiell gewerteten Textsorte Autobiographie oder in den 'fiktionalen' Texten geäußert werden: "Zu Lebzeiten war das Bild des Autors Thomas Bernhard vor allem in Österreich ganz wesentlich von Skandalen geprägt."
Inhaltlich umfassen die Themenbereiche die 'Makro-' bis zur 'Mikroebene' des Sozialen: Der Staat Österreich wird zum Ziel des Angriffs, die von Bernhard angeprangerten Kontinuitäten in nationalsozialistischer Hinsicht, der Katholizismus (die Religion), unterschiedliche Institutionen, beispielsweise das Schulsystem, die Musikausbildung, die Familie, konkrete Personen bis hin zum Leitzordner in der Auslöschung, der dann wiederum als Symbol für eine bürokratisierte österreichische und europäische 'Leitzordnerkultur' auf die Makroebene hochgerechnet wird.
Auch in der Forschung wird immer wieder die Frage nach dem Realitätsgehalt der Texte Bernhards aufgeworfen: Wieviel Dichtung, wieviel Wahrheit beinhaltet die Autobiographie, wieviel Biographie die 'Fiktion', wie ist Österreich im Text repräsentiert?
Als Rezeptionsanalyse von Goethes Werken in Persien befasst sich die vorliegende Untersuchung zunächst mit der Frage: 'Wie wird Goethe in Persien gelesen?' Bei der Frage nach einer persischen Goethe-Rezeption steht Übersetzung als Vermittlungsprinzip eines, vom Persischen aus betrachtet, fremden Dichters ebenso im Vordergrund wie bei der Frage nach einer deutschen Ḥāfiẓ-Rezeption.
Rezension zu Andrea Hübener: Kreisler in Frankreich. E. T.A. Hoffmann und die französischen Romantiker. Heidelberg (Winter) 2004. 395 S.
Die zu besprechende, von der Technischen Universität Berlin angenommene Dissertation geht Hoffmanns Einfluß auf den 'Romantisme' nach und bezieht dabei Bildende Kunst und Musik mit ein, was sich bei einem Dichter, der ganz im Sinne der nach einer Synthese der Künste strebenden romantischen Bewegung auch komponierte und zeichnete, geradezu anbietet. Beabsichtigt ist also ein vergleichendes und explizit interdisziplinäres Vorgehen.